Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler. Rechtliches Gehör. Vertagung. Mündliche Verhandlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Umstand allein, dass ein Kläger außerstande war zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und dies mitgeteilt hat, bildet noch keinen zwingenden Grund zur Vertagung der Verhandlung.
2. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs macht allenfalls dann eine Vertagung erforderlich, wenn der Kläger beantragt oder wenigstens seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
3. Ohne eine solche Willensbekundung muss nur dann vertagt werden, wenn das persönliche Erscheinen angeordnet war.
Orientierungssatz
Der Umstand allein, dass ein Kläger außerstande war, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und dies mitgeteilt hat, bildet noch keinen zwingenden Grund zur Vertagung. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs macht allenfalls dann eine Vertagung erforderlich, wenn der Kläger beantragt oder wenigstens seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Ohne diese Willensbekundung des Klägers muss lediglich dann vertagt werden, wenn das persönliche Erscheinen angeordnet war (vgl BSG vom 7.2.2001 - B 9 VM 1/00 B ).
Normenkette
SGG § 62; GG Art. 103
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 18.12.2001) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 2001 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorstehend genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 18. Dezember 2001 hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt: Der Kläger, der in der Bundesrepublik Deutschland als Hilfsarbeiter gearbeitet habe und dann in seine Heimat nach Jugoslawien (Kosovo) zurückgekehrt sei, sei nicht erwerbsunfähig iS der hier noch anwendbaren Vorschriften der Reichsversicherungsordnung. Letztmals bis zum 31. März 1992 seien innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten belegt. Damit hätte ein Versicherungsfall spätestens im April 1992 vorliegen müssen, um die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen, was aber nicht der Fall sei. Dies ergebe sich aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. T. … v. … S. …. Für eine Ausdehnung des Rahmenzeitraums über den 31. März 1987 hinaus fehle es an Anwartschaftserhaltungszeiten ab dem 1. April 1992. Insbesondere stelle der Bezug der jugoslawischen Invalidenrente keine solche Zeit dar. Die Zeit von Januar 1984 bis April 1992 sei auch nicht mit Anwartschaftserhaltungszeiten voll belegt oder noch belegbar. Zwar lägen beim Kläger noch Kalendermonate vor, für die eine Beitragszahlung noch zulässig wäre, wenn sein Rentenantrag vom Januar 1992 als Antrag auf Entrichtung freiwilliger Beiträge angesehen werde. Damit sei aber nur eine Nachentrichtung bis Januar 1991 möglich. Ein Anspruch auf Nachentrichtung für vorhergehende Zeiträume wegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei nicht ersichtlich. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig. Als Hilfsarbeiter sei er auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Ein Rentenanspruch ergebe sich auch nicht nach den Vorschriften des Rentenreformgesetzes 1992 sowie nach den entsprechend geänderten Vorschriften durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 1. Januar 2001.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger persönlich beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt und für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ist abzulehnen.
Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 166 Abs 2 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.
Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist weder nach dem Vorbringen des Klägers noch nach summarischer Prüfung des Streitstoffes ersichtlich.
Zunächst ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das vom Kläger angegriffene Urteil auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 11, 39). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind hier nicht ersichtlich. Zu den Leistungsvoraussetzungen von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht bereits eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG (vgl dazu zB BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8; Niesel in Kasseler Komm, Ablageordner, Anm zu §§ 43, 44 aF SGB VI). Dies gilt auch für die hier streitige Frage der Erfüllung der durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführten besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (s hierzu zuletzt Senatsurteile vom 11. Mai 2000 – B 13 RJ 85/98 R – BSGE 86, 153 = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18 – und B 13 RJ 19/99 R – sowie vom 1. Februar 2001 – B 13 RJ 1/00 R – und vom 23. August 2001 – B 13 RJ 73/99 R). Insbesondere ist hierbei vom BSG bereits wiederholt entschieden worden, dass sich aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit keine Streckungstatbestände etwa aufgrund eines Rentenbezugs im Ausland herleiten lassen (vgl BSGE 86, 153 = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18 mwN). Auch die Voraussetzungen des von der Rechtsprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind weitgehend geklärt (vgl dazu BSGE 79, 168 ff = SozR 3-2600 § 115 Nr 1; BSG SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 15 mwN).
Eine Zulassung nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG scheidet ebenfalls aus. Die danach erforderliche Abweichung (Divergenz) ist gegeben, wenn das angefochtene Urteil auf einer bestimmten Rechtsauffassung beruht, die zu der in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG zugrunde gelegten Rechtsansicht in Widerspruch steht. Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Die Vorinstanz hat sich ersichtlich an der Rechtsprechung des BSG orientiert, wie die Zitate der Rechtsprechung des BSG in dem Berufungsurteil zeigen.
Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel erkennen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein derartiger Beweisantrag, den das LSG unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) übergangen haben könnte, ist hier nicht ersichtlich. Selbst wenn man das Schreiben des Klägers vom 6. Dezember 2001 mit Hinweis auf seinen schlechten gesundheitlichen Zustand und die beigefügte Bescheinigung der Poliklinik in P. … vom 4. Dezember 2001 als Beweisantrag ansehen würde, ist nicht erkennbar, dass er mit Erfolg rügen könnte, dass das LSG bei Kenntnis des Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, ihm günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl zu diesem Erfordernis BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34), da das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, es komme auf den bestehenden Gesundheitszustand angesichts der versicherungsrechtlichen Verhältnisse beim Kläger nicht an (Urteilgründe S 8).
Auch andere Verfahrensfehler, die dem Berufungsgericht unterlaufen sein könnten, sind nach Durchsicht der Akten nicht erkennbar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass als Verfahrensfehler eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes) mit Erfolg gerügt werden könnte. Eine solche läge ua dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen wäre (vgl BVerfGE 25, 137, 140). Dass dem Kläger dieses Recht abgeschnitten sein könnte, indem das LSG seinem Vertagungsantrag vom 6. Dezember 2001 nicht gefolgt ist, ist nicht erkennbar. Der Kläger hat diesen mit schwierigen gesundheitlichen Umständen begründet. Der Umstand allein, dass der Kläger außerstande war, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und dies mitgeteilt hat, bildet noch keinen zwingenden Grund zur Vertagung. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs hätte allenfalls eine Vertagung erforderlich gemacht, wenn der Kläger beantragt oder wenigstens seinen Willen zum Ausdruck gebracht hätte, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (vgl BSG Beschluss vom 7. Februar 2001 – B 9 VM 1/00 B). Dafür sind dem Vertagungsantrag aber keine Anhaltspunkte zu entnehmen, und dies wird vom Kläger auch mit seinem Prozesskostenhilfeantrag nicht geltend gemacht. Ohne diese Willensbekundung des Klägers hätte lediglich dann vertagt werden müssen, wenn das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet gewesen wäre, was aber nicht der Fall war (BSG aaO).
Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG scheiden nach der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein aus. Soweit der Kläger in seinem Begehren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vorträgt, das LSG habe sein Herz- und Wirbelsäulenleiden nicht ausreichend berücksichtigt, könnte er damit keinen Erfolg haben, da Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde nicht ist, ob das zweitinstanzliche Urteil in der Sache richtig ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 7).
Da dem Kläger nach alledem keine Prozesskostenhilfe zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Die vom Kläger persönlich gegen das Urteil des LSG eingelegte Beschwerde ist bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (vgl § 166 SGG) eingelegt worden ist. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 1, 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30; vgl auch Art 1 Nr 54 Buchst a, Art 17 Abs 2 und Art 19 des 6. SGG-ÄndG vom 17. August 2001 – BGBl I 2144, 2150, 2158).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen