Leitsatz
Gerichtlich bestellte Sachverständige müssen sich in jeder Situation neutral verhalten. Äußert sich ein Sachverständiger in einem Gutachten abfällig über eine Partei, ohne die aufgestellten Behauptungen belegen zu können, rechtfertigt dies seine Ablehnung wegen Befangenheit. Außerdem verliert er seinen Vergütungsanspruch – selbst wenn die Ergebnisse des Gutachtens objektiv richtig sind.
Sachverhalt
Das hat das OLG im Zusammenhang mit einem medizinischen Sachverständigen entschieden, der klären sollte, ob eine Partei in einem Zivilverfahren in den Jahren 2004/2005 berufsunfähig war. In seinem Gutachten von Mitte 2011 führte er u.a. aus: "Um dieses Überengagement des Klägervertreters auf den Boden der Tatsachen zu holen, darf festgestellt werden, dass …". Außerdem hieß es: "dass der Kläger nach wie vor in keinster Weise die bereits am 7.1.2008 von uns empfohlenen Maßnahmen zur Verbesserung seines Gesundheitszustands in Angriff genommen hat. Als Mindestmaßnahme hatten wir die Gewichtsreduktion empfohlen, … Insofern ist die Angabe des Klägers bei der internistischen Begutachtung, dass er versuche auf "ausgewogene und gesunde Ernährung zu achten"eher als Lippenbekenntnis zu verstehen, denn eine Konsequenz ist bis heute in keinster Weise nachvollziehbar."
Nach Ansicht des Gerichts sind beide Äußerungen geeignet, das Vertrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erschüttern. So war die Breitseite gegen den Anwalt unsachlich und steht mit der inhaltlichen Klärung der Beweisfrage in keinem Zusammenhang. Das "Engagement" eines Prozessbevollmächtigten diene allein der Interessenvertretung des Mandanten und unterliege nicht der Beurteilung durch den medizinischen Sachverständigen. Für den Kläger als Mandanten des vom Gutachter so gerügten Prozessbevollmächtigten kann daraus die Befürchtung erwachsen, er werde alleine deshalb keine unbefangene Beurteilung durch diesen Gutachter erfahren. Auch die Äußerungen des Gutachters über die Lebensführung des Klägers sind nicht durch eigene Wahrnehmungen des Sachverständigen belegt. Hinzu kommt, dass Gegenstand der Beweiserhebung die Frage des Eintritts der Berufsunfähigkeit in den Jahren 2004/2005 war. Es liegt auf der Hand, dass die Frage der Gewichtsreduktion im Zeitraum 2008 bis 2011 keinerlei Aussagekraft oder Indizwirkung für die Feststellung einer Berufsunfähigkeit in den Jahren 2004/2005 haben kann, betonte das Gericht. Es musste sich dem Gutachter aufdrängen, dass derartige unsachliche und persönliche Angriffe auf den Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten einen Grund darstellen können, seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit in Zweifel zu ziehen. Ein darauf gestütztes Ablehnungsgesuch war naheliegend, was der Sachverständige ohne weiteres erkennen musste.
Zwar dürfe sich ein Sachverständiger offensiv-kritisch gegen Angriffe einer Partei zur Wehr setzten. Indes hätten sich der Kläger und sein Anwalt sachbezogen mit dem Gutachten auseinandergesetzt und keinerlei unsachliche Angriffe auf das Gutachten oder persönliche Vorwürfe gegen den Sachverständigen geführt. Dieser hatte keinerlei Veranlassung, sich in solcher Art und Weise zu äußern. Er war gehalten, sachbezogen Stellung zu nehmen und die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Ein Sachverständiger handele grob fahrlässig, wenn er in seinem Gutachten Formulierungen verwendet, die ein subjektives Misstrauen einer Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen können.
Die absolut erforderliche Unparteilichkeit des Sachverständigen gebiete es, dass er sich während der Zeit der Gutachtenserstattung neutral verhalten muss und dass er an die Beantwortung der Beweisfragen unvoreingenommen und objektiv herangeht. Bereits der durch seine Formulierungen verursachte Anschein von Parteilichkeit macht das Gutachten unbrauchbar, auch wenn es sachlich ohne Mängel ist. Der Sachverständige verliert dann auch seinen Vergütungsanspruch.
Link zur Entscheidung
OLG Nürnberg, Beschluss v. 8.9.2011, 8 U 2204/08.