Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG. Recht auf den gesetzlichen Richter. widersprüchlicher Geschäftsverteilungsplan. Entscheidungszeitpunkt. Änderungsbeschlüsse des Präsidiums. keine eindeutige Zuweisung der Zuständigkeit: Richter. Spruchkörper
Orientierungssatz
Zur Verletzung des Rechts auf den "gesetzlichen Richter" gem Art 101 Abs 1 S 2 GG, wenn dem zum Entscheidungszeitpunkt aufgestellten Geschäftsverteilungsplans des LSG nicht entnommen werden konnte, welcher Senat zuständig war.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 5; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13.11.2008; Aktenzeichen L 31 U 516/08) |
SG Potsdam (Gerichtsbescheid vom 05.12.2007; Aktenzeichen S 2 U 58/07) |
Tatbestand
Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) lehnte den Antrag der Klägerin auf Abfindung einer Verletztenrente ab. Das angerufene Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 5. Dezember 2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat ihre Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 13. November 2008).
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin ua eine nicht ordnungsgemäße Besetzung des LSG bei seiner Entscheidung. Es habe der 31. Senat des LSG entschieden, während nach dem Geschäftsverteilungsplan des LSG der 22. Senat zuständig gewesen wäre. Zur Aufklärung des Sachverhalts ist eine Stellungnahme des Präsidenten des LSG eingeholt worden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13. November 2008 beruht auf einem Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es ist daher aufzuheben und die Sache an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG zurückzuverweisen.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 SGG) . Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des LSG unter Verletzung von Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) ergangen ist.
Nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Welcher Richter (oder Spruchrichter) des sachlich, örtlich und funktionell zuständigen Gerichts der "gesetzliche Richter" im Sinne der Verfassung ist, ist durch einen Geschäftsverteilungsplan im Voraus generell-abstrakt, aber zugleich hinreichend bestimmt zu regeln, so dass Manipulationen und damit verbunden sachfremde Einflüsse auf die Rechtsprechung ausgeschlossen sind (vgl nur BVerfGE 95, 322) . Genügt der Geschäftsverteilungsplan diesen Anforderungen nicht, ist das Gericht, welches seine Zuständigkeit aus ihm ableitet, nicht ordnungsgemäß besetzt. Die Rechts- und Verfassungsmäßigkeit des Geschäftsverteilungsplans ist - anders als die Auslegung und Würdigung des Geschäftsverteilungsplans durch das erkennende Gericht - nicht nur auf Willkür, sondern auf jeden Rechtsverstoß zu untersuchen (BVerfG vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 - SozR 4-1720 § 21e Nr 1 = NJW 2005, 2689) .
Gegen diese verfassungsrechtlichen Vorgaben wird verstoßen, wenn der Geschäftsverteilungsplan eines Gerichts zum Entscheidungszeitpunkt ein Verfahren nicht klar und eindeutig einem Richter oder Spruchkörper zuweist, sondern verschiedene Zuständigkeiten möglich sind oder der Geschäftsverteilungsplan in sich widersprüchlich ist.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, wie sich aus dem Vorbringen der Klägerin sowie der Stellungnahme des Präsidenten des LSG und den von ihnen vorgelegten Unterlagen ergibt: Für das Verfahren der Klägerin war bis zum Ende des Jahres 2007 unter dem Aktenzeichen L 27 U 307/07 der 27. Senat zuständig. Ab 1. Januar 2008 war nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2008 der 22. Senat zuständig, weil ihm die "frühere(n) Bestände des 27. Senats Ende 2007" zugewiesen wurden. Das Verfahren erhielt das Aktenzeichen L 22 U 185/08.
Am 25. Juni 2008 beschloss das Präsidium des LSG ua "Aus den Beständen des 22. Senats gehen jedes zweite Verfahren beginnend mit dem jüngsten, insgesamt 65 Verfahren, in den 31. Senat, wobei das erste Verfahren, das übergeht, das zweitjüngste ist." Ab dem 1. Juli 2008 wurde das Verfahren der Klägerin unter dem Aktenzeichen L 31 U 516/08 im 31. Senat geführt, der auch am 13. November 2008 über das Verfahren entschied.
Die oben wiedergegebene Regelung über die Zuständigkeit des 22. Senats für die "frühere(n) Bestände des 27. Senats Ende 2007" im Jahresgeschäftsverteilungsplan des LSG, der später zumindest noch einmal geändert wurde, wurde nicht geändert oder ergänzt. Sie ist vielmehr auch in dem von der Klägerin und dem Präsidenten des LSG übersandten "Geschäftsverteilungsplan (GVPl.) 2008 des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg für die Zeit ab 1. Oktober 2008 (Änderung aufgrund des Beschlusses des Präsidiums vom 29. September 2008)" enthalten, der, wie seine Bezeichnung und der Klammerzusatz belegen, den ab diesem Zeitpunkt geltenden Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2008 unter Einbeziehung der zuvor erfolgten Änderungsbeschlüsse des Präsidiums wiedergeben soll. Für den 31. Senat führt der Geschäftsverteilungsplan ab diesem Zeitpunkt als Zuständigkeit ua auf "Unfallversicherung ohne Eingänge".
Damit konnte dem zum Entscheidungszeitpunkt am 13. November 2008 geltenden Geschäftsverteilungsplan des LSG, der ausweislich des Hinweises auf den Änderungsbeschluss des Präsidiums beanspruchte, die aktuelle Geschäftsverteilung darzustellen, nicht entnommen werden, ob der 22. Senat wie ursprünglich immer noch oder - wie die Klägerin meint - wieder für ihr Verfahren zuständig war oder ob - wie der Präsident des LSG in seiner Stellungnahme meint - der 31. Senat zuständig war.
Angesichts dessen kann eine Entscheidung über die von der Klägerin außerdem erhobenen Rügen dahingestellt bleiben.
Der Senat hat von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Aufgrund der oben aufgezeigten Unklarheiten im Geschäftsverteilungsplan des Jahres 2008 wird das LSG insbesondere zu prüfen haben, welcher Senat nach seinem jetzigen Geschäftsverteilungsplan für die Entscheidung des Verfahrens nun zuständig ist.
Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen