Eigenanteil ÖPNV von Heimbewohnern

Das Bundessozialgericht hat jüngst geurteilt, dass alle schwerbehinderten und bedürftigen Heimbewohner mit Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im ÖPNV von der Erbringung des Eigenanteils aktuell i.H.v. 91 Euro pro Jahr befreit sind. 

Rente und Heimkosten

Die Durchschnittsrente liegt bundesweit bei 1.604 Euro. Ausreichend für den Lebensunterhalt, (viel) zu wenig für die Einrichtungskosten im Heim (Bundesdurchschnitt: 2.871 Euro). 

Rechtliche Ausgangssituation

Gehbehinderte Menschen dürfen den ÖPNV unentgeltlichen nutzen, regelhaft allerdings nur, wenn sie sich daran mit einem Eigenanteil i.H.v. 91 Euro pro Jahr beteiligen. Ausnahme: Bedürftige, die Leistung zum Lebensunterhalt nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII beziehen, sind vom Eigenanteil befreit (§ 228 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX).

Der Fall

Die Klägerin wohnt im Pflegeheim und ist aufgrund ihrer Gehbehinderung zur unentgeltlichen Beförderung im ÖPNV berechtigt. Ihr Einkommen reichte für den Lebensunterhalt, die erheblichen Heimkosten zahlte der Sozialhilfeträger. Ihr Begehren auf Erstattung des erbrachten Eigenanteils haben sowohl der Träger als auch die Vorinstanzen abgewiesen. Die Klägerin sei nicht befreiungsberechtigt, weil sie nur die Einrichtungskosten und damit nur Hilfe zur Pflege (7. Kapitel des SGB XII) beziehe.

Die Konsequenz

Bedürftige Heimbewohner ohne (nennenswertes) (Renten)Einkommen haben exakt 91 Euro pro Jahr mehr zur Verfügung als solche Heimbewohner, die sich eine den Lebensunterhalt deckende Rente erarbeitet haben.

Die vergessene Entscheidung des Gesetzgebers

Nachdem bedürftige Heimbewohner 1984 (Haushaltsbegleitgesetz) schon einmal bei der Befreiung vom Eigenanteil vergessen wurden, befreite der Gesetzgeber im Jahre 1985 bewusst und unterschiedslos bedürftige Heimbewohner von der Aufbringung des Eigenanteils. Damals erhielten bedürftige Heimbewohner (§ 27 Abs 3 BSHG) noch sog. Komplexleistungen. Eine Leistung, die sowohl Leistungen zum Lebensunterhalt als auch Hilfe in besonderen Lebenslagen umfasste. Diese Vermischung hob der Gesetzgeber (des Sozialhilferechts) im Zuge des Systemwechsels vom Bundessozialhilfegesetz hin zum Sozialhilferecht des SGB XII zum 1.1.2005 auf und trennte die Leistungen zum Lebensunterhalt (Kapitel 3 und 4 des SGB XII) und Hilfen in besonderen Lebenslagen (Kapitel 5 bis Kapitel 9 des SGB XII) auf. Leider übersah der Gesetzgeber (des Schwerbehindertenrechts) dies bei der Anpassung der Regelung über die Befreiung vom Eigenanteil, sodass Heimbewohner die lediglich Einrichtungskosten aus staatlichen Mitteln erhielten, aus der Befreiung fielen, während Heimbewohner ohne nennenswertes (Renten)Einkommen von der Aufbringung der 91 Euro befreit waren.

Die Korrektur

Diese Ungerechtigkeit hat das Bundessozialgericht jetzt mit Hinweis auf die 1985 getroffene und nie revidierte Entscheidung des Gesetzgebers korrigiert.

Hinweis: BSG, Urteil v. 19.9.2024, B 9 SB 2/23 R
 


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