Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18.10.2022; Aktenzeichen L 3 U 219/17)

SG Cottbus (Entscheidung vom 11.10.2017; Aktenzeichen S 15 U 43/14)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In der Hauptsache streiten die Beteiligten wegen der Anerkennung der Berufskrankheiten (BK) der Nrn 1103, 4103, 4104, 4109, 4113, 4114 zur Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sowie Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen zugunsten der Ehefrau des am 16.10.2012 an den Folgen eines Bronchial-Karzinoms verstorbenen Versicherten, der während seiner Beschäftigungszeiten Belastungen durch Asbest, Chrom, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) ausgesetzt war. Das SG hat die Klagen abgewiesen (Urteile vom 11.10.2017). Das LSG hat nach Ermittlungen zur Exposition des Versicherten und Einholung von Sachverständigengutachten die Bescheide der Beklagten aufgehoben, soweit der Rentenausschuss kompetenzwidrig über die Ablehnung einer Berufskrankheit bzw Sterbegeld, Überführungskosten und einmalige Witwenbeihilfe entschieden habe. Soweit dieser Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen pauschal abgelehnt habe, seien die darauf gerichteten Leistungsklagen mangels Verwaltungsentscheidung unzulässig. Im Übrigen seien die Klagen unbegründet, weil bei dem Versicherten eine BK nicht vorgelegen habe. Es fehle an den arbeitsmedizinischen bzw arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitgegenständigen BKen (Urteil vom 18.10.2022).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und rügt sinngemäß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil ein Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG) nicht formgerecht dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Die Beschwerdebegründung legt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dar (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit, also Entscheidungserheblichkeit, sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, sog Breitenwirkung, darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Beschwerdebegründung wirft die Frage auf, wie mit stochastischen Berufskrankheiten umzugehen sei. Mit der Schaffung von Orientierungswerten kämen Lungenkrebserkrankungen nach Belastungen durch Chrom VI und Nickel statistisch kaum jemals zur Entschädigung. Selbst wenn diesem Vortrag noch hinreichend deutlich die Rechtsfrage zu entnehmen wäre, ob (vorzugsweise) die BKen Nr 1103 und 4109 der Anlage 1 zur BKV tatbestandlich zwingend eine Exposition in einem Maße voraussetzen, die zu einer Verdoppelung des Erkrankungsrisikos führt, zeigt die Beschwerdebegründung weder den Klärungsbedarf in Auseinandersetzung mit der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur auf (vgl zur BK Nr 1103 BSG Urteil vom 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R - BSGE 123, 24 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1, RdNr 19) noch die Klärungsfähigkeit, weil sie nicht einmal ansatzweise die Feststellungen des LSG und dessen rechtliche Erwägungen mitteilt, auf denen die Entscheidung beruht.

2. Die Beschwerdebegründung bezeichnet auch einen Verfahrensmangel nicht ausreichend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 10.6.2021 - B 9 V 56/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16, jeweils mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht.

Soweit die Beschwerdebegründung anführt, das LSG habe angesichts der ausdrücklichen Formulierung "Ansprüche auf Leistungen bestehen nicht" in den Bescheiden der Beklagten davon ausgehen müssen, dass die Beklagte auch eine Verwaltungsentscheidung hierüber getroffen habe, rügt sie allerdings sinngemäß eine fehlerhafte Entscheidung durch Prozessurteil. Für die Frage, ob die Entscheidung durch Prozessurteil einen Verfahrensmangel darstellt, ist indes die materielle Rechtsauffassung des Berufungsgerichts maßgeblich, soweit diese hierfür ausschlaggebend war, selbst wenn diese verfehlt sein sollte (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - SozR 4-1500 § 160a RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 6.6.2023 - B 4 AS 132/22 B - juris RdNr 9 mwN). Die Beschwerdebegründung hätte sich deshalb mit dem Standpunkt des LSG auseinandersetzen müssen, dass pauschale Leistungsablehnungen nach der zitierten Senatsrechtsprechung (ua Urteil vom 16.3.2021 - B 2 U 7/19 R - BSGE 131, 297 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 11) ohne Regelungsgehalt seien. Daran fehlt es. Der Hinweis auf unerträglich lange und unangemessene Prozesslaufzeiten begründet keinen Zulassungsgrund.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Roos

Karmanski

Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16129359

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