Auch Sachverständige müssen sich stets neutral verhalten
Bei der Durchsicht so mancher Gutachten beschleichen einen schon das eine oder andere Mal Zweifel, ob der Sachverständige noch unparteiisch ist. Deshalb kann ein Sachverständiger gemäß § 406 Abs. 1 ZPO aus denselben Gründen wie ein Richter wegen Befangenheit abgelehnt werden. Allerdings ist eine bereits erfolgte zeugenschaftliche Vernehmung des Sachverständigen grundsätzlich kein Ablehnungsgrund, § 406 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Der Sachverständige darf nicht eine Partei "niedermachen"
Abfällige Äußerungen über eine Partei in einem Gutachten kosten den Sachverständigen in seiner Funktion „Kopf und Kragen“. Nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg (Beschluss v. 8.9.2011, 8 U 2204/08) führen abfällige Äußerungen über eine Partei selbst dann zur Befangenheit und damit zum Verlust der Honoraransprüche, wenn die Inhalte des Gutachtens völlig in Ordnung sind.
Beispiel: In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige unter anderem ausgeführt:
„Um dieses Überengagement des Klägervertreters auf den Boden der Tatsachen zu holen, darf festgestellt werden, dass ...".
Außerdem hieß es einige Seiten später:
„dass der Kläger nach wie vor in keinster Weise die bereits am 7.1.2008 von uns empfohlenen Maßnahmen zur Verbesserung seines Gesundheitszustandes in Angriff genommen hat. Als Mindestmaßnahme hatten wir die Gewichtsreduktion empfohlen,...".
Insofern ist die Angabe des Klägers bei der internistischen Begutachtung, dass er versuche auf „ausgewogene und gesunde Ernährung zu achten" eher als Lippenbekenntnis zu verstehen, denn eine Konsequenz ist bis heute in keinster Weise nachvollziehbar."
Der Sachverständige handelt nach Ansicht der Richter grob fahrlässig, wenn er in seinem schriftlichen Gutachten Formulierungen verwendet, die ein subjektives Misstrauen einer Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen können.
Sachverständige muss unvoreingenommen an Beweisfragen herangehen
Wichtig: Die absolut erforderliche Unparteilichkeit des Sachverständigen gebietet es, dass sich der Sachverständige während der Zeit der Gutachtenserstattung neutral verhalten muss und dass er an die Beantwortung der Beweisfragen unvoreingenommen und objektiv herangeht.
Bereits der durch eine Formulierung verursachte Anschein von Parteilichkeit macht ein Gutachten unbrauchbar, auch wenn es sachlich ohne Mängel ist. Der Sachverständige kann seinen Vergütungsanspruch verlieren, wenn er nach seiner Beauftragung in von ihm zu vertretender Weise nicht auf eine besondere persönliche oder berufliche Nähe zu einer der Prozessparteien und damit seine mögliche Befangenheit in der Sache hinweist (OLG Frankfurt, Beschluss v. 4.5.2017, 18 W 58/17).
Sachverständige müssen sich an Beweisbeschluss halten
Hält ein Sachverständiger sich in seiner Vorgehensweise nicht an die Anweisungen des Gerichts, so stellt dies einen möglichen Befangenheitsgrund dar (OLG Bamberg, Beschluss v. 22.9.2022, 8 W24/22). Dies gilt insbesondere, wenn ein Sachverständiger eigenmächtig über die ihm vom Gericht gestellten Beweisfragen hinausgeht. Dabei rechtfertigt nicht jede geringfügige Abweichung von dem gerichtlichen Gutachterauftrag die Annahme der Befangenheit. Die Befürchtung ist aber begründet, wenn sich aus der Abweichung vom Gutachterauftrag eine parteiische Tendenz zugunsten oder zulasten einer Partei ergibt (OLG München, Beschluss v. 5.5.2023, 31 W259/23).
Bedenken gegen Sachverständigen rechtzeitig geltend machen
In großen Patentstreitverfahren, Bauprozessen oder Arzthaftungsverfahren kommt es regelmäßig vor, dass das Gericht den Parteien einen Sachverständigen vorschlägt und ihnen Gelegenheit gibt, sich dazu zu äußern. Hintergrund ist, dass es in den aufgeführten Rechtsgebieten meistens nur wenige anerkannte Sachverständige gibt, die häufig zu beiden Parteien in Geschäftsbeziehung stehen – sei es etwa als Gutachter, Coach oder Vortragender. Wer dann nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses zur Bestellung des Sachverständigen und vor dessen Vernehmung unmittelbar auf den Vorschlag des Richters reagiert, muss die Sachverständigenwahl akzeptieren, § 406 Abs. 2 ZPO.
Grund: Die Ablehnung eines Sachverständigen ist nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über seine Bestellung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.
Beispiel: In einem vom BGH entschiedenen Fall machte die Beklagte geltend, ihr als einem in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen Unternehmen sei der Sachverständige nicht bekannt gewesen, so dass sie keine Veranlassung gehabt habe, an seiner Unbefangenheit zu zweifeln (Beschluss v. 3.4.2012, X ZR 67/09). Damit sei nach Sinn und Zweck der Gewährung rechtlichen Gehörs zu den wechselseitig vorgeschlagenen Sachverständigen fehlendes Verschulden an der verspäteten Geltendmachung des Ablehnungsgrundes schon nicht dargelegt, meinte dagegen der BGH. Auch wenn die Beklagte erwarten durfte, dass die Klägerinnen und ihre Streithelferin Verbindungen zu den vorgeschlagenen Personen offenlegen würden, hatte sie angesichts der ihr vom Gericht eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme dennoch Veranlassung, über Personen, die ihr nicht bekannt waren, Informationen einzuholen, die ihr ohne weiteres zugänglich waren, befand der BGH.