Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Berücksichtigung von Entgeltpunkten bei einer Tätigkeit an verschiedenen Orten im Beitrittsgebiet ohne eine feste Arbeitsstätte und Sitz des Arbeitgebers in den alten Bundesländern
Leitsatz (amtlich)
1. Ob Entgeltpunkte (Ost) für Zeiten mit Beiträgen für eine Beschäftigung im Beitrittsgebiet anzusetzen sind, bestimmt sich nach dem Beschäftigungsort.
2. Ist eine feste Arbeitsstätte nicht vorhanden und wird die Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt, ist Beschäftigungsort der Ort, an dem der Betrieb seinen Sitz hat.
Normenkette
SGB IV § 9 Abs. 1, 5; SGB VI § 254d Abs. 1 Nr. 1, § 256a Abs. 1 S. 1; SGB VI Anl 10
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. November 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren darüber, ob der Berechnung der Regelaltersrente des Klägers für die Beitragszeit vom 19.6.1990 bis zum 31.10.1994 Entgeltpunkte (Ost) zugrunde zu legen sind.
Der im Dezember 1949 geborene Kläger war ab dem 19.6.1990 zunächst bei der G KG und nach einer Betriebsübernahme ab dem 1.9.1994 bis zum 31.10.1994 bei der T GmbH & Co. KG versicherungspflichtig beschäftigt. Seine Tätigkeit bestand im Aufstellen und Betreuen von Zigarettenautomaten in der Region Dresden und Ostsachsen. Beide Arbeitgeber hatten ihren Sitz in Berlin (West).
Mit Bescheid vom 25.2.2015 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Regelaltersrente und berücksichtigte bei der Rentenberechnung Entgeltpunkte für Pflichtbeitragszeiten auch für den Zeitraum vom 19.6.1990 bis zum 31.10.1994. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte wegen fehlender Begründung mit Widerspruchsbescheid vom 16.6.2015 zurück. Den Antrag des Klägers vom 17.7.2015 auf Überprüfung der Rentenberechnung, weil er durchgängig in den neuen Bundesländern gearbeitet habe, lehnte die Beklagte ab. Die Beiträge für den streitbefangenen Zeitraum seien nach Mitteilung der AOK Nordost als der zuständigen Einzugsstelle dem "Verkehrsgebiet West" zuzuordnen (Bescheid vom 6.4.2016; Widerspruchsbescheid vom 29.6.2016).
Das Klageverfahren ist erfolgreich gewesen. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Verwaltungsentscheidung verpflichtet, den Rentenbescheid vom 25.2.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.6.2015 dahingehend zu ändern, dass für die Zeit der Beschäftigung vom 19.6.1990 bis zum 31.10.1994 Entgeltpunkte (Ost) zu berücksichtigen sind. Es lägen Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung im Beitrittsgebiet vor. Dafür sei bei Außendienstmitarbeitern maßgeblich, wo sie ihre Tätigkeit tatsächlich verrichteten (Gerichtsbescheid vom 3.7.2019). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Beschäftigungsort bestimme sich nach § 9 SGB IV. Danach sei Beschäftigungsort hier der Sitz des Arbeitgebers in Berlin (West), weil keine feste Arbeitsstätte vorhanden gewesen und die Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt worden sei (Urteil vom 3.11.2020).
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI und § 9 SGB IV. Er habe seine Tätigkeit ausschließlich im Beitrittsgebiet ausgeübt. Der Beschäftigungsort iS von § 9 SGB IV sei nicht maßgebend. Die Vorschrift sei schon nicht einschlägig. Sie regele primär die örtliche Zuständigkeit von Sozialversicherungsträgern. § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI nehme sie auch nicht in Bezug.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. November 2020 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 3. Juli 2019 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das LSG habe zu Recht auf den Beschäftigungsort iS von § 9 SGB IV abgestellt. Für den Anwendungsbereich des § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI könne nichts anderes gelten als für andere Vorschriften des Versicherungs-, Beitrags- und Rentenrechts. Die Vorschrift enthalte keine Sonderregelung zur Ermittlung des Beschäftigungsortes. Der Arbeitgeber habe die Beitragszeiten zum Rechtskreis West gemeldet und die Einzugsstelle habe dies nicht beanstandet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
1. Nach Schließung des 13. Senats gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG(Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24.6.2021) ist die Zuständigkeit für die Streitsache gemäß Geschäftsverteilungsplan (Stand 1.7.2021) auf den 5. Senat übergegangen. Die nach Zulassung durch den 13. Senat (Beschluss vom 25.6.2021 - B 13 R 305/20 B) statthafte Revision (§ 160 Abs 1 SGG) ist zulässig erhoben und genügt den Anforderungen an eine formgerechte Begründung iS des § 164 Abs 2 Satz 1 und Satz 3 SGG(vgl dazu BSG Beschluss vom 13.6.2018 - GS 1/17 - BSGE 127, 133 = SozR 4-1500 § 164 Nr 9) .
2. Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist im Verfahren nach § 44 SGB X das klägerische Begehren, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6.4.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.6.2016 zu verpflichten, den bestandskräftigen Rentenbescheid vom 25.2.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.6.2015 zu ändern, einen Rentenwert unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten (Ost) für den Zeitraum vom 19.6.1990 bis zum 31.10.1994 festzusetzen sowie die Beklagte zu verurteilen, entsprechend höhere monatliche Beträge zu zahlen. Dafür war nach § 54 Abs 1 und 4 SGG eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage zu erheben (vgl BSG Urteil vom 24.4.2014 - B 13 R 3/13 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 30 RdNr 13).
Die Klage ist zulässig erhoben, insbesondere fehlt dem Kläger nicht die notwendige Klagebefugnis für die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Änderung des Rentenbescheides vom 25.2.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.6.2015. Zwar haben die Tatsachengerichte keine Vergleichsberechnung dahingehend vorgenommen, in welchem Umfang die begehrten Entgeltpunkte (Ost) bei Anwendung des aktuellen Rentenwerts (Ost) zu einer höheren Rente führen würden. Gleichwohl erscheint nicht ausgeschlossen, dass dem Kläger aufgrund des Rentenbescheides iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X Rentenleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Mit den im Versicherungsverlauf gespeicherten Entgelten lag der Kläger weit unter den für das Beitragsgebiet bestimmten Beitragsbemessungsgrenzen (Anlage 2a des SGB VI), sodass er bei Anwendung des § 256a Abs 1 Satz 1 SGB VI nach Vervielfältigung seines Verdienstes mit den Werten der Anlage 10 des SGB VI von höheren Entgeltpunkten (Ost) profitieren könnte (vgl dazu auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.8.2020 - L 5 R 4087/18 - juris RdNr 23).
Auch darüber hinaus stehen einer Sachentscheidung des Senats keine verfahrensrechtlichen Hindernisse entgegen. Die AOK Nordost war nicht notwendig nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG zum Verfahren beizuladen (zu den Voraussetzungen für eine Beiladung vgl ua BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 31/13 R - BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 13 mwN). Über das Begehren des Klägers kann entschieden werden, ohne dass dadurch zugleich in die Rechtssphäre der früheren Einzugsstelle unmittelbar eingegriffen würde. Die AOK Nordost hat keine Entscheidung nach § 28h Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV getroffen (vgl dazu BSG Urteil vom 23.9.2003 - B 12 RA 3/02 R - SozR 4-2400 § 28h Nr 1 RdNr 7). Die früheren Arbeitgeber des Klägers zahlten bei unstreitiger Versicherungs- und Beitragspflicht sowie Beitragshöhe die Gesamtsozialversicherungsbeiträge ohne vorherige Entscheidung der Einzugsstelle (vgl BSG Urteil vom 27.4.2021 - B 12 R 14/19 R - BSGE 132, 86 = SozR 4-2600 § 212a Nr 1, RdNr 17). Bei der Frage, ob Entgeltpunkte (Ost) zu berücksichtigen sind, geht es allein um die rentenrechtliche Bewertung der Entgelte.
3. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 6.4.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.6.2016 und auf Verpflichtung der Beklagten, den bestandskräftigen Rentenbescheid vom 25.2.2015 zu ändern. Die Beklagte hat zutreffend die Pflichtbeitragszeiten vom 19.6.1990 bis zum 31.10.1994 mit Entgeltpunkten bewertet und die Sonderregelung des § 254d SGB VI für Entgeltpunkte (Ost) nicht angewendet.
Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich - unter anderem - im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Rentenbescheid vom 25.2.2015 war bei seinem Erlass, dh zum Zeitpunkt der Bekanntgabe iS von § 37 SGB X rechtmäßig. Die Beklagte hat der Rentenberechnung für die Beschäftigung in der Zeit vom 19.6.1990 bis zum 31.10.1994 rechtmäßig keine Entgeltpunkte (Ost) zugrunde gelegt.
Nach § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI in der hier einschlägigen, ab dem 1.7.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze vom 21.12.2008 (BGBl I 2940) treten Entgeltpunkte (Ost) an die Stelle der ermittelten Entgeltpunkte für Zeiten mit Beiträgen für eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit im Beitrittsgebiet. Beitrittsgebiet ist gemäß § 18 Abs 3 SGB IV das in Art 3 des Einigungsvertrages vom 31.8.1990(BGBl II 889) genannte Gebiet. Für Zeiten mit Beiträgen für eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit in diesem Gebiet bestimmt § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI als Rechtsfolge, dass der Rentenberechnung nach § 64 SGB VI Entgeltpunkte (Ost) zugrunde zu legen sind. Eine Regelung zur örtlichen Bestimmung des Beschäftigungs- oder Tätigkeitsortes enthält die Vorschrift selbst nicht. Das LSG hat daher zu Recht den Beschäftigungsort nach den allgemeinen, auch für die gesetzliche Rentenversicherung maßgeblichen Vorgaben in § 9 SGB IV bestimmt.
Nach § 9 Abs 1 SGB IV ist Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird. Dieser Grundsatz wird in den nachfolgenden Absätzen 2 bis 6 des § 9 SGB IV für bestimmte Fälle modifiziert und es werden fiktive (rechtliche) Beschäftigungsorte festgelegt (vgl BSG Urteil vom 20.3.1984 - 8 RK 36/82 - SozR 2200 § 234 Nr 5 S 6). Für den Fall, dass eine feste Arbeitsstätte nicht vorhanden ist und die Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt wird, gilt nach § 9 Abs 5 SGB IV als Beschäftigungsort der Ort, an dem der Betrieb seinen Sitz hat (zum Beschäftigungsort eines Verkaufsförderers vgl auch LSG Berlin Urteil vom 17.3.2004 - L 5 RA 53/03). Das war hier nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) der Fall. Ebenfalls bindend festgestellt hat das LSG als Betriebssitz der Arbeitgeber in dem streitbefangenen Zeitraum jeweils Berlin (West).
Die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung gelten auch für die gesetzliche Rentenversicherung (§ 1 Abs 1 Satz 1 SGB IV). Angesichts dieser generellen Geltungsanordnung bedarf es keiner ausdrücklichen Bezugnahme in § 254d SGB VI, um die Anwendbarkeit einer Vorschrift des SGB IV zu begründen. Es hätte vielmehr umgekehrt klarer Hinweise bedurft, wenn § 9 SGB IV in diesem Zusammenhang keine Anwendung finden sollte. § 9 SGB IV dient auch nicht nur der Abgrenzung der örtlichen Zuständigkeit der Sozialversicherungsträger. Die Vorschrift findet gleichermaßen im materiellen Recht Anwendung, insbesondere im Rahmen der Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung nach § 3 Nr 1 SGB IV(zum Beschäftigungsort im Ausland vgl BSG Urteil vom 10.8.1999 - B 2 U 30/98 R - SozR 3-2400 § 4 Nr 5 S 7) . Die Regelungen in § 9 SGB IV dienen - ebenso wie im hiesigen Zusammenhang etwa § 18 Abs 3 SGB IV - zur Konkretisierung der in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung verwendeten Begriffe. Insofern determinieren sie mittelbar auch das Leistungsrecht. So hat das BSG die Frage, ob Beitragszeiten im Geltungsbereich der RVO zurückgelegt wurden, anhand von § 153 RVO, der Vorgängervorschrift zu § 9 SGB IV, entschieden (vgl BSG Urteil vom 22.10.1998 - B 5 RJ 14/98 R - juris RdNr 22). Dies korrespondiert mit der Rechtsprechung zu Leistungsansprüchen nach dem Recht der Arbeitsförderung. Das BSG knüpft etwa für die Bestimmung des Ortes einer selbstständigen Tätigkeit an § 9 SGB IV an (vgl zum früheren Existenzgründungszuschuss BSG Urteil vom 27.8.2008 - B 11 AL 22/07 R - BSGE 101, 224 = SozR 4-4300 § 421l Nr 2, RdNr 17). Bei den Sonderregelungen im SGB III zur Anwendung der Bezugsgröße für das Beitrittsgebiet nimmt das BSG ebenfalls zum Begriff "Beschäftigungsort" die Vorschrift des § 9 SGB IV in Bezug (vgl BSG Urteil vom 25.8.2011 - B 11 AL 13/10 R - SozR 4-4300 § 132 Nr 6 RdNr 16; BSG Urteil vom 18.5.2010 - B 7 AL 49/08 R - SozR 4-4300 § 122 Nr 8 RdNr 19).
Auch in den Gesetzesmaterialien zu § 254d SGB VI finden sich Anhaltspunkte für eine Anknüpfung an § 9 SGB IV. Durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.4.2007 (BGBl I 554) wurde § 254d Abs 3 Satz 1 SGB VI aF zum 1.1.2010 aufgehoben. Nach dieser Vorschrift galten für die Ermittlung des Monatsbetrags der Rente die für diesen Kalendermonat ermittelten Entgeltpunkte (Ost) als Entgeltpunkte, wenn im selben Kalendermonat bereits Entgeltpunkte vorlagen. Diese Regelung wurde als unbefriedigend erachtet. Deshalb sollten zukünftig die Entgeltpunkte auch innerhalb eines Kalendermonats "in Abhängigkeit vom Beschäftigungsort" ermittelt werden (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz, BT-Drucks 16/3794 S 42). Nach welchen Kriterien der Beschäftigungsort zu ermitteln ist, bestimmt sich allgemein nach § 9 SGB IV.
Soweit der Kläger damit argumentiert, dass § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI wie § 228a Abs 1 Satz 1 SGB VI auszulegen sei, geht er zu Recht davon aus, dass eine einheitliche Rechtsanwendung geboten ist. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die möglicherweise unterschiedliche Beitragsbemessungsgrundlage bei Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze (Ost). Ein tragfähiger Einwand gegen eine Anwendung des § 9 SGB IV für die Bestimmung des nach § 254d SGB VI maßgeblichen Beschäftigungsortes ergibt sich hieraus nicht.
Die Anwendung des § 9 SGB IV steht grundsätzlich auch im Einklang mit Sinn und Zweck des § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI. Diese Vorschrift soll dazu dienen, dass Beitragszeiten im Beitrittsgebiet auf West-Niveau hochgewertet werden. Dazu werden gemäß § 256a Abs 1 Satz 1 SGB VI für die Ermittlung der Entgeltpunkte (Ost) Verdienste im Beitrittsgebiet mithilfe eines in der Anlage 10 des SGB VI festgelegten Faktors umgerechnet und erst danach dem versicherten Durchschnittsentgelt in den alten Bundesländern (Anlage 1 des SGB VI) gegenübergestellt (zum Verfahren im Einzelnen vgl BSG Urteil vom 14.3.2006 - B 4 RA 41/04 R - SozR 4-2600 § 255a Nr 1 RdNr 19). Das geringere Lohnniveau in den neuen Bundesländern soll sich nicht in der späteren Rente verfestigen (vgl zuletzt Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz über den Abschluss der Rentenüberleitung - Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz, BT-Drucks 18/11923 S 2). In dem von § 9 Abs 1 SGB IV erfassten Regelfall ist Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird. Liegt dieser Ort im Beitrittsgebiet, entspricht dies wiederum dem Regelfall des § 254d Abs 1 Nr 1 SGB VI, für den das geringere Lohnniveau im Beitrittsgebiet ausgeglichen werden soll.
Dass die Anwendung der Sondervorschrift des § 9 Abs 5 SGB IV im Einzelfall dazu führen kann, dass ein Versicherter zwar ausschließlich im Beitrittsgebiet tätig ist, jedoch die Beschäftigung dem Rechtskreis West zugeordnet wird, weil sein Arbeitgeber in einem der alten Bundesländer seinen Sitz hat, ist Folge der Besonderheit einer Beschäftigungsausübung an verschiedenen Orten. § 9 Abs 5 SGB IV trägt dem Umstand Rechnung, dass eine eindeutige örtliche Zuordnung der Beschäftigung in solchen Konstellationen praktisch nicht erfolgen kann, im Interesse der Rechtssicherheit aber zumindest fiktiv erforderlich ist. Würde bei Tätigkeiten, die an verschiedenen Orten erbracht werden, nicht auf den Betriebssitz, sondern auf den Ort der jeweiligen Arbeitsleistung abgestellt, wäre die Zuordnung von Entgeltpunkten oder Entgeltpunkten (Ost) in vielen Fällen erschwert oder kaum möglich, etwa wenn die Beschäftigung in zeitlich kurzen Abständen an wechselnden Orten im alten Bundesgebiet und im Beitrittsgebiet ausgeübt wird. Das Ineinandergreifen der speziellen Vorschrift des § 254d SGB VI und der allgemeinen Vorschrift des § 9 SGB IV wird durch mögliche Unzuträglichkeiten im Einzelfall nicht in Frage gestellt. Die Anwendung - auch - des § 9 Abs 5 SGB IV dient der Rechtssicherheit und Praktikabilität bei der Bearbeitung von Leistungsfällen im Rahmen der leistenden Massenverwaltung, der die gesetzliche Rentenversicherung zuzurechnen ist (vgl zu diesem Aspekt BSG Urteil vom 20.1.2021 - B 13 R 5/20 R - BSGE 131, 202 = SozR 4-2600 § 88 Nr 4, RdNr 40).
Die Anknüpfung an den Sitz des Betriebes in diesen Fällen dürfte im Übrigen vielfach der Rechtsanwendung im Tarifrecht entsprechen. Wenn nämlich eine tarifliche Regelung zum räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages (Tarifgeltung Ost/West) fehlt und zB ein Monteur oder ein angestellter Handelsvertreter seine Arbeitsleistung außerhalb des "eigentlichen" Tarifgebiets erbringt, wird zur Bestimmung des einschlägigen Tariflohns regelmäßig ebenfalls auf den Betriebssitz abgestellt (vgl Däubler, Ost-Tarife oder West-Tarife? - Ein kollisionsrechtliches Problem, DB 1991, 1622, 1623 mwN; vgl auch BAG Urteil vom 25.6.1998 - 6 AZR 475/96 - juris RdNr 24).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Düring Hannes Körner
Fundstellen
Haufe-Index 15459431 |
NZS 2023, 505 |
SGb 2022, 554 |
Breith. 2023, 395 |