Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. einseitige Erledigungserklärung. Gleichsetzung mit Klagerücknahme. Erledigung der Hauptsache. Kostenpflichtigkeit
Orientierungssatz
Ob die einseitige Erledigungserklärung auf der Grundlage des am 2.1.2002 in Kraft getretenen SGGÄndG 6 weiterhin generell der Klagerücknahme gleichgesetzt werden kann, kann fraglich sein, soweit es um Verfahren geht, an denen nicht kostenprivilegierte Personen (iS von § 183 SGG) beteiligt sind und nach § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 155 Abs 2 VwGO der Kläger zwingend die Kosten zu tragen hat, wenn er die Klage zurücknimmt. Damit hat die einseitige Erledigungserklärung in derartigen Verfahren unter Umständen eine andere Kostenentscheidung zur Folge als die Rücknahme.
Normenkette
SGG § 102 S. 2, §§ 183, 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 3; VwGO § 155 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, dass der Rechtsstreit durch Erledigungserklärung beendet worden sei. Im vorangegangenen Rechtsstreit blieb das Begehren auf Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für eine von der Beklagten angenommene Sperrzeit im Jahre 1968 erfolglos (Sozialgericht ≪SG≫ München, Gerichtsbescheid vom 30. Mai 2003). Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2005 den Rechtsstreit in vollem Umfang für erledigt erklärt. Anschließend beantragte der Kläger unter Anfechtung der Erledigungserklärung die Fortsetzung des Verfahrens und die Aufhebung der Entscheidung des SG sowie die Verurteilung der Beklagten, ihm für die Jahre 1968/1969 Alg zu gewähren. Das LSG hat durch Urteil vom 3. August 2005 festgestellt, dass der Rechtsstreit L 9 AL 261/03 durch die Erledigungserklärung des Klägers vom 14. April 2005 erledigt sei. Diese Erklärung sei als Prozesshandlung wirksam abgegeben worden und als Rücknahmeerklärung auszulegen, die den anhängigen Rechtsstreit erledigt habe und den Verlust des Rechtsmittels bewirkt habe. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Anfechtung von Willenserklärungen (§§ 119 ff Bürgerliches Gesetzbuch) seien auf Prozesshandlungen nicht anwendbar. Wiederaufnahmegründe nach §§ 179, 180 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 578 ff Zivilprozessordnung (ZPO) seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegten Rechtsmittel und beantragt Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines anwaltlichen Prozessbevollmächtigten. Er habe zwar in der mündlichen Verhandlung am 14. April 2005 dem Richter nachgesprochen, dass er mit der Erledigung des Rechtsstreits einverstanden sei. Darin liege jedoch keine Rücknahme der Klage.
Entscheidungsgründe
Dem sinngemäß gestellten Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu bewilligen und ihm dafür einen Rechtsanwalt beizuordnen, kann nicht entsprochen werden.
Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe setzt nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO neben der Bedürftigkeit des Antragstellers voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Erfolgsaussicht ist bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur danach zu beurteilen, ob die Beschwerde als solche Erfolgsaussicht hat. Vielmehr ist Prozesskostenhilfe auch dann zu versagen, wenn auf der Hand liegt, dass der Antragsteller nach Zulassung der Revision im Revisionsverfahren letztlich nicht dasjenige erreichen kann, was er anstrebt. Denn Prozesskostenhilfe ermöglicht es einem Bedürftigen nicht, Verfahren durchzuführen, welche im Ergebnis nicht zu seinen Gunsten ausgehen können, die also ein verständiger Rechtsuchender nicht auch auf eigene Kosten führen würde (vgl BSG SozR 3-6610 Art 5 Nr 1 S 2; BSG, Beschluss vom 27. Juni 2001, B 11 AL 249/00 B; BSG, Beschluss vom 17. Dezember 2001, B 7 AL 218/01 B, sowie BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 1997, 1 BvR 296/94, NJW 1997, 2745). So verhält es sich hier.
Der Kläger könnte in einem Revisionsverfahren unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt obsiegen, weil bei überschlägiger summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage durch den Senat jedenfalls eine Revision, die das angefochtene LSG-Urteil zum Gegenstand hat, nicht erfolgreich sein wird.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG führt die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren anders als im Zivil- und Verwaltungsprozess zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Die Erledigungserklärung hat hier (anders als nach § 91a Abs 1 ZPO oder § 161 Abs 2 VwGO) keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung. Sie stellt sich je nach prozessualer Konstellation entweder als Klagerücknahme oder als Annahme eines von der Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses dar (BSG, Urteil vom 20. Dezember 1995 - 6 RKa 18/95). Über die Kosten entscheidet auf Antrag das Gericht (vgl §§ 102 Satz 3, 193 Abs 1 Satz 3 SGG), eine generelle Kostentragungspflicht ist damit nicht verbunden.
Ob die einseitige Erledigungserklärung auf der Grundlage des am 2. Januar 2002 in Kraft getretenen 6. SGG-Änderungsgesetzes (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl I 2144) weiterhin generell der Klagerücknahme gleichgesetzt werden kann, kann fraglich sein, soweit es um Verfahren geht, an denen nicht kostenprivilegierte Personen (iS von § 183 SGG) beteiligt sind und § 197a SGG mit der Folge eingreift, dass die §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Anwendung finden (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG). Damit gilt auch § 155 Abs 2 VwGO, wonach der Kläger zwingend die Kosten zu tragen hat, wenn er die Klage zurücknimmt. Damit hat die einseitige Erledigungserklärung in derartigen Verfahren uU eine andere Kostenentscheidung zur Folge als die Rücknahme. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, weil § 197a SGG keine Anwendung findet und in Verfahren mit Beteiligten, die zum Kreis des § 183 SGG zählen keine Veranlassung besteht, von der bisherigen Rechtsprechung des BSG abzuweichen (vgl auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. März 2002 - L 10 B 9/01 SB; LSG Berlin, Beschluss vom 28. April 2004 - 6 B 44/03 AL ER; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. A. 2005, VII RdNr 171, 172; Hauck, SGb 2004, 407; Roller, NZS 2003, 357). Danach ist zumindest dann, wenn entweder der Kläger oder der Beklagte zum Kreis des § 183 SGG gehören, eine einseitige Erledigungserklärung wie eine Klagerücknahme mit der Kostenfolge nach §§ 103 Satz 3, 193 Abs 1 Satz 3 SGG anzusehen.
Die darüber hinaus vom Kläger bereits selbst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde musste in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden. Entsprechend der Rechtsmittelbelehrung im LSG-Urteil hätte die Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist des § 160a Abs 1 Satz 2 SGG durch einen im Sinne von § 166 SGG vertretungsberechtigten Prozessbevollmächtigten eingelegt werden müssen. Das ist nicht geschehen.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen