Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Härtefallregelung. Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Sozialplan. Berücksichtigung von laufenden Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes. keine Übertragbarkeit. beitragsrechtliche Behandlung. Abfindung. Anrechnungsfreiheit. Arbeitslosenhilfe. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Als Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt iS der Vorschriften über die Befreiung von der Zuzahlungspflicht sind auch laufende Ausgleichszahlungen anzusehen, die vom früheren Arbeitgeber für die Zeit von der Entlassung bis zum Beginn der Rente zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes geleistet werden.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB V § 61 Abs. 2 Nr. 1; RVO § 180 Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1; SGB V § 229 Abs. 1 S. 3; AFG § 138 Abs. 3 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 1996 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darum, ob die Einkommensgrenze für die Befreiung von der Zuzahlungspflicht beim Kläger überschritten ist.
Der Kläger war Mitglied der Betriebskrankenkasse Thyssen Stahl AG, die sich zum 1. Januar 1997 mit anderen Kassen zur jetzigen Beklagten vereinigt hat; er wird nunmehr von der Beklagten betreut. Sein Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag zum 31. August 1994; seit 1. April 1997 bezieht er Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und eine betriebliche Altersversorgung. In der Zwischenzeit, um die es im Rechtsstreit ausschließlich geht, erhielt er Arbeitslosengeld, das nach den Bestimmungen des mit dem Arbeitgeber ausgehandelten Sozialplans durch eine zusätzliche Arbeitgeberleistung auf einen Betrag in Höhe von 90 vH des zuletzt erzielten Netto-Durchschnittsentgelts aufgestockt wurde. Sein Antrag vom Februar 1995 auf Befreiung von der Zuzahlungspflicht wegen unzumutbarer Belastung wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 17. Februar 1995 (Widerspruchsbescheid vom 30. August 1995) zurückgewiesen, weil Arbeitslosengeld und Abfindung als Einnahmen zum Lebensunterhalt anzurechnen seien.
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteile vom 28. Februar 1996 und vom 29. August 1996). Das Landessozialgericht (LSG) vertritt die Auffassung, die monatlichen Abfindungszahlungen des Arbeitgebers seien neben dem bezogenen Arbeitslosengeld als Einnahmen zum Lebensunterhalt zu qualifizieren, weil es sich nicht um zweckgebundene Sozialleistungen handle, die einen besonderen Mehrbedarf abdecken sollten. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Berücksichtigung einmaliger Abfindungen, die teilweise als Ausgleich für den Verlust des sozialen Besitzstands gewertet würden und nur im übrigen als Ersatz für entgangenes Arbeitsentgelt den Anspruch auf Arbeitslosengeld zum Ruhen brächten, betreffe einen anderen Sachverhalt. Eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitslosenhilfeempfängern bestehe nicht, weil dieser Personenkreis kraft besonderer Regelung unabhängig von weiteren Einnahmen von der Zuzahlungspflicht befreit sei. Eine jetzige Befreiung des Klägers sei auch deshalb nicht zu billigen, weil ihre Voraussetzungen mit dem Eintritt in den Ruhestand trotz voraussichtlich geringeren Gesamteinkommens wieder entfallen würden.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 61 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Abfindung des früheren Arbeitgebers habe unabhängig von ihrer Zahlungsweise unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Entschädigungs- und keinen Entgeltcharakter. Das Arbeitsverhältnis sei nämlich nicht vorzeitig, sondern unter Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen fiktiven Kündigungsfrist beendet worden, so daß die Abfindung keine Entgeltanteile enthalten könne. Monatliche Ausgleichszahlungen dürften nicht anders behandelt werden als einmalige Abfindungen. Hätte er Arbeitslosenhilfe erhalten, wäre er zu befreien gewesen, obwohl er die Ausgleichszahlungen ebenfalls erhalten hätte und sein Einkommen insgesamt gleich hoch gewesen wäre.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide zur Erstattung der von ihm in der Zeit vom Februar 1995 bis März 1997 geleisteten Zuzahlungen zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Zuzahlungspflicht für den Kläger keine unzumutbare Belastung bedeutet, so daß er auch keinen Anspruch auf Erstattung der im fraglichen Zeitraum geleisteten Zuzahlungen hat.
Bedenken gegen die Zulässigkeit des ursprünglich als Verpflichtungsantrag formulierten Klagebegehrens sind dadurch ausgeräumt, daß der Kläger nunmehr nur noch Erstattung der seit Antragstellung aufgewendeten Zuzahlungen im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage verlangt (§ 54 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Für eine Verpflichtungsklage auf Befreiung von der Zuzahlungspflicht ist das Rechtsschutzbedürfnis dadurch entfallen, daß eine derartige Klage nur für die Zukunft einen Sinn hat (vgl BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1), der Kläger aber seit 1. April 1997 Altersrente und betriebliche Altersversorgung in einer Höhe bezieht, die auch nach seiner Meinung eine Befreiung von der Zuzahlungspflicht ausschließt. Gegen die Umstellung der Klage in diesem Sinne bestehen mit Rücksicht auf § 99 Abs 3 Nr 3 SGG auch im Revisionsverfahren keine Bedenken.
Die vom Kläger seit seinem Antrag vom Februar 1995 erbrachten Zuzahlungen in Höhe von knapp 400 DM waren nicht rechtswidrig, weil ihm kein Anspruch auf Befreiung zustand. Die Befreiung setzt nach § 61 Abs 1 SGB V eine unzumutbare Belastung des Versicherten voraus. Ob sie vorliegt, hängt nach § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V von den monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt ab; § 61 Abs 2 Nr 2 und 3 SGB V sind nicht einschlägig, da der Kläger keine der darin genannten Leistungen erhalten hat. Die Familieneinnahmen durften unter Berücksichtigung seiner mit ihm in einem Haushalt lebenden Ehefrau (§ 61 Abs 4 SGB V) in den Jahren 1995, 1996, 1997 jeweils 2.233,00 DM, 2.271,50 DM bzw 2.348,50 DM monatlich nicht überschreiten (40+15 vH der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch, die in der jeweiligen Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung festgelegt ist; vgl BGBl I 1994, 3806; BGBl I 1995, 1577; BGBl I 1996, 1870). Die Bruttoeinnahmen des Klägers lagen jedoch höher. Nur mit dem bezogenen Arbeitslosengeld in Höhe von knapp 2.010 DM bis knapp 2.130 DM monatlich wurde die maßgebliche Grenze allerdings nicht erreicht. Die Ausgleichszahlung des Arbeitgebers ist jedoch hinzuzurechnen. Sie hat anfangs 1.560 DM im Monat betragen; ob sie sich – wie im Sozialplan vorgesehen – durch die Erhöhung des Arbeitslosengeldes gemindert hat, ist vom LSG nicht festgestellt, aber auch nicht entscheidungserheblich, denn mit über 3.500 DM ist der Bereich der unzumutbaren Belastung jedenfalls überschritten.
Nach dem Gesetzeswortlaut können laufende Zahlungen des ehemaligen Arbeitgebers zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes in der Zeit bis zum Beginn einer Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente aus den „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt” nicht ausgeklammert werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Versicherte die fraglichen Einnahmen zum Lebensunterhalt tatsächlich verwendet oder nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen dazu gezwungen ist, sondern lediglich, ob sie dem Lebensunterhalt zu dienen geeignet sind. Das kann allenfalls bei Leistungen zu verneinen sein, die einen besonderen finanziellen Bedarf voraussetzen, der über den allgemeinen Lebensbedarf hinausgeht; in der Gesetzesbegründung kommt dieselbe Auffassung zum Ausdruck, wenn darin auf Pflegegeld, Blindenzulage und Kindergeld verwiesen wird, denen die in § 61 SGB V vorausgesetzte Funktion der allgemeinen Bedarfsdeckung nicht zukomme (BT-Drucks 11/2237 S 187 zu § 69 Abs 2 und 3). Anhaltspunkte dafür, daß die vom Kläger bezogene Ausgleichszahlung einen besonderen Bedarf abdecken soll, liegen nicht vor. Vielmehr spricht die Berechnung auf der Grundlage von 90 vH des vorher bezogenen Netto-Durchschnittsentgelts dafür, daß die Ausgleichszahlung ebenso wie dieses der allgemeinen Bedarfsdeckung diente.
Von dieser wortlautgetreuen Auslegung ist auch die frühere Rechtsprechung ausgegangen, wenn sie zu beurteilen hatte, was im Rahmen der Beitragsbemessung für freiwillig Krankenversicherte zu den „Einnahmen zum Lebensunterhalt” iS des am 1. Januar 1989 außer Kraft getretenen § 180 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gehörte (stellvertretend: BSGE 64, 100 = SozR 2200 § 180 Nr 44 mwN). Am Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist für § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V grundsätzlich festzuhalten. Zur Abgrenzung der unzumutbaren Belastung durch die Zuzahlungspflicht beim Bezug einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat sich der Senat ihr angeschlossen und denjenigen Teil der Rente als Einnahme gewertet, der die Beschädigtengrundrente bei gleicher MdE übersteigt (BSG SozR 3-2500 § 61 Nr 2).
Für Abfindungen des Arbeitgebers bei Verlust des Arbeitsplatzes hatte die Rechtsprechung zum Beitragsrecht der freiwillig Versicherten allerdings Differenzierungen entwickelt, die für die Beurteilung der unzumutbaren Belastung durch Zuzahlungen jedoch nicht übernommen werden können. Dabei ging es vor allem darum, die mit einer Abfindung verfolgten unterschiedlichen Zwecke beitragsrechtlich umzusetzen. Infolgedessen konnte der Gesamtbetrag teilweise als nachträglich gezahltes Arbeitsentgelt aus der beendeten Beschäftigung, teilweise als auf die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu beziehende Leistung, teilweise als Ersatz für den vertraglich vereinbarten Verzicht auf Ansprüche gegen Dritte oder teilweise als Entschädigung für den Verlust sozialer Besitzstände anzusehen sein. Soweit sich der Zweck nicht aus den Umständen ergab, bestimmte sich der „soziale Anteil” bei Entlassungen ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Frist nach den Grundsätzen, die aufgrund von § 117 Abs 2 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für die Anrechnung von Arbeitgeberabfindungen auf Ansprüche wegen Arbeitslosigkeit galten (BSG SozR 2200 § 180 Nr 39 mwN); ohne näheren Anhalt konnte die Abfindung nicht als Arbeitsentgelt aus der beendeten Beschäftigung angesehen werden und blieb bei Fortsetzung der Pflichtversicherung beitragsfrei (BSGE 66, 219 = SozR 2400 § 14 Nr 2).
Die Zuordnung der vom Kläger bezogenen Ausgleichszahlung zu den Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt wird durch diese Rechtsprechung nicht in Frage gestellt. Deren zu § 180 Abs 4 RVO entwickelten Grundsätze lassen sich auf die Entscheidung nach § 61 SGB V nicht übertragen. Dabei kann offenbleiben, ob und in welchem Umfang sie für das Beitragsrecht des SGB V weiterhin maßgebend sind, nachdem sich die Beitragsschuld der freiwillig Versicherten nunmehr gemäß § 240 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht mehr nach ihren Einnahmen zum Lebensunterhalt, sondern nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu richten hat. Auch wenn mit dem geänderten Wortlaut keine Änderung in der Sache verbunden sein sollte (so im Ergebnis LSG Niedersachsen vom 15. Juni 1994 – L 4 Kr 212/93 = EzS 55/171), ist es nicht gerechtfertigt, die für die beitragsrechtliche Behandlung einer Abfindung entwickelten Kriterien auch für die Beurteilung heranzuziehen, ob ein Versicherter durch Zuzahlungen zu Krankenversicherungsleistungen unzumutbar belastet wird. Im Beitragsrecht für die freiwillig Versicherten darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Beitragsbelastung der Pflichtversicherten an bestimmte Einnahmearten anknüpft und auf diese beschränkt ist (vgl etwa § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 4 SGB V); die regelmäßige Beitragsfreiheit von Abfindungen in der Pflichtversicherung (vgl nochmals BSGE 66, 219 = SozR 2400 § 14 Nr 2) wäre mit einer uneingeschränkten Beitragspflicht in der freiwilligen Versicherung nicht ohne genauere Rechtfertigung in Einklang zu bringen. In der Rechtsprechung zu § 180 Abs 4 RVO wird deshalb mehrfach auf das Beitragsrecht in der Pflichtversicherung hingewiesen (vgl BSG SozR 3-2200 § 180 Nr 7; BSG SozR 2200 § 180 Nr 12 und 16). Diese Zusammenhänge spielen bei der Zuzahlungspflicht, die systematisch dem Leistungsrecht zuzuordnen ist (Senatsurteil vom 9. Juni 1998 – B 1 KR 17/96 R), allenfalls eine untergeordnete Rolle. Schließlich enthält das Gesetz insoweit einen Vorbehalt gegenüber der unbesehenen Übernahme der Grundsätze aus dem Beitragsrecht, als es in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V pauschal die Befreiung aller Sozialhilfeempfänger anordnet, während das BSG früher die laufende Sozialhilfe den Einnahmen zum Lebensunterhalt zugeordnet hatte (BSGE 64, 100 = SozR 2200 § 180 Nr 44; BSGE 56, 101 = SozR 2200 § 180 Nr 15).
Das in den Zuzahlungsvorschriften zum Ausdruck kommende Bemühen um eine möglichst einfach zu handhabende Regelung steht der vom Kläger befürworteten Übernahme von Einzelheiten der bisherigen Rechtsprechung zum Beitragsrecht ebenfalls entgegen. Die generelle Befreiung der Empfänger von Sozialleistungen, die zwar alle von Bedürftigkeitsprüfungen abhängen, für die aber sehr unterschiedliche Maßstäbe gelten, weist in dieselbe Richtung wie die Berücksichtigung von Bruttoeinnahmen ohne Ausgleich für die geringeren Abzüge bei Lohnersatzleistungen: Über die Zuzahlungspflicht soll möglichst rasch und ohne großen Ermittlungsaufwand entschieden werden (vgl auch BT-Drucks 11/2237 S 187 und Senatsurteil vom 29. Juni 1994 – BSG SozR 3-2500 § 61 Nr 5 S 24). Das verbietet differenzierte Abgrenzungen und Aufteilungen von entlassungsbedingten Zuwendungen nach dem Alter des Entlassenen, der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit sowie der Art der Entlassung und der dabei eingehaltenen Fristen. Auch soweit Arbeitgeberabfindungen beim Bezug von Arbeitslosenhilfe in vollem Umfang anrechnungsfrei bleiben können, beruht dieses Ergebnis nach der dazu vom BSG gegebenen Begründung auf einer vielschichtigen Abwägung unterschiedlicher Merkmale (vgl BSG SozR 4100 § 138 Nr 18) und kann weder für alle Arbeitslosenhilfeempfänger und erst recht nicht für andere Sozialleistungsempfänger verallgemeinert werden.
Die vom Kläger gegen dieses Ergebnis geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken werden vom Senat nicht geteilt.
Die Zuzahlungspflicht als solche ist durch den Zwang, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zur Vermeidung von Beitragserhöhungen einzudämmen, und die daran anschließende Erwägung des Gesetzgebers, eher die finanziell leistungsfähigen Versicherten am Leistungsaufwand zu beteiligen als bestimmte Leistungen für alle Versicherten ganz zu streichen, verfassungsrechtlich ausreichend gerechtfertigt. Die infolgedessen erforderliche Bedürftigkeitsprüfung darf laufende Einnahmen nicht ausklammern. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung sind schon immer in ihrer ganz überwiegenden Anzahl lohnabhängige Arbeitnehmer, die darauf angewiesen sind, mit laufenden Einnahmen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und die allenfalls ausnahmsweise von ihrem Vermögen oder seinem Ertrag leben können. Deshalb muß die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieses Personenkreises in der Regel an den laufenden Einnahmen anknüpfen; eine andere Anknüpfung wäre sachwidrig und daher verfassungsrechtlich angreifbar.
Unter diesen Umständen ist der Hinweis des Klägers, eine kapitalisierte Abfindung hätte die Befreiung von der Zuzahlungspflicht nicht gehindert, für seinen Fall nicht entscheidungserheblich; selbst wenn er zuträfe, würde dadurch der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz nicht zu Lasten des Klägers verletzt. Zunächst ist unklar, ob die dem Einwand zugrundeliegende Rechtsauffassung zutrifft. Denn an sich erhöhen auch Vermögenszuwendungen und insbesondere Kapitalabfindungen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Empfängers. Nach dem Wortlaut des § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V sind Vermögenswerte bei der hier vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung (anders als bei derjenigen nach den in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V indirekt in Bezug genommenen Vorschriften) nicht zu berücksichtigen. Tritt eine einmalige Zahlung an die Stelle einer zugesagten laufenden Leistung für den durch eine erwartete Rentenbewilligung genau begrenzten Zeitraum, wie es der Sozialplan des Betriebs des Klägers vorsieht, ist jedoch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten eine Anrechnung im Rahmen des § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V auch ohne eine dem § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprechende ausdrückliche Ermächtigung zu erwägen. Dann wäre der Kläger gegenüber einem die Kapitalabfindung wählenden Kollegen nicht benachteiligt.
Wie Kapitalabfindungen bei der Frage der unzumutbaren Belastung letztlich zu beurteilen sind, kann der Senat offen lassen, denn darauf kommt es für die hier zu treffende Entscheidung nicht an. Zwänge die gesetzliche Regelung tatsächlich dazu, sie anrechnungsfrei zu lassen, müßte der Kläger seine sich daraus ergebende Schlechterstellung gleichwohl hinnehmen. Denn der zutreffende Vergleichsmaßstab wäre nicht der entlassene Arbeitnehmer, der sich für eine Kapitalabfindung entscheidet. Dessen Begünstigung würde sich ausschließlich als Reflex einer unumgänglichen Typisierung der Befreiungstatbestände in § 61 Abs 2 SGB V darstellen, die dem Kläger keinen Anspruch auf Gleichbehandlung verschaffen könnte. Vergleichsmaßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung muß vielmehr ein Arbeitnehmer sein, der weiterhin im Betrieb beschäftigt ist und Arbeitslohn bezieht. Diesem früheren Arbeitskollegen gegenüber, der zuzahlungspflichtig bleibt, wäre es nicht nachzuvollziehen, wenn sich der Kläger von der Zuzahlungspflicht befreien lassen könnte, obwohl ihn der Sozialplan wirtschaftlich praktisch gleich stellt. Insofern hat bereits der 12. Senat des BSG – allerdings zum Beitragsrecht – auf die unterschiedliche Bedeutung von einmaligen und laufenden Leistungen für den Lebenszuschnitt des Versicherten sowie auf Erhebungen zu Häufigkeit und Umfang von Kapitalvermögen der älteren Generation hingewiesen und ausgeführt, unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten könne allenfalls eine Einbeziehung von Kapitalabfindungen in die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, niemals aber eine Ausklammerung von laufenden Einnahmen verlangt werden (BSG SozR 3-2500 § 229 Nr 4 mwN; bestätigt aaO Nr 10). Diesen Gedankengang macht sich auch der erkennende Senat zu eigen, denn er gilt trotz der Unterschiede zum Beitragsrecht auch für die Zuzahlungspflicht. Da mithin die verfassungsrechtliche Überprüfung allenfalls eine ungerechtfertigte Privilegierung anderer Versicherter ergeben könnte, würde sich an der Zuzahlungspflicht des Klägers nichts ändern.
Soweit sich der Kläger im Vergleich zu dem in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V erfaßten Personenkreis benachteiligt fühlt, gilt nichts wesentlich anderes. Da bei den Empfängern der dort genannten Sozialleistungen die Bedürftigkeit nicht nur an Hand der laufenden Einnahmen, sondern auch an Hand des Vermögens geprüft wird, stellt sich die Bedürftigkeitsprüfung im Verhältnis zur Nr 1 als strenger dar. Die Unterschiede in den Einkommensgrenzen, bis zu denen noch ein Anspruch auf die jeweilige Sozialleistung und demzufolge auch auf Befreiung von der Zuzahlungspflicht besteht, sind nicht derart, als daß sie die damit bezweckte Vereinfachung als unzulässige Typisierung erscheinen ließen. Im Vergleich zum hier maßgeblichen Einkommen des Klägers in Höhe von über 3.500 DM sind sie in aller Regel niedriger. Die sozialhilferechtlichen Bedarfssätze werden deutlich überschritten. Die Arbeitslosenhilfe kann wegen der Abhängigkeit vom vorher erzielten Arbeitsentgelt zwar in Einzelfällen höher sein als die Sozialhilfe für ein Ehepaar ohne Kinder; aber auch hier reicht der (im Jahre 1997) erzielbare Höchstbetrag in der Leistungsgruppe C von 2.600 DM im Monat nicht an die für den Kläger und seine Ehefrau verfügbaren Einnahmen heran. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn eine Erwerbstätigkeit der Ehefrau in die Überlegungen mit einbezogen wird, denn nach § 138 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG (jetzt: § 194 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III) führen derartige Einnahmen zu Kürzungen der Arbeitslosenhilfe des Ehepartners, so daß das Familieneinkommen insgesamt in der Nähe der in § 61 Abs 4 SGB V vorgeschriebenen Grenzen bleibt. Obwohl die Freibeträge für den Hinzuverdienst zu den beiden anderen in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V genannten Sozialleistungen günstiger sind, liegen die dabei denkbaren Grenzbeträge für die Befreiung von der Zuzahlungspflicht in aller Regel unter dem Familieneinkommen des Klägers und seiner Ehefrau.
Der ungefähren Übereinstimmung im Regelfall können Abweichungen bei besonderen Sachverhalten nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. Richtig ist, daß der Kläger von der Zuzahlungspflicht zu befreien gewesen wäre, wenn er neben dem Arbeitgeberausgleich Arbeitslosenhilfe bezogen und infolgedessen denselben Betrag zum Lebensunterhalt zur Verfügung gehabt hätte (Urteil des Senats vom 29. Juni 1994 in BSG SozR 3-2500 § 61 Nr 5). Hierzu wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Nichtanrechnung von Arbeitgeberabfindungen auf die Arbeitslosenhilfe nach der zugrundeliegenden Entscheidung des BSG nicht für alle Arbeitslosenhilfeempfänger verallgemeinert werden kann, so daß die Rechtfertigung der im Gesetz vorgenommenen Typisierung dadurch nicht in Frage gestellt wird. Im übrigen werden Sozialplanabfindungen in der hier erörterten Höhe nicht auf unbegrenzte Zeit, sondern nur als Überbrückungsleistung bis zu der in einem überschaubaren Zeitraum zu erwartenden Rentenbewilligung gewährt. Für eine begrenzte Zeit hält der Senat die vom Kläger gerügte Ungleichbehandlung für verfassungsrechtlich hinnehmbar. Ob es rechtspolitisch eher geboten gewesen wäre, in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V nur Sozialhilfeempfänger zu privilegieren, weil bei diesen die Bedürftigkeit iS der Nr 1 in jedem Fall unterstellt werden kann, hat er nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1175374 |
NDV-RD 1999, 94 |
SGb 1998, 404 |
SozR 3-2500 § 61, Nr.8 |
SozSi 1999, 156 |