Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegungsanforderungen. Divergenz. abstrakter Rechtssatz. unterschiedliche Gesichtspunkte. grundsätzliche Bedeutung. vorhandene Rechtsprechung. verbleibende Klärungsbedürftigkeit. Schwerbehinderteneigenschaft bei Wohnsitz im Ausland
Orientierungssatz
1. Beziehen sich die zur Geltendmachung einer Divergenz herangezogenen Aussagen des BSG und des LSG auf unterschiedliche Gesichtspunkte (hier bei der Beurteilung der Voraussetzungen einer Schwerbehinderteneigenschaft), sind im Rahmen der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nähere Ausführungen dazu erforderlich, worin eine Abweichung der Rechtssätze zu sehen sein soll.
2. Macht der Beschwerdeführer mit einer Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache geltend, muss er sich inhaltlich mit der vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzen, um einen noch verbleibenden Klärungsbedarf (hier im Hinblick auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft von im Ausland wohnenden Bundesbürgern) darzulegen.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nrn. 1-2; SGB 9 § 2 Abs. 2; SGB 9 § 69 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 13. November 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 13.11.2012 hat das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der aufgrund ihrer Wohnsitznahme in Frankreich getroffenen Feststellung, dass sie kein schwerbehinderter Mensch im Sinne des SGB IX sei, verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie mit einer grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) begründet.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.
Zur formgerechten Rüge einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss schlüssig darlegen, mit welchem genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil des LSG von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54). Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Ebenso wenig genügt es, die Unrichtigkeit der Entscheidung betreffend den Einzelfall darzutun. Entscheidend ist vielmehr die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen, in der abstrakten Aussage (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 196 mwN). Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29). Diesen Begründungserfordernissen hat die Klägerin nicht genügend Rechnung getragen.
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Zwar entnimmt die Klägerin dem Urteil des LSG den abstrakten Rechtssatz: |
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"Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen im Sinne des Teils 2 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben." |
Ferner behauptet sie eine Abweichung dieses Rechtssatzes des LSG von dem Urteil des BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R -, dessen Leitsatz laute: |
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"Bei behinderten Menschen mit Auslandswohnsitz ist auf Antrag der GdB festzustellen, wenn davon in Deutschland Vergünstigungen abhängen, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen." |
Auch liege eine Abweichung des LSG von dem Urteil des BSG ebenfalls vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/06 R - vor, dessen Leitsatz laute: |
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"Zieht ein behinderter Mensch ins Ausland, so darf der seinen GdB feststellende Verwaltungsakt nur aufgehoben werden, wenn davon keine in Deutschland konkret erreichbaren Vergünstigungen abhängen." |
Aus dieser Gegenüberstellung zieht die Klägerin sinngemäß den Schluss, das LSG hätte ihren Anspruch auf Nichtaufhebung der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund des bei ihr bestehenden GdB von 100 bejahen müssen. Dabei hat die Klägerin allerdings nicht hinreichend dargelegt, worin eine Abweichung des Rechtssatzes des LSG gegenüber den (vermeintlichen) Rechtssätzen des BSG zu sehen sein soll. Nähere Ausführungen dazu wären insofern erforderlich gewesen, als sich die von der Klägerin herangezogenen Aussagen des BSG und des LSG auf unterschiedliche Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beziehen. Insgesamt hätte die Klägerin eingehend darstellen müssen, warum und wie die von ihr genannte Rechtsprechung des BSG, die ausschließlich zum Anspruch auf Feststellung eines GdB ergangen ist, Auswirkungen auf ihren Anspruch auf Aufrechterhaltung der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (zur Unterscheidung s BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2) habe.
Die Klägerin hat auch nicht behauptet, dass sich das LSG ausdrücklich von der Rechtsprechung des BSG distanziert habe. Sie ist insbesondere nicht darauf eingegangen, dass sich das LSG bei seiner Entscheidung auf die dort benannte Rechtsprechung des BSG mit Urteil vom 5.7.2007 (B 9/9a SB 2/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 5) gestützt hat. Schließlich hat die Klägerin auch nicht dargelegt, dass die Entscheidung des LSG auf der gerügten vermeintlichen Divergenz beruhe. Im Grunde macht die Klägerin nur geltend, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG nicht genügend berücksichtigt oder im Einzelfall falsch angewendet. Ein solcher Umstand stellt jedoch, auch wenn er vorläge, keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dar (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Es ist nicht zulässiger Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde, ob das LSG richtig entschieden hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin folgendes aufzeigen: (1) Eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
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Die Klägerin hält es für Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, |
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1. |
ob einem Bundesbürger bei einem bestehenden Grad der Behinderung eine Dokumentation der Schwerbehinderung oder die Verlängerung des Schwerbehindertenausweises wegen fehlenden Inlandsbezugs verweigert werden kann, |
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2. |
ob es der Grundsatz der Gleichbehandlung und der Einheit der Rechtsordnung erfordert, dass Bundesbürger, die sich in Ländern der Europäischen Union aufhalten, eine Feststellung iS von § 4 SchwbG bzw § 69 SGB IX beanspruchen können, ohne zusätzlich ein "besonderes Interesse", bzw "konkrete, inländische Rechtsvorteile" nachweisen zu müssen, |
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3. |
ob die Voraussetzungen für die Erteilung, Ausstellung oder Verlängerung eines Schwerbehindertenausweises für im Ausland wohnende behinderte deutsche Staatsbürger höher angesetzt werden dürfen als für inländische Behinderte und |
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4. |
ob durch die Beantragung oder den Antrag auf Verlängerung eines Schwerbehindertenausweises das Interesse an Vergünstigungen in Deutschland, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen, dokumentiert werden kann. |
Die Klägerin hat die Klärungsbedürftigkeit dieser von ihr aufgeworfenen vermeintlichen Rechtsfragen nach den rechtlichen Kriterien für den Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Ausland wohnender Bundesbürger nicht dargetan (zB zur Auslegung der § 2 Abs 2, § 69 Abs 5 SGB IX). Eine Klärungsbedürftigkeit ist ua dann nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65) oder wenn sich für die Antwort in höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte finden lassen (vgl BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Die Klägerin hätte daher die Klärungsbedürftigkeit der von ihr angesprochenen Fragestellungen unter Einbeziehung der vorhandenen Rechtsprechung des BSG näher begründen müssen. Insoweit hätte sie sich insbesondere mit der zur Divergenz aufgeführten Rechtsprechung des BSG zur GdB-Feststellung bei im Ausland wohnenden behinderten Menschen sowie mit der Rechtsprechung zum Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (vgl hierzu Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2) inhaltlich auseinandersetzen müssen, um einen noch verbleibenden höchstrichterlichen Klärungsbedarf darzulegen. Entsprechend verhält es sich, soweit die Klägerin der Ansicht ist, die gesetzliche Regelung im SGB IX verstoße gegen europarechtliche Vorschriften.
Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen