Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde. Rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch. Verschleppungsabsicht. Rechtsschutzbedürfnis. Greifbare Rechtswidrigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Der BGH geht im Zivilprozess davon aus, nicht anfechtbare Entscheidungen seien mit der außerordentlichen Beschwerde ausnahmsweise angreifbar, wenn sie mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar seien, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrten und dem Gesetz inhaltlich fremd seien.
2. Ein wegen Verschleppungsabsicht rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch löst nicht die Rechtsfolgen des § 47 ZPO aus.
3. Für eine außerordentliche Beschwerde ist ein Rechtsschutzbedürfnis nur zu bejahen, wenn im Falle „greifbarer Rechtswidrigkeit” wirksamer Rechtsschutz nicht gewährleistet ist.
Normenkette
SGG § 60; ZPO §§ 42, 47
Verfahrensgang
Tenor
Die außerordentlichen Beschwerden der Klägerin gegen die Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Dezember 2001 – L 3 SF 25/01 SAB – werden als unzulässig verworfen.
Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
Mit den angefochtenen Beschlüssen hat das Landessozialgericht (LSG) ein Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 3. Juli 2001 gegen den Richter am Sozialgericht W. … als unzulässig verworfen, das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 12. Juli 2001 gegen die ehrenamtlichen Richter L. … und J. … zurückgewiesen sowie die Beschwerde der Klägerin gegen die angeblich inzidente Zurückweisung des Richter am Sozialgericht W. … betreffenden Ablehnungsgesuchs durch das Sozialgericht (SG) Itzehoe als unzulässig verworfen.
Gegen diese Beschlüsse hat die Klägerin außerordentliche Beschwerde eingelegt und sich für deren Statthaftigkeit auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bezogen. Sie vertritt die Ansicht, die Entscheidungen beruhten auf „eklatanter Verletzung” des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die „Auslegung und Wertung des Ablehnungsgesuches” der Klägerin sei „aus der Luft gegriffen und entspreche nicht den Tatsachen”. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der außerordentlichen Beschwerden vom 25. Januar 2002 Bezug genommen.
Die außerordentlichen Beschwerden sind nicht statthaft. Unabhängig davon, dass eine Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) – abgesehen von hier offensichtlich nicht vorliegenden Fällen – nicht vorgesehen ist, kommt eine vom BGH richterrechtlich entwickelte außerordentliche Beschwerde nur in eng begrenzten Fällen in Betracht. Der BGH geht im Zivilprozess davon aus, nicht anfechtbare Entscheidungen seien mit der außerordentlichen Beschwerde ausnahmsweise angreifbar, wenn sie mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar seien, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrten und dem Gesetz inhaltlich fremd seien (BGHZ 109, 41, 43 f; 119, 372, 374; 121, 397, 398). Ob diese Voraussetzungen hier gegeben wären, erscheint bei näherer Prüfung von § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 47 Zivilprozessordnung (ZPO) zweifelhaft. Dem Gesetz inhaltlich fremd sind die Entscheidungen jedenfalls nicht. Es entspricht Praxis und Lehre, dass ein wegen Verschleppungsabsicht rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch nicht die Rechtsfolgen des § 47 ZPO auslöst (vgl Baumbach/Hartmann, Zivilprozessordnung, 60. Aufl 2000, § 42 RdNr 7 mwN). Eine andere Frage ist es, ob die Gründe des LSG in jedem Punkt überzeugen. Das kann jedoch dahinstehen, denn für eine außerordentliche Beschwerde ist ein Rechtsschutzbedürfnis nur zu bejahen, wenn im Falle „greifbarer Rechtswidrigkeit” wirksamer Rechtsschutz nicht gewährleistet ist (vgl dazu: BGH NJW 1999, 2290). Die Klägerin hat indes die Möglichkeit, ihre materiellen Rechte mit der Nichtzulassungsbeschwerde und der Berufung – bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen im Übrigen – gegen das Urteil des SG Itzehoe vom 3. Juli 2001 – 3 AL 139/99 – zu verfolgen. In diesem Verfahren kann sie auch die geltend gemachten Verfahrensverstöße rügen, soweit das LSG über sie nicht bereits abschließend entschieden hat. Wegen der Behandlung des Verlegungsantrags wird auf BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 und neuestens BSG Urteil vom 30. Oktober 2001 – B 4 RA 49/01 R – verwiesen. Für die Beurteilung von Verfahrensmängeln hat das BSG in verschiedenen Zusammenhängen darauf aufmerksam gemacht, dass der mündlichen Verhandlung ein „besonderer Rechtswert” beizumessen ist (BSGE 53, 83, 85 = SozR 1500 § 124 Nr 7). Unter diesen Umständen besteht kein Bedürfnis, außerhalb des gesetzlich geregelten Instanzenzuges richterrechtlich außerordentliche Rechtsmittel zu entwickeln, zumal diese das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art 101 Grundgesetz) berühren (BGH NJW 1999, 2290). Soweit der Anspruch auf rechtliches Gehör betroffen ist, ist ferner auf die Möglichkeit einer Gegenvorstellung zum LSG hinzuweisen (vgl Kraheberger DÖV 2002, 19, 24).
Da die Voraussetzungen, unter denen eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Rechtswidrigkeit in Betracht kommen könnte, nicht erfüllt sind, sind die außerordentlichen Beschwerden entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).
Fundstellen