Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. grundsätzliche Bedeutung. Klärungsbedürftigkeit. Grundsicherung für Arbeitsuchende. wiederholte Berücksichtigung von Vermögen
Orientierungssatz
1. Auch wenn höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer wiederholten Berücksichtigung von Vermögen im Rahmen des § 12 SGB 2 nicht vorliegt, so ist die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht gegeben, weil sich die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelsfrei aus dem in der amtlichen Begründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, der Rechtslage bei der früheren Arbeitslosenhilfe sowie dem Regelungszusammenhang des Gesetzes ergibt.
2. Nach dem Willen des Gesetzgebers folgt die Berücksichtigung von Vermögen nach § 12 SGB 2 im Wesentlichen dem bisherigen Recht der Arbeitslosenhilfe. Mit dem Inkrafttreten der AlhiV 2002 am 1.1.2002 ist die Grundlage für die Rechtsprechung des BSG, dass vorhandenes Vermögen nur einmalig entsprechend der Berechnungsvorgaben des § 9 AlhiV berücksichtigt werden könne, entfallen. An diese Rechtslage hat § 12 SGB 2 angeknüpft. Weder das SGB 2 noch die AlgIIV enthalten eine Vorschrift, die der wiederholten Berücksichtigung von Vermögen entgegenstehen. Der in § 3 Abs 1 und 3 sowie § 9 Abs 1 SGB 2 statuierte Grundsatz der Subsidiarität spricht vielmehr dafür, dass tatsächlich vorhandenes Vermögen bis zu den in § 12 SGB 2 vorgegebenen Grenzen zu berücksichtigen ist.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB 2 § 3 Abs. 1, 3, § 9 Abs. 1; SGB 2 § 12 Abs. 1; AlgIIV; AlhiV § 9; AlhiV; AlhiV 2002
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 1. Januar 2005. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 8. November 2007 seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 12. Juli 2006 zurückgewiesen. Dem Kläger stehe kein Arbeitslosengeld II zu, weil er nicht hilfebedürftig sei. Er könne seinen Lebensunterhalt aus zu berücksichtigendem Vermögen sichern. In Form von Eigentum an 38.049 Quadratmetern Acker- und Grünland verfüge er über ein zu berücksichtigendes und zumutbar durch Verkauf verwertbares Vermögen von über 90.000 Euro. Die Berücksichtigung dieses Vermögens sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil es bereits im Rahmen der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe in den Jahren 2001 und 2002 berücksichtigt worden sei. Gründe für die Zulassung der Revision hat das LSG nicht gesehen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) eingelegt und als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) geltend gemacht. Die Rechtsfrage, ob es zulässig sei, dass Vermögen, das bereits in der Vergangenheit durch Prozessvergleich bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit berücksichtigt und damit verwertet worden sei, erneut nach Maßgabe des § 90 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) eingesetzt werden müsse, sei von allgemeiner Bedeutung. Diese Frage habe unmittelbare Auswirkung auf die Anwendung des § 90 SGB XII iVm § 9 SGB II durch sämtliche Sozialhilfeträger bundesweit. Es stelle sich die Frage, ob eine Doppelverwertung bereits berücksichtigten Vermögens erfolgen dürfe. Eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu fehle. Das Bundesverfassungsgericht habe sich verschiedentlich zum Verbot der Doppelverwertung von Vermögen geäußert. Die entschiedenen Fallkonstellationen träfen jedoch den vorliegenden Fall nicht.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Der Senat legt die vom Kläger formulierte Rechtsfrage über ihren Wortlaut sinngemäß dahin aus, dass die Berücksichtigung von Vermögen nach § 12 SGB II in Frage gestellt wird, wenn dieses Vermögen bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe berücksichtigt worden ist. Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig.
Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben, wenn die Antwort auf eine Rechtsfrage so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder praktisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4; Beschluss vom 30. März 2005 - B 4 RA 257/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 7). Zwar liegt eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer wiederholten Berücksichtigung von Vermögen im Rahmen des § 12 SGB II nicht vor. Die Beantwortung der Rechtsfrage ergibt sich jedoch zweifelsfrei aus dem in der amtlichen Begründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, der Rechtslage bei der früheren Arbeitslosenhilfe sowie dem Regelungszusammenhang des Gesetzes.
Nach dem Willen des Gesetzgebers folgt die Berücksichtigung von Vermögen nach § 12 SGB II im Wesentlichen dem bisherigen Recht der Arbeitslosenhilfe (vgl BT-Drucks 15/1516 S 53). Die Rechtsprechung des BSG zum Recht der Arbeitslosenhilfe folgerte aus § 9 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) vom 7. August 1974 (BGBl I 1929), dass der Arbeitslose im Rahmen der Arbeitslosenhilfe nur einmal auf das gleiche Vermögen verwiesen werden könne (SozR 4100 § 138 Nr 25 S 135; SozR 3-4100 § 137 Nr 12 S 86; SozR 3-4300 § 193 Nr 2 S 4). § 9 AlhiV bestimmte, dass Bedürftigkeit nicht für die Zeit voller Wochen bestehe, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergebe, nach dem sich die Arbeitslosenhilfe richte. Diese Vorschrift war in der ab dem 1. Januar 2002 geltenden AlhiV (BGBl I 2001, 3734) nicht mehr enthalten. Die Grundlage für die Rechtsprechung des BSG, dass vorhandenes Vermögen nur einmalig entsprechend der Berechnungsvorgaben des § 9 AlhiV berücksichtigt werden könne, war damit entfallen. Für die Arbeitslosenhilfe ergab sich daraus, dass keine Zurechnung des Vermögens mehr auf einen fiktiven Verbrauchszeitraum erfolgte, Bedürftigkeit vielmehr solange ausgeschlossen war, wie Vermögen vorhanden war (vgl Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts 2003, § 13 RdNr 189). An diese Rechtslage hat § 12 SGB II angeknüpft. Weder das SGB II noch die Verordnung nach § 13 SGB II enthalten eine Vorschrift, die der wiederholten Berücksichtigung von Vermögen entgegenstehen. Der in § 3 Abs 1 und 3 sowie § 9 Abs 1 SGB II statuierte Grundsatz der Subsidiarität spricht vielmehr dafür, dass tatsächlich vorhandenes Vermögen bis zu den in § 12 SGB II vorgegebenen Grenzen zu berücksichtigen ist. Das entspricht auch der einhelligen Meinung in der Kommentarliteratur zu § 12 SGB II (vgl Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 12 RdNr 5; Hänlein in Gagel, SGB III/SGB II, Stand Januar 2008, § 12 SGB II RdNr 103; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Juni 2008, § 12 RdNr 307; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 12 RdNr 34; Radüge in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 12 RdNr 167).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen