Verfahrensgang

SG Hannover (Entscheidung vom 22.12.2016; Aktenzeichen S 76 KR 281/14)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 17.09.2019; Aktenzeichen L 16/4 KR 39/17)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. September 2019 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt W., beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. September 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte, 1982 geborene Klägerin beantragte mit Schreiben des approbierten Diplom-Psychologen (Dipl-Psych) B. vom 17.12.2013 die Kostenübernahme für zehn Sitzungen in Kurzzeittherapie (Verhaltenstherapie) wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Sie ist mit ihrem Begehren bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Gegenstand der Verwaltungsentscheidung sei allein eine Behandlung bei Dipl-Psych B. Soweit die Klägerin die allgemeine Verpflichtung der Beklagten zur Versorgung mit einer Verhaltenstherapie begehre, sei die Klage unzulässig. Eine Therapie bei Dipl-Psych B. könne die Klägerin schon deshalb nicht beanspruchen, weil dieser nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und ein Notfall oder Systemversagen nicht nachgewiesen seien. Auch sei die Diagnose PTBS nicht gesichert. Im Übrigen habe die Klägerin keinen Naturalleistungsanspruch auf Verhaltenstherapie mehr, weil sie zwischenzeitlich zwei Jahre lang Einzelsitzungen bei einem anderen Therapeuten in Anspruch genommen habe. Auch habe der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) bereits Anfang 2014 darauf hingewiesen, dass das Höchstkontingent für eine ambulante Therapie bei Weitem überschritten und der Erfolg einer neuen Therapie fraglich sei (Urteil vom 17.9.2019).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Bezeichnung der geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG ≪Dreierausschuss≫ vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin formuliert zwar als Rechtssatz des LSG, "ein Kostenerstattungsanspruch im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung setzt voraus, dass die Psychotherapeuten nach § 95 Abs 1 Satz 1 iVm § 95c SGB V zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, was bei Psychotherapeuten 1. die Approbation als Psychotherapeut und 2. den Fachkundennachweis voraussetzt", und stellt ihm den Rechtssatz des BSG gegenüber, wonach "zwingende Voraussetzung ärztlicher und ihr gleichgestellter psychotherapeutischer Krankenbehandlung als ein zentraler Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV (…) die Approbation der ärztlichen und psychotherapeutischen Behandler ist" (unter Verweis auf das Urteil des BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 4/16 R - juris RdNr 10 und 16). Hiermit zeigt die Klägerin jedoch einander widersprechende Rechtssätze nicht auf. Soweit sie behauptet, das BSG habe in seiner Entscheidung nur auf die Approbation als Behandlungsvoraussetzung abgestellt, legt sie nicht dar, dass das BSG damit das Erfordernis einer vertragsärztlichen Zulassung in Abrede gestellt habe. Dies wäre jedoch mit Blick auf die Ausführungen des BSG in den RdNr 11 und 14 der zitierten Entscheidung, die das Zulassungserfordernis ausdrücklich ansprechen, sowie den Wortlaut der Regelung in § 28 Abs 3 SGB V(in der hier maßgeblichen Fassung vom 16.7.2015, BGBl I 1211) angezeigt gewesen.

Die Klägerin geht durch ihre Bezugnahme auf den Kostenerstattungsanspruch davon aus, dass Versicherte nicht ausreichend mit zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten versorgt werden. Wenn die Klägerin vor diesem von ihr zugrunde gelegten Sachverhalt sinngemäß (auch) geltend machen will, die Divergenz liege darin, dass das BSG - im Gegensatz zum LSG - beim Versagen des Systems es ausreichen lasse, dass ein Psychologischer Psychotherapeut approbiert sei und keines Fachkundenachweises bedürfe, zeigt die Klägerin schon nicht auf, dass das LSG-Urteil auf dieser - behaupteten - Divergenz beruht. Denn nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG (vgl 2.) liegt schon deswegen kein Systemversagen vor, weil eine defizitäre Versorgung mit zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten nicht nachgewiesen ist.

2. Auch soweit die Klägerin Verfahrensfehler des LSG geltend macht, genügt ihr Vorbringen nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN).

a) Die Klägerin rügt zunächst einen Verstoß gegen § 123 SGG. Sie macht geltend, sie habe mit ihrer Klageschrift beantragt, "die Klägerin mit einer Verhaltenstherapie zu versorgen", nicht dagegen mit einer Behandlung ausschließlich bei dem Dipl-Psych B. Verfahrensfehlerhaft hätten sowohl das SG als auch das LSG über den so formulierten Klageantrag (§ 92 SGG) nicht entschieden. Hätte das LSG die Voraussetzungen einer psychotherapeutischen Versorgung umfassend geprüft, hätte es den Anspruch auf die begehrte Kurzzeittherapie bejaht.

