Verfahrensgang
SG Bremen (Entscheidung vom 05.06.2018; Aktenzeichen S 45 KR 243/13) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 13.01.2021; Aktenzeichen L 4 KR 299/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 13. Januar 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Festsetzung von Beiträgen wegen ihrer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Sie bezog im noch strittigen Zeitraum vom 1.1.2013 bis 31.7.2017 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung iH von ca 620 Euro mit einem Zuschuss zur GKV und sozialen Pflegeversicherung iH von ca 45 Euro. Daneben erzielte sie bis 31.12.2015 ein Arbeitsentgelt für eine geringfügige Tätigkeit iH von 400 Euro monatlich. Die Beklagten setzten die Beiträge für die freiwillige GKV und zur sozialen Pflegeversicherung auf der Grundlage von Mindesteinnahmen (2013: iH von 898,33 Euro) fest. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 240 Abs 4 Satz 3 SGB V, die nur die dem System der GKV nahestehenden Klein-Rentner bei der Beitragsbemessung entlasten solle. Auch § 240 Abs 3 Satz 2 SGB V gelte für die Klägerin nicht. Danach solle eine Besserstellung von Verdienern oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) verhindert werden; die Klägerin habe aber weit unterhalb der BBG verdient. Eine analoge Anwendung auf Geringverdiener verbiete sich aufgrund des speziellen Charakters der Norm (Urteil des LSG vom 13.1.2021). Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Die Klägerin führt zunächst ihre Rechtsauffassung aus, dass lediglich der Beitragszuschuss zur Rentenversicherung weiterzuleiten und darüber hinaus kein Beitrag zu zahlen sei, wenn die Vorschrift des § 240 Abs 3 SGB V als "spezielle Vorschrift für jedes Zusammentreffen von Arbeitseinkommen und Rente" angesehen würde.
Insoweit hat die Klägerin bereits keine hinreichend klare abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Dies ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Selbst wenn unterstellt würde, dass die Klägerin eine Rechtsfrage zur analogen Anwendung des § 240 Abs 3 Satz 2 SGB V auf "Geringverdiener" oder "Klein-Renten" aufwerfen wollte, so hat sie jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt.
An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es ua dann, wenn sich die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und daher praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 11 und BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Ob das der Fall ist, bestimmt sich nach dem Gesetzeswortlaut, der Rechtssystematik sowie den Gesetzesmaterialien (vgl BSG Beschluss vom 20.6.2013 - B 5 R 462/12 B - BeckRS 2013, 70651 RdNr 10). Eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Hierauf muss eine Beschwerdebegründung eingehen.
Die Klägerin setzt sich aber weder mit dem klaren Wortlaut des § 240 Abs 3 Satz 2 SGB V noch mit dessen Entstehungsgeschichte (vgl Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes BT-Drucks 11/2237 S 225 zu § 249 Abs 3 des Entwurfs) auseinander, wonach die Vorschrift die Gleichbehandlung mit versicherungspflichtig Beschäftigten mit Rentenbezug bezwecke. Auch untersucht sie nicht, inwieweit der Rechtsprechung zu § 240 Abs 3 SGB V bzw zur früheren Rechtslage (Senatsurteile vom 28.9.2011 - B 12 KR 23/09 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 15; vom 19.12.1991 - 12 RK 11/90 - juris; vom 25.4.1991 - 12 RK 6/90 - SozR 3-2200 § 393a Nr 1) bereits hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Problematik zu entnehmen sind. Demgegenüber reicht es nicht, dass die Klägerin behauptet, der Anwendungsfall des § 240 Abs 3 Satz 2 SGB V sei dunkel und weder Sinn noch Anwendungsbereich der Vorschrift seien jemals Gegenstand der Rechtsprechung des BSG gewesen.
b) Auch soweit die Klägerin die "Missachtung von Ehe und Familie" und Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz durch das Berufungsurteil rügt, fehlt es bereits an der Formulierung einer klaren abstrakten Rechtsfrage. Die Klägerin sieht wegen der Höhe der (Mindestbeitrags-)bemessungsgrenze und der aus ihrer Sicht zu engen Ausnahmen einen Verstoß gegen Art 1, Art 3 Abs 1 GG und Art 20 Abs 1 GG. Es liege ua deshalb eine Altersdiskriminierung vor, weil das Gesetz die Mindesteinnahmengrenze des § 240 Abs 4 Satz 1 SGB V nur für solche Rentner suspendiere, die gerade in der zweiten Hälfte ihrer Erwerbsbiografie Zeiten der gesetzlichen Mitgliedschaft in der GKV aufweisen würden. Jedenfalls genügt die Begründung auch hier nicht den Anforderungen an die Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Insoweit reicht nicht die Behauptung einer Verfassungswidrigkeit; vielmehr müsste die Klägerin unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG (vgl zB BSG Urteil vom 6.11.1997 - 12 RK 61/96 - SozR 3-2500 § 240 Nr 30; BSG Urteil vom 26.5.2004 - B 12 P 6/03 R - SozR 4-2500 § 224 Nr 1) zu der gerügten Verfassungsnorm in substantieller Argumentation ausführen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 6). Daran fehlt es aber.
2. Die Beschwerdebegründung der Klägerin entspricht auch nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sie geltend macht, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf einem Verfahrensmangel, weil keine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 GG erfolgt sei.
Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 4).
Nach Art 100 Abs 1 Satz 1 GG besteht eine Vorlagepflicht nur, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, überzeugt ist. Zweifel oder bloße Bedenken im Sinne eines Für-Möglich-Haltens reichen nicht aus (vgl Stern in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1. Aufl 2021, 211. Lfg Stand April 2021, Art 100 RdNr 168 mwN).
Eine subjektive Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit wird aber durch die von der Klägerin in Bezug genommenen Zitate von Seite 17, 18 und 19 des LSG-Urteils nicht hinreichend dargelegt. Denn dort wird auch darauf hingewiesen, dass die Gesetzesvoraussetzungen "systemgerecht" und deren Verfassungsmäßigkeit in der Fachliteratur und der Rechtsprechung des BSG unbestritten seien (Seite 17 LSG-Urteil). Das LSG unterscheidet gerade zwischen rechtlichen Voraussetzungen und sozialpolitischen Anliegen (Seite 18 und 19 LSG-Urteil). Wenn es letztere als nachvollziehbar bezeichnet, so belegt dies nicht die Überzeugung der Berufungsinstanz von der Verfassungswidrigkeit der Norm. Dass die Klägerin das Urteil des LSG selbst für falsch hält, stellt keinen Zulassungsgrund dar.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14755147 |