Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 21.02.2017; Aktenzeichen L 12 R 206/15) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin wendet sich in ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalterin gegen das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.2.2017. Mit diesem Urteil hat das LSG die Berufungen des Schuldners des Insolvenzverfahrens gegen die Gerichtsbescheide des SG Bremen vom 21.9.2015, 22.9.2015 und 27.10.2015 zurückgewiesen. Das LSG hat damit die Rechtmäßigkeit von Bescheiden der Beklagten bestätigt, mit der diese die Versicherungspflicht des Insolvenzschuldners in der gesetzlichen Rentenversicherung für selbstständig Tätige sowie Beitragsforderungen und Säumniszuschläge in Höhe von zuletzt 181 057,02 Euro festgestellt hat.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass der angefochtene Beschluss auf der Abweichung beruht. Diese Voraussetzungen sind in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN).
Die Klägerin trägt vor, nach dem Urteil des BSG vom 12.12.2018 (B 12 R 15/18 R - SozR 4-2400 § 24 Nr 8 RdNr 14 ff - zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen) seien Säumniszuschläge nur bei Kenntnis oder verschuldeter Unkenntnis von der Zahlungspflicht zu erheben. Für die Bestimmung des Verschuldensmaßstabs in § 24 Abs 2 SGB IV sei auf bedingten Vorsatz abzustellen. Hier seien Säumniszuschläge festgesetzt worden, obwohl der Insolvenzschuldner mehrfach auf seine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht iS des § 24 Abs 2 SGB IV hingewiesen habe. Das LSG sei nicht auf die diesbezüglichen Einwände des Insolvenzschuldners eingegangen. Es habe vielmehr ohne jegliche Prüfung zu seinen Lasten entschieden.
Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz nicht schlüssig bezeichnet. Die Klägerin hat keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem das Berufungsgericht der Rechtsprechung des BSG widersprochen haben soll. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung in der angefochtenen Entscheidung in Frage stellt. Soweit die Klägerin meint, das LSG habe die vom BSG aufgestellten Maßstäbe verkannt, rügt sie eine sachliche Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils. Hierauf kann aber eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden. Nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen, nicht hingegen die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall.
2. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die Klägerin trägt insofern lediglich vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf mehrere ähnlich gelagerte Fälle. Es fehlt damit bereits an der Formulierung einer abstrakt-generellen Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht (vgl allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - juris RdNr 8 mwN).
3. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Beschlusses besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB zuletzt BSG Beschluss vom 17.9.2019 - B 1 KR 63/18 B - juris RdNr 5 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten wurde. An Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags sind verminderte Anforderungen zu stellen, wenn der Kläger - wie hier - in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 6; BSG Beschluss vom 8.5.2018 - B 1 KR 3/18 B - juris RdNr 5). Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 17.9.2019 - B 1 KR 63/18 B - juris RdNr 5 mwN). Der Tatsacheninstanz soll dadurch nämlich vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht.
An der Bezeichnung eines solchen Beweisantrages fehlt es hier. Die Klägerin bemängelt, das LSG habe auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage und trotz Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Festsetzungen der Beklagten ohne weitere Ermittlungen entschieden. Bei weiteren Ermittlungen hätte zumindest die Höhe der Forderung keinen Bestand haben können. Dieser Vortrag vermag eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht zu begründen.
Die Klägerin bezeichnet auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht ausreichend. Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 EMRK) rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruhen kann (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Daran fehlt es hier. Es ist bereits nicht nachvollziehbar, woraus die Klägerin folgert, dass die Auskünfte der Finanzämter B. und S. nicht an die Klägerseite übersandt worden seien, obwohl dies vom Berichterstatter beim LSG verfügt wurde. Jedenfalls ist nicht dargetan, welcher Vortrag verhindert worden sein soll.
Soweit die Klägerin die Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) rügt, genügt auch dies nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Grundsätzlich ist eine Rüge, die sich gegen unanfechtbare Vorentscheidungen wie hier die Ablehnung von PKH (vgl § 177 SGG) richtet, ausgeschlossen (§ 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO; BSG SozR 1500 § 160 Nr 48). Daher kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel nicht die rechtswidrige Ablehnung von PKH als solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die verfassungsrechtlich fundierte prozessuale Gewährleistungen verletzt, weil sie auf Willkür beruht und damit gegen Art 3 Abs 1 GG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verstößt. Willkürlich ist ein Richterspruch erst dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein begründet noch keinen Verstoß gegen das aus Art 3 Abs 1 GG folgende Willkürverbot, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 14 RdNr 10; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 21 RdNr 9, 10 mwN; BSG Beschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - mwN; BSG Beschluss vom 1.2.2018 - B 8 SO 22/17 B - juris RdNr 7; BVerfGE 52, 131, 143 f; BVerfG Beschluss vom 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13).
Einen solchen Verfahrensmangel zeigt die Klägerin nicht auf, wenn sie geltend macht, es sei nicht nachvollziehbar, dass das LSG in seiner Entscheidung Zweifel an der Berechtigung der Forderung äußere, den Antrag auf PKH aber ablehne. Sie gibt schon nicht die genaue Begründung des ablehnenden PKH-Beschlusses wieder und behauptet auch nicht, dass die Ablehnung des PKH-Gesuchs bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl BVerfGE 52, 131, 143 f). Die bloße Ablehnung von PKH kann für sich gesehen nicht auf eine willkürliche Verfahrensweise hinweisen oder die Annahme rechtfertigen, das rechtliche Gehör sei verletzt. Zwar trägt die Klägerin zu Recht vor, dass das LSG weitere Ermittlungen hätte vornehmen, insbesondere das Vorliegen der Versicherungspflicht des Schuldners des Insolvenzverfahrens positiv hätte feststellen müssen. Das mag für eine Verkennung der Rechtslage sprechen, bezeichnet jedoch noch keine Willkür bei der Entscheidung über den PKH-Antrag.
Ob möglicherweise § 153 Abs 5 SGG verletzt ist, weil die Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGG nicht vorlagen, vermag der Senat anhand der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu überprüfen. Einen solchen Verfahrensmangel hat die Klägerin in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nicht hinreichend bezeichnet (zu den Voraussetzungen einer Verletzung von § 153 Abs 5 SGG, weil der Sachverhalt nicht geklärt ist, insbesondere auch zum Erfordernis der Ermessensreduzierung auf Null vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 153 RdNr 25 und 26).
Auch soweit die Klägerin geltend machen will, das Urteil des LSG sei nicht mit Gründen versehen, genügt ihr Vortrag nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Eine Entscheidung enthält nicht schon dann keine Entscheidungsgründe iS von § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, wenn die Begründung sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft ist, sondern erst, wenn entweder jegliche Begründung oder die hinsichtlich eines entscheidungserheblichen Grundes fehlt. Insbesondere kann das Berufungsgericht unter den Voraussetzungen des § 153 Abs 2 SGG die bloße Wiederholung der Argumente der Vorinstanz vermeiden. Dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen (vgl dazu eingehend BSG Beschluss vom 27.3.2019 - B 8 SO 61/18 B - juris RdNr 6).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13703812 |