Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletztenrente. Arbeitsunfall. Wehrdienstbeschädigung. DDR. Ausschlussfrist. Bekanntwerden. Antrag. Auslegung. Vertrauensschutz. Wiedereinsetzung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Zurechnung des Fehlverhaltens Dritter. Eigentumsgarantie. allgemeiner Gleichheitssatz
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Ausschlußfrist des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO gilt auch, wenn eine Behörde der DDR den streitigen Vorfall durch Bescheid als Arbeitsunfall anerkannt hatte.
2. Ein rechtzeitiges Bekanntwerden im Sinne des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO lässt sich nicht über § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I fingieren.
3. Die Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO ist mit der Verfassung vereinbar.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, 3; RVO § 541 Abs. 1 Nr. 2, § 548 Abs. 1 S. 1, § 1150 Abs. 2, § 1154; SGB I § 16 Abs. 2 S. 2; SGB VII § 215 Abs. 1; SGB X §§ 27, 28 S. 1; EinigVtr Art. 19 S., Art. 30 Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 1. November 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger wegen einer in der ehemaligen DDR erlittenen Dienstbeschädigung Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen.
Der am 20. Mai 1944 geborene Kläger lebte in der ehemaligen DDR und bezog dort bis Oktober 1989 gemäß Unfall-Rentenbescheid des FDGB-Kreisvorstands Werdau, Verwaltung der Sozialversicherung, eine Unfall-Teilrente nach einem Körperschaden von 20 vH wegen der Verschlimmerung eines Knieleidens, welche während seines militärischen Dienstes vom 1. November 1968 bis 30. April 1970 bei der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR eingetreten war. In der Dienstbeschädigungsliste vom 5. Februar 1970 heißt es hierzu, bei dem Kläger bestehe ein Zustand nach Kniegelenksoperation (1961) wegen Arthrosis deformans des rechten Knies; eine Verschlimmerung dieses Zustands könne durch die Dienstdurchführung hervorgerufen worden sein, so dass eine Dienstbeschädigung anzuerkennen sei. Nachdem der Kläger am 7. Oktober 1989 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er am 24. März 1992 bei der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen eine Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. In einem schriftlichen Vermerk der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beigeladenen in Bremerhaven vom 24. März 1992 heißt es, der Kläger habe in der DDR eine Rente aus gesundheitlichen Gründen bezogen; die Ursache sei eine Kniegelenksoperation des rechten Knies gewesen. Nach seinem Dienst in der NVA seien wieder Beschwerden aufgetreten, und er habe auf Grund des festgestellten Körperschadens eine Unfall-Teilrente erhalten. Nach seinem Umzug nach Bremerhaven habe er bisher aus Unwissenheit bei der Beigeladenen keine Rente beantragt. Anlässlich einer Vorsprache bei der LVA Sachsen in Werdau sei ihm eine amtliche Aktenanforderung aus Bremerhaven nahe gelegt worden. Er beantrage die Rente, damit über eine Rentenzahlung auf Grund seines Körperschadens entschieden werden könne.
Mit Bescheid vom 22. November 1993 lehnte die Beigeladene die Zahlung einer Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung ab, der Kläger sei noch in der Lage, leichte Arbeiten wechselnd im Sitzen, Stehen und Gehen, ohne häufiges Knien, nicht im Akkord, ohne Gefährdung durch Kälte, Nässe und AlIergenexposition vollschichtig und regelmäßig zu verrichten. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 6. Dezember 1993 Widerspruch ein und machte geltend, er habe keinen Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gestellt, sondern lediglich die Weiterzahlung seiner in der DDR bezogenen Unfall-Teilrente beantragt. Darauf teilte die Beigeladene dem Kläger mit Schreiben vom 10. Februar 1994 mit, als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zahle sie keine Unfallrenten oder Renten auf Grund von Wehrdienstbeschädigungen. Für die Zahlung von Leistungen auf Grund von Wehrdienstbeschädigungen seien die Versorgungsämter zuständig. Sie empfehle ihm daher, einen Antrag auf Leistungen beim zuständigen Versorgungsamt Bremen zu stellen. Am 22. März 1994 bat der Kläger die Beigeladene telefonisch, ihm die für die Zahlung der Unfall-Teilrente zuständige Stelle zu nennen und einen Erörterungstermin durchzuführen. In einem Telefongespräch mit dem Gemeinde-Unfallversicherungsverband Oldenburg vom 29. März 1994 erfuhr die Sachbearbeiterin der Beigeladenen, dass die so genannten Altfälle, für die in der DDR Unfallrenten gezahlt wurden, geburtsdatenmäßig auf die Berufsgenossenschaften aufgeteilt worden sind und für das Geburtsdatum des Klägers die Beklagte zuständig ist. In dem Erörterungstermin vom 5. Mai 1994 nahm der Kläger den Widerspruch gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 22. November 1993 zurück.
Am 8. Juli 1994 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zahlung der Unfall-Teilrente und wies auf seine Antragstellung bei der Beigeladenen im März 1992 hin. Mit Bescheid vom 24. Mai 1995 und Widerspruchsbescheid vom 30. November 1995 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung wegen der am 5. Februar 1970 anerkannten Dienstbeschädigung ab. Diese sei ihr erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden. Da der Kläger als damals Grundwehrdienstleistender in der DDR gemäß § 541 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu einem Personenkreis gehört haben würde, für den nach dem Recht des Dritten Buches der RVO Versicherungsfreiheit bestehe, habe er wegen § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO keinen Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. November 1997). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 1. November 2001). Nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO sei die in der DDR als Arbeitsunfall anerkannte Dienstbeschädigung des Klägers nicht als Arbeitsunfall zu entschädigen, denn diese sei der Beklagten erst nach dem 31. Dezember 1993, nämlich am 8. Juli 1994 mit Eingang seines Schreibens vom 6. Juli 1994, bekannt geworden. § 16 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), der den Eingang eines Leistungsantrags bei einem unzuständigen Leistungsträger regele, sei auf § 1150 Abs 2 RVO nicht anwendbar, denn das Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO sei ein rein tatsächliches Geschehen und nicht identisch mit der Antragstellung iS des § 16 SGB I. Die Bestimmung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO sei keine Antrags-, sondern eine Ausschlussfrist, welche die Unfallversicherungsträger entlasten solle. Es sei deshalb unerheblich, dass der Kläger spätestens mit Einlegung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 22. November 1993 dieser gegenüber zum Ausdruck gebracht habe, dass er die Weiterzahlung seiner Unfall-Teilrente begehre. Ebenso könne ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten nicht auf Grund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet werden. Dieser setze ua eine objektive Pflichtverletzung der Behörde durch Handeln oder Unterlassung voraus, die seitens der Beklagten nicht vorliege. Sie brauche sich auch eine etwaige Pflichtverletzung der Beigeladenen nicht zurechnen zu lassen, denn hinsichtlich des tatsächlichen Geschehens des “Bekanntwerdens” des in der DDR erlittenen Arbeitsunfalls bestehe zwischen der Beklagten und der Beigeladenen keine “Funktionseinheit”.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1150 Abs 2 RVO. Nach Art 19 Satz 1 und 3 des Einigungsvertrages (EinigVtr) sei der ihm erteilte Bescheid des DDR-Leistungsträgers über den 2. Oktober 1990 hinaus iS von § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wirksam geblieben. Dass dieser Verwaltungsakt zu irgendeiner Zeit aufgehoben worden oder zu seinem Nachteil abgeändert worden wäre, sei nicht ersichtlich und auch durch das LSG nicht festgestellt. Die reine Renteneinstellung mit Ablauf des Monats Oktober 1989 könne auch nicht als Verwaltungsakt durch schlüssiges Verhalten qualifiziert werden. Auch nach Art 23 iVm Art 20 des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sei die Unfallrente an ihn, den Kläger, weiterzuzahlen gewesen. Gemäß § 1159 Satz 2 RVO sei der bei der Beklagten nicht erfasste Arbeitsunfall nach dem Verteilungsschlüssel zu verteilen gewesen. Gehe man davon aus, dass der Beklagten sein Anspruch auf Unfallrente durch den Datenbestand der früheren Sozialversicherungen der DDR nicht bekannt geworden sei, so sei nach § 1154 Abs 2 Satz 2 RVO die Rente nur auf Antrag zu zahlen. Werde der Antrag nach dem 31. Dezember 1993 gestellt, beginne die Rente mit dem Ersten des Antragsmonats. Dieser Regelung widerspreche die Ausschlussregelung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO. Durch sie würden Verletzte, die einen nach dem Recht der DDR entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erlitten hätten, unterschiedlich behandelt, obwohl es doch nach der amtlichen Begründung zum Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) um die Gewährleistung des erforderlichen Vertrauensschutzes für all jene habe gehen sollen, deren Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten nach dem Recht der ehemaligen DDR bereits anerkannt gewesen seien. Der hier vorliegende Fall unterscheide sich auch von dem Sachverhalt, der Grundlage für das Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juni 2001 (B 2 U 31/00 R) gewesen sei, da hier – anders als in jenem Fall – ein anerkannter Arbeitsunfall in der DDR zunächst laufend entschädigt, dann aber die Zahlung eingestellt worden sei. Eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Vergleichsgruppen sei allerdings nicht gerechtfertigt.
Die Regelung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO begegne erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die in der DDR begründeten und im Zeitpunkt ihres Beitritts zur Bundesrepublik Deutschland bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche und Anwartschaften nähmen als Rechtspositionen, die der EinigVtr grundsätzlich anerkannt habe, am Schutz des Art 14 des Grundgesetzes (GG) teil. Mit dem Beitritt und der Anerkennung durch den EinigVtr seien diese Ansprüche wie andere vermögenswerte Rechtspositionen in den Schutzbereich dieses Grundrechts gelangt. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz komme diesen Ansprüchen aber nur in der Form zu, die sie auf Grund der Regelungen des EinigVtr erhalten