Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Meldepflicht, Arbeitsloser. Arbeitslosmeldung. Antragstellung, Form. Antragformular. Aufforderung, Aufsuchen. “Andrangsregelung”
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitslose, der Leistungen beim Arbeitsamt beantragt und von diesem aufgefordert wird, einen Vordruck abzugeben, steht auf dem damit zusammenhängenden Weg zum Arbeitsamt unter Versicherungsschutz (§ 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO).
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, § 548 Abs. 1 S. 1, § 550 Abs. 1, 2 Nr. 2; AFG § 132 Abs. 1; MeldeAnO § 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines am 5. Juli 1990 auf dem Weg zum Arbeitsamt erlittenen Verkehrsunfalls.
Die im Jahre 1939 geborene Klägerin war bis zum 30. Juni 1990 als Hebamme im S.… -Krankenhaus in L.… beschäftigt. Sie verlor – ebenso wie ihre Kollegin M.… T.… H.… – ihren Arbeitsplatz, weil die Abteilung des Krankenhauses geschlossen wurde.
Am Montag, dem 2. Juli 1990, suchten die Klägerin und ihre Kollegin die Dienststelle E.… des Arbeitsamtes A.… auf, meldeten sich arbeitslos und beantragten die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Der Arbeitsvermittler händigte der Klägerin den teilweise nach ihren Angaben ausgefüllten Vordruck “Antrag auf Arbeitslosengeld” aus. Darin heißt es ua:
“Rückgabe des sorgfältig ausgefüllten Antrages (gut leserlich mit Kugelschreiber, Tinte oder Schreibmaschine) – zusammen mit den auf der Rückseite aufgeführten Unterlagen – möglichst am (Datum) … um (Uhrzeit) … im Zimmer … der Arbeitsamts-Dienststelle.
Bei Einhaltung des oben genannten Termins vermeiden Sie unnötiges Warten und eine Verzögerung der Bearbeitung.”
Im freien Bereich des Vordrucks war durch einen Stempelaufdruck folgender Text eingefügt:
“Dienstag 7.30 – 11.30 und 13.30 – 15.15 Uhr
Donnerstag 7.30 – 11.30 und 13.30 – 15.45 Uhr.”
Handschriftlich war die Zimmer-Nr. 10 eingetragen, und auf der Rückseite des Formulars waren als vorzulegende Unterlagen vom Sachbearbeiter angekreuzt: Ausweis über die Versicherungsnummer in der gesetzlichen Rentenversicherung, Arbeitsbescheinigung, Lohnsteuerkarte.
Das Arbeitsamt A.… – Dienststelle E.… – hat auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) mitgeteilt, da die Antragsannahme der Leistungsabteilung nur dienstags und donnerstags besetzt sei, sei der Antragsstellerin “aufgegeben” worden, die Unterlagen an einem dieser Wochentage einzureichen.
Am Donnerstag, dem 5. Juli 1990, holte die Klägerin mit ihrem PKW die Zeugin H.… in ihrer Wohnung in E.… -L.… ab, um mit ihr nach E.… zu fahren und die Anträge auf Alg nebst Unterlagen abzugeben. Auf dem direkten Weg von der Wohnung der Zeugin zur Dienststelle des Arbeitsamtes wurde die Klägerin gegen 13.05 Uhr in einen Verkehrsunfall verwickelt. Sie erlitt dabei eine Fersenbeinfraktur rechts, eine Brustbeinfraktur und ein Thorax-Kompressionstrauma; daneben bestand ein Verdacht auf Herzkontusion.
Der Antragsvordruck der Klägerin ging am 10. Juli 1990 beim Arbeitsamt ein, das unter Hinweis auf das inzwischen bewilligte Krankengeld die Gewährung von Alg mit der Begründung ablehnte, daß der Anspruch ruhe (Bescheid vom 3. August 1990).
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. November 1990 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1991 Entschädigungsleistungen aus Anlaß des Ereignisses vom 5. Juli 1990 ab, weil die Klägerin bei dem Unfall nicht unter Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden habe. Die Meldung als Arbeitslose sei eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gewesen. Die Klägerin habe im Unfallzeitpunkt noch nicht der Meldepflicht unterlegen; sie habe das Arbeitsamt am 5. Juli 1990 auch nicht auf dessen Aufforderung aufgesucht.
Das SG hat unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 5. Juli 1990 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren (Urteil vom 26. Juni 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 18. Oktober 1993 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es im wesentlichen: Die Klägerin sei im Unfallzeitpunkt nach § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO versichert gewesen. Zwar habe am 2. Juli 1990, als die Klägerin erstmals die Dienststelle E.… aufgesucht habe, noch kein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift bestanden. Vielmehr seien durch die an diesem Tage erfolgte Meldung als Arbeitsuchende und durch die ebenfalls beantragte Bewilligung von Alg die Voraussetzungen für die Anwendung des § 539 Abs 1 Nr 4 RVO geschaffen worden. In der Folgezeit habe die Klägerin der Meldepflicht nach § 132 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) unterlegen. Die Klägerin habe den Weg, auf dem sie verunglückt sei, unternommen, weil sie von der Dienststelle E.… zu einem Besuch aufgefordert worden sei. Bei der Arbeitslosmeldung und Antragstellung sei ihr das Antragsformular ausgehändigt und aufgegeben worden, dieses ausgefüllt zusammen mit dem Ausweis über die Versicherungsnummer, der Arbeitsbescheinigung und der Lohnsteuerkarte zurückzugeben. Dabei sei sie nicht darauf hingewiesen worden, daß es ihr frei stehe, die Unterlagen auch durch die Post zurückzusenden. Nach ihren glaubhaften Angaben sei ihr vielmehr gesagt worden, sie solle den ausgefüllten Antrag nebst Anlagen am nächsten Donnerstag – also am 5. Juli 1990 – vorbeibringen; bis zum Dienstag werde sie die geforderten Unterlagen nicht zusammen haben. Diese glaubhafte Einlassung entspreche dem, was der Zeugin H.… bei ihrer Arbeitslosmeldung durch denselben Bediensteten des Arbeitsamtes gesagt worden sei. Diese habe den Besuch sogar für so dringlich gehalten, daß sie nach dem Unfall ihren Ehemann veranlaßt habe, die Unterlagen noch am selben Tag zum Arbeitsamt zu bringen.
Daß es sich nicht um eine Meldeaufforderung iS von § 132 AFG gehandelt habe und das Arbeitsamt eine solche auch nicht habe aussprechen wollen, stehe dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 4 RVO nicht entgegen. Von der Meldeaufforderung des Arbeitsamtes iS des § 132 Abs 1 AFG seien die (allgemeinen) Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I), hier die in § 61 SGB I geregelte Aufforderung zum persönlichen Erscheinen bei dem zuständigen Leistungsträger, zu unterscheiden. Auf diese Bestimmungen könnten zB die Aufforderung zu einer Arbeitsberatung nach § 15 AFG oder zur Rückmeldung nach Abschluß einer Bildungsmaßnahme oder zu anderen für erforderlich gehaltenen persönlichen Kontakten gestützt werden. In derartigen Fällen, in denen der Versicherte den Weg nicht in Erfüllung der Meldepflicht zurücklege, sei der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO gegeben.
Eine Aufforderung iS des § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO setze zwar mehr als ein stillschweigendes Einverständnis oder eine Anregung voraus; selbst eine in die Form der Bitte oder Empfehlung gekleidete Äußerung des Arbeitsamtes könne aber eine “Aufforderung” darstellen, sofern der Eindruck vermittelt werde, daß das Erscheinen notwendig sei und erwartet werde. Hier habe die Klägerin die Dienststelle E.… auf deren Aufforderung hin aufsuchen wollen; sie sei daher auf diesem Wege versichert gewesen.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 539 Abs 1 Nr 4 RVO). Das LSG gehe zunächst zu Unrecht davon aus, daß die Klägerin am Unfalltag der Meldepflicht nach § 132 AFG unterlegen habe. Diese Meldepflicht beginne erst zu dem Zeitpunkt, an dem ein Arbeitsloser Alg beantragt habe. Hier habe die Klägerin am 2. Juli 1990 zunächst die Arbeitslosmeldung vorgenommen und sich die Antragsformulare für die Bewilligung von Alg aushändigen lassen. Den Unfall habe sie am 5. Juli 1990 erlitten, als sie auf dem Weg zum Arbeitsamt gewesen sei, um den Antrag auf Alg abzugeben. Dieser Weg sei eigenwirtschaftlich und stehe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Außerdem habe das LSG zu Unrecht angenommen, es sei eine Aufforderung iS des § 539 Abs 1 Nr 4 RVO ausgesprochen worden. Die Aufforderung zur Meldung durch das Arbeitsamt dürfe nur anläßlich der in § 2 der Meldeanordnung vom 14. Dezember 1972 bezeichneten Zwecke erfolgen, weil der Arbeitslose, der sich auf eine entsprechende Aufforderung nicht melde, Sanktionen durch das Arbeitsamt zu befürchten habe. In § 2 dieser Meldeanordnung sei geregelt, daß der Meldepflichtige nur zum Zwecke der Vorbereitung von Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Bildung oder von Entscheidungen im Leistungsverfahren aufgefordert werden könne, sich zu melden. Hier habe die Klägerin aber am Unfalltag nur ihren Antrag auf Alg abgeben wollen; sie habe damit keine der in § 2 der Meldeanordnung bezeichneten Zwecke verfolgt. Zudem habe es sich schon rein begrifflich bei dem im Antragsvordruck enthaltenen Text um keine Aufforderung gehandelt. Das Arbeitsamt habe vielmehr eine sog “Andrangsregelung” getroffen, um dem Antragsteller unnötiges Warten bei der Antragstellung zu ersparen. Nicht zuletzt werde aus dem Wortlaut der Andrangsregelung deren Empfehlungscharakter deutlich, in dem es dort ua heiße: “Rückgabe … möglichst …”. Soweit das LSG davon ausgehe, daß die Klägerin hier einer Aufforderung im Rahmen ihrer allgemeinen Mitwirkungspflicht gemäß §§ 60 ff SGB I gefolgt sei, verkenne das Berufungsgericht den Sinn und Zweck der in § 539 Abs 1 Nr 4 RVO getroffenen Regelung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 1993 und des SG Aachen vom 26. Juni 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫)
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Die Klägerin hat, wie das SG und das LSG zutreffend entschieden haben, Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Unfalls vom 5. Juli 1990. Die Klägerin erlitt einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall, als sie auf dem Weg zum Arbeitsamt verunglückte.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Als Arbeitsunfall gilt nach § 550 Abs 1 RVO auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg von und nach dem Ort der Tätigkeit. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Nach den Feststellungen des LSG holte die Klägerin mit ihrem PKW am 5. Juli 1990 zunächst ihre ebenfalls gleichzeitig arbeitslos gewordene Kollegin in ihrer Wohnung ab, um mit ihr gemeinsam auf dem direkten Weg zur Dienststelle E.… des Arbeitsamtes zu fahren und dort den vervollständigten Antragsvordruck auf Alg zurückzugeben. Es kann offenbleiben, ob damit die Klägerin sich zur Zeit des Unfalls auf einem Abweg bezüglich ihres Weges zum Arbeitsamt befand.
Denn der Versicherungsschutz folgt jedenfalls aus § 550 Abs 2 Nr 2 RVO. Danach ist der Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt. Die Versicherten oder Berufstätigen iS des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO müssen sich nicht zu einer regelmäßigen Fahrgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Auch bei einer gelegentlichen Mitnahme von berufstätigen oder versicherten Personen ist der Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen (BSG SozR 2200 § 550 Nr 45; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 486t, jeweils mwN).
Entgegen der Auffassung der Revision stand die Klägerin, als sie am 5. Juli 1990 gegen 13.00 Uhr auf dem Weg zur Dienststelle des Arbeitsamtes verunglückte, nach § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO unter Versicherungsschutz. Nach dieser Vorschrift sind in der Unfallversicherung Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die ua nach den Vorschriften des AFG der Meldepflicht unterliegen, wenn sie auf Aufforderung einer Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit diese oder andere Stellen aufsuchen.
Die Vorinstanzen sind zutreffend zunächst davon ausgegangen, daß die Klägerin im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls am 5. Juli 1990 der Meldepflicht nach den Vorschriften des AFG unterlag. Die Meldepflicht eines Arbeitslosen ist in § 132 AFG iVm der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Meldepflicht (Meldeanordnung) vom 14. Dezember 1972 (ANBA 1973, 245) geregelt. Nach § 132 Abs 1 AFG hat sich der Arbeitslose während der Zeit, für die er einen Anspruch auf Alg erhebt, beim Arbeitsamt, einer sonstigen Dienststelle der Bundesanstalt oder einer mit der Arbeitsvermittlung beauftragten Stelle zu melden, wenn das Arbeitsamt ihn dazu auffordert, und zwar unabhängig davon, ob der Anspruch auf Alg nach §§ 116, 117, 118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 oder § 119 AFG ruht (§ 132 Abs 1 Satz 3 AFG). Damit ist der Arbeitslose bereits dann meldepflichtig, wenn er Alg beantragt hat, und zwar unabhängig davon, ob Leistungen gezahlt werden oder nicht, zB weil der Anspruch ruht (s BSGE 25, 214, 216; 36, 39, 40; KassKomm-Ricke, § 539 RVO RdNr 15; Brackmann aaO S 472r; Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, § 132 RdNr 11). Zweck des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 4 RVO ist, der nach dem AFG meldepflichtigen Person bei Erfüllung der im Interesse einer geordneten Arbeitsvermittlung liegenden Meldepflicht und bei Herstellung der darüber hinaus von den Dienststellen der Arbeitsvermittlung für erforderlich gehaltenen persönlichen Kontakte Unfallversicherungsschutz in gleicher Weise zu gewähren, wie ihn ein Arbeitnehmer bei seiner versicherten Tätigkeit hat (s BSGE 51, 213, 216). Eigenwirtschaftlich ist demgegenüber der Weg zum Arbeitsamt zur Abgabe der Arbeitslosmeldung (BSGE 36, 39, 40; 51, 213, 216; KassKomm-Ricke, aaO § 539 RVO RdNr 16). Erst von der Arbeitslosmeldung und der Leistungsbeantragung an steht der Zweck einer geordneten Arbeitsvermittlung, an den der Gesetzgeber den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung geknüpft hat, im Vordergrund (BSGE 51, 213, 216; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 539 RdNr 9).
Die Antragstellung ist materielle Voraussetzung des Anspruchs auf Alg (§ 100 Abs 1 AFG). Sie ist an keine bestimmte Form gebunden (Gagel aaO § 100 RdNr 8). Dementsprechend liegt ein rechtswirksamer Antrag vor, wenn der Arbeitslose schriftlich, mündlich oder sogar fernmündlich seinen Willen zum Ausdruck bringt, Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu erhalten (BSGE 49, 114, 116; s auch KassKomm-Krasney § 18 SGB X RdNr 9 mwN). So wird im Regelfall in der persönlichen Arbeitslosmeldung zugleich ein Leistungsantrag zu sehen sein (Gagel aaO § 100 RdNr 6). Dabei kommt es für die Entstehung des Anspruchs auf die Abgabe des Antragsvordrucks nicht an (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Arbeitsförderungsgesetz, § 100 Anm 6; Gagel aaO § 100 RdNr 6).
Nach den Feststellungen des LSG hatte sich die Klägerin am 2. Juli 1990 auf der Dienststelle E.… des Arbeitsamtes A.… als Arbeitsuchende gemeldet und zugleich Alg beantragt. Bei der Arbeitslosmeldung und Antragstellung wurde ihr das Antragsformular ausgehändigt und aufgegeben, dieses ausgefüllt zusammen mit den näher bezeichneten Unterlagen zurückzugeben. Soweit die Revision hiergegen vorbringt, die Klägerin habe am 2. Juli 1990 zunächst – nur – die Arbeitslosmeldung vorgenommen und sich die Antragsformulare für die Bewilligung von Alg aushändigen lassen, rügt sie hinsichtlich der Tatsache der Antragstellung im Kern die Beweiswürdigung durch das LSG nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Die Beweiswürdigung steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat (BSG SozR 1500 § 164 Nr 31; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 19; BSG Urteil vom 27. Januar 1994 – 2 RU 3/93 – HV-Info 1994, 943 mwN). Ein solcher Verstoß, zu dem die Revision auch nichts Näheres darlegt, ist nach dem Gesamtergebnis der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht erkennbar. Dies gilt um so mehr, als auf dem von der Klägerin ausgefüllten “Antrag auf Arbeitslosengeld” auf der Vorderseite unter der Rubrik “Tag der Arbeitslosmeldung und Antragstellung, Handzeichen” mit dem entsprechenden Handzeichen der Stempelaufdruck “2.7.90” versehen ist. Damit hat die Klägerin am 2. Juli 1990 Alg beantragt und unterlag seitdem der Meldepflicht iS des § 539 Abs 1 Nr 4 RVO.
Daß im Hinblick auf die beim Ausscheiden der Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis vom bisherigen Arbeitgeber gezahlte Urlaubsabgeltung das beantragte Alg nicht von Beginn der Arbeitslosigkeit an gewährt werden konnte (§ 117 Abs 1a AFG), steht – wie das LSG zutreffend unter Hinweis auf § 132 Abs 1 Satz 3 AFG in der im Jahre 1990 geltenden Fassung dargelegt hat – der Meldepflicht nicht entgegen. Auch der Umstand, daß mit Bescheid des Arbeitsamtes A.… vom 3. August 1990 die Zahlung von Alg im Hinblick auf die seinerzeit bestehende unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit unter Hinweis auf § 108 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG wegen Ruhens des Leistungsanspruchs abgelehnt wurde, ist – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat – für die Meldepflicht unerheblich.
Der Weg, auf dem die Klägerin den Verkehrsunfall erlitt, wurde von ihr auch unternommen, weil sie von der Dienststelle E.… des Arbeitsamtes A.… zu einem Besuch aufgefordert worden war. Das LSG hat in rechtlich zutreffender Weise unter Berücksichtigung der Umstände des festgestellten Sachverhalts eine Aufforderung iS des § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO angenommen. Eine Aufforderung im Sinne dieser Vorschrift ist zwar mehr als stillschweigendes Einverständnis und Anregung (Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens aaO § 539 RdNr 11). Allerdings kann selbst eine mit einer Bitte oder Empfehlung umschriebene Äußerung des Arbeitsamtes eine “Aufforderung” darstellen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 76; s ferner BSG Urteil vom 26. Oktober 1983 – 9b RU 6/82 – USK 83166), sofern der Eindruck vermittelt wird, daß das Erscheinen notwendig sei und erwartet werde. Für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO ist nicht erforderlich, daß es sich um eine Aufforderung des Arbeitsamtes zum Zweck der Arbeitsvermittlung (§ 13 AFG) handelt. Zum einen kann der Meldepflichtige nach § 132 Abs 1 AFG iVm § 2 der Meldeanordnung vom 14. Dezember 1972 (aaO) nicht nur zum Zweck der Vermittlung in Arbeit, sondern ua auch zur Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren aufgefordert werden, sich zu melden. Zum anderen ist der Versicherungsschutz nicht auf Wege beschränkt, die vom Meldepflichtigen in Erfüllung der Meldepflicht zurückgelegt werden, wie sich aus § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO ergibt. Diese Vorschrift enthält keine Einschränkung hinsichtlich der Gründe und des Zwecks der Aufforderung und umfaßt auch Aufforderungen zur Arbeitsberatung nach § 15 AFG (s BSG SozR 2200 § 539 Nr 78), zur Rückmeldung nach Abschluß einer Bildungsmaßnahme (s BSG SozR 2200 § 539 Nr 76) oder zu anderen für erforderlich gehaltenen persönlichen Kontakten, ua solchen, die der Erfüllung der Mitwirkungspflichten des Arbeitslosen nach § 60 SGB I oder zur mündlichen Erörterung seines Antrags (§ 61 SGB I) dienen. Dabei ist auch nicht notwendig, daß es sich um rechtswirksame Meldeaufforderungen oder ein rechtswirksames Mitwirkungsverlangen iS des § 61 SGB I (s dazu BSG SozR 4100 § 132 Nr 1) handelt. Entgegen der Auffassung der Revision ist ebensowenig erforderlich, daß für die Aufforderung, die Dienststelle aufzusuchen, überhaupt eine Rechtsgrundlage bestand. Die Aufforderung muß nur im Zusammenhang mit den Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit stehen, und es muß sich um eine Willensäußerung handeln, die erkennen läßt, daß die Arbeitsverwaltung ein bestimmtes Verhalten – die persönliche Vorsprache/ Meldung – vom Arbeitslosen erwartet (s Hessisches LSG vom 22. Februar 1989 – L 3 U 1394/87 – HV-Info 1989, 2506; zustimmend Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 25; vgl auch Gagel aaO § 132 RdNr 15 und 26).
Von diesen Rechtsgrundsätzen ausgehend ist das LSG wiederum im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) zu dem rechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, daß die Klägerin am 5. Juli 1990 die Dienststelle E.… auf deren Aufforderung hin und nicht – wie die Revision meint – allein aus Eigeninitiative aufsuchen wollte. Es hat dazu festgestellt, daß der Klägerin bei der Arbeitslosmeldung und Antragstellung am 2. Juli 1990 der Antragsvordruck ausgehändigt und ihr dabei aufgegeben wurde, diesen ausgefüllt zusammen mit weiteren Unterlagen zurückzugeben. Die Klägerin wurde nicht darauf hingewiesen, daß es ihr frei stand, die Unterlagen per Post zurückzusenden. Dies ergibt sich nach den Feststellungen des LSG auch nicht aus dem Antragsvordruck selbst. Der Klägerin wurde vielmehr gesagt, sie solle den ausgefüllten Antrag nebst Anlagen am nächsten Donnerstag – also am 5. Juli 1990 – vorbeibringen; bis zum Dienstag werde sie die geforderten Unterlagen nicht zusammen haben. Nach den weiteren Feststellungen des LSG wurden der Zeugin H.…, die mit der Klägerin am 2. Juli 1990 gemeinsam das Arbeitsamt aufgesucht hat, das gleiche von demselben Bediensteten des Arbeitsamtes gesagt. Diese Zeugin hielt das Aufsuchen des Arbeitsamtes sogar für so dringlich, daß sie nach den Unfall ihren Ehemann veranlaßt hatte, die Unterlagen noch am selben Tag zum Arbeitsamt zu bringen. Ferner wurde die Klägerin bei Übergabe des auszufüllenden Vordrucks ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eventuelle Unrichtigkeiten, Lükken oder Zweifelsfragen, die sich aus den Unterlagen ergäben und für den Leistungsanspruch von Bedeutung seien, sogleich geklärt werden könnten und so eine zügige Bearbeitung ermöglicht werde.
Soweit demgegenüber die Revision vorträgt, bei dem in dem Antragsvordruck enthaltenen Text handele es sich schon begrifflich um keine Aufforderung, sondern um eine sog Andrangsregelung, so übersieht sie, daß das LSG sich im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung auf die Erklärungen des den Antrag entgegennehmenden Sachbearbeiters bei der Aushändigung des Vordrucks gestützt hat, der dabei die Klägerin unmißverständlich aufgefordert hatte, am Donnerstag, 5. Juli 1990, die Unterlagen persönlich zurückzureichen. Bei dieser Sachlage konnte die Klägerin zu Recht davon ausgehen, daß von ihr eine persönliche Rückgabe des Vordrucks am 5. Juli 1990 erwartet wurde. Die Rückgabe wurde ihr ausdrücklich aufgegeben. Das ist eine Aufforderung iS des § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO.
Die Revision beruft sich schließlich zu Unrecht auf § 2 der Meldeanordnung, wonach der Meldepflichtige nur zum Zweck der Vermittlung in berufliche Ausbildungsstätten oder Arbeit, der Vorbereitung von Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Bildung oder von Entscheidungen im Leistungsverfahren aufgefordert werden kann, sich zu melden. Für den Versicherungsschutz im vorliegenden Fall verkennt die Revision, daß es im Gegensatz zu der Voraussetzung des § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst a (Aufsuchen zur Erfüllung der Meldepflicht) für den Tatbestand des § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO hierauf nicht ankommt.
Das LSG hat daher zu Recht einen Unfallversicherungsschutz der Klägerin angenommen und die Beklagte als zuständigen Unfallversicherungsträger (§ 654 Nr 1 RVO) dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des am 5. Juli 1990 durch den Verkehrsunfall erlittenen Arbeitsunfalls Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 921719 |
BB 1995, 782 |
NJW 1995, 2943 |
Breith. 1995, 607 |
SozSi 1997, 34 |