Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2000.
Der 1978 geborene Kläger leistete vom 1. März bis 31. Dezember 1998 Wehrdienst und bezog vom 7. Januar bis 31. Mai 1999 Alhi. Vom 1. Juni 1999 bis 31. Januar 2000 war er versicherungspflichtig beschäftigt. Am 31. Januar 2000 meldete er sich erneut arbeitslos und beantragte Alhi.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2000 lehnte die beklagte Bundesanstalt den Antrag auf originäre Alhi ab, weil diese Leistung durch das 3. Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (3. SGB III-ÄndG) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2624) mit Wirkung ab 1. Januar 2000 entfallen sei.
Die Klage hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 2000 abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, durch die Versicherungspflicht vom 1. Juni 1999 bis 31. Januar 2000 habe er zum Zeitpunkt des Wegfalls der originären Alhi die Voraussetzungen für diesen Anspruch erfüllt gehabt. In der Gesetzesänderung ab 1. Januar 2000 seien ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) und das Rückwirkungsverbot des Art 20 Abs 3 GG zu sehen. Bis zur Aufnahme einer Berufsausbildung am 1. August 2000 sei er mittellos gewesen und habe bei seiner Mutter gewohnt. Diese habe einen Kredit aufgenommen, um ihn zu unterstützen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 19. Dezember 2002 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, Alhi stehe nach § 190 Abs 1 SGB III in der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung nur Arbeitnehmern zu, die in der Vorfrist Arbeitslosengeld (Alg) bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen sei. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger nicht, denn weder der Grundwehrdienst noch das Versicherungspflichtverhältnis seit dem 1. Juni 1999 seien geeignet, einen Anspruch auf Alhi ab 1. Februar 2000 zu begründen. Der Umstand, dass der Kläger nach dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Recht einen Anspruch auf Alhi gehabt hätte, rechtfertige keine abweichende Entscheidung, weil die Übergangsvorschrift des § 434b Abs 1 SGB III nur eingreife, wenn ein Anspruch auf Alhi zwischen dem 1. Oktober und 31. Dezember 1999 bestanden habe. Die Rechtsänderung zum Nachteil des Klägers sei auch mit der Verfassung vereinbar, denn der Anspruch auf Alhi falle nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie nach Art 14 GG. Auch der Grundsatz des sozialen Rechtsstaats sei nicht verletzt, weil bei Bedürftigkeit des Klägers Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen begründet seien. Die Streichung der originären Alhi sei im Übrigen aus übergeordneten öffentlichen Interessen erfolgt, weil sie dazu diene, der defizitären Finanzlage des Bundes bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Die unumgängliche Sanierung des Bundeshaushalts rechtfertige auch Rechtsänderungen mit unechter Rückwirkung wie das BSG und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden hätten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 3, 14 GG iVm dem “Vertrauensschutzgebot durch § 190 Abs 1 iVm § 434b SGB III in der ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung”. Er führt aus, durch die Streichung der besonderen Anforderungen für den Anspruch auf Alhi (§ 191 SGB III) habe der Gesetzgeber die vom Kläger in der Zeit vom 1. Juni 1999 bis 31. Januar 2000 entrichteten Beiträge in vollem Umfang entwertet. Die Beitragsentrichtung begründe eine vermögenswerte Rechtsposition, die dem Kläger nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordnet sei, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhe und zudem der Existenzsicherung diene. Sie gehöre damit nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Schutzbereich des Art 14 GG. Unerheblich sei insoweit, dass der Anspruch auf Alhi von der Bedürftigkeit des Arbeitslosen abhängig sei. Selbst wenn die Streichung der originären Alhi für die Zukunft verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, dürfe sie nicht in eine in der Vergangenheit begründete Rechtsposition eingreifen. Dies habe das BVerfG bei der Doppelung der Anwartschaftszeit für das Alg entschieden. In seiner Entscheidung zur zeitlichen Befristung der originären Alhi ab 1. Januar 1994 habe sich das BVerfG lediglich mit der Begrenzung des Anspruchs, nicht aber mit dem gänzlichen Wegfall befasst. Im Gegensatz zu der damaligen Fallgestaltung, der Arbeitslose hatte die Leistung in erheblichem Umfang bezogen, sei die erworbene Rechtsposition jetzt völlig entwertet worden. Der Kläger hätte jedoch nicht übergangslos “enteignet” werden dürfen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Dezember 2002 (L 1 AL 73/00), der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 2000 (S 19 AL 165/00) werden aufgehoben und die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Februar 2000 sowie Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2000 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. Februar 2000 bis 31. Juli 2000 zu bewilligen;
hilfsweise
den Rechtsstreit auszusetzen und nach Art 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend und weist darauf hin, das BSG habe mit Urteil vom 10. Juli 2003 – B 11 AL 63/02 R – in einem parallelen Fall bereits entschieden, sodass dem Antrag des Klägers nicht entsprochen werden könne.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet, denn die Entscheidung des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung.
Ein Anspruch auf Alhi steht dem Kläger vom 1. Februar bis 31. Juli 2000 nicht zu. Der Gesetzgeber hat mit § 190 Abs 1 Nr 4 idF des 3. SGB III-ÄndG mit Wirkung ab 1. Januar 2000 die besonderen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi auf Fälle des Vorbezugs von Alg (sog Anschluss-Alhi) beschränkt. In der Vorfrist vom 1. Februar 1999 bis 31. Januar 2000 hat der Kläger jedoch Alg nicht bezogen. Die weiteren anspruchsbegründenden Tatbestände des § 191 SGB III in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung sind ersatzlos entfallen. Die Übergangsvorschrift des § 434b Abs 1 SGB III greift nicht ein, weil der Kläger in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1999 nicht Alhi bezogen hat.
Der Senat ist auch nicht überzeugt, dass die Abschaffung der originären Alhi durch die Aufhebung des § 191 SGB III und die begrenzte Übergangsvorschrift des § 434b Abs 1 SGB III durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.
Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob das Institut der Alhi dem Schutz der Eigentumsgarantie (Art 14 GG) unterliege (dazu: Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 13 RdNr 31, 36 f) hat das BSG in ständiger Rechtsprechung verneint (BSGE 59, 227, 233 = SozR 4100 § 134 Nr 29; BSGE 73, 10, 17 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSGE 85, 123, 130 = SozR 3-4100 § 136 Nr 11; BSG SozR 3-4300 § 427 Nr 2). Auch wenn mit der sog kleinen Anwartschaft durch eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung und die Bemessung nach dem Leistungsentgelt Ähnlichkeiten mit einer Versicherungsleistung zu erkennen sind, ist die Alhi durch das Merkmal der Bedürftigkeit und die Finanzierung aus Steuermitteln geprägt. Die Abhängigkeit des Anspruchs auf Alhi von der Bedürftigkeit des Arbeitslosen zeigt, dass weniger ein durch eigene Leistung im Sinne der Ausschließlichkeit erworbenes Recht als eine Schutz- und Fürsorgeleistung verwirklicht wird, die von der “Entwicklung der tatsächlichen und persönlichen Verhältnisse” abhängig ist (vgl BVerfGE 4, 219, 242). In diesem Punkt unterscheidet sich die Rechtslage von derjenigen, die das BVerfG zur Verdoppelung der Anwartschaftszeit für das Alg durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) behandelt hat (BVerfGE 72, 9 = SozR 4100 § 104 Nr 13). Im Gegensatz zu jener Versicherungsleistung setzt die Alhi Bedürftigkeit voraus und ist damit dem Betroffenen nicht “nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts” zugewiesen (BVerfGE 69, 272, 300 = SozR 2200 § 165 Nr 81; vgl auch Spellbrink aaO RdNr 36; aM Davy, ZIAS 2001, 221, 241 ff).
Die konkrete Reichweite des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes ergibt sich außerdem erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die Aufgabe des Gesetzgebers ist (BVerfGE 72, 9, 22 = SozR 4100 § 104 Nr 13 mwN). Die Eigentumsgarantie wird nicht verletzt, wenn eine Regelung durch Gründe öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Die Abschaffung der originären Alhi hat der Gesetzgeber zur unumgänglichen Sanierung des Bundeshaushalts getroffen und die Alhi für Personen abgeschafft, die bis dahin überhaupt nicht oder nur kurze Zeit als Arbeitnehmer tätig waren (BT-Drucks 14/1523 S 205). Die Eignung und Erforderlichkeit der Regelung zum Erreichen des angestrebten Ziels der Haushaltssanierung steht außer Zweifel. Der Einwand des Klägers, die von ihm in der Zeit vom 1. Juni 1999 bis 31. Januar 2000 geleisteten Beiträge seien durch die Streichung des § 191 SGB III mit Wirkung vom 1. Januar 2000 in vollem Umfang entwertet, trifft nicht zu. Er übersieht insofern, dass die Rahmenfrist zur Feststellung von Ansprüchen auf Alg nach § 124 Abs 1 SGB III drei Jahre beträgt, sodass die Beiträge zusammen mit denjenigen, die während der am 1. August 2000 begonnenen Berufsausbildung geleistet werden, geeignet sind, Schutz bei Arbeitslosigkeit zu begründen. Gerade die innerhalb der Rahmenfrist zu erwerbende Anwartschaftszeit nach § 123 SGB III zeigt aber auch, dass Beiträge sich wegen der gleitenden Anwartschaft nicht stets auswirken.
Dem Kläger steht Alhi auch nicht auf Grund des im Rechtsstaatsprinzips begründeten Vertrauensschutzes zu. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 3. SGB III-ÄndG am 1. Januar 2000 kann zwar auf Grund der Beitragsentrichtung seit 1. Juni 1999 und der kleinen Anwartschaftszeit von fünf Monaten (§ 191 Abs 1 Nr 2 SGB III aF) eine Anwartschaft auf Alhi entstanden sein. Der Senat hat jedoch in vergleichbarem Zusammenhang ausgeführt, dass die Grundsätze über die sog unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) der Kürzung der originären Alhi unter den genannten Voraussetzungen nicht entgegenstehen. Die Gegenposition setzt eine verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantie der originären Alhi in ihrem jeweiligen Stand voraus, die wegen des unerlässlichen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei notwendigen Entscheidungen zur Finanzlage des Bundes nicht anzuerkennen ist (vgl dazu: BSG SozR 3-4100 § 242q Nr 1; BVerfG SozR 3-4100 § 242q Nr 2; BSG Urteil vom 10. Juli 2003 – B 11 AL 63/02 R – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Schließlich kann sich der Kläger nicht darauf berufen, im Falle durchgehender Arbeitslosigkeit im Anschluss an seinen Grundwehrdienst bis zum 31. Dezember 1998 hätte ihm Alhi jedenfalls bis zum 31. März 2000 nach § 434b Abs 1 SGB III zugestanden. Durch das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsetzungsgleichheit (Art 3 Abs 1 GG) war der Gesetzgeber nicht gehalten, auch für versicherungspflichtig Beschäftigte, die bis zum 31. Dezember 1999 eine Anwartschaft auf Alhi erworben hatten, eine Übergangsvorschrift zu schaffen. Die unterschiedliche Behandlung von Beziehern von Alhi und versicherungspflichtig Beschäftigten zum Zeitpunkt der Streichung originärer Alhi mit Wirkung ab 1. Januar 2000 ist gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber Leistungsbeziehern für drei Monate zugestanden hat, eine andere Sicherung ihres Lebensunterhaltes zu organisieren. Auch die Verwaltung konnte die laufenden Leistungen an bedürftige Arbeitslose nur innerhalb einer angemessenen Frist nach Erlass des Gesetzes einstellen. Es handelt sich dabei um ausreichende Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Leistungsbeziehern und anderen Betroffenen der Rechtsänderung in der Übergangsvorschrift.
Die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung zu Gunsten des Klägers oder eine Vorlage an das BVerfG (Art 100 GG) sind danach nicht gegeben. Da die Entscheidung des LSG nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
NWB 2003, 3190 |
BuW 2004, 210 |