Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfeanspruch. Verlängerung der Erlöschensfrist. kein Verzicht auf Sozialleistungen. Bezug von Anschlussübergangsgeld
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitslose kann einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch dann nicht durch einen Verzicht auf andere Sozialleistungsansprüche begründen, wenn diese Leistungen nur für einen relativ kurzen Zeitraum gewährt werden.
Normenkette
SGB III § 194 Abs. 2 Fassung: 1997-12-16, § 196 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1999-12-22, S. 2 Fassung: 1999-12-22, § 198 S. 2 Nr. 6 Fassung: 1999-12-22, § 142 Abs. 1 Nr. 2, § 417 Fassung: 1999-07-21; SGB I § 46 Abs. 2; SGB VI § 25 Abs. 3 Nr. 3 Fassung: 2000-12-20; SGB IX § 51 Abs. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. April 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 13. Januar 2000.
Die Klägerin bezog nach einer Ausbildung zur Gärtnerin und einer entsprechenden Tätigkeit Arbeitslosengeld vom 2. Januar bis 30. Oktober 1995. Im Anschluss daran erhielt sie Alhi bis 26. Februar 1997 (iH von zuletzt 39,10 DM täglich).
Am 27. Februar 1997 begann sie eine Umschulung zur Steuerfachgehilfin mit einem Rehabilitationsvorbereitungslehrgang, der bis 28. Mai 1997 dauerte. Danach schloss sich eine berufstheoretische Grundausbildung bis 27. August 1997 an, der eine innerbetriebliche Umschulung bis 27. August 1999 folgen sollte. Die Klägerin erlernte dann jedoch vom 1. Februar 1998 bis 12. Januar 2000 den Beruf der Bürokauffrau. Die zuständige Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA) zahlte ihr während der gesamten beruflichen Rehabilitation (27. Februar 1997 bis 12. Januar 2000) Übergangsgeld (Übg) und vom 13. Januar bis 12. April 2000 Anschluss-Übg (dieses iH von 43,49 DM täglich; Bescheid vom 16. März 2000).
Die Klägerin meldete sich am 9. Dezember 1999 zum 13. Januar 2000 arbeitslos. Die Beklagte lehnte die Wiederbewilligung von Anschluss-Alhi ab, weil die Klägerin nicht innerhalb von drei Jahren vor dem Tag, an dem die Voraussetzungen von Alhi erstmals vorliegen würden (nach Bezug des Übg), Alhi bezogen habe (Bescheid vom 11. Mai 2000; Widerspruchsbescheid vom 27. September 2000).
Während das Sozialgericht (SG) die Beklagte zur Zahlung von Alhi ab 13. Januar 2000 verurteilt hat (Urteil vom 4. Dezember 2001), hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. April 2004). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, für die Zeit vom 13. Januar bis 12. April 2000 sei Alhi schon deshalb nicht zu zahlen, weil der Anspruch gemäß §§ 198 Satz 2 Nr 6, 142 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) ruhe. Über diese Rechtsfolge helfe auch der von der Klägerin angeführte sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht hinweg. Es könne deshalb dahinstehen, ob die Beklagte die Klägerin im Dezember 1999 dahin falsch beraten habe, sie solle Anschluss-Übg bei der LVA beantragen. Auch ab 13. April 2000 bestehe kein Anspruch auf Alhi. Nach § 196 Satz 1 Nr 2 SGB III erlösche ein Alhi-Anspruch ein Jahr nach dem letzten Bezug. Zwar verlängere sich dieses Jahr um Zeiten des Übg-Bezugs, längstens jedoch um zwei Jahre. Innerhalb dieser drei Jahre – rückwirkend ab 13. April 2000 – habe die Klägerin ebenfalls kein Alhi bezogen. § 417 SGB III idF des 2. SGB III-Änderungsgesetzes, der in bestimmten Fällen bei beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen hiervon eine Ausnahme mache, sei nicht einschlägig.
Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen § 142 Abs 1 Nr 2 SGB III. Diese Vorschrift, die das Ruhen des Leistungsanspruchs bei Bezug von Übg anordne, greife nur bei rechtmäßigem Bezug der Leistung ein. Sie (die Klägerin) habe jedoch zu Unrecht Übg erhalten, weil ihr ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zur Seite stehe. Sie sei im Dezember 1999 von der Beklagten falsch beraten worden, als diese ihr angeraten habe, Anschluss-Übg zu beantragen. Ohne die Übg-Zahlung hätte sie ab 13. Januar 2000 Alhi erhalten müssen. Die Beklagte hätte darauf hinweisen müssen, dass die Dreijahresfrist nach ihrer Meinung am 26. Februar 2000 auslaufe. Dann hätte sie (die Klägerin) auf den Antrag auf Gewährung von Übg verzichtet. Ohnedies gelte die besagte Dreijahresfrist für die Wiederbewilligung von Alhi nicht, weil der Rechtsgedanke des § 417 aF SGB III heranzuziehen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf Gründe des LSG-Urteils.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alhi.
Vorliegend geht es nicht darum, ob die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi ab 13. Januar 2000 erstmals erfüllt. Vielmehr hat die Klägerin alle Voraussetzungen für die Entstehung des Stammrechts (vgl hierzu Spellbrink in Eicher/Schlegel, SGB III, § 127 RdNr 26, Stand November 2004) und eines Zahlungsanspruchs am 1. November 1995 erfüllt; für die Zeit ab 13. Januar 2000 ist lediglich noch die Wiederbewilligung dieser Anschluss-Alhi im Sinne eines Zahlungsanspruchs im Streit. Weder hat die Klägerin einen neuen Anschluss-Alhi-Anspruch noch einen originären Alhi-Anspruch (vgl § 191 Abs 1 Nr 2 und Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB III in der vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung iVm § 434b SGB III idF des 3. SGB III-Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 – BGBl I 2624; zur Verfassungsmäßigkeit des § 434b SGB III siehe BSG SozR 4-4300 § 434b Nr 1).
Für die Zeit vom 13. Januar 2000 bis 12. April 2000 scheitert der Anspruch der Klägerin jedoch daran, dass der Zahlungsanspruch gemäß § 198 Satz 2 Nr 6 SGB III (idF, die die Norm durch das 3. SGB III-Änderungsgesetz erhalten hat) iVm § 142 Abs 1 Nr 2 SGB III (idF, die die Norm durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 – BGBl I 3843 – erhalten hat) wegen des Bezugs von Übg ruhte. Die Beklagte ist im Rahmen der Anwendung des § 142 SGB III nicht berechtigt, die Verwaltungsentscheidung des anderen Versicherungsträgers über die Bewilligung der Leistung auf ihre materielle Richtigkeit zu überprüfen; vielmehr kommt der Entscheidung des anderen Leistungsträgers Tatbestandswirkung zu (BSGE 70, 51, 54 = SozR 3-4100 § 118 Nr 3; s auch Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 12 RdNr 97 ff). Solange der Bescheid mithin nicht aufgehoben ist, ist er von der Beklagten zu beachten. Auf die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids kommt es nicht an. Abgesehen davon, würde – entgegen der Ansicht der Klägerin – ein gegen die Beklagte bestehender sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht zur Rechtswidrigkeit des Übg-Bezugs führen.
Die Klägerin kann sich ohnedies nicht wegen einer behaupteten Falschberatung auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen; sie ist nicht falsch beraten worden. Selbst wenn die Beklagte darauf hingewiesen hätte, dass der frühere Alhi-Anspruch erlischt, wenn der Zahlungsanspruch nicht binnen drei Jahren nach dem letzten Bezug wieder entsteht, und die Klägerin im Hinblick hierauf von der Beantragung des Anschluss-Übg bei der LVA abgesehen hätte, würde dies nichts daran ändern, dass ihr für die fragliche Zeit gleichwohl kein Anspruch auf Alhi zugestanden hätte. Zwar hätte der Anspruch auf Alhi dann nicht geruht; doch wäre die Klägerin in diesem Fall nicht bedürftig iS des § 190 Abs 1 Nr 5 SGB III (idF, die die Norm durch das 3. SGB III-Änderungsgesetz erhalten hat) gewesen.
Denn bedürftig ist ein Arbeitsloser nicht, wenn er seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi erreicht (§ 193 Abs 1 SGB III idF des 1. SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 – BGBl I 2970). Nach § 194 Abs 2 SGB III (idF des 1. SGB III-Änderungsgesetzes) sind Einkommen iS der Vorschriften über die Alhi alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können. Insoweit zählen bereits Ansprüche zum Einkommen, soweit ihre Berücksichtigung nicht ausdrücklich im SGB III oder der Alhi-Verordnung ausgeschlossen ist. Letzteres ist für das Übg nicht der Fall.
Die Arbeitslosmeldung der Klägerin nach dem Abschluss der Umschulungsmaßnahme, die für die Wiederbewilligung der Alhi erforderlich war, begründete nach § 25 Abs 3 Nr 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) in der bis 30. Juni 2001 geltenden Fassung (seit 1. Juli 2001 § 51 Abs 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) zugleich für drei Monate im Anschluss an die abgeschlossene berufsfördernde Leistung auch ohne Antragstellung einen Anspruch auf Anschluss-Übg, der höher war als der Alhi-Anspruch. Die Gewährung der Leistung stand nicht im Ermessen der LVA, und der Antrag auf Anschluss-Übg ist nicht Anspruchsvoraussetzung, sondern nur Verfahrensvoraussetzung (§§ 115, 116 SGB VI). Die Beklagte hätte Alhi nicht gemäß § 203 SGB III (hier idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997 – BGBl I 594) iS der Gleichwohlgewährung erbringen dürfen, weil die Anwendung dieser Norm voraussetzt, dass der Alhi-Empfänger die andere Leistung, auf die er einen Anspruch hat, zumindest geltend gemacht hat (BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 7a/7 AL 10/04 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ob unter diesen Umständen eine Nichtbeantragung bereits als Verzicht gemäß § 46 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zu werten wäre, kann dahinstehen. Ein Verzicht auf das Übg wäre nach der ausdrücklichen Regelung in § 46 SGB I ohnedies nicht möglich, weil dadurch ein anderer Leistungsträger, die Beklagte, belastet würde (§ 46 Abs 2 SGB I). Die Klägerin hat nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 194 Abs 2 SGB III kein Dispositionsrecht, bestehende Ansprüche gegen Dritte überhaupt nicht geltend zu machen, um einen Alhi-Anspruch zu erwerben.
Abgesehen davon würde die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Alhi für die Zeit vom 13. Januar bis 12. April 2000 voraussetzen, dass die Klägerin bereit ist, das ihr gezahlte Anschluss-Übg zurückzuzahlen. Denn mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann sie nicht besser gestellt werden, als sie stehen würde, wenn alles “ordnungsgemäß” gelaufen wäre.
Für die Zeit ab 13. April 2000 steht der Klägerin Alhi ebenfalls nicht zu; zu diesem Zeitpunkt war ihr Alhi-Anspruch bereits nach § 196 Satz 1 Nr 2 iVm Satz 2 SGB III (idF, die die Norm durch das 3. SGB III-Änderungsgesetz erhalten hat) erloschen. Seit dem letzten Bezug von Alhi sind mehr als drei Jahre vergangen. Drei Jahre sind jedoch die äußerste in § 196 SGB III vorgesehen Grenze (vgl zu einem Überschreiten der Erlöschensfrist wegen Bezugs von Unterhaltsgeld ≪Uhg≫ BSG SozR 4100 § 135 Nr 3), die hier auch nicht über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs überwunden werden kann (vgl zu dieser Möglichkeit BSG, Urteil vom 19. Januar 2005 – B 11a/11 AL 41/04 R – unter Hinweis auf BSGE 62, 179, 182 = SozR 4100 § 125 Nr 3), weil die Beklagte, wie dargelegt, nicht fehlerhaft beraten hat.
Mit Ablauf der drei Jahre ist somit die gesamte Anspruchsberechtigung erloschen, und zwar ohne Rücksicht auf den Grund für den Nichtbezug von Alhi. Der Senat hat zu der Vorgängerregelung des § 135 Arbeitsförderungsgesetz (BSG SozR 4100 § 135 Nr 3 S 6) und der vergleichbaren Regelung des § 147 SGB III (BSG SozR 4-4300 § 147 Nr 1) mehrfach entschieden, dass hiergegen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Soweit die Klägerin auf § 417 SGB III (idF des 2. SGB III-Änderungsgesetzes vom 21. Juli 1999 – BGBl I 1648) verweist, ist diese Vorschrift nicht einschlägig. Danach entfällt die Beschränkung der Verlängerung der Erlöschensfrist des § 196 Satz 2 Nr 4 SGB III (betreffend die Zahlung von Uhg während einer Weiterbildungsmaßnahme) unter folgenden Voraussetzungen:
– wenn die Dauer einer Vollzeitmaßnahme der beruflichen Weiterbildung, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führt und gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung nicht um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit verkürzt ist und
– in bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen über die Dauer von Weiterbildungen eine längere Dauer vorgeschrieben ist und die Maßnahme bis zum 31. Dezember 2001 begonnen hat.
Die Vorschrift ist unmittelbar auf den Bezug von Übg nicht anwendbar. Eine entsprechende Anwendung hat das LSG zu Recht bereits deshalb abgelehnt, weil die Dauer der Umschulung der Klägerin nicht darauf zurückzuführen ist, dass in bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen eine verlängerte Ausbildungszeit vorgesehen ist, sondern darauf, dass die Klägerin während der Umschulung ihr Umschulungsziel geändert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NZS 2006, 219 |
SGb 2005, 403 |
SozR 4-4300 § 194, Nr. 8 |
info-also 2006, 82 |
info-also 2007, 190 |