Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 18.09.2018; Aktenzeichen S 4 R 332/15) |
Hessisches LSG (Urteil vom 14.12.2021; Aktenzeichen L 2 R 371/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 geborene Klägerin beantragte am 10.7.2014 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Nach medizinischen Ermittlungen lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 19.12.2014). Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7.4.2015).
Das SG hat ua auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG medizinische Sachverständigengutachten auf chirurgischem und auf psychiatrischem Gebiet eingeholt. Beide Sachverständige kamen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten könne. Mit Urteil vom 18.9.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Dass die Klägerin vor dem 1.11.2016 erwerbsgemindert gewesen sei, sei nicht nachgewiesen. Nach diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht mehr erfüllt. Das LSG hat weitere Ermittlungen angestellt und ua ein medizinisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage des Facharztes für Allgemeinmedizin, Physikalische und Rehabilitative Medizin S vom 12.3.2020 eingeholt, wonach die Klägerin im Zeitraum bis 31.10.2016 über ein vollschichtiges Leistungsvermögen mit qualitativen Einschränkungen verfügt habe. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das LSG ein unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten des Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie L eingeholt. Der Gutachter hat der Klägerin ebenfalls ein vollschichtiges Leistungsvermögen mit qualitativen Einschränkungen attestiert. Mit Urteil vom 14.12.2021 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Aus einer Gesamtschau der medizinischen Ermittlungen ergebe sich, dass die Klägerin bis zum 31.10.2016 weder voll noch teilweise erwerbsgemindert gewesen sei. Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung bestünden nicht. Soweit die Klägerin eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ab November 2016 geltend mache, sei dies mangels Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab diesem Zeitpunkt nicht geeignet, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und als Zulassungsgrund Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend gemacht.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte Grund für die Zulassung einer Revision wurde nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher nach § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Beschwerdebegründung der Klägerin wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach §§ 62, 128 Abs 2 SGG geltend und trägt vor, das LSG stütze seine Urteilsgründe mehrfach auf einen unterstellten, angeblich nicht hinreichenden Leidensdruck seitens der Klägerin. Hierauf sei sie nicht vorher hingewiesen worden. Soweit die Klägerin damit vorträgt, dass LSG habe seine Hinweispflichten verletzt, setzt sie sich nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Umfang gerichtlicher Hinweispflichten auseinander. Danach gibt es keine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 SGG bzw Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet, denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl zB BSG Beschluss vom 13.4.2022 - B 5 R 291/21 B - juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 11.4.2019 - B 13 R 74/18 B - juris RdNr 14 mwN). Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - juris RdNr 21 mwN). Der Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Daran fehlt es hier. Insbesondere im Hinblick darauf, dass bereits vom SG, auf dessen Entscheidungsgründe das LSG Bezug genommen hat, der Umfang der in Anspruch genommenen schmerz- und psychotherapeutischen Behandlungen thematisiert worden ist, hätte es hierzu näherer Darlegungen bedurft. Inwieweit die von der Klägerin zitierte Entscheidung des BSG vom 23.5.1996 (13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § 62 Nr 12), die sich zur Mitteilung der Grundlagen für die Beurteilung möglicher Verweisungstätigkeiten verhält, hier einschlägig sein soll, erläutert die Klägerin nicht.
Die Klägerin macht vielmehr Ausführungen dazu, warum die Beurteilung des LSG, dass hinsichtlich der von ihr angegebenen Schmerzsymptomatik kein hinreichender Leidensdruck bestehe, unzutreffend sei. Damit rügt sie in der Sache nicht eine Verletzung rechtlichen Gehörs iS des § 128 Abs 2 SGG, sondern die Beweiswürdigung durch das LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), die nach § 160 Abs 2 Nr 2 Halbsatz 2 SGG einer Rüge im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entzogen ist. Dies gilt ebenso für den weiteren Vortrag der Klägerin, das LSG sei in den Entscheidungsgründen fehlerhaft davon ausgegangen, der Sachverständige S habe sie ausführlich untersucht. Soweit die Klägerin vorbringt, S sei fälschlich davon ausgegangen, dass sie eine Rehabilitationsmaßnahme wegen ihrer psychischen Erkrankungen abgelehnt habe, wird bereits nicht deutlich, wo dies in der angefochtenen Entscheidung - in der ausdrücklich von einer angebotenen orthopädischen Rehabilitationsmaßnahme die Rede ist - eine Rolle spielen soll. Gleiches gilt, soweit die Klägerin als Verfahrensfehler geltend macht, S habe die Beweisfrage nach ihrer Anpassungsfähigkeit im Erwerbsleben mangels persönlicher Untersuchung nicht beantworten können. Mit dem Vorbringen, das LSG habe fehlerhaft weder die Summierung zahlreicher Leistungseinschränkungen berücksichtigt noch die gutachterlich attestierte Einschränkung der Wegefähigkeit auf maximal 500 Meter, wendet die Klägerin sich ebenfalls allein gegen die Beweiswürdigung des LSG. Dies trifft schließlich auch auf den Vortrag zu, dass nach den Feststellungen des vom SG gehörten chirurgischen Sachverständigen von einer Leistungsminderung bereits vor dem 31.10.2016 auszugehen sei.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Düring Hannes Gasser
Fundstellen
Dokument-Index HI15285406 |