Verfahrensgang

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 19.08.2019; Aktenzeichen S 13 KR 4228/18)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.12.2020; Aktenzeichen L 4 KR 3150/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der gesetzlich krankenversicherte Kläger ist mit diversen Feststellungs- und Verpflichtungsbegehren gegen den beklagten Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) beim SG ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid vom 19.8.2019). Im Berufungsverfahren hat das LSG mündliche Verhandlung zunächst auf den 20.11.2020 anberaumt und diesen Termin nachfolgend aufgrund eines Terminverlegungsantrages des Klägers wegen Verhinderung seines anwaltlichen Bevollmächtigten auf den 11.12.2020 verlegt. Einen weiteren, mit seiner eigenen Verhandlungsunfähigkeit begründeten Terminverlegungsantrag des Klägers hat das LSG unter Hinweis auf die anwaltliche Vertretung abgelehnt (Beschluss vom 9.12.2020). Am Tag vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte des Klägers schriftlich mitgeteilt, er werde den Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen, weil seine Ehefrau Erkältungssymptome habe. Einen Terminverlegungsantrag hat der Bevollmächtigte des Klägers nicht gestellt. Aufgrund der in Abwesenheit der Beteiligten durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 11.12.2020 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es auf die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen (Urteil vom 11.12.2020).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.

1. Der Kläger hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde.

a) Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen.

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) umfasst auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Grundsätzlich stellt allein der Umstand, dass ein Beteiligter außerstande ist, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und dies vorher mitteilt, keinen zwingenden Grund für eine Terminverlegung dar (BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 59/13 B - juris RdNr 15 mwN; BSG vom 17.3.2014 - B 13 R 315/13 B - juris RdNr 8). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass bei Fernbleiben eines Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden kann (vgl dazu § 110 Abs 1 Satz 2, § 126 SGG). Jedoch kann - und ggf muss - ein Termin zur mündlichen Verhandlung gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, selbst wenn das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden ist (vgl BSG vom 21.7.2005 - B 11a/11 AL 261/04 B - juris RdNr 10; BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - juris RdNr 15). Ein iS von § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - juris RdNr 15). Die Behandlung von Anträgen auf Terminverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 58; BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 42/20 B - juris RdNr 8).

Einen Verstoß gegen Art 103 Abs 1 GG kann nicht geltend machen, wer es selbst versäumt hat, sich vor Gericht durch die zumutbare Ausschöpfung der vom Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (stRspr; vgl BVerfG ≪Kammer≫ vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - BVerfGK 17, 479 = juris RdNr 28). Die Darlegung des Verfahrensmangels einer Gehörsverletzung aufgrund zu Unrecht verweigerter Terminverlegung erfordert deshalb auch Ausführungen dazu, dass der Beteiligte alle ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um eine Verschiebung des Termins zu erreichen (vgl BSG vom 7.8.2015 - B 13 R 172/15 B - juris RdNr 7).

Beantragt ein anwaltlich vertretener Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet ist, Terminverlegung, muss er gegenüber dem Gericht aufzeigen, dass und weshalb seine persönliche Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung - zusätzlich zu der seines Prozessbevollmächtigten - unerlässlich ist (BSG vom 15.5.1991 - 6 BKa 69/90 - juris RdNr 2; BSG vom 5.3.2004 - B 9 SB 40/03 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 25.6.2021 - B 13 R 163/20 B - juris RdNr 11; BVerwG vom 30.8.1982 - 9 C 1/81 - DÖV 1983, 247 = juris RdNr 11 f).

b) Gemessen daran hat der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht hinreichend dargetan.

aa) Dem wegen der Verhinderung seines anwaltlichen Bevollmächtigten gestellten Terminverlegungsantrag vom 21.10.2020 hat das LSG nach den eigenen Ausführungen des Klägers stattgegeben, sodass insofern eine Verletzung des rechtlichen Gehörs von vornherein ausscheidet.

bb) Hinsichtlich des mit der Verhandlungsunfähigkeit des Klägers begründeten Terminverlegungsantrages vom 2.12.2020 fehlt es an hinreichenden Darlegungen dazu, dass und warum die persönliche Anwesenheit des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung - zusätzlich zu der seines Prozessbevollmächtigten - unerlässlich gewesen sein soll und auch dazu, dass der Kläger dies gegenüber dem LSG geltend gemacht hat. Die pauschale Behauptung, nur so habe sich das LSG einen persönlichen Eindruck von der Person des Klägers und einer möglichen Absicht der Prozessverschleppung verschaffen und den Sachverhalt aufklären können, genügt hierfür nicht. Aus dem Vorbringen des Klägers wird nicht erkennbar, inwiefern der entscheidungserhebliche Sachverhalt einer weiteren Aufklärung bedurfte.

