Entscheidungsstichwort (Thema)
Abhängige Beschäftigung eines Gesellschafter-Geschäftsführers
Orientierungssatz
Zur Frage der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit eines GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers.
Normenkette
AFG §§ 104, 168 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.04.1994; Aktenzeichen L 7 Ar 344/92) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 03.11.1992; Aktenzeichen S 16 Ar 236/92) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 18. Februar bis 9. September 1991.
Er ist 1959 geboren, hat eine Berufsausbildung als Kraftfahrzeugmechaniker durchlaufen und führt seit Oktober 1991 den Meistertitel. Ab Januar 1986 arbeitete er für die R.-GmbH, die ihren Betrieb im November 1990 (wegen Ablaufs des Grundstücksmietvertrages) vorübergehend einstellte und im September 1991 an einem neuen Standort wieder aufnahm. Die R.-GmbH, deren Geschäftszweck auf die Instandsetzung von Kraftfahrzeugen aller Art sowie den Handel mit Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen gerichtet ist, wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 28. Januar 1986 mit einem Stammkapital von 51.000,00 DM gegründet. Gesellschafter waren N., F. und der Kläger mit einem Anteil von je 17.000,00 DM. Gesellschafterbeschlüsse konnten mit einfacher Mehrheit aller abgegebenen Stimmen gefaßt werden. Alle drei Gesellschafter wurden zu Geschäftsführern bestellt; jeweils zwei Geschäftsführer vertraten die Gesellschaft gemeinschaftlich (Beschluß vom 28. Januar 1986). Im Januar 1987 schied F. sowohl als Gesellschafter als auch als Geschäftsführer aus. An seine Stelle als Gesellschafter trat O. mit einem Anteil von 1.200,00 DM; die restlichen Anteile des F. (15.800,00 DM) wurden von N. und dem Kläger jeweils zur Hälfte übernommen, so daß diese nunmehr über Anteile in Höhe von jeweils 24.900,00 DM verfügten (17.000,00 DM + 7.900,00 DM). Im Außenverhältnis wurde die Gesellschaft seit Januar 1987 durch N. und den Kläger als Geschäftsführer gemeinschaftlich vertreten. Die Geschäftsführer waren von den Einschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch befreit. Im Innenverhältnis hatten sie in bestimmten Fällen (ua bei Geschäften mit einem Wert von mehr als 1.000,00 DM sowie bei der Aufnahme von Bankkrediten und Darlehen) vor der Abgabe einer verbindlichen Willenserklärung die Einwilligung der Gesellschaft einzuholen. Der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag des Klägers (vom 29. Dezember 1985) sah eine monatliche Vergütung von 1.800,00 DM vor; zuletzt erhielt der Kläger eine solche von 2.750,00 DM. N. bezog ein gleichhohes Gehalt; allerdings erhielt er im ersten Halbjahr 1990, als der Kläger sich auf die Meisterprüfung vorbereitete, als Ausgleich für die Mehrarbeit eine Gehaltsaufstockung um weitere 2.750,00 DM (insgesamt 5.500,00 DM). Des weiteren waren in den Geschäftsführer-Anstellungsverträgen ua eine 40-Stunden-Woche, eine gesonderte Vergütung für etwaige Überstunden sowie ein Urlaub von 23 Arbeitstagen vereinbart, der mit den übrigen Geschäftsführern abzustimmen war.
Am 28. Dezember 1990 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Er legte eine von N. unterschriebene Arbeitsbescheinigung vor, nach der er vom 1. Januar 1986 bis 30. November 1990 bei der R.-GmbH als Arbeiter tätig gewesen war. Das Arbeitsamt (ArbA) bewilligte Alg ab Antragstellung für 312 Wochentage (Bescheid vom 14. Januar 1991). Nachdem es erfahren hatte, daß der Kläger am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt gewesen war, stellte es die Alg-Leistungen ab 7. Februar 1991 vorläufig ein und teilte dies dem Kläger mit (Schreiben vom 15. Februar 1991). Die Beigeladene ließ das ArbA auf entsprechende Anfrage wissen, daß für den Kläger bis 30. November 1990 Versicherungspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) bestanden habe (Schreiben vom 24. April 1991). Die hiergegen erhobene Klage wurde von der Beklagten später zurückgenommen. Nachdem das ArbA dem Kläger Alg für die Zeit vom 7. bis 16. Februar 1991 zugesprochen hatte (Bescheid vom 9. Oktober 1991), hob es - nach entsprechender Anhörung - die Alg-Bewilligung vom 14. Januar 1991 mit Wirkung ab 18. Februar 1991 auf (Bescheid vom 28. Oktober 1991; Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 1992). Das Sozialgericht (SG) hat - nach Vernehmung des O. als Zeugen - den Bescheid vom 28. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 1992 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den 17. Februar 1991 hinaus Alg zu zahlen (Urteil vom 3. November 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. April 1994).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe nicht die erforderliche Anwartschaftszeit erfüllt. Er habe innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist nicht 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Es habe an persönlicher Abhängigkeit gefehlt. Zwar habe der Kläger weder über die Hälfte des Stammkapitals noch über eine Sperrminorität verfügt. Doch sei er sowohl nach der Gestaltung seiner vertraglichen Beziehungen zur GmbH als auch nach den tatsächlichen Gegebenheiten weisungsfrei gewesen. Alle Gesellschafter seien, zumal die GmbH aus einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts hervorgegangen sei, ihre eigenen Arbeitgeber gewesen. Sie hätten sich in eine selbst vorgegebene Ordnung eingefügt. Fremdbestimmung habe nicht vorgelegen. Ebenso wie der Kläger auf die Entscheidungen der anderen Gesellschafter habe Einfluß nehmen können, hätten diese die Entscheidungen des Klägers beeinflussen können. Dies habe sich ua bei den betrieblich vorgegebenen Arbeitszeiten, der Abstimmung vor dem Urlaub sowie Geschäften mit einem Wert selbst unter 1.000,00 DM gezeigt. Zudem habe der Kläger mit einem Anteil von fast 50 vH ein erhebliches unternehmerisches Risiko getragen. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides sei zu Recht mit Wirkung ab 18. Februar 1991 erfolgt. Die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Schließlich habe der Verwaltungsakt der Beigeladenen hinsichtlich der Beitragspflicht des Klägers keine Bindungswirkung gegenüber der Beklagten entfaltet.
Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 100 Abs 1, 104, 168 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sowie die Nichtvernehmung der in der Berufungsinstanz benannten Zeugen N., O. und B.-St. Er, der Kläger, habe schon bei Abschluß des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages einen Arbeitnehmerstatus einnehmen wollen. Die Zeugin B.-St. hätte dies im Fall ihrer Vernehmung bekundet. Vertragliche Regelungen und tatsächliche Gegebenheiten in bezug auf Arbeitsbereich, Arbeitszeit, Urlaub und Vergütung sprächen ebenfalls für Weisungsgebundenheit. In der Praxis sei er, der Kläger, insbesondere bezüglich der Arbeitszeit und des Urlaubs Anweisungen unterworfen gewesen, was N. und O. im Fall ihrer Vernehmung als Zeugen bestätigt hätten. Das wirtschaftliche Risiko habe nicht bei ihm, sondern bei der GmbH gelegen. Selbständigkeit könne allenfalls in den Fällen angenommen werden, in denen ein Geschäftsführer über die Hälfte des Stammkapitals verfüge.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das
Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend. Der Kläger habe, da er über 33,3 bzw 48,8 vH des Stammkapitals verfügt habe, Weisungen anderer Gesellschafter faktisch verhindern können; die Gesellschafterversammlung sei nämlich nur beschlußfähig gewesen, wenn mindestens 75 vH des Stammkapitals vertreten gewesen sei. Auch habe sich die Mitarbeit des Klägers auf gesellschaftsrechtlicher, nicht arbeitsrechtlicher Basis vollzogen; ein Ausscheiden als Gesellschafter hätte die entschädigungslose Beendigung jeglicher Tätigkeit in der Gesellschaft nach sich gezogen. Mit 48,8 vH des Stammkapitals habe der Kläger auch ein nicht unerhebliches Unternehmerrisiko getragen. Überdies habe er nach Beendigung einer Geschäftsführertätigkeit für die Dauer von zwei Jahren einem Wettbewerbsverbot unterlegen. Schließlich sei durch das Bundessozialgericht (BSG) anerkannt, daß ein die Beitragspflicht feststellender Verwaltungsakt der Einzugsstelle die BA selbst dann nicht binde, wenn er ihr bekanntgegeben worden sei.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Die Berufung der Beklagten war statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Ausschließungsgründe iS der §§ 144 bis 149 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung (vgl Art 8 Nr 5, 14 Abs 1 Satz 1 und 15 Abs 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 - BGBl I 50) sind nicht gegeben. Insbesondere greift nicht die Ausschlußklausel des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG aF ein. Denn im Streit steht ein Anspruch auf Alg für einen Zeitraum von mehr als dreizehn Wochen (drei Monaten).
Richtige Klageart ist, anders als das SG gemeint hat, nicht die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), sondern die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Wie der Senat wiederholt herausgestellt hat, ist eine Leistungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn der Kläger sein Klageziel mit der Anfechtungsklage erreichen kann (BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19; BSG SozR 4100 § 134 Nr 29; SozR 3-4100 § 111 Nr 4 und § 103 Nr 3). So liegt es hier. Das ArbA, das dem Kläger Alg ab 28. Dezember 1990 für 312 Wochentage gewährt hatte (Bescheid vom 14. Januar 1991), hat die Alg-Bewilligung nicht etwa durch den Bescheid vom 9. Oktober 1991 aufgehoben; es hat mit diesem die bereits ausgesprochene Alg-Bewilligung für die Zeit vom 7. bis 16. Februar 1991 lediglich nochmals bestätigt, nachdem es die Alg-Leistungen zuvor ab 7. Februar 1991 vorläufig eingestellt hatte (Schreiben vom 15. Februar 1991). Dagegen hat es die Alg-Bewilligung mit Wirkung ab 18. Februar 1991 zurückgenommen (Bescheid vom 28. Oktober 1991; Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 1992). Hiergegen wendet sich der Kläger. Er erstrebt, da er seine Tätigkeit für die R.-GmbH am 10. September 1991 wieder aufgenommen hat, Alg für die Zeit vom 18. Februar bis 9. September 1991. Er kann dieses Klageziel mit der bloßen Teil-Anfechtungsklage verwirklichen. Das LSG wird ihn hierauf ggf hinzuweisen haben (§§ 106 Abs 1, 153 Abs 1 SGG).
Ob die Beklagte die Alg-Bewilligung mit Wirkung ab 18. Februar 1991 zurücknehmen durfte, beurteilt sich nach § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Gemäß Abs 1 dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ob der Bewilligungsbescheid vom 14. Januar 1991 rechtswidrig war, läßt sich aufgrund der bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht entscheiden.
Gemäß § 100 Abs 1 AFG hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim ArbA arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht unangegriffen und daher für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, daß sich der Kläger am 28. Dezember 1990 arbeitslos gemeldet (§ 105 AFG) und Alg beantragt hat, daß er ab diesem Tag arbeitslos war (§ 101 AFG) und daß er der Arbeitsvermittlung (durchgehend) zur Verfügung stand (§ 103 AFG). Seiner Verfügbarkeit stand rechtlich nicht entgegen, daß er für die Dauer von zwei Jahren nach (der vorläufigen) Beendigung seiner Tätigkeit für die R.-GmbH einem Wettbewerbsverbot unterlag (§ 8 Abs 1 des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages). Denn während der Dauer des Wettbewerbsverbots braucht der Arbeitslose, will er Alg beziehen, lediglich bereit zu sein, solche Beschäftigungen anzunehmen, die er aufgrund seiner Verpflichtung aus der Wettbewerbsabrede ausüben darf (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AFG). Kehrseite dieser Beschränkung der beruflichen Tätigkeit (als Arbeitnehmer) ist die Möglichkeit einer Erstattungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 128a AFG (vgl hierzu etwa BSG SozR 3-4100 § 128a Nr 7 mwN). Dagegen hält die Schlußfolgerung des LSG, der Kläger habe die erforderliche Anwartschaftszeit (§ 104 AFG) nicht erfüllt, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre (§ 104 Abs 3 Halbs 1 AFG) und geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind (§ 104 Abs 2 AFG). Vorliegend lief die Rahmenfrist vom 28. Dezember 1987 bis 27. Dezember 1990.
Für diesen Zeitraum kann das Vorliegen eines beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, wie vom LSG richtig gesehen, nicht deswegen angenommen werden, weil Beiträge zur BA gezahlt worden sind, die Beitragszahlung durch die Beigeladene als Einzugsstelle unbeanstandet geblieben ist oder - was hier der Fall zu sein scheint - die Einzugsstelle die Beitragspflicht des Klägers zur BA förmlich durch Verwaltungsakt festgestellt hat. Denn das Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung ist, wie der Senat entschieden hat, vom Beitragsrecht abgekoppelt. Das gilt nicht nur für den Fall, daß die Einzugsstelle die Beitragspflicht zur BA zu Unrecht verneint hat, sondern auch, wenn die Beitragspflicht fälschlicherweise bejaht worden ist. Ausschlaggebend ist im einen wie im anderen Fall das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit (BSGE 70, 81, 84 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 8; vgl auch BSG vom 6. Februar 1992 - 7 RAr 36/91 -, unveröffentlicht). Damit kommt es maßgebend darauf an, ob die vom Kläger für die R.-GmbH ausgeübte Tätigkeit beitragspflichtig iS des § 168 AFG war.
Beitragspflichtig sind nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer). Die Beitragspflicht ist damit die Folge einer abhängigen Beschäftigung und richtet sich nach den Grundsätzen, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung entwickelt haben (vgl Begründung zu § 164 Abs 1 AFG - Entwurf, BT-Drucks V/2291 S 91; BSGE 49, 22, 25 = SozR 4100 § 168 Nr 10). Arbeitnehmer ist hiernach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (BSGE 13, 196, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSGE 20, 6, 8 = SozR Nr 41 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16). Zwar kann das Weisungsrecht erheblich eingeschränkt sein, wie das insbesondere bei Diensten höherer Art der Fall ist, vollständig entfallen darf es jedoch nicht; es muß eine fremdbestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen (BSGE 16, 289, 293 f = SozR Nr 30 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1). Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende seine Tätigkeit also wesentlich frei gestalten, insbesondere über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbständige Tätigkeit vor, die zusätzlich durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet zu sein pflegt (BSGE 13, 196, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; BSGE 70, 81, 82 = SozR 3-4100 § 104 Nr 8; BSG SozR 3-4100 § 168 Nrn 8 und 11).
Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch, ob der Geschäftsführer einer GmbH abhängig und deshalb beitragspflichtig beschäftigt ist oder nicht (vgl BSG SozR 4100 § 168 Nr 16). Er ist weder wegen seiner Organstellung (BSGE 13, 196, 200 = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF) noch deshalb von einer abhängigen Beschäftigung ausgeschlossen, weil er gegenüber Arbeitnehmern der GmbH Arbeitgeberfunktionen ausübt; denn auch wer Arbeitgeberfunktionen ausübt, kann seinerseits bei einem Dritten persönlich abhängig beschäftigt sein. Maßgebend bleibt daher die Bindung des Geschäftsführers an das willensbildende Organ, in der Regel die Gesamtheit der Gesellschafter. Diese Bindung kann nach dem Recht der GmbH in unterschiedlichster Weise ausgestaltet sein. Neben weisungsfreien Geschäftsführern gibt es daher Geschäftsführer, die durchgehend weisungsgebunden sind; in den letztgenannten Fällen führen die Gesellschafter mit Hilfe des Weisungsrechts die Geschäfte der GmbH im wesentlichen selbst.
Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis liegt hiernach allerdings nicht vor, wenn der Geschäftsführer an der Gesellschaft beteiligt ist und allein oder jedenfalls mit Hilfe seiner Gesellschafterrechte die für das Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit vermeiden kann. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zur GmbH hat das BSG daher verneint, wenn der Geschäftsführer über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt (BSGE 23, 83, 84 f = SozR Nr 41 zu § 537a RVO; BSG SozR Nr 30 zu § 539 RVO; BSG BB 1975, 282 = USK 74139 = Beiträge 1975, 60 = Rentenversicherung 1975, 151; BSGE 42, 1, 2 = SozR 2200 § 723 Nr 1; BSG USK 82166). Ebenso ist entschieden worden, wenn der Geschäftsführer über eine Sperrminorität verfügt, um ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschaft zu verhindern (BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 5; vgl BSGE 42, 1, 2 = SozR 2200 § 723 Nr 1). Aber auch dort, wo die Kapitalbeteiligung des Geschäftsführers hierfür nicht ausreicht, kann ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen sein, wenn der Geschäftsführer hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort seiner Tätigkeit im wesentlichen weisungsfrei ist und, wirtschaftlich gesehen, seine Tätigkeit nicht für ein fremdes, sondern für ein eigenes Unternehmen ausübt (vgl BSGE 13, 196 = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53 = SozR 4600 § 56 Nr 1; BSGE 70, 81, 83 = SozR 3-4100 § 104 Nr 8; BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 8).
Im vorliegenden Rechtsstreit war der Kläger aufgrund seiner Kapitalbeteiligung nicht in der Lage, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschaft zu unterbinden. Er war am Stammkapital der Gesellschaft von 51.000,00 DM seit Januar 1987 mit einer Stammeinlage von 24.900,00 DM (48,82 vH) beteiligt. Je 500,00 DM eines Geschäftsanteils gewährten eine Stimme (§ 6 Nr 4 des Gesellschaftsvertrages). Das reichte nicht aus, um generell die für ein Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit zu vermeiden. Ebensowenig verfügte der Kläger über eine Sperrminorität, aufgrund deren er imstande gewesen wäre, sich gegenüber ihm nicht genehmen Weisungen zur Wehr zu setzen. Insbesondere konnte er entgegen der Ansicht der Beklagten Weisungen der anderen Gesellschafter nicht deshalb faktisch verhindern, weil die Gesellschafterversammlung nur beschlußfähig war, wenn mindestens 75 vH des Stammkapitals vertreten war. Wurde diese Mehrheit nämlich nicht erreicht, so war binnen Monatsfrist eine zweite Gesellschafterversammlung mit der gleichen Tagesordnung einzuberufen. Diese Gesellschafterversammlung war dann ohne Rücksicht auf das vertretene Stammkapital beschlußfähig (§ 6 Nr 3 des Gesellschaftsvertrages).
War sonach die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht grundsätzlich ausgeschlossen, bleibt entscheidend, ob der Kläger nach der Gestaltung seiner vertraglichen Beziehungen zur GmbH und den tatsächlichen Gegebenheiten hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Tätigkeit im wesentlichen weisungsfrei war. Insoweit kommt es im Zweifel auf die tatsächlichen Gegebenheiten an.
Die vertragliche Gestaltung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages läßt sich entgegen der Auffassung des LSG nicht dafür anführen, der Kläger habe sich in eine rechtlich selbst vorgegebene Ordnung eingebunden. Das gilt sowohl für die 40-Stunden-Woche, die in den betrieblich vorgegebenen Zeiten zu leisten war (§ 4 Abs 4 Satz 1), als auch für den Urlaub von 23 Arbeitstagen, der mit den übrigen Geschäftsführern abzustimmen war (§ 6 Abs 1). Diese Regelungen räumten dem Kläger keine besonderen Freiheiten ein. Nichts anderes trifft auf die monatliche Vergütung (§ 4 Abs 1), die Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund (§ 1) sowie das Wettbewerbsverbot (§ 8) zu. Alle diese Vorschriften können Inhalt eines üblichen Anstellungsvertrages sein.
Die vom LSG angezogenen tatsächlichen Gegebenheiten - nämlich daß die R.-GmbH aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts hervorgegangen ist, in der "praktisch alle Gesellschafter ihre eigenen Arbeitgeber waren" und an der sich durch die Umwandlung der Gesellschaft faktisch "nichts geändert" hat, ferner, daß der Kläger im ersten Halbjahr 1990 die Möglichkeit hatte, seine Arbeitszeit (wegen Vorbereitung auf die Meisterprüfung) erheblich zu reduzieren, schließlich, daß Anschaffungen immer gemeinsam vorbesprochen wurden - können dafür sprechen, daß der Kläger - wie vom LSG angenommen - seine Tätigkeit nicht für ein fremdes, sondern für ein eigenes Unternehmen ausgeübt hat. Doch zwingen sie nicht zu dieser Schlußfolgerung. Andere tatsächliche Umstände können dem entgegenstehen. Insoweit ist das LSG seiner Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) nicht hinreichend nachgekommen.
Der Kläger hat dies in rechtlich korrekter Weise gerügt. Er hat, wie erforderlich (vgl hierzu etwa BSGE 41, 229, 236 = SozR 4100 § 101 Nr 1; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl 1993, § 164 Rz 12; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, § 164 Rz 216, jeweils mwN), ua dargelegt, aufgrund welcher Umstände das LSG sich zu weiterer Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen, nämlich durch Vernehmung des sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG als Zeugen benannten N. ua dazu, daß er, der Kläger, über seine Arbeitszeit (einschließlich Urlaub) nicht selbst entscheiden konnte. Darüber hinaus hat der Kläger aufgezeigt, zu welchem Ergebnis die unterbliebene Zeugenvernehmung geführt hätte, nämlich dazu, daß er, der Kläger, sich in bezug auf die Arbeitszeit den Weisungen des N. unterwerfen mußte und in mehreren Fällen unterworfen hat. Das LSG ist diesem Beweisantrag nicht gefolgt. Es hat seine Entscheidung allein auf die Aussage des in erster Instanz gehörten Zeugen O. gestützt. Dieser hat bekundet, es habe aus seiner Sicht zwischen N., dem Kläger und ihm kein Über- oder Unterordnungsverhältnis bestanden. Auf der anderen Seite hat er jedoch auch betont, daß er bis Februar 1988 als Auszubildender in der R.-GmbH tätig war, daß er nach Ablegung der Prüfung bis Ende 1988 zunächst ganztags, im Jahre 1989 dann nur halbtags und im Jahr 1990 überhaupt nicht mehr für die Gesellschaft gearbeitet hat. Er war demnach innerhalb der hier relevanten Rahmenfrist (28. Dezember 1987 bis 27. Dezember 1990) unter Berücksichtigung von Prüfungs- und Urlaubszeiten allenfalls anderthalb Jahre für den Betrieb der R.-GmbH tätig. Bei dieser Sachlage ist nicht nachvollziehbar, wie er hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten in der Gesellschaft ein umfassendes Bild hätte zeichnen können. Hinzu kommt, daß der Kläger im ersten Halbjahr 1990 im Betrieb der Gesellschaft ebenfalls kaum anwesend gewesen sein dürfte und erst im Oktober 1991 den Meistertitel erworben hat. Daß er unter diesen Umständen in der R.-GmbH gleichwohl das "Sagen" gehabt haben soll, erscheint zumindest fraglich. Schließlich hat die Beigeladene bereits vor dem LSG hervorgehoben, sie habe in einem persönlichen Gespräch vom 19. April 1991 (an dem N. und der Kläger zugegen gewesen sein dürften) den Eindruck gewonnen, daß N. im Verhältnis zum Kläger den stärkeren Einfluß in der GmbH ausgeübt habe. Das LSG hätte deshalb, wie vom Kläger zu Recht beanstandet, auch N. (ggf unter Gegenüberstellung mit O.) als Zeugen vernehmen müssen. Der Senat kann die unterbliebenen Sachverhaltsfeststellungen nicht selbst nachholen. Aus diesem Grund ist das zweitinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, daß der Kläger die erforderliche Anwartschaftszeit nicht zurückgelegt hat, wird es das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 45 SGB X zu prüfen haben.
Die Revision führt somit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dieses wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 60274 |
RegNr, 21822 (BSG-Intern) |
Die Beiträge 1995, 358-365 (OT1) |
EzA-SD Nr 11, 5-7 (LT) |
EzA § 100 AFG, Nr 1 (LT1-3) |