Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. rechtliches Gehör. Sachaufklärungspflicht. besondere Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Der Sinn der bei der Rüge einer Verletzung des § 103 SGG zu beachtenden besonderen Darlegungsanforderungen ist, dass - ohne gesonderte Ermittlung - auch für das Rechtsmittelgericht klar ist, welche Anträge nach dem Ergebnis des Sach- und Streitstandes und der Auffassung eines Beteiligten beim Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht noch zu behandeln (gewesen) sind (vgl BSG vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 = SozR 3-1500 § 160 Nr 9, vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B = SozR 4-1500 § 160 Nr 13 und vom 25.9.2007 - B 13 R 377/07 B = juris RdNr 6).
2. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge präsentiert wird (vgl BSG vom 28.9.2010 - B 5 R 202/10 B).
3. Im Rahmen einer Gehörsrüge sind Darlegungen erforderlich, dass der Beschwerdeführer alles getan hat, um sich mit seiner Forderung nach weiterer Sachaufklärung in der Tatsacheninstanz Gehör zu verschaffen (vgl BSG vom 19.3.1991 - 2 RU 33/90 = BSGE 68, 205 = SozR 3 2200 § 667 Nr 1 sowie BVerfG vom 10.2.1987 - 2 BvR 314/86 = BVerfGE 74, 220 und vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 = juris RdNr 28ff). Mithin muss er bei einer auf unterlassene Sachaufklärung gestützten Gehörsrüge ebenfalls aufzeigen, dass er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu Protokoll aufrechterhalten hat bzw dass ein solcher im Urteil des LSG wiedergegeben ist (vgl BSG vom 8.7.2010 - B 13 R 475/09 B).
4. § 62 SGG verlangt nicht, dass der Beteiligte selbst gehört wird, wenn er sich durch seinen Prozessbevollmächtigten Gehör verschaffen kann (vgl BSG vom 14.11.2005 - B 13 RJ 245/05 B = juris RdNr 8).
Normenkette
SGG §§ 62, 103, 111 Abs. 1, § 118 Abs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 141
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 21.02.2006; Aktenzeichen S 26 R 516/05) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 25.01.2011; Aktenzeichen L 6 R 645/06) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Januar 2011 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., , zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit Urteil vom 25.1.2011 hat das LSG Berlin-Brandenburg nach dem Vortrag des Klägers einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung aus versicherungsrechtlichen Gründen verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und zu deren Durchführung Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., , beantragt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel.
II. Der PKH-Antrag ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). Denn die Nichtzulassungsbeschwerde erfüllt bereits nicht die insoweit geltenden formellen Voraussetzungen. Da dem Kläger PKH nicht zu gewähren ist, hat er auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 17.5.2011 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wer die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, muss in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnen. Zudem müssen die tatsächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dargetan und darüber hinaus muss dargestellt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG vom 19.11.2007 - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4). Dabei ist zu beachten, dass gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er rügt einen Verstoß gegen § 103 SGG und § 62 SGG. Zwar führe das LSG im angefochtenen Urteil aus, dass es "umfangreich ermittelt" habe. Dies sei jedoch unzutreffend. Vielmehr seien "erhebliche Lücken in der Ermittlung" vorhanden. Er sei vom LSG nicht zu einem konkreten Vortrag "hinsichtlich der Wartezeit bzw Beitragszeiten" aufgefordert worden, obwohl er dort mehrmals angerufen habe, um möglichen Ermittlungen Vorschub zu leisten und ggf Beweisanträge stellen zu können. Sein zuvor tätiger Rechtsanwalt habe ihn auch nicht von dem Termin zur mündlichen Verhandlung benachrichtigt. Sein persönliches Erscheinen habe das LSG nicht angeordnet.
