Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der Kläger ist freiwilliges Mitglied der Beklagten mit Anspruch auf Familienhilfe. Am 4. Juli 1977 fuhr er mit seinem 1973 geborenen Sohn Harald in seinem Kraftfahrzeug von seinem Wohnort W… nach D… und zurück, um in einem Orthopädiefachgeschäft für das Kind ärztlich verordnete Einlagen anfertigen zu lassen. Bei der Beklagten beantragte er Erstattung der Fahrkosten in Höhe von 0,32 DM für jeden der insgesamt zurückgelegten 24 Kilometer. Die Beklagte lehnte den Antrag aufgrund des § 194 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.d.F. des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl. I 1069) ab, da die Fahrkosten nach den Beschlüssen ihres Vorstandes nur mit einer Pauschale von 0,15 DM je Kilometer erstattet würden, und hier insgesamt weniger als 3,50 M je Einzelfahrt betrügen. Mit seinen Rechtsbehelfen hatte der Kläger keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgewiesen und ausgeführt: Allerdings seien die Krankenkassen durch § 194 Abs. 1 Satz 3 RVO ermächtigt worden, Fahrkosten auch dann zu übernehmen, wenn sie nicht den Betrag von 3,50 DM überschreiten. Eine solche Regelung habe die Beklagte während der hier in Betracht kommenden Zeit indessen nicht erlassen. Zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsakte habe zwar noch § 12 Ziff. 8 Abs. 1 der vor Inkrafttreten des KVKG erlassenen Versicherungsbedingungen bestanden, nach denen die Beklagte die erforderlichen Fahrkosten übernahm. Mit dem am 12. November 1977 beschlossenen 42. Nachtrag seien die Versicherungsbedingungen aber rückwirkend zum 1. Juli 1977 an den neuen Wortlaut des Gesetzen angepaßt worden. Die Kosten für die Fahrt des Klägers nach D… und zurück hätten 3,50 DM nicht überstiegen. Für die Erstattung von Fahrkosten seien die Leistungsträger zur Festlegung von Pauschalen befugt. Einen geeigneten Vergleichsmaßstab liefere das Bundesreisekostengesetz (BRKG) i.d.F. vom 13. November 1973 (BGBl. I 1621). Danach würden als Auslagenersatz bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 600 cm eine Wegstreckenentschädigung von 0,25 DM und zusätzlich für die Mitnahme einer Person mit eigenem Anspruch auf Fahrkostenersatz 0,03 DM je Kilometer erstattet. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO habe der Senat nicht. Die Vorschrift habe den Zweck, unverhältnismäßig hohe Verwaltungsaufwendungen zu vermeiden. Dem Versicherten sei es zuzumuten, den Betrag von 3,50 DM gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO zu tragen. Um eine Einsparung zu erreichen, hätte der Grenzwert (3,50 DM) über den durchschnittlichen Mindestaufwendungen für Fahrten liegen müssen. Diese hätten jedoch für eine Einzelfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln jedenfalls nicht nennenswert unter 1,-- DM gelegen, so daß § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht zu einer wesentlichen Ungleichheit führe.
Der Kläger hat Revision eingelegt und macht geltend, § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO benachteilige Personen, die in ärztlich weniger gut versorgten Regionen wohnen. Der Kläger habe auf den Bestand der alten Versicherungsbedingungen vertraut, die die Beklagte nicht rückwirkend ändern durfte. Die Frage der Erforderlichkeit könne sich nur jeweils am Einzelfall orientieren. Dabei möge es zulässig sein, Pauschalen festzusetzen; bei extremen äußeren Umständen müsse der Versicherer aber davon abweichen. Der Kläger sei Schwerbehinderter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 vom Hundert, so daß für ihn die Sätze des Einkommensteuergesetzes (EStG) gleich 0,32 M pro Kilometer anerkannt werden könnten.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Fahrkostenentschädigung für die am 4. Juli 1977 unternommene Fahrt zu zahlen, und zwar für 24 Kilometer zu 0,32 DM.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Mit Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger steht für die Fahrt nach D… und zurück am 4. Juli 1977 kein Anspruch auf Kostenübernahme zu.
Dem Anspruch des Klägers auf Fahrkostenerstattung steht § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO entgegen. Die Fahrkosten haben 3,50 DM je einfache Fahrt nicht überstiegen. Als Fahrkosten sind jedenfalls nicht mehr als 0,28 DM pro Kilometer für eine Strecke von 12 Kilometern, insgesamt 39,36 DM zu berücksichtigen.
Erforderliche Fahrkosten i.S. des § 194 RVO sind grundsätzlich nur die Kosten, für die Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels unter Ausnutzung möglicher Preisvergünstigungen (Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand: Januar 1981, § 194 Anm. 3; vgl. auch zu § 18g Abs. 1 -1. Halbsatz- des Angestelltenversicherungsgesetzes BSGE 49, 271, 274 unter Hinweis auf BT-Drucks. 7/1237, S. 61). Der Begriff "erforderlich" schränkt nämlich die Leistung der Krankenkasse wie in § 182 Abs. 2 RVO auf die notwendigen Fahrkosten ein. Zu erstatten sind nur die Kosten für das billigste zweckmäßige Verkehrsmittel.
Der Kläger hat nicht behauptet, daß er bei Benutzung eines öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Verkehrsmittels mehr als 3,36 DM für die einfache Fahrt hätte aufwenden müssen. Ob er auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen war, kann dahingestellt bleiben. Als erforderliche Fahrkosten können jedenfalls auch bei notwendiger Pkw-Benutzung nicht mehr als insgesamt 3,36 DM für die einfache Fahrt berücksichtigt werden.
Mit Recht entnimmt das LSG den Kilometersatz für die Erstattung der Fahrkosten des Klägers dem BRKG. Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffe der erforderlichen Fahrkosten ist es geboten, hier die Bestimmung des § 6 Abs. 1 und 3 BRKG in entsprechender (rechtsergänzender) Anwendung heranzuziehen. Die Heranziehung etwa des Reisekostenrechts des jeweiligen Landes in dem der Versicherte seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat oder in dem die Krankenkasse ihren Sitz hat, scheidet mit Rücksicht auf die gebotene einheitliche Handhabung bei allen Versicherungsträgern aus (Krauskopf/Schroeder-Printzen, aaO § 194 Anm. 3, 4). Der Senat schließt sich damit dem 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSGE aaO) an, der § 6 Abs. 3 BRKG (Mitnahmeentschädigung) auf die Erstattung der Küsten für die gemeinsame Benutzung eines privaten Verkehrsmittels durch mehrere Teilnehmer an Rehabilitationsmaßnahmen angewandt hat.
Wie in § 194 RVO geht es im Reisekostenrecht für die Beamten, Richter und Soldaten um eine Erstattung von Kosten. Die hier in Betracht kommende Wegstrecken- und Mitnahmeentschädigung für Fahrten mit dem eigenen Kraftfahrzeug ist in den Reisekostenregelungen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung pauschaliert, der Gesetzgeber unterstellt insoweit Mehrauslagen in Höhe der Pauschbeträge (Kopicki/Irlenbusch, Das Reisekostenrecht des Bundes, § 1 Anm. 2). Wie in § 194 RVO geht es dabei um die Abgeltung der dienstlich veranlaßten Mehraufwendungen (§ 3 Abs. 1 BRKG). In der Zielsetzung stimmen die Regelungen des § 3 Abs. 1 BRKG und des § 194 RVO überein. Beide enthalten auch die Begrenzung auf die notwendigen Aufwendungen (vgl. § 3 Abs. 2 BRKG). Während aber die Fahrkostenerstattung in den umfangreichen Vorschriften der §§ 5 und 6 BRKG im einzelnen geregelt ist, hat sich die RVO auf die Bestimmung des Grundsatzes beschränkt. Diese Beschränkung kann nicht etwa dahin verstanden werden, daß die individuellen Kosten Im Einzelfall erstattet werden sollen.
Dem Versicherungsträger wäre eine Ermittlung der individuellen Kosten im Einzelfall, die z.B. vom jeweiligen Benzinverbrauch und vom Preis des Benzins abhängen würden, praktisch nicht möglich. Da eine nähere Vorschrift über die Ermittlung der Kosten und die Pauschalierung fehlen, muß auf die vergleichbaren gesetzlichen Regelungen des BRKG zurückgegriffen werden.
Ob eine Erstattung der im besonderen Einzelfall individuell erforderlichen Fahrkosten ausnahmsweise von solchen Versicherten verlangt werden kann, die z.B. als Schwerbehinderte zwingend auf die Pkw-Benutzung angewiesen sind, kann dahinstehen. Eine solche Erstattung der individuellen Kosten wird vom Kläger nicht angestrebt. Über die Kosten seines Fahrzeuges bei der speziellen Fahrt hat er nichts vorgetragen. Vielmehr geht es ihm nur um eine höhere Pauschale. Das gilt insbesondere auch für die Mitnahmeentschädigung von 0,03 DM, die der Kläger verlangt und die das LSG angesetzt hat. Sie läßt sich nur bei einer Pauschalierung erklären.
Mit zutreffender Begründung hat das LSG angenommen, daß die Fahrkostenregelungen der Gesetze über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen und der ehrenamtlichen Richter nicht anwendbar sind. Diese Gesetze regeln eine Entschädigung für Aufwendungen bei der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten, während es im § 194 RVO um Aufwendungen des Versicherten geht, wenn er Leistungen des Versicherungsträgers an ihn in Anspruch nimmt. Bei den beiden genannten Gesetzen stehen die Belange der Allgemeinheit im Vordergrund, bei § 194 RVO die Belange des Versicherten unter Berücksichtigung der Pflicht zur sparsamen Verwaltung der Mittel der Versichertengemeinschaft. Zum EStG hat das LSG mit Recht darauf hingewiesen, daß danach für den Kilometer der einfachen Wegstrecke nur 0,18 DM zu berücksichtigen sind (§ 9 Abs. 1 Nr. 4), so daß sich der Kläger nicht besser stellen würde als nach dem BRKG.
Auf den von der Beklagten erwähnten Vorstandsbeschluß vom 23. Oktober 1975 kam der Kläger seinen Anspruch nicht stützen, denn nach diesem Beschluß sind die Fahrkosten nur mit einer Kilometerpauschale von 0,15 DM zu erstatten. Deswegen kam in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob der Vorstand - auch mit Zustimmung der Vertreterversammlung - überhaupt den unbestimmten Rechtsbegriff der erforderlichen Fahrkosten gegenüber dem Kläger ausfüllen durfte.
Nach § 194 RVO i.V.m. § 6 Abs. 1 BRKG kommt für den Kläger nur eine Entschädigung von höchstens 0,25 DM + 0,03 DM pro Kilometer in Betracht. Bei 12 Entfernungskilometern ergibt sich für die einfache Fahrt ein Betrag von 0,28 DM x 12 = 3,36 DM. Die Fahrkosten werden daher nach der Bestimmung des § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht übernommen.
Allerdings kann die Satzung Abweichungen vorsehen - § 194 Abs. 1 Satz 3 RVO -. Eine solche Satzungsbestimmung bestand aber bei der Beklagten nicht, wie das LSG zutreffend dargelegt hat. Die frühere Satzungsbestimmung, nach der die erforderlichen Fahrkosten ohne Beschränkung übernommen wurden, war durch das KVKG gegenstandslos worden. Sie hatte nur die Bestimmung des § 194 RVO a.F. wiederholt, in der die Beschränkung nach dem späteren § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht enthalten war. Um eine nach dem neuen Recht von § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO abweichende Satzungsbestimmung hat es sich nicht gehandelt, weil eine solche Satzungsvorschrift Abweichungen nur unter von ihr bestimmten Voraussetzungen vorsehen kann sowie weil die alte Satzung insoweit keine rechtsgestaltende Norm enthielt und auch gar nicht auf die Ermächtigung des § 194 Abs. 1 Satz 3 RVO gestützt war. Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Grundgesetz (GG) gebietet, das Vertrauen des Bürgers in die Rechtsbeständigkeit zu schützen und ihn vor einer erheblichen Verschlechterung seiner einmal erworbenen Rechtsposition zu sichern (BSG SozR 5750 Art. 2 § 9a des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter Nr. 5). Hier war aber die Rechtsposition des Klägers schon vor der streitigen Fahrt am 4. Juli 1977 durch das Gesetz geregelt worden, nämlich durch die mit Wirkung vom 1. Juli 1977 in Kraft getretene Bestimmung des § 194 Abs. 1 RVO i.d.F. des Art. 1 § 1 Nr. 14 KVKG.
Die Vorschrift des § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Begünstigt der Gesetzgeber mit einer rechtsgewährenden Regelung einzelne Gruppen, so verletzt er die Grenzen des Art. 3 GG nicht, wenn sich aus dem Gegenstand der Regelung für die Art der Differenzierung ein sachlich vertretbarer Gesichtspunkt anführen läßt und wenn die besonderen Wertentscheidungen der Verfassung beachtet bleiben (BVerfGE 29, 51, 56; 31, 212, 218; 36, 230, 235, ständige Rechtsprechung). Für die Benachteiligung der Versicherten mit Fahrkosten bis zu 3,50 DM je einfache Fahrt besteht ein sachlich vertretbarer Grund. In der Begründung der Regierung zum Gesetzentwurf eines KVKG ist ausgeführt, die Erstattung der geringfügigen Fahrkosten erfordere einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand. Da andererseits den Versicherten zugemutet werden könne, geringfügige Fahrkosten selbst zu tragen, sollten in diesen Fällen die Fahrkosten nicht mehr von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt werden (BT-Drucks. 8/166 zu Art. 1 § 1 Nr. 13 S. 26). Der Senat sieht in dieser Begründung einen sachlich vertretbaren Gesichtspunkt für die Regelung des § 194 Abs. 1 Satz 2 RVO unter Beachtung der Wertentscheidungen der Verfassung.
Aus allen diesen Gründen war die Revision mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 518540 |
BSGE, 23 |
Breith. 1982, 100 |