Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. März 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zeit des automatischen Arrests des Klägers vom 11. Juli 1946 bis zum 26. Januar 1948 als Ersatzzeit gemäß § 1251 Abs. 1 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) rentensteigernd auf die dem Kläger gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anzurechnen ist.
Der Kläger, Volksdeutscher aus Jugoslawien, der weder der NSDAP noch einer ihrer Gliederungen angehört hat und im Oktober 1944 zur Waffen-SS eingezogen worden war, geriet bei Kriegsende in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Obschon ihm am 10. Juli 1946 ein Entlassungsschein ausgehändigt worden war, wurde er weiter als im automatischen Arrest befindlich im Lager festgehalten, ohne daß sich die äußeren Umstände änderten. Später kam er in das Internierungslager Nürnberg-Langwasser, aus dem er am 26. Januar 1948 entlassen wurde.
Die Beklagte lehnte es zunächst in einem Verfahren zur Wiederherstellung in Verlust geratener Versicherungsunterlagen ab, die genannte Zeit als Ersatzzeit anzurechnen (Bescheid vom 21. März 1968; Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1968); später berücksichtigte sie diese Zeit bei der Festsetzung der dem Kläger vom 1. Februar 1968 an gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht (Bescheid vom 23. September 1968). Vor dem Sozialgericht (SG) hatte der Kläger Erfolg (Urteil vom 27. November 1969). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die verbundenen Klagen gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Mai 1968 und den Bescheid der Beklagten vom 23. September 1968 abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 10. März 1971).
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Revision hält es für entscheidend, auf welcher Ursache ein automatischer Arrest beruht hat, um ihn als Internierung anzusehen. Wenn die Auffassung des LSG hierzu richtig wäre, wären die Angehörigen ganzer Luftwaffenverbände, die gegen Ende des Krieges automatisch in die Waffen-SS überführt und eingegliedert worden seien, zu „politischen Gefangenen” geworden. Kriterium für die Zugehörigkeit zu Verbänden der Waffen-SS könne daher nur die Freiwilligkeit sein. Wer „gezogen” oder automatisch „einverleibt” worden sei, könne nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen werden, wie ein Freiwilliger. Der Kläger sei von den amerikanischen Militärbehörden, wie dies auch sonst nicht selten vorgekommen sei, zu Unrecht in automatischen Arrest genommen worden. Er habe überhaupt nicht zu dem Kreis von politischen „Überzeugungstätern” gehört, der bis zu einer Stabilisierung der politischen Verhältnisse habe isoliert werden sollen. Aus dem Unrecht der amerikanischen Militärbehörden dürfe dem Kläger kein Nachteil erwachsen. Das habe offenbar auch das Bayerische Staatsministerium eingesehen; es habe den Kläger auch für die Zeit des automatischen Arrests als Kriegsgefangenen voll entschädigt.
Schon aus diesem Grunde, so meint die Revision, sollten die Vorschriften der Haager Landkriegsordnung und die ungeschriebenen Regeln des Völkerrechts gegenüber einem Tatbestand zurücktreten, dem – nach einem außerhalb jeder Norm stehenden Kriege – mit rechtlichen Überlegungen nicht beizukommen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 10. März 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 27. November 1969 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Die Zeit der Festhaltung des Klägers durch die Besatzungsmacht aus politischen Gründen in Bayern (automatischer Arrest) stellt keine Fortsetzung der amerikanischen Kriegsgefangenschaft dar und ist daher auch nicht als Zeit der Kriegsgefangenschaft Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO. In diesem Sinne hat der Senat bereits mehrfach entschieden (SozR Nr. 47 zu § 1251; Urteil vom 20. Oktober 1971 – 12/11 RA 168/70 –). An dieser Rechtsprechung wird nach nochmaliger Prüfung festgehalten.
Die Zeit des automatischen Arrests ist auch keine Internierungszeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 2 RVO. Eine Internierungszeit ist nur dann eine anrechenbare Ersatzzeit, wenn der Versicherte Heimkehrer i. S. des § 1 des Heimkehrergesetzes (HKG) ist, was einen Zusammenhang zwischen der Internierung und der Heimkehrereigenschaft voraussetzen würde. Der Versicherte hätte dann außerhalb des Bundesgebiets und des Landes Berlin interniert gewesen sein müssen. Nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG ist der Kläger jedoch innerhalb der Bundesrepublik in mehreren Lagern festgehalten worden. Damit scheidet auch die Möglichkeit der Berücksichtigung als Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 2 RVO aus. In diesem Sinne hat der Senat in der erstgenannten Entscheidung die Berufung auf eine Internierung als Ersatzzeitgeschehen nach § 1251 Abs. 1 Nr. 2 RVO abgelehnt. Es besteht kein Anlaß, davon abzugehen.
Der automatische Arrest von Personen, die vorher in Kriegsgefangenschaft waren und aus ihr mit formellem Entlassungsschein entlassen worden sind, ist im bestehenden Ersatzzeitenrecht kein Ersatzzeitentatbestand. Eine solche Zeit könnte als Ersatzzeitgeschehen im Wege der Analogie berücksichtigt werden, wenn die Regelung des § 1251 Abs. 1 RVO über die Ersatzzeitentatbestände nur lückenhaft getroffen wäre. Es ist aber nicht möglich, hier eine Gesetzeslücke anzunehmen. Dem Gesetzgeber waren die Geschehnisse, die mit der Verhängung des automatischen Arrests verbunden waren, bekannt. Gleichwohl hat er keinen Ersatzzeitentatbestand für den automatischen Arrest geschaffen. Bei dieser Sachlage verbietet sich daher eine Analogie zu den Regelungen der Nr. 1 oder Nr. 2 des § 1251 Abs. 1 RVO. Eine Lückenfüllung kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil seit der Schaffung der Ersatzzeitregelung des § 1251 Abs. 1 RVO das Rentenrecht mehrfach, vor allen Dingen zugunsten der Versicherten, geändert worden ist, in diesen Änderungen gleichwohl aber ein weiterer Ersatzzeittatbestand, der auf den vorliegenden Fall zutreffen würde, nicht geregelt ist (vgl. dazu auch das Urteil vom 20. Oktober 1971 – 12/11 RA 168/70 –).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Dr. Haug, Geyser, Dr. Friederichs
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.01.1972 durch Giesler Reg.Obersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen