Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Berufsausübungsgemeinschaft. grundsätzliche Verantwortlichkeit für Richtigkeit seiner Abrechnungen

 

Orientierungssatz

Die grundsätzliche Verantwortlichkeit des einzelnen Arztes für die Richtigkeit seiner Abrechnungen entfällt auch nicht dadurch, dass die Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft die Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen auf eines ihrer Mitglieder übertragen haben (vgl auch BSG vom 25.11.1999 - B 6 KA 50/98 B).

 

Normenkette

SGB 5 § 81 Abs. 5

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.11.2015; Aktenzeichen L 12 KA 120/14Urt)

SG München (Urteil vom 16.05.2014; Aktenzeichen S 28 KA 1448/12)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8900 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Im Streit steht eine Disziplinarmaßnahme.

Die Klägerin ist seit 1995 als Praktische Ärztin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Bis zum 23.3.2011 war sie mit ihrem Ehemann in Gemeinschaftspraxis tätig; seit der bestandskräftigen Entziehung der Zulassung ihres Ehemannes praktiziert sie in Einzelpraxis. Während der Ehemann der Klägerin wegen Abrechnungsbetruges aufgrund der Abrechnung nicht erbrachter Behandlungen in Höhe von insgesamt 246 579 Euro in den Quartalen II/2005 bis IV/2008 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (auf Bewährung) verurteilt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin ein, da ein Nachweis ihrer Kenntnis von der falschen Abrechnung nicht geführt werden könne. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung verhängte mit Bescheid vom 12.9.2012 gegen die Klägerin eine Geldbuße in Höhe von 3000 Euro. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 16.5.2014, Urteil des LSG vom 25.11.2015).

Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin habe gegen ihre Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen, indem sie die von ihrem Praxispartner und Ehemann erstellten Abrechnungen nicht hinreichend kontrolliert habe. Diesbezüglich sei allerdings festzustellen, dass sich die Angaben der Klägerin hinsichtlich Art und Umfang der Kontrolle der Abrechnungen im Laufe der Zeit nicht unerheblich geändert hätten. Habe sie im Ermittlungsverfahren und nachfolgend noch angegeben, mit den Abrechnungen nichts zu tun und keinen Einblick in das Abrechnungswesen zu haben - nicht zuletzt dies sei Grundlage der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gewesen -, habe sie erstmalig mit Schriftsatz vom 18.11.2015 vorgetragen, ihren Ehemann zur Abrechnung befragt, jeweils die von ihm vorgelegte Abrechnung vor Unterzeichnung auf Plausibilität geprüft und selbstverständlich Nachfragen gestellt zu haben. Bei einer Gesamtbewertung aller von der Klägerin zu ihrer Mitwirkung bei den Abrechnungen gemachten Einlassungen gelange der Senat zu der Auffassung, dass diese die Abrechnungen allenfalls oberflächlich geprüft und daher ebenfalls gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen habe. Den zeitnächsten Angaben komme dabei besondere Glaubwürdigkeit zu; ihre erstmals mit Schriftsatz vom 18.11.2015 gemachten Angaben seien demgegenüber zu allgemein gehalten, um von einer ausreichenden Überwachung der Abrechnung des Ehemannes auszugehen.

Zwar sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Klägerin ihrem Ehemann intern die Abrechnung der Gemeinschaftspraxis gegenüber der Beklagten überlassen habe, doch treffe sie in diesem Fall eine Überwachungspflicht, die über die reine Prüfung der rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung hinausgehe. Es wäre aus Sicht des Senats zu erwarten gewesen, dass sich die Klägerin im Hinblick auf die hohe Zahl fiktiver Patienten bzw deren stetes Ansteigen (von 122 Patienten im Quartal II/2005 auf 352 im Quartal II/2008) gewisse Bedenken hinsichtlich der Anzahl der abgerechneten und der tatsächlich in der Praxis behandelten Patienten und dem hierbei erzielten Honorar hätten aufdrängen müssen; dies gelte zumindest in dem Zeitraum ab Januar 2008, als die Klägerin wieder ganztätig in der Praxis tätig gewesen sei. Unabhängig davon wären jedenfalls von Zeit zu Zeit Stichproben hinsichtlich Art und Umfang der abgerechneten Leistungen zu erwarten gewesen. Die Klägerin habe auch schuldhaft - unter fahrlässiger Missachtung der vertragsärztlichen Pflichten - gehandelt. Ihr habe bewusst sein müssen, dass eine alleinige Sichtung der Statistiken, Prüfprotokolle und der Anzahl der abgerechneten Behandlungsfälle keine ausreichende Überwachung der von ihrem Ehemann erstellten, aber auch sie betreffenden Abrechnung darstellen könne.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f sowie BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Nichts anderes gilt, wenn kein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit der vom LSG dazu gegebenen Auslegung bestehen kann, weil sich die Beantwortung bereits ohne Weiteres aus der streitigen Norm selbst ergibt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 2.4.2003 - B 6 KA 83/02 B - Juris RdNr 4). Die Bedeutung über den Einzelfall hinaus ist nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des vorliegenden Einzelfalls einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 50/07 B - RdNr 6 iVm 11). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG ≪Kammer≫ SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).

Die Rechtsfrage,

in welchem Umfang die Organisations- und Überwachungspflicht im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung bei Mitgliedern einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) besteht, wenn die Organisation und Vornahme der Abrechnung und die Vorbereitung der Abrechnungssammelerklärungen im Rahmen der Arbeitsteilung überwiegend von einem BAG-Mitglied übernommen wird bzw übertragen wurde,

ist - sofern sie trotz ihrer Allgemeinheit überhaupt klärungsfähig sein sollte - jedenfalls nicht klärungsbedürftig.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass eine gewissenhafte, peinlich genaue Leistungsabrechnung zu den Grundpflichten eines Vertragsarztes gehört (vgl BSG Urteil vom 18.8.1972 - 6 RKa 28/71 - Juris RdNr 11 = USK 72117; BSGE 110, 269 RdNr 34, insoweit nicht abgedruckt in SozR 4-2500 § 95 Nr 24). Diese Pflicht hat hohen Stellenwert, weil das Abrechnungs- und Honorierungssystem der vertragsärztlichen Versorgung auf Vertrauen aufbaut; das Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben der Leistungserbringer stellt ein Fundament des Systems der vertragsärztlichen Versorgung dar (BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 35; s schon BSG SozR 3-5550 § 35 Nr 1 S 4). Die ihm obliegenden Pflichten muss ein Vertragsarzt jederzeit erfüllen (BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 52). Hieraus ergibt sich, dass jeder einzelne Vertragsarzt verpflichtet ist, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das in die Richtigkeit seiner Abrechnung gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Für die korrekte Abrechnung seiner Leistungen ist der Vertragsarzt selbst verantwortlich (BSG Beschluss vom 11.12.2013 - B 6 KA 36/13 B - Juris RdNr 6). Wie der Senat ebenfalls bereits dargelegt hat, entlastet es den Vertragsarzt nicht von seiner Verantwortung, wenn und soweit er sich bei der Abrechnung personeller und/oder technischer Hilfe bedient (BSG aaO). In welcher Form er sich personeller Hilfe bedient, welcher Personen er sich hierzu bedient oder in welchem Umfang dies der Fall ist, spielt in Bezug auf die ihm obliegenden Pflichten keine Rolle.

Die grundsätzliche Verantwortlichkeit des einzelnen Arztes für die Richtigkeit seiner Abrechnungen entfällt auch nicht dadurch, dass die Partner einer BAG die Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen auf eines ihrer Mitglieder übertragen haben (zur Zurechnung von Pflichtverstößen innerhalb einer BAG s auch BSG Beschluss vom 25.11.1999 - B 6 KA 50/98 B). Zwar ist die Gemeinschaftspraxis bzw BAG durch die gemeinschaftliche Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geprägt und stellt rechtlich eine Praxis dar (stRspr des BSG, vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 21). Dies ändert jedoch nichts am individuellen Pflichtenkreis ihrer einzelnen Mitglieder. Übertragen diese die ihnen grundsätzlich persönlich obliegende Aufgabe der Leistungsabrechnung auf einen der BAG-Partner, haben sie durch geeignete (Überprüfungs-)Maßnahmen sicherzustellen, dass sie ihrer Verantwortung weiterhin gerecht werden. Dass sich einzelne Mitglieder einer BAG nicht hinter dieser bzw den Besonderheiten der gemeinschaftlichen Berufsausübung "verstecken" können, verdeutlicht nicht zuletzt der Umstand, dass eine Haftung im Falle sachlich-rechnerischer Richtigstellungen oder anderer gegenüber der BAG bestehender (Rück-)Forderungen nicht allein die BAG trifft, sondern daneben eine Einstandspflicht ihrer einzelnen Gesellschafter besteht, welcher jeder für sich in Anspruch genommen werden kann (stRspr, vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16).

Der Rechtsfrage,

in welchem Umfang diese Organisations- und Überwachungspflicht im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung bei Mitgliedern einer BAG insbesondere dann besteht, wenn ein BAG-Mitglied Abrechnungsbetrug begeht und diesen in der Weise gestaltet, dass eine Manipulation nicht erkennbar wird und die BAG-Kollegen bewusst über die Korrektheit der erstellten Abrechnung getäuscht werden,

fehlt schon die Klärungsfähigkeit in einem Revisionsverfahren, weil die Fragestellung impliziert, dass der Ehemann der Klägerin den Abrechnungsbetrug in einer Weise gestaltet hat, dass die Manipulation seitens der Klägerin nicht erkennbar war. Derartiges hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt. Im Gegenteil legen dessen Ausführungen, dass die Klägerin die Abrechnungen allenfalls oberflächlich geprüft und damit gegen ihre Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen hat, es nahe, dass die Klägerin bei pflichtgemäßem Verhalten die Abrechnungsmanipulationen hätte erkennen können.

Schließlich bedarf auch die Rechtsfrage,

ob in diesem Fall eine verringerte Überwachungspflicht genügt, wenn die Mitglieder einer BAG miteinander verheiratet sind und deshalb ein besonders hohes Vertrauen zueinander besteht,

keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Es liegt auf der Hand, dass sich die Intensität vertragsärztlicher Pflichten nicht danach richtet, in welchem Verhältnis die Partner einer BAG zueinander stehen. Ein möglicherweise bestehendes besonderes Vertrauensverhältnis - sei es aufgrund einer Lebensgemeinschaft oder sonstiger freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Beziehungen - entbindet Praxispartner nicht davon, das Handeln ihrer Kollegen sowohl in Bezug auf medizinische Aspekte als auch auf Abrechnungsgesichtspunkte erforderlichenfalls mit der gleichen Professionalität zu hinterfragen, zu der sie auch gegenüber anderen Praxispartnern verpflichtet sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin auch die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Festsetzung der Vorinstanz vom 25.11.2015, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 9873140

ArztR 2017, 81

KrV 2017, 33

GesR 2016, 779

GuP 2017, 107

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