Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 29.11.2016; Aktenzeichen L 6 KR 1838/13) |
SG Altenburg (Entscheidung vom 27.11.2013; Aktenzeichen S 4 KR 2089/09) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 29. November 2016 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet ua an Tinnitus im Zusammenhang mit einem Hörsturz und an funktioneller Dysphonie. Er ist mit seinem insbesondere auf die Behandlung von Tinnitus, Hirnleistungsstörungen und Burn-out-Syndrom gerichteten Begehren, ihm eine logopädische Intensivtherapie (30 Therapieeinheiten in drei Wochen, fünfmal wöchentlich, zwei Zeitstunden täglich) einschließlich AUDIVA-Training durch die Logopädische Praxis S. zu gewähren, bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, bei der vom Kläger begehrten Leistung handele es sich um ein neues Heilmittel iS des § 138 SGB V, für das der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinie/HeilM-RL; idF vom 20.1.2011/19.5.2011, BAnz 2011 Nr 96 S 2247, zuletzt geändert am 16.3.2017, BAnz AT 29.5.2017 B7, mW vom 30.5.2017) noch keine Empfehlung ausgesprochen habe. Logopädie sei nach der HeilM-RL nur zur Durchführung einer Stimm-, Sprech- oder Sprachtherapie verordnungsfähig und auch nur in dem dort vorgesehenen Umfang. Weder die vom Kläger geltend gemachte Indikation noch das von ihm beantragte Therapieschema sehe die HeilM-RL für die Logopädie vor. Anhaltspunkte für ein Systemversagen seien nicht ersichtlich (Urteil vom 29.11.2016).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers.
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es. Der Kläger erfüllt mit seinem Vorbringen nicht diese Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers.
a) Der Kläger legt einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nicht in der gebotenen Weise dar. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, und schildern, dass und warum die Entscheidung des LSG auf dem angeblich fehlerhaften Unterlassen der Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN). Für das Vorbringen, das LSG habe einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergangen, wäre mit Blick auf § 160a Abs 2 S 3 SGG besonderes Vorbringen nötig gewesen. Wer sich hierauf beruft, muss darlegen, dass er einen formellen Beweisantrag iS von §§ 373, 404 ZPO iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG gestellt und bis zur Entscheidung des LSG aufrechterhalten hat. Der Tatsacheninstanz soll durch einen solchen Antrag vor der Entscheidung nämlich vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; BSG Beschluss vom 10.4.2006 - B 1 KR 47/05 - Juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 1.2.2013 - B 1 KR 111/12 B - RdNr 8). Nach ständiger Rspr des BSG gehört zur Bezeichnung eines Beweisantrags die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen (echten) Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 f; Nr 29 S 49; Nr 31 S 51 f; BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - Juris RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn ein Beteiligter in der letzten mündlichen Verhandlung förmlich Beweiserhebung nach §§ 373, 402 ff ZPO iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG beantragt oder auf einen angekündigten förmlichen Beweisantrag Bezug nimmt (zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vgl BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f; BSG Beschluss vom 1.2.2013 - B 1 KR 111/12 B - RdNr 8; BSG Beschluss vom 25.11.2013 - B 13 R 339/13 B - Juris RdNr 10; zum urteilsersetzenden Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG vgl BSG Beschluss vom 19.7.2013 - B 1 KR 20/13 B - RdNr 12 mwN). Diese Voraussetzung ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten dagegen nicht erfüllt, wenn sie im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung ausweislich der Sitzungsniederschrift (zur ausreichenden Wiedergabe des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags allein im Berufungsurteil vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 64; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 4 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 15; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11) nur noch einen Sachantrag gestellt haben.
Der in der Vorinstanz anwaltlich vertretene Kläger legt schon nicht dar, dass er einen Beweisantrag zumindest hilfsweise in der mündlichen Verhandlung beim LSG gestellt oder aufrechterhalten hat. Der Kläger verweist in der Beschwerdebegründung lediglich auf die Schriftsätze vom 1.6.2010, 10.12.2012, 14.1.2013 und 24.1.2013. Ebenso unzureichend begründet der Kläger seine im Kern auf mangelnde Aufklärung zielende Rüge, das LSG habe bei der Prüfung der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts nicht berücksichtigt, dass seine Krankenhausbehandlung des Tinnitus im Jahr 2006 mit akut lebensbedrohlichen Nebenwirkungen einhergegangen sei. Nichts anderes gilt für die Rüge des Klägers, das LSG hätte ein Gutachten zur Frage einholen müssen, ob die begehrte Leistung zur Behandlung seiner Stimm-, Sprech- und Sprachstörung geeignet sei. Auch setzt sich der Kläger nicht mit der Rechtsauffassung des LSG auseinander und legt nicht dar, warum danach weiterhin Tatsachen klärungsbedürftig gewesen seien. Vielmehr greift er insoweit nur die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG an und meint, es habe - vermeintlich - einen Prüfungsschritt "übersprungen", indem es nicht zunächst geprüft habe, welche Behandlungsmöglichkeiten im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls, also unter Einbeziehung aller Gesundheitseinschränkungen für ihn in Betracht kämen. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrensfehler des LSG vorliegt, ist dagegen von der materiell-rechtlichen Auffassung des LSG auszugehen (vgl Zeihe/Hauck, SGG, Stand April 2017, § 160 Anm 17g Buchst aa mwN). Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist zudem nicht, ob das LSG die Sache richtig entschieden hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10; BSG Beschluss vom 8.2.2006 - B 1 KR 65/05 B - Juris RdNr 15 mwN; BSG Beschluss vom 16.8.2010 - B 12 KR 100/09 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 29.7.2016 - B 1 KR 35/16 B - RdNr 13; BSG Beschluss vom 22.5.2017 - B 1 KR 9/17 B - Juris RdNr 9).
b) Der Kläger legt auch nicht in der gebotenen Weise dar, dass das LSG gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen hat (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention). Der Kläger macht geltend, das LSG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es sich mit seinem Vortrag nicht beschäftigt habe, dass die Beklagte eine Musiktherapie zur Behandlung des Tinnitus anbiete (Tinnitracks - die 1. App auf Rezept). Das Gebot der Wahrung des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht regelmäßig nur dazu, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es ist aber erst verletzt, wenn sich klar ergibt, dass das LSG das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung gar nicht erwogen hat (vgl zB BVerfGE 65, 293, 295 f mwN = SozR 1100 Art 103 Nr 5 S 3 f; BSG Beschluss vom 16.1.2007 - B 1 KR 133/06 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.3.2017 - B 1 KR 66/16 B - Juris RdNr 14 = ZMGR 2017, 211). Ein Gericht muss sich dagegen nicht ausdrücklich mit jedem Beteiligtenvorbringen auseinandersetzen, wenn sich aus der Entscheidung zweifelsfrei ergibt, dass es das Vorbringen auch ohne explizite Erwähnung für unerheblich gehalten hat (vgl BSG Beschluss vom 18.10.2016 - B 1 AS 1/16 C - RdNr 4; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 136 RdNr 7a mwN). Der Kläger legt nicht dar, wieso das LSG nach seinem Begründungsansatz dem von ihm angeführten Hinweis auf Musiktherapie hätte Bedeutung beimessen sollen.
Soweit der Kläger sinngemäß rügt, er sei durch die erstmals in der Urteilsbegründung vom LSG geäußerte Rechtsauffassung überrascht worden, dass Voraussetzung des geltend gemachten Anspruchs das Vorliegen einer entsprechenden ärztlichen Verordnung sei, setzt er sich nicht damit auseinander, ob die Entscheidung des LSG auf dem behaupteten Verfahrensfehler beruhen kann. Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als das LSG die Zurückweisung seiner Berufung auch auf andere, alternative Rechtsgründe gestützt hat.
Der Kläger legt auch eine Gehörsverletzung in Form der Verletzung seines Fragerechts nach § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO nicht hinreichend dar (zu dieser Form der Ausprägung des rechtlichen Gehörs vgl zB BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 2 RdNr 4; BSG Beschluss vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B - SGb 2000, 269; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand April 2017, § 116 Anm 1c). Er rügt, das LSG habe dem Sachverständigen Prof. Dr. H. nicht die im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 10.12.2012 aufgeworfenen 35 Fragen zur Beantwortung vorgelegt. Der Kläger legt aber nicht dar, dass er überhaupt einen entsprechenden Antrag iS von § 411 Abs 4 S 1 ZPO beim LSG gestellt hat.
Der Kläger legt schließlich damit keine Verletzung seines Gehörs dar, dass das LSG die Schriftsätze vom 1.6.2010, 10.12.2012, 14.1.2013 und 24.1.2013 nicht beachtet habe und ein Gutachten zur Frage hätte einholen müssen, ob die begehrte Leistung zur Behandlung seiner Stimm-, Sprech- und Sprachstörung geeignet sei. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt Beteiligten kein Recht, dem Gericht die zu stellenden Beweisfragen vorzuschreiben (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2013 - B 1 KR 50/12 B - Juris RdNr 6). Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können zudem nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird (vgl BSG Beschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - Juris RdNr 13 mwN). Denn Voraussetzung für den Erfolg einer Rüge eines Gehörsverstoßes ist es ua, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles ihm Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 6 mwN). Dies bedingt die - vom Kläger nicht dargelegte - Stellung und Aufrechterhaltung eines Beweisantrags bis zur Entscheidung des LSG. Soweit der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin sieht, dass das LSG einen Prüfungsschritt "übersprungen" habe, rügt er lediglich - für einen Verfahrensfehler unerheblich - die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (vgl oben).
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11205346 |