Eine Verletzung der Vorschrift des § 123 SGG zeigt die Klägerin mit diesem Vortrag nicht auf. Nach dieser Regelung entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Die Darlegung eines Verfahrensmangels, der in der Verkennung des Rechtsmittel- bzw Streitgegenstands liegt, erfordert ua die sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Regelungsgehalt der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen, dem Klagebegehren, der Entscheidung erster Instanz und dem Berufungsbegehren (vgl BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 86/18 B - juris RdNr 5; BSG vom 28.12.2005 - B 12 KR 42/05 B - juris RdNr 10).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Sie setzt sich schon nicht mit dem Regelungsgehalt der Verwaltungsentscheidungen der Beklagten auseinander. Diese sind auf den von der Klägerin selbst handschriftlich auf das Schreiben des Dipl-Psych B. aufgebrachten Antrag auf "u.g. Maßnahme der Verhaltenstherapie in der Praxis B." ergangen. Entsprechend treffen die Bescheide der Beklagten Entscheidungen auch nur über eine Therapie bei diesem Therapeuten. Dazu verhält sich die Klägerin nicht. Darüber hinaus fehlt es auch an einer Auseinandersetzung mit der Entscheidung des LSG zu diesem Sachverhalt. Dass das LSG ausführt, die Klage sei insoweit unzulässig, weil eine Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehle, wird von der Klägerin nicht diskutiert. Anstelle dessen zeigt sie lediglich ihre eigene Rechtsauffassung zur (vermeintlich richtigen) Behandlung ihres Klageantrags auf und rügt letztlich die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).

b) Die Klägerin macht weiter geltend, "die Parteien (seien) nicht rechtzeitig auf die aus Sicht des Gerichts entscheidungserheblichen Umstände" hingewiesen worden. Dies betreffe die Rechtsauffassung des LSG zur fehlenden Verwaltungsentscheidung hinsichtlich ihres allgemeinen Begehrens zur Versorgung mit einer Psychotherapie sowie die Auffassung des LSG, dass das Vorliegen einer PTBS nicht nachgewiesen sei.

Der von der Klägerin hierin sinngemäß geltend gemachte Verfahrensfehler einer Überraschungsentscheidung ist nicht schlüssig bezeichnet. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Zudem gewährleistet der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass ein Beteiligter mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, seiner Rechtsansicht zu folgen (vgl zB BSG vom 28.9.2018 - B 9 V 21/18 B - juris RdNr 11; BSG vom 20.11.2018 - B 8 SO 43/18 B - juris RdNr 9). Um den Anspruch auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens (vgl BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - juris RdNr 12) zu wahren, darf das Gericht seine Entscheidung aber nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl stRspr, zB BSG vom 2.12.2015 - B 9 V 12/15 B - juris RdNr 20 mwN).

Mit ihren Ausführungen zeigt die Klägerin nicht auf, dass sie mit der vom LSG getroffenen Entscheidung in den beiden von ihr angesprochenen Punkten trotz anwaltlicher Vertretung unter Wahrung der erforderlichen Sorgfalt nicht habe rechnen können. Soweit sie einen fehlenden Hinweis auf die Rechtsauffassung des LSG zur fehlenden Verwaltungsentscheidung für eine allgemeine Entscheidung über eine Verhaltenstherapie rügt, setzt sie sich nicht mit dem umfänglichen Hinweisschreiben des LSG vom 3.7.2019 auseinander, in welchem dieses auch auf die sich daraus ergebende Frage nach der Zulässigkeit der Klage verwiesen hat. Hinsichtlich der vom LSG angezweifelten Diagnose einer PTBS geht die Klägerin nicht darauf ein, dass bereits der Gutachter Dr. B. Ende 2014 diese Diagnose nicht habe verifizieren können. Weshalb angesichts dessen die Klägerin gleichwohl von der Entscheidung des LSG überrascht worden sein soll, erklärt sie nicht.

Zugleich fehlt es an der Darlegung des Beruhens der Entscheidung auf der (behaupteten) Gehörsverletzung. Das LSG hat seine Entscheidung nicht nur auf die von der Klägerin als "überraschend" empfundenen Gesichtspunkte, sondern auch darauf gestützt, dass die Klägerin sich zwischenzeitlich mit einer Verhaltenstherapie selbst versorgt habe und dass zudem der Erfolg einer weiteren ambulanten Therapie angesichts der längst überschrittenen Höchstkontingente zweifelhaft und dies im Rahmen einer erneuten Entscheidung über einen Antrag auf Versorgung mit einer Verhaltenstherapie zu berücksichtigen sei. Diese Ausführungen sind tragend im Hinblick auf die Ablehnung des Begehrens der Klägerin zur Versorgung mit einer Therapie bei dem Dipl-Psych B. und lassen im Übrigen deutlich werden, dass mit einem Erfolg des Klageantrags zu einer Versorgung der Klägerin ganz generell mit einer Verhaltenstherapie auch in der Sache nicht zu rechnen wäre. Hiermit setzt sich die Klägerin nicht auseinander.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 73a SGG iVm § 114 ZPO ist der Klägerin nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den vorstehenden Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung von Rechtsanwalt W. im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13890850

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge