Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Fehlen von Entscheidungsgründen. fehlende Begründung für die Ablehnung eines Beweisantrags im Urteil. vorherige mündliche Begründung im Verhandlungstermin ausreichend. Amtsermittlungspflicht. mündliche Ablehnung eines Beweisantrags durch das Gericht. Erforderlichkeit eines qualifizierten neuen Beweisantrags. zeitgleiche Zustellung des Gerichtsbescheids und des Beschlusses über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gegen einen Sachverständigen durch das SG. Einstufung des Zurückweisungsbeschlusses als unanfechtbar durch das LSG. Möglichkeit einer inzidenten Entscheidung des LSG über die Berechtigung des Ablehnungsgesuchs als materielle Rechtsanwendung. gerichtliches Ermessen bei der Sachverständigenauswahl. keine Pflicht des Gerichts zur Einholung eines fachärztlichen Gutachtens. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. § 136 Abs 1 Nr 6 SGG verpflichtet das Gericht nicht zwingend dazu, bereits mündlich mitgeteilte Gründe für eine vor dem Urteil getroffene prozessuale Entscheidung zu wiederholen (hier zu einer Ablehnung eines Beweisantrags im Verhandlungstermin).
2. Hat das LSG einen Beweisantrag durch Beschluss in der mündlichen Verhandlung abgelehnt und dies (mündlich) kurz begründet, braucht es ohne einen weiteren Beweisantrag, der sich mit den Gründen der zuvor erfolgten Ablehnung des vorangegangenen Beweisantrags auseinandersetzt und weiteren Ermittlungsbedarf aufzeigt, nicht mehr annehmen, der Antragsteller halte immer noch zusätzliche Ermittlungen von Amts wegen für geboten.
3. Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 406 Abs 4 ZPO (welcher über § 118 Abs 1 S 1 SGG im Sozialgerichtsverfahren entsprechende Anwendung findet) ist das Berufungsgericht befugt, in der Sache zu entscheiden und inzidenter auch über die Berechtigung des Ablehnungsgesuchs zu befinden, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs über ein gegen den gerichtlichen Sachverständigen gerichtetes Ablehnungsgesuch entgegen § 406 Abs 4 ZPO erst in den Gründen seines Endurteils und nicht vorab durch gesonderten Beschluss entschieden hat, sodass das Urteil erster Instanz nicht allein wegen des Verstoßes gegen § 406 Abs 4 ZPO aufzuheben und die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen wäre (vgl BGH vom 14.5.2019 - VI ZR 393/18 = BGHZ 222, 44).
4. Rügt der Beschwerdeführer einer Nichtzulassungsbeschwerde, dass das LSG die (zeitgleiche) Entscheidung des SG über die Ablehnung eines Sachverständigen als unanfechtbar angesehen habe, muss er im Rahmen der Beschwerdebegründung darlegen, warum die Rechtsprechung des BSG über die Revisibilität von Ablehnungsgesuchen in der Sache nicht ebenso auf Formalentscheidungen über Ablehnungsgesuche anzuwenden ist und warum die Rechtsprechung des BSG hinsichtlich unanfechtbarer Beschlüsse des Berufungsgerichts sinngemäß nicht auch im Verhältnis zwischen SG und LSG Geltung beanspruchen kann.
5. Das Verfahrensrecht verpflichtet grundsätzlich nicht dazu, ausschließlich Sachverständigengutachten von Fachärzten einzuholen. Vielmehr hat die Rechtsprechung das dem Tatsachengericht nach § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 404 Abs 1 ZPO eingeräumte Ermessen bei der Auswahl der Sachverständigen lediglich dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften (vgl BSG vom 12.5.2016 - B 9 SB 101/15 B).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, §§ 103, 118 Abs. 1 S. 1, § 136 Abs. 1 Nr. 6, § 172 Abs. 2; ZPO §§ 403, 404 Abs. 1, § 406 Abs. 4, § 412 Abs. 1, § 547 Nr. 6, § 557 Abs. 2; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin wendet sich in der Hauptsache gegen die Absenkung ihres Grades der Behinderung (GdB) nach Heilungsbewährung einer Darmkrebserkrankung.
Nachdem der Beklagte bei der Klägerin wegen eines Rektumkarzinoms mit Bescheid vom 4.7.2013 zunächst einen GdB von 80 festgestellt hatte, senkte er den GdB auf 30 ab, weil Heilungsbewährung eingetreten sei (Änderungsbescheid vom 20.8.2018; Widerspruchsbescheid vom 22.5.2019).
Das SG hat die gegen die Absenkung des GdB gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.9.2020 abgewiesen. Es hat sich dabei maßgeblich auf das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten des Sozialmediziners Dr. P gestützt. Mit Beschluss vom selben Tag hat das SG auch ein Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen zurückgewiesen. Beide Entscheidungen wurden ihren Prozessbevollmächtigten zeitgleich übersandt und zugestellt.
Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die zeitgleiche Entscheidung des SG über das Ablehnungsgesuch und den Gerichtsbescheid stelle keinen Verfahrensmangel dar, der zur Zurückverweisung führe. Selbst wenn das SG seinen Beschluss über das Ablehnungsgesuch vorab erlassen hätte, hätte § 172 Abs 2 SGG dem Berufungsgericht die sachliche Nachprüfung dieses Beschlusses verwehrt. Das Vorgehen des SG habe der Klägerin auch nicht die Möglichkeit zu weiteren Beweisanträgen genommen. Bereits mit seinem vorangegangenen Hinweisschreiben habe das SG vielmehr deutlich gemacht, es halte das Gutachten für schlüssig und beabsichtige eine Zurückweisung der Klage. Für die anwaltlich vertretene Klägerin habe damit ausreichend Gelegenheit zu weiteren Beweisanträgen bestanden.
Das SG habe auch in der Sache zutreffend entschieden. Wie die medizinischen Ermittlungen übereinstimmend ergeben hätten, rechtfertigten die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen keinen höheren GdB mehr als 30. Insbesondere sei hinsichtlich ihrer Darmkrebserkrankung Heilungsbewährung eingetreten (Urteil vom 27.1.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das Urteil sei unzureichend begründet und beruhe auf Verfahrensfehlern, weil das LSG seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt habe. Zudem habe das SG nicht fristgerecht über die begründete Ablehnung des erstinstanzlichen Sachverständigen entschieden.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die allein behaupteten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie diejenige der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Mangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.
a) Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Diese ist möglichst präzise und bestimmt zu behaupten. Zudem ist zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte oder unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahe zu legen (BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 SB 31/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 2.6.2017 - B 9 V 16/17 B - juris RdNr 6, jeweils mwN).
Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, einen derart ordnungsgemäßen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhalten zu haben. Ein solcher Antrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren eine Warnfunktion. Er soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch nicht für erfüllt hält. Diese Warnfunktion verfehlen bloße Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, da es sich insoweit nur um Hinweise oder bloße Anregungen handelt (BSG Beschluss vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 27.8.2015 - B 5 R 178/15 B - juris RdNr 9). Um das Berufungsgericht ausreichend vor einer Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht zu warnen, muss ein im Berufungsverfahren rechtskundig vertretener Beschwerdeführer - wie die Klägerin - sein zuvor geäußertes Beweisbegehren deshalb in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wiederholen und protokollieren lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO; vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 14.5.2021 - B 9 SB 71/20 B - juris RdNr 8).
Demgegenüber trägt die Klägerin selbst vor, das LSG habe ihren Beweisantrag durch Beschluss in der mündlichen Verhandlung abgelehnt und dies mündlich kurz begründet. In dieser prozessualen Lage brauchte das LSG ohne einen weiteren Beweisantrag, der sich mit den Gründen der zuvor erfolgten Ablehnung des vorangegangenen Beweisantrags auseinandersetzte und weiteren Ermittlungsbedarf aufzeigte, nicht mehr anzunehmen, die Klägerin halte immer noch zusätzliche Ermittlungen von Amts wegen für geboten. Dies gilt umso mehr, als ihr Prozessbevollmächtigter nach der Ablehnung seines Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt hat, weitere Beweisanträge seien aktuell nicht zu stellen.
Unabhängig davon trägt die Klägerin nicht schlüssig vor, warum sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt weiter aufzuklären und Beweis zu erheben (vgl BSG Beschluss vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/11 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 29.4.2010 - B 9 SB 47/09 B - juris RdNr 8).
Liegen bereits ein oder mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn das oder die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO), weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9, jeweils mwN).
Derartige Gründe hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Sie hat gegen den Gutachter Dr. P vorgebracht, ihm fehlten die erforderlichen Kenntnisse auf dermatologischen und gastroenterologischen Gebiet. Wegen der "Spezifität" ihrer Erkrankungen seien jeweils fachspezifische Gutachten beizuziehen gewesen.
Indes verpflichtet das Verfahrensrecht grundsätzlich nicht dazu, ausschließlich Sachverständigengutachten von Fachärzten einzuholen. Vielmehr hat die Rechtsprechung das dem Tatsachengericht nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 404 Abs 1 ZPO eingeräumte Ermessen bei der Auswahl der Sachverständigen lediglich dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften (BSG Beschluss vom 7.6.2018 - B 9 SB 74/17 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.5.2016 - B 9 SB 101/15 B - juris RdNr 8, jeweils mwN). Zur schlüssigen Darlegung der fehlenden Sachkunde des Gutachters genügt es daher nicht, wenn - wie vorliegend - lediglich auf das Fehlen der einschlägigen Facharztausbildungen verwiesen wird. Vielmehr müssen sich aus den Gutachten selbst Zweifel an der Sachkunde oder Unabhängigkeit des Gutachters ergeben, oder es muss sich um besonders schwierige Fachfragen handeln, die ein spezielles, bei den dem oder bisherigen Gutachtern nicht vorausgesetztes Fachwissen erfordern (BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 12 mwN).
Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Allein der nicht näher begründete Verweis der Klägerin auf die Spezifität ihrer Erkrankungen genügt nicht.
Ebenso wenig ergibt sich ein grundlegender Mangel des Gutachtens des Dr. P aus der Behauptung der Klägerin, dieser Sachverständige sei ihr gegenüber befangen gewesen, wie sich insbesondere aus seiner Stellungnahme zu dem von ihr angebrachten Ablehnungsgesuch ergebe. Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Rechtsfolge des § 172 Abs 2 SGG, auf die das LSG seine Entscheidung gestützt hat. Danach kann die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs durch das SG seit dem Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit gegen ablehnende Beschlüsse des SG durch das BUK-Neuorganisationsgesetz vom 9.10.2013 (BGBl I 3836) nicht mehr mit der Beschwerde angefochten werden (vgl BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 26 mwN).
b) Die Klägerin sieht darüber hinaus einen weiteren Verfahrensmangel in der Behandlung ihres Ablehnungsgesuchs durch das LSG, das die Entscheidung des SG als unanfechtbar angesehen hat. Im Hinblick auf § 557 Abs 2 ZPO (iVm § 202 Satz 1 SGG) unterliegen die dem Endurteil vorausgehenden Entscheidungen aber grundsätzlich dann nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts, wenn sie ihrerseits unanfechtbar sind. Die Bindung des Revisionsgerichts fehlt lediglich, wenn die Behandlung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind, oder wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl BSG Beschluss vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 24.5.2013 - B 1 KR 50/12 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Die Beschwerde hätte in diesem Zusammenhang darauf eingehen müssen, warum die im angefochtenen Urteil zitierte Rechtsprechung des BSG, die zu Entscheidungen des LSG über Ablehnungsgesuche in der Sache ergangen ist, nicht ebenso auf Formalentscheidungen über Ablehnungsgesuche anzuwenden ist, wie sie das Berufungsgericht hier mit seiner Annahme einer Unanfechtbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung getroffen hat. Zudem hätte es der Darlegung bedurft, warum diese Rechtsprechung hinsichtlich unanfechtbarer Beschlüsse des Berufungsgerichts sinngemäß nicht auch im Verhältnis zwischen SG und LSG Geltung beanspruchen kann, wie es das LSG angenommen hat.
Ohnehin hat die Klägerin im Berufungsverfahren Beweisanträge auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten gestellt, wenn auch - wie gezeigt - nicht in der erforderlichen Weise bis zur Entscheidung des LSG aufrechterhalten. Deshalb hätte sie zusätzlich aufzeigen müssen, warum die zeitgleiche Entscheidung des SG über ihr Ablehnungsgesuch und den Gerichtsbescheid ihr auch in der Berufungsinstanz die Möglichkeit zu weiteren Beweisanträgen genommen und sie deshalb fortwirkend in ihren prozessualen Rechten beschnitten haben sollte (vgl BSG Urteil vom 15.3.1995 - 5 RJ 54/94 - juris RdNr 17). Denn eine Verfahrensrüge setzt grundsätzlich einen Verstoß gegen Prozessrecht im unmittelbar vorangehenden Rechtszug voraus. Insoweit hätte die Klägerin daher auch darlegen müssen, dass sich der behauptete Verfahrensfehler des SG in der Entscheidung des LSG fortgesetzt hat (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.12.2016 - B 9 SB 25/16 B - juris RdNr 9).
Solche Ausführungen wären insbesondere mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH zu § 406 Abs 4 ZPO notwendig gewesen, der über § 118 Abs 1 Satz 1 SGG im Sozialgerichtsverfahren entsprechend anzuwenden ist. Danach ist das Berufungsgericht befugt, in der Sache zu entscheiden und inzidenter auch über die Berechtigung des Ablehnungsgesuchs zu befinden, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs über ein gegen den gerichtlichen Sachverständigen gerichtetes Ablehnungsgesuch entgegen § 406 Abs 4 ZPO erst in den Gründen seines Endurteils und nicht vorab durch gesonderten Beschluss entschieden hat, sodass das Urteil erster Instanz nicht allein wegen des Verstoßes gegen § 406 Abs 4 ZPO aufzuheben und die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen wäre (vgl BGH Urteil vom 14.5.2019 - VI ZR 393/18 - BGHZ 222, 44 - juris RdNr 16 f). Ausgehend von dieser Rechtsprechung richtet sich die Rüge der Klägerin aber nicht gegen einen Verstoß des LSG gegen Verfahrensrecht, sondern gegen die Richtigkeit der Berufungsentscheidung in der Sache. Dies kann indes nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 26 mwN).
c) Ebenso wenig ausreichend dargelegt hat die Klägerin den von ihr behaupteten Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zu § 136 Abs 1 Nr 6 SGG (zB BSG Beschluss vom 11.5.2021 - B 9 SB 65/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 10 EG 1/17 B - juris RdNr 10 mwN) müssen die Entscheidungsgründe im Regelfall zu allen entscheidungserheblichen Streitpunkten die Erwägungen, die zum Urteilsausspruch des Gerichts geführt haben, enthalten. Zum Mindestinhalt eines Urteils, der durch eine Bezugnahme auf vorinstanzliche Entscheidungen, Akten oder andere Unterlagen nicht ersetzt werden kann, gehört danach grundsätzlich die Angabe der angewandten Rechtsnormen und der für erfüllt oder nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe.
Die Klägerin trägt aber nicht vor, dass das angefochtene Urteil des LSG diese Mindestinhalte nicht enthält. Sie wirft dem LSG insoweit lediglich vor, die Gründe für die Ablehnung ihres Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung im Urteil nicht wiedergegeben zu haben. Allerdings trägt sie selbst vor, das LSG habe die Ablehnung bereits in der mündlichen Verhandlung kurz mündlich begründet. § 136 Abs 1 Nr 6 SGG verpflichtet das Gericht aber nicht zwingend dazu, bereits mitgeteilte Gründe für eine vor dem Urteil getroffene prozessuale Entscheidung zu wiederholen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Kaltenstein Ch. Mecke Röhl
Fundstellen
Dokument-Index HI15459459 |