Leitsatz (amtlich)
1. Unterhaltsleistungen im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten können keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 42 S 1 AVG (= RVO § 1265 S 1) begründen, wenn sich der Versicherte die Unterhaltsmittel durch fortlaufende Begehung strafbarer Handlungen verschafft hat.
2. Unterhaltszahlungen des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode müssen eindeutig auf bestimmte Zeitabschnitte bezogen werden können und eine lückenlose Unterhaltsleistung ergeben (Fortführung von BSG 1975-06-04 11 RA 76/74 = SozR 2200 § 1265 Nr 4, BSG 1976-11-24 1 RA 151/75 = SozR 2200 § 1265 Nr 24 und BSG 1977-03-16 1 RA 93/76 = SozR 2200 § 1265 Nr 26).
Normenkette
AVG § 42 S 1 Alt 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S 1 Alt 3 Fassung: 1957-02-23; StGB § 181a Abs 1 Nr 1 Fassung: 1975-01-02
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.05.1981; Aktenzeichen L 1 An 27/79) |
SG Osnabrück (Entscheidung vom 18.01.1979; Aktenzeichen S 2 An 231/76) |
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente.
Die Ehe des im Dezember 1927 geborenen Versicherten mit der im April 1928 geborenen Klägerin wurde durch rechtskräftiges Urteil vom 13. April 1960 aus dem Verschulden des Versicherten geschieden; aus der Ehe sind zwei im März 1950 und im November 1957 geborene Kinder hervorgegangen. Durch notariellen Vertrag vom 8. Februar 1960 hatte sich der Versicherte unter Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung gegenüber der Klägerin verpflichtet, für sie und die Kinder an Unterhalt insgesamt 400,-- DM monatlich zu zahlen; dabei sollte es auch für den Fall der Scheidung verbleiben; weitere Unterhaltsansprüche der Klägerin sollten ausgeschlossen sein. Durch gerichtlichen Vergleich vom 6. Februar 1964 verpflichtete sich der Versicherte, jedem seiner Kinder ab 1. Februar 1964 an Unterhalt monatlich 75,-- DM, bei einer Erhöhung seiner Bezüge 100,-- DM an Unterhalt zu zahlen. An dem Vergleich und dem vorausgegangenen Rechtsstreit war die Klägerin nicht beteiligt.
Die Klägerin war zur Zeit der Scheidung nicht berufstätig. 1962 nahm sie eine Halbtagsbeschäftigung auf, etwa seit 1970 ist sie voll berufstätig. Der Kläger bezog ab März 1964 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). 1967 ging er eine neue Ehe ein, die aus Verschulden der Frau geschieden wurde. Seit 1970 lebte er mit der Prostituierten Siegrid K. zusammen. Im Juni 1975 ist er verstorben; seine Rente betrug zuletzt 135,10 DM monatlich.
Die Klägerin beantragte im Juli 1975 die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 42 Angestellten-Versicherungsgesetz (AVG), wobei sie sich auf das Scheidungsurteil und den Unterhaltsvertrag vom 8. Februar 1960 berief. Ferner machte sie geltend, der Versicherte habe ihr monatlich 200,-- DM bar gezahlt; seine Lebensgefährtin sei vermögend gewesen, ihr eigenes monatliches Einkommen betrage 1.140,45 DM. Zeitweise habe sie Rentenkarte und Rentenausweis des Versicherten nebst Empfangsvollmacht im Besitz gehabt. Der Versicherte habe zuletzt mindestens sieben Jahre als Zuhälter mit einer Prostituierten zusammengelebt und aus dieser Quelle, möglicherweise auch durch Buchführungsarbeiten, Geld verdient.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine Hinterbliebenenrente nach § 42 Satz 2 AVG für die Zeit vom 1. August bis 30. November 1975; eine Rentengewährung für die Folgezeit lehnte sie ab. Die gegen die Ablehnung gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Voraussetzungen keiner der drei Alternativen des als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden § 42 Satz 1 AVG erfüllt seien. Da der Unterhalt der Klägerin aus ihrer Erwerbstätigkeit gesichert gewesen sei, habe sie keinen Unterhaltsanspruch aus § 58 Ehegesetz aF (EheG) gehabt. Aus dem Unterhaltsvertrag vom 8. Februar 1960 ergebe sich ein Unterhaltsanspruch aus einem sonstigen Grund nicht; zum einen habe es an einer zur Vollstreckung ausreichenden Bestimmtheit gefehlt, zum anderen hätte im Falle der Geltendmachung berücksichtigt werden müssen, daß die Klägerin nicht mehr unterhaltsbedürftig gewesen sei. Ein Anspruch der Klägerin sei auch nicht nach der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG gegeben. Zwar habe der Versicherte seit dem Beginn seines Zusammenlebens die Klägerin finanziell unterstützt. In welchem Umfange das auch im letzten Lebensjahre des Versicherten geschehen sei, könne jedoch dahinstehen; denn selbst wenn man die von der Klägerin angegebenen Zahlungen unterstelle, könne man sie nach Treu und Glauben nicht berücksichtigen. Der Versicherte habe die Sigrid K. zur Prostitution überredet, um gemeinsam mit ihr eine größere Gaststätte zu erwerben und zu betreiben; wenn aus diesem Plan auch nichts geworden sei, so sei doch der Tatbestand des § 181a Abs 1 Nr 1 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt. Die von der Klägerin behaupteten Zahlungen im letzten Lebensjahr des Versicherten, nämlich im Spätsommer 1974 800,-- DM, im Dezember 1974 600,-- DM, könnten jedenfalls zum ganz überwiegenden Teil nur aus der Prostitution der K. und der Zuhälterei des Versicherten stammen. Es widerspräche der sozialethischen Funktion des Rechts, wolle man Zahlungen aus Mitteln, deren Erwerb strafbar und sittlich zu mißbilligen sei, als Unterhaltsleistungen berücksichtigen. Aber auch wenn man unterstelle, daß diese beiden Zahlungen insgesamt in voller Höhe aus dem Renteneinkommen des Versicherten herstammten, genügten sie nicht dem Erfordernis regelmäßigen und wiederkehrenden Unterhaltsbezugs. Der Versicherte habe jeweils aus spontanen Entschlüssen Zahlungen an die Klägerin erbracht, es habe nicht seinem Wesen entsprochen, laufende Zahlungen zu bewirken.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und macht geltend, das LSG habe zu Unrecht den Unterhaltsvertrag vom 8. Februar 1960 nicht als einen sonstigen Grund angesehen und die Unterhaltszahlungen des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode unberücksichtigt gelassen. Die Klägerin habe zur Zeit des Empfangs nicht gewußt, woher die Mittel für die Zahlungen stammten. Seitdem die Einkünfte aus Prostitution der Einkommensteuerpflicht unterlägen, könne ihr Empfang nicht mehr als "sittlich verwerflich" angesehen werden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen sowie den ablehnenden Bescheid der
Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin
über den 30. November 1975 hinaus Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet; der Klägerin steht wie das LSG im Ergebnis zutreffend erkannt hat, ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 42 Satz 1 AVG nicht zu.
Nach § 42 Satz 1 AVG wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dessen Tod Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus anderen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG sind die Voraussetzungen keiner dieser Alternativen erfüllt. Ein Unterhaltsanspruch nach den Vorschriften des EheG scheidet, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, schon deswegen aus, weil zZt des Todes des Versicherten der Unterhalt der Klägerin aus ihrem Erwerbseinkommen gesichert war (vgl § 58 EheG aF). Der Versicherte war der Klägerin aber auch nicht aus einem sonstigen Grund zum Unterhalt verpflichtet. Aus dem Unterhaltsvertrag vom 8. Februar 1960 ergab sich nur ein der Klägerin und den beiden Kindern gemeinsam zustehender Unterhaltsanspruch, nicht aber ein Unterhaltsanspruch der Klägerin allein; der Vertrag bietet auch keinen Anhalt dafür, in welcher Höhe die zu bewirkenden Zahlungen der Klägerin selbst zufließen sollten. Im übrigen hat das LSG angenommen, daß ein etwaiger Unterhaltsanspruch der Klägerin wegen der Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse seit dem Vertragsabschluß entfallen war; es hat also ersichtlich den Unterhaltsvertrag dahin ausgelegt, daß Veränderungen, wie sie hier eingetreten sind, einen Wegfall des Unterhaltsanspruchs zur Folge haben sollten. Eine solche Auslegung begegnet ebensowenig durchgreifenden rechtlichen Bedenken wie die aus ihr gezogene Folgerung (vgl SozR 2200 § 1265 Nrn 11, 14). Ob der Unterhaltsvertrag entgegen der Auffassung des LSG einen ausreichenden Vollstreckungstitel darstellte, ist dabei ohne Bedeutung, da der Versicherte auf der Grundlage der Vertragsauslegung des LSG jedenfalls die Wirkungen des Titels hätte nach § 767 Zivilprozeßordnung (ZPO) beseitigen können (vgl BSGE 20, 1, 6).
Aber auch ein Anspruch nach der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG ist nicht gegeben. Hierfür reicht es nicht aus, daß der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode überhaupt Unterhalt an die geschiedene Frau gezahlt hat; die Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente verlangt vielmehr, daß das Gesamtbild der Zahlungen die Annahme einer auf Dauer angelegten Unterhaltsgewährung rechtfertigt, die nach dem Tode des Versicherten durch die Hinterbliebenenrente fortzuführen (zu ersetzen) wäre. Nach dem Sinn und Zweck der dritten Alternative müssen deshalb schon die Leistungen des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode mit einer gewissen Regelmäßigkeit erbracht worden sein; dem ist grundsätzlich nur dann genügt, wenn der Zeitabschnitt des letzten Jahres keine Lücken aufweist; denn Zahlungen, die nicht - wie die spätere Hinterbliebenenrente - ständig wiederkehren, sondern nur für einen Teil des letzten Jahres geleistet worden sind, bieten keine Gewähr dafür, daß eine auf die Dauer angelegte Unterhaltsgewährung vorgelegen hat (SozR Nr 55 zu § 1265 RVO; 2200 § 1265 Nrn 4, 24, 26). Dazu müssen vom Versicherten bewirkte Zahlungen eindeutig auf bestimmte Zeitabschnitte bezogen werden können; das ist insbesondere dann der Fall, wenn etwa allmonatlich gleichbleibende Beträge gezahlt worden sind; handelt es sich um Zahlungen in unregelmäßigen Zeitabständen und in schwankender Höhe, so muß sich die Lückenlosigkeit der Unterhaltsleistung in ausreichender Höhe aus anderen Umständen, insbesondere dem Gesamtbild der einzelnen Zahlungen, ergeben (vgl SozR 2200 § 1265 Nrn 4, 24, 26). Daran fehlt es hier. Die beiden vom LSG unterstellten Zahlungen in Höhe von 800,-- und 600,-- DM lassen sich nicht eindeutig bestimmten Abschnitten des letzten Lebensjahres des Versicherten zuordnen; sie sind, wie das LSG festgestellt hat, jeweils spontanen Entschlüssen des Versicherten entsprungen und vermochten damit nicht die Erwartung zu begründen, der Versicherte werde auch weiterhin fortlaufend Unterhalt zahlen. Dies gilt um so mehr, als die letzte Zahlung ein halbes Jahr vor dem Tode des Versicherten zurückgelegen hat; selbst wenn sich das, wie von der Klägerin vorgetragen, mit einer damaligen schweren Erkrankung des Versicherten erklären ließe, könnte auch eine so eingetretene Unterhaltslücke nicht als unerheblich gelten.
Eine Erwartung, die es der Klägerin erlaubt hätte, sich auf einen dauernden Bezug von Unterhalt seitens des Versicherten einzustellen (vgl SozR Nr 55 zu § 1265 RVO), war aber auch aus einem anderen Grunde objektiv nicht gerechtfertigt. Das LSG hat unangegriffen und damit für den Senat bindend festgestellt, daß der Versicherte die Prostitution der Zeugin K. in gewinnsüchtiger Absicht, nämlich mit dem Ziele des Aufbaus einer gewerblichen Existenz, als Erwerbsquelle ausnutzte und damit - auch durch Aufwendungen für eine kostspielige Lebensweise - die wirtschaftliche Lage der Zeugin verschlechterte; der Versicherte hat sich damit wegen ausbeuterischer Zuhälterei (§ 181a Abs 1 Nr 1 StGB) fortlaufend strafbar gemacht. Das LSG hat weiter festgestellt, daß die behaupteten Zahlungen an die Klägerin ganz überwiegend aus den Erträgen dieser strafbaren Handlung stammten. Die Erwartung, der Versicherte würde auch weiterhin an die Klägerin Leistungen bewirkt haben, könnte hiernach nur auf der Annahme beruhen, daß der Versicherte sein strafbares Verhalten auch in Zukunft fortgesetzt haben würde. Eine derartige Annahme kann jedoch keine Grundlage für eine auf Dauer angelegte Unterhaltszahlung sein. Es widerspricht nämlich der Einheit der Rechtsordnung, wollte man bei Anwendung von Gesetzen die Beschaffung von Mitteln durch eine künftige Begehung fortgesetzter strafbarer Handlungen als anspruchsbegründend unterstellen. Daraus, daß es zu einer weiteren Begehung von Straftaten nicht gekommen ist, kann sich kein Nachteil oder Schaden ergeben, der nach dem Willen des Gesetzgebers auszugleichen wäre. Dementsprechend kann auch kein Zweifel sein, daß eine von der Klägerin gegen den Versicherten erhobene Klage auf künftigen Unterhalt keinen Erfolg hätte haben können, wenn sie mit einem auf solche Weise möglichen Mittelerwerb begründet worden wäre. Das bedeutet nicht, daß - wie die Beklagte befürchtet - bei der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG in eine Prüfung des Mittelerwerbs auf seine sittliche Qualität eingetreten werden müßte; es bedarf auch keiner Anlegung "weltanschaulicher Maßstäbe"; ebensowenig ist hier die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Einkommensteuerpflicht Prostituierter von Bedeutung. Entscheidend ist nicht, daß die Zahlungen des Versicherten an die Klägerin aus Prostitution herrührten, sondern daß die Annahme eines durch diese Zahlungen bewirkten Dauerzustandes an die Unterstellung anknüpfen müßte, der Versicherte hätte sich, wäre er nicht gestorben, die erforderlichen Mittel durch Begehung strafbarer Handlungen beschafft; es kann nicht Sache der Rentenversicherung sein, dafür einen Unterhaltsersatz zu bieten.
Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG- ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 1659968 |
BSGE, 100 |