Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenzahnärztliche Vereinigung. Honorarverteilung. Vorgabe von fallwert- und honorarvolumenbezogenen Bemessungsgrenzen. Anknüpfung des Begriffs Fallzahl an den Begriff des Behandlungsfalls. Ausweitung des Abrechnungsvolumens bis Durchschnittsumsatz für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen
Orientierungssatz
1. Die KZÄVen sind berechtigt, im Rahmen der Honorarverteilung fallwert- oder honorarvolumenbezogene Bemessungsgrenzen vorzugeben, bis zu deren Erreichen die zahnärztlichen Leistungen mit den vollen, mit den Krankenkassen vereinbarten Punktwerten vergütet werden. Die darüber hinausgehenden Leistungsanforderungen des Zahnarztes können dementsprechend mit niedrigeren Punktwerten vergütet werden; ggf ist auch der Ausschluss jeglicher Restvergütung in Kauf zu nehmen (vgl ua BSG vom 3.12.1997 - 6 RKa 21/97 = BSGE 81, 213 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23, BSG vom 21.10.1998 - B 6 KA 71/97 R = BSGE 83, 52 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 und BSG vom 8.2.2006 - B 6 KA 25/05 R).
2. Der Begriff "Fallzahl" knüpft an den im Vertrags(zahn)arztrecht festgelegten Begriff des Behandlungsfalls an, mit dem die Leistungen eines (Zahn-)Arztes gegenüber einem Versicherten in einem Quartal beschrieben werden.
3. Eine im Referenzzeitraum unterdurchschnittlich abrechnende Praxis darf durch Honorarbegrenzungsregelungen grundsätzlich nicht gehindert werden, das Abrechnungsvolumen bis zum Durchschnittsumsatz auszuweiten, soweit es ihr gelingt, zusätzliche Patienten an sich zu binden, und soweit sie ihr Abrechnungsvolumen nicht dadurch ausweitet, dass der Behandlungsumfang gegenüber einer gleichbleibenden Zahl von Patienten intensiviert wird.
Normenkette
SGB 5 § 85 Abs. 4 S. 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die seit 1975 zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassene Klägerin beanstandet Bescheide der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) über die Vergütung ihrer vertragszahnärztlichen Leistungen im Jahre 1999. Umstritten ist vor allem, ob die von der Beklagten für die Klägerin festgesetzten individuellen Bemessungsgrenzen für Sachleistungen (115.848 DM) und für Zahnersatzleistungen (44.658 DM), die zu einer Verminderung ihres Honorars um ca 3.000 DM führten, mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Diese von der Beklagten auf der Grundlage ihres Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) mit Bescheid vom 13. September 1999 festgesetzten Grenzen unterschreiten die landesdurchschnittlichen Grenzwerte. Diese beliefen sich für Sachleistungen auf 212.800 DM und für Zahnersatzleistungen auf 90.000 DM. Die Differenzen beruhen darauf, dass die Klägerin im Referenzzeitraum 1997 sowohl im Bereich der Sachleistungen als auch im Bereich des Zahnersatzes deutlich weniger Patienten behandelt hat als eine durchschnittliche vertragszahnärztliche Praxis. Ihre Patientenzahl hat sich im Jahre 1999 in Relation zu den Daten des Jahres 1997 nicht wesentlich verändert. Der HVM der Beklagten sah vor, dass für Zahnärzte mit einer unterdurchschnittlichen Bemessungsgrenze diese in dem prozentualen Umfang erhöht wird, in dem die Zahl der Patienten im Vergütungszeitraum (Abrechnungsquartale I bis IV/1999) gegenüber dem Bemessungszeitraum (Abrechnungsquartale I bis IV/1997) zugenommen hat, höchstens jedoch bis zur Höhe des jeweiligen KZÄV-Landesdurchschnitts.
Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, der HVM der Beklagten für das Jahr 1999 stehe mit den gesetzlichen Vorgaben im Einklang und beachte die Grundsätze, die das Bundessozialgericht (BSG) in seinen Urteilen vom 21. Oktober 1998 ( ua B 6 KA 71/97 R - BSGE 83, 52 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 ) zu dem 1995 geltenden HVM der Beklagten aufgestellt habe. Das BSG habe verlangt, dass kleinen Zahnarztpraxen ermöglicht werde, durch Steigerung der Zahl der Behandlungsfälle den Landesdurchschnitt zu erreichen, und dem habe die Beklagte bei der Ausgestaltung des HVM für das Jahr 1999 in angemessenem Umfang entsprochen. Die Anknüpfung an die Patientenzahl und deren Zunahme sei sachgerecht. Auf einen Ausnahme- bzw Härtetatbestand könne sich die Klägerin nicht berufen. Die Beklagte habe in ihrem HVM festgelegt, dass Gründe, die im persönlichen Bereich des Anspruchsberechtigten außerhalb der Berufsausübung oder im Kapitaldienst bzw in Finanzierungsproblemen lägen, keine hinreichende Grundlage für Ausnahmeregelungen darstellten. Soweit die Klägerin den unterdurchschnittlichen Praxisumfang darauf zurückführe, dass sie ihren im Jahre 2000 17 Jahre alten Sohn in der Vergangenheit erzogen habe, habe dies die Beklagte zu Recht nicht als Ausnahmetatbestand gewertet (Urteil vom 2. November 2005).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil rügt die Klägerin eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und macht die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Unzulässig ist die Beschwerde, soweit der Zulassungsgrund der Divergenz geltend gemacht wird. Wer die Zulassung der Revision wegen Abweichung des Berufungsurteils von einem Urteil des BSG begehrt, muss in der Beschwerdebegründung einen Rechtssatz des berufungsgerichtlichen Urteils herausarbeiten und dem eine Rechtsaussage des Urteils des BSG so deutlich gegenüber stellen, dass das BSG die für die Divergenz allein entscheidende Abweichung in den Rechtsaussagen feststellen kann. Diesen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Begründungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.
Die Beschwerde lässt erkennen, dass die Klägerin der Auffassung ist, das LSG habe aus den Senatsurteilen vom 21. Oktober 1998 - ua B 6 KA 71/97 R - falsche Schlussfolgerungen vor allem hinsichtlich der unerlässlichen Wachstumsmöglichkeiten unterdurchschnittlich abrechnender Praxen gezogen. Die - unterstellt - fehlerhafte Anwendung bzw Nichtanwendung von Rechtsgrundsätzen einer höchstrichterlichen Entscheidung begründet jedoch nicht die Abweichung in den maßgeblichen Rechtsaussagen. Die Beschwerde stellt keine Rechtsaussage des LSG zur Gestaltung von HVMen oder zur Zulässigkeit von Umsatz- bzw Fallzahlsteigerungen dar, die von den tragenden Rechtssätzen der Urteile vom 21. Oktober 1998 abweicht. Ob es in den am 21. Oktober 1998 entschiedenen Fällen, soweit die beklagte KZÄV Bremen betroffen war, um Anfängerpraxen oder um langfristig gewachsene umsatzschwächere Praxen geht, und zu welchen dieser Praxisgruppen die Praxis der Klägerin zu rechnen ist, ist unter dem Gesichtspunkt der Divergenz in den Rechtsaussagen ohne Bedeutung.
Soweit die Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen gestützt ist, ist sie zulässig. Den Begründungsanforderungen wird in hinreichendem Umfang genügt. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Die Rechtsfrage, ob die Begrenzungsregelungen im HVM der beklagten KZÄV für das Jahr 1999 mit höherrangigem Recht in Einklang stehen, ist nicht klärungsbedürftig.
Die Klägerin stellt selbst dar, dass die Beklagte das von ihr im Streitjahr 1999 praktizierte Honorarverteilungssystem zum Ende des Jahres 2002 aufgegeben hat. Zwar können auch Fragen der Anwendung außer Kraft getretenen Rechts in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig sein, doch setzt das voraus, dass die maßgeblichen Rechtsfragen noch in einer Vielzahl von Fällen zu entscheiden sind, bzw dass von der Entscheidung zu einer außer Kraft getretenen Vorschrift wichtige Hinweise für die später und gegenwärtig noch geltende Rechtslage zu erwarten sind. Beides ist nicht der Fall.
Für die Honorierung vertragszahnärztlicher Leistungen ist in der Rechtsprechung des Senats - ausgehend von den Urteilen vom 3. Dezember 1997 ( BSGE 81, 213 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 ) und 21. Oktober 1998 ( BSGE 83, 52 = SozR aaO, Nr 28 ) - hinreichend geklärt, dass die KZÄVen berechtigt sind, im Rahmen der Honorarverteilung fallwert- oder honorarvolumenbezogene Bemessungsgrenzen vorzugeben, bis zu deren Erreichen die zahnärztlichen Leistungen mit den vollen, mit den Krankenkassen vereinbarten Punktwerten vergütet werden. Die darüber hinausgehenden Leistungsanforderungen des Zahnarztes können dementsprechend mit niedrigeren Punktwerten vergütet werden; ggf ist auch der Ausschluss jeglicher Restvergütung in Kauf zu nehmen. Das hat der Senat zuletzt in drei Urteilen vom 8. Februar 2006 ( ua B 6 KA 25/05 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen ) dargelegt, die der Klägerin allerdings erst nach Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zugestellt worden sind. In diesen Urteilen vom 8. Februar 2006 hat der Senat indessen lediglich seine bisherige Rechtsprechung zusammengefasst und für einen - hier nicht betroffenen Sonderfall - weiter entwickelt.
Durch die vom LSG zutreffend herangezogenen Senatsurteile vom 21. Oktober 1998 ( aaO ) ist darüber hinaus geklärt, dass unterdurchschnittlichen Praxen ermöglicht werden muss, bis zum Fachgruppendurchschnitt zu wachsen. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um entscheiden zu können, dass aus dieser Rechtsprechung nicht die Konsequenz gezogen werden kann, dass dem einzelnen Zahnarzt in jedem Fall sein Honorar "voll auszuzahlen ist", soweit sein Umsatz den Landesdurchschnitt nicht erreicht, wie die Klägerin meint. Der Senat hat mehrfach ausdrücklich bekräftigt, dass das Wachstum, das unterdurchschnittlichen Praxen durch Gestaltungen der Honorarverteilung nicht verbaut werden darf, nicht durch reine Leistungsausweitungen, sondern durch eine Erhöhung der Zahl der behandelten Patienten erzielt werden muss ( BSGE 83, 52, 58 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 207 ff; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 19; BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr 9 RdNr 18 bis 20, für den ärztlichen Bereich ). Soweit die Klägerin eine Differenzierung zwischen einem Zuwachs an "Patienten" und einem Zuwachs an "Behandlungsfällen" vermisst, lassen die von der Beschwerde zutreffend herangezogenen Entscheidungen des Senats insbesondere vom 21. Oktober 1998 hinreichend deutlich erkennen, dass der Senat den Begriff "Patienten" ohne Bedeutungsunterschied zu dem technischen Begriff der "Fallzahl" verwandt hat.
Der Begriff "Fallzahl" knüpft an den im Vertrags(zahn)arztrecht festgelegten Begriff des Behandlungsfalls an, mit dem die Leistungen eines (Zahn-)Arztes gegenüber einem Versicherten in einem Quartal beschrieben werden. In den darstellenden Teilen seiner Urteile ua vom 21. Oktober 1998 ( aaO ), vom 10. Dezember 2003 ( BSGE 92, 10 = SozR 4 aaO) und vom 10. März 2004 (BSGE 92, 233 = SozR 4 aaO) hat der Senat häufig die Begriffe des "Patienten" und der "Patientenzahl" bzw des "Zuwachs an Patienten" gebraucht, um deutlich zu machen, dass Vertragsärzte wie Vertragszahnärzte Patienten behandeln und keine Fälle. Die entscheidende Rechtsaussage der Urteile vom 21. Oktober 1998 und auch der späteren Entscheidungen zu Zuwachsbegrenzungen gegenüber unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen geht dahin, dass eine im Referenzzeitraum unterdurchschnittlich abrechnende Praxis durch Honorarbegrenzungsregelungen grundsätzlich nicht gehindert werden darf, das Abrechnungsvolumen bis zum Durchschnittsumsatz auszuweiten, soweit es ihr gelingt, zusätzliche Patienten an sich zu binden, und soweit sie ihr Abrechnungsvolumen nicht dadurch ausweitet, dass der Behandlungsumfang gegenüber einer gleichbleibenden Zahl von Patienten intensiviert wird. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG weicht der nicht revisible HVM der Beklagten ( vgl § 162 SGG ) von diesem Grundsatz nicht ab. Wenn die Beklagte in Anlage II Ziffer 4.5.1 ihres HVM eine Erhöhung der individuellen Bemessungsgrenze in dem Umfang zulässt, "in dem die Zahl der Patienten im Vergütungszeitraum (1999) gegenüber dem Bemessungszeitraum (1997) zugenommen hat", steht das nicht im Widerspruch zu den die genannten Urteile tragenden Rechtsgrundsätzen. Die Beklagte verlässt den ihr als Satzungsgeber des HVM zustehenden Gestaltungsspielraum nicht, wenn sie zur Vermeidung von manipulativen Vermehrungen von Fallzahlen (bezogen auf ein Quartal) auf einen jahresdurchschnittlichen Patientenzuwachs abstellt. Jedenfalls im Bereich der vertragszahnärztlichen Behandlung, in dem die kontinuierliche Betreuung von Patienten dominiert und der Zahnarzt - etwa anders als typischerweise ein Hausarzt - durch die Vergabe von Terminen die Zuordnung von Behandlungen zu einem bestimmten Quartal in gewissem Umfang beeinflussen kann, ist die Anknüpfung an die Patientenzahl im Referenzzeitraum jedenfalls bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
Der von der Klägerin behauptete Klärungsbedarf in der Richtung, ob die Patientenzahlsteigerung einziges Kriterium dafür sein kann, einer unterdurchschnittlichen Praxis ein Wachstum bis zum Landesdurchschnitt zu ermöglichen bzw ihre Leistungen mit vollen Punktwerten zu honorieren, besteht nicht. In dem von der Klägerin angestrebten Revisionsverfahren wäre dies nicht entscheidungserheblich. Die Beklagte hat in ihrem HVM - abgesehen von einer Ausnahme- und Härteregelung - eine Freistellung von der Bindung der einzelnen Praxis an den individuellen Umsatz des Jahres 1997 nur für den Fall eines Zuwachses von Patienten vorgesehen. Ob auch andere Kriterien alternativ oder ergänzend zulässig wären, wäre nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG Abs 1 und 4 in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung ( BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff ).
Fundstellen