Dass das LSG in der angefochtenen Entscheidung ein falsches Datum hinsichtlich der mündlichen Verhandlung (10.8.2020 anstatt 11.12.2020) genannt hat, ist von vornherein nicht geeignet, einen Verfahrensmangel zu begründen. Zum einen handelt es sich hierbei um eine offenbare Unrichtigkeit (vgl § 138 SGG), zum anderen wurde im Tenor des den Terminverlegungsantrag ablehnenden Beschlusses vom 9.12.2020 das richtige Datum der mündlichen Verhandlung genannt.

cc) Sofern der Kläger eine Verlegung des Termins vom 11.12.2020 deshalb für erforderlich hielt, weil (auch) sein anwaltlicher Bevollmächtigter an diesem Tag aus gesundheitlichen Gründen nicht zu dem Termin habe erscheinen können, fehlt es ebenfalls an Darlegungen dazu, dass er alles ihm Zumutbare getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Bevollmächtigte des Klägers mit dem Schreiben vom 10.12.2020 dem LSG lediglich mitgeteilt, den Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen zu können, ohne zugleich einen (weiteren) Terminverlegungsantrag gestellt zu haben.

dd) Sofern der Kläger geltend macht, das LSG habe bei der Verlegung des Termins auf den 11.12.2020 nicht den Hinweis seines Bevollmächtigten in dem Verlegungsantrag beachtet, er sei "bemüht, zur Sache abschließend bis zum 15. Dezember 2020 vorzutragen", betrifft dies nicht die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung, sondern das schriftsätzliche Vorbringen. Insoweit fehlt es zum einen an Darlegungen dazu, dass der - anwaltlich vertretene - Kläger alles ihm Zumutbare unternommen hat, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Hierzu hätte er insbesondere darlegen müssen, warum er genau noch den Zeitraum vom Tag der Sitzung (11.12.2020) bis zum 15.12.2020 benötigt hätte, um weiter vorzutragen, nachdem er bereits mit der Berufungsschrift im September 2019 - auch schon anwaltlich vertreten - vorgetragen hatte, er sei verhandlungsunfähig und könne deshalb die Klagebegründung nicht konkretisieren. Diese Gründe hätte er zudem dem LSG mitteilen müssen. Auch dazu trägt er nichts vor. Schließlich legt der Kläger auch nicht hinreichend dar, was genau er vorgetragen hätte, wenn ihm das LSG hierzu bis zum 15.12.2020 Gelegenheit gegeben hätte, dh warum die angefochtene Entscheidung auf der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht. Die pauschale Behauptung, es "wäre der Nachweis erbracht worden, dass insbesondere die im Schriftsatz vom 7.12.2020 erwähnten, in der Klageerwiderung vorgetragenen Gutachten fehlerhaft waren, weil sie das Krankheitsbild des Klägers nicht umfassend bewertet haben", genügt dafür schon deshalb nicht, weil es auf die Bewertung dieser Gutachten in der angefochtenen Entscheidung nicht ankam. Denn insoweit hat das LSG - dem SG folgend - die gegen den beklagten MDK gerichtete Klage bereits als unzulässig angesehen.

2. Die von dem Kläger darüber hinaus der Sache nach erhobene Sachaufklärungsrüge (§ 103 SGG) erfordert ua, dass in der Beschwerdebegründung ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer, bis zuletzt aufrechterhaltener oder im Urteil wiedergegebener Beweisantrag bezeichnet wird, dem das LSG nicht gefolgt ist (stRspr; vgl zB BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN). Daran fehlt es.

Der Kläger hat nicht dargelegt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit seines Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahe zu legen (vgl BSG vom 9.7.2015 - B 9 SB 19/15 B - juris RdNr 12 mwN). Dem wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht. Er benennt kein konkretes Beweisthema seines Beweisantrages und legt auch die Entscheidungserheblichkeit in Bezug auf die streitgegenständlichen Klagebegehren nicht dar. Die pauschale Bezugnahme auf einen in der ersten Instanz eingereichten Schriftsatz genügt den Darlegungsanforderungen nicht (vgl BSG vom 15.2.2011 - B 12 KR 53/10 B - juris RdNr 5 mwN). Der in Bezug genommene Schriftsatz vom 26.3.2019 ist zudem in Bezug auf ein mögliches Beweisthema auch wenig erhellend, da er lediglich die Ankündigung des Bevollmächtigten des Klägers enthält, weiter vortragen zu wollen, was wegen des Gesundheitszustandes des Klägers nicht möglich sei.

Überdies hat der Kläger auch nicht dargelegt, den Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten zu haben. Um die Warnfunktion des Beweisantrags zu aktivieren, muss ein - wie hier der Kläger - rechtskundig vertretener Beteiligter sein Beweisbegehren in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungsgemäßen "Beweisantrag" iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG wiederholen und protokollieren lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO; vgl BSG vom 22.1.2020 - B 9 SB 46/19 B - juris RdNr 9; zu der Obliegenheit, den Beweisantrag protokollieren zu lassen vgl näher Karmanski in BeckOGK, SGG, § 160 RdNr 76 ff mwN, Stand 1.11.2021). An Darlegungen hierzu fehlt es.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Schlegel

Scholz

Bockholdt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15116921

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