Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsatzrüge. Sachaufklärungsrüge. Beweisantrag. Beweiswürdigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge.
2. Dass die Entscheidung der Vorinstanz für falsch gehalten wird, geht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus.
3. Ein Verfahrensmangel nur dann ausreichend bezeichnet, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird.
4. Für eine Sachaufklärungsrüge muss ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer Beweisantrag bezeichnet werden, dem das LSG nicht gefolgt ist.
5. Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache.
6. Einwände gegen die Beweiswürdigung des LSG sind einer Verfahrensrüge ausdrücklich entzogen.
Normenkette
SGG §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 Sätze 1-2, §§ 163, 169 Sätze 2-3
Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 08.01.2019; Aktenzeichen S 14 U 160/17) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 29.11.2021; Aktenzeichen L 3 U 33/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit darüber, ob das Ereignis vom 25.1.2017 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Die Klägerin hatte sich am 25.1.2017 bei einem Sturz verletzt, als eine von ihr betretene Leiter vom Anlegepunkt an der Dachbodenluke wegrutschte. Die O GmbH zeigte den Unfall an und teilte mit, sie habe am Unfalltag in das von der GmbH für die Klägerin und deren Ehemann eingerichtete Eigenheim eine Dachbodentreppe einbauen wollen. Der Auftrag sei vergünstigt worden, da die Klägerin als Mitarbeiterin "Handlangertätigkeiten" geleistet habe.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab, weil ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Der im Widerspruchsverfahren vorgelegte undatierte Arbeitsvertrag über eine geringfügige Mitarbeit der Klägerin in der O GmbH führe nicht zu dem Nachweis, dass im Moment des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt worden sei. Vielmehr habe die Klägerin als Privatperson, die von ihrer Mithilfe finanziell profitiere, geholfen. Somit habe das eigenwirtschaftliche Interesse, Kosten zu verringern, überwogen (Bescheid vom 25.7.2017, Widerspruchsbescheid vom 22.11.2017).
Das SG hat die Klage nach Zeugeneinvernahme des Geschäftsführers der O GmbH abgewiesen (Urteil vom 8.1.2019). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses sei die Klägerin weder als Beschäftigte noch als sog Wie-Beschäftigte versichert gewesen (Beschluss vom 29.11.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung und der Beschluss des LSG beruhe auf einer Verletzung von § 103 SGG.
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß darlegt bzw bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit, also Entscheidungserheblichkeit, sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, sog Breitenwirkung, darlegen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 5 mwN). Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Sie versäumt es bereits, den vom LSG festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG) und die maßgebliche Verfahrensgeschichte darzustellen, obwohl eine verständliche Sachverhaltsschilderung zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge gehört (stRspr; zB BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 6 mwN). Hierfür reicht der pauschale Verweis der Klägerin auf das gesamte Vorbringen im Verfahren nicht aus.
Auch im Übrigen enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Vortrag zu einer maßgeblichen Rechtsfrage, deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie zur Breitenwirkung. Die Klägerin wendet sich im Kern allein gegen die Richtigkeit der Entscheidung des LSG. Dass die Klägerin die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, geht aber über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus (vgl BSG Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6).
2. Auch die Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) ist nicht hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Beschlusses besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin versäumt es bereits, den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalt darzustellen. Denn "bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird (BSG Beschluss vom 21.12.2021 - B 9 SB 55/21 B - juris RdNr 5 mwN). Dies wird aber nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargetan und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hieran fehlt es.
Auch im Übrigen erfüllt das Vorbringen der Klägerin nicht die besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge. Hierfür muss sie ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - juris RdNr 10).
Die Klägerin bezeichnet bereits keinen - zudem für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren - prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, den sie im Verfahren vor dem LSG, in dem sie anwaltlich vertreten war, gestellt bzw aufrechterhalten hat. Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG Beschluss vom 21.12.2021 - B 9 SB 55/21 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 13 f mwN). Diesen Anforderungen genügt der alleinige pauschale Verweis auf den "insgesamt gehaltenen Vortrag nebst Beweiserbieten" nicht.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Begründung, dass sie die Wertung des LSG für unzutreffend halte, allein gegen die Beweiswürdigung des LSG nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Diese ist einer Verfahrensrüge jedoch ausdrücklich entzogen (§ 160a Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Roos Röhl Karl
Fundstellen
Dokument-Index HI15161252 |