Dieses Vorbringen erfüllt die gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG bei der Rüge einer Verletzung des § 103 SGG zu beachtenden besonderen Darlegungsanforderungen nicht. Insoweit muss nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Beschwerdebegründung (1) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr, vgl zB BSG vom 29.3.2007 - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11; BSG vom 19.11.2007 - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG vom 14.4.2009 - SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr 8). Entsprechende Ausführungen des Klägers fehlen. Ein - wie hier - in der Vorinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter kann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift wiederholt hat oder dieser im Urteil des LSG erwähnt wird (stRspr, zB BSG vom 29.3.2007 aaO mwN). Der Sinn dieser Anforderungen ist, dass - ohne gesonderte Ermittlung - auch für das Rechtsmittelgericht klar ist, welche Anträge nach dem Ergebnis des Sach- und Streitstandes und der Auffassung eines Beteiligten beim Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht noch zu behandeln (gewesen) sind (vgl BSG vom 24.5.1993 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; BSG vom 29.3.2007 aaO; Senatsbeschluss vom 25.9.2007 - B 13 R 377/07 B - Juris RdNr 6). Diesen Anforderungen wird der Beschwerdevortrag nicht gerecht. Der Kläger hat weder behauptet, einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 25.1.2011 durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten aufrechterhalten zu haben, noch hat er dargelegt, dass ein solcher im angefochtenen Urteil Erwähnung gefunden hätte.
Die Rüge des Klägers ist auch nicht geeignet, eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) ordnungsgemäß zu bezeichnen. Zum einen können die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge präsentiert wird (BSG vom 28.9.2010 - B 5 R 202/10 B - BeckRS 2010, 74248 RdNr 11 mwN). Zum anderen sind im Rahmen einer Gehörsrüge Darlegungen erforderlich, dass der Beschwerdeführer alles getan hat, um sich mit seiner Forderung nach weiterer Sachaufklärung in der Tatsacheninstanz Gehör zu verschaffen (vgl zB BSG vom 19.3.1991 - BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6; s auch BVerfGE 74, 220, 225 sowie BVerfG ≪Kammer≫ vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - Juris RdNr 28 ff). Mithin muss er bei einer auf unterlassene Sachaufklärung gestützten Gehörsrüge ebenfalls aufzeigen, dass er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu Protokoll aufrechterhalten hat bzw dass ein solcher im Urteil des LSG wiedergegeben ist (Senatsbeschluss vom 8.7.2010 - B 13 R 475/09 B - BeckRS 2010, 71417 RdNr 17 mwN). Daran fehlt es hier. Im Übrigen verlangt § 62 SGG nicht, dass der Beteiligte selbst gehört wird, wenn er sich durch seinen Prozessbevollmächtigten Gehör verschaffen kann (Senatsbeschluss vom 14.11.2005 - B 13 RJ 245/05 B - Juris RdNr 8; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 62 RdNr 6f). Weshalb dem Kläger dies durch seinen seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten nicht möglich gewesen sein soll, zeigt er nicht auf.
Auch hat er nicht dargelegt, dass die fehlende Anordnung seines persönlichen Erscheinens, die nach § 111 Abs 1 SGG im Ermessen des Vorsitzenden steht und der Sachaufklärung oder der Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten dient, nicht aber die Funktion hat, das rechtliche Gehör der Betroffenen sicherzustellen (BSG vom 31.1.2008 - B 2 U 311/07 B - Juris RdNr 4 mwN), ausnahmsweise ermessensfehlerhaft gewesen sein soll. Der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist bereits nicht zu entnehmen, dass das Vorbringen des Klägers zu seiner "sozialversicherungspflichtige(n) Erwerbsbiografie" gerade seine persönliche Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.1.2011 erforderlich gemacht hätte und weshalb der Vortrag nicht auch durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten hätte erfolgen können.
Die Bitte des Klägers um einen richterlichen Hinweis für den Fall, dass "weiterer Vortrag notwendig sein" sollte, kann nicht dazu führen, dass von einer Entscheidung über die nicht formgerecht begründete Beschwerde zunächst abzusehen wäre. Denn es besteht keine Verpflichtung des Senats, den anwaltlich vertretenen Kläger vor einer Entscheidung über seine Beschwerde auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang des § 73 Abs 4 SGG. § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (BSG vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 7).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen einer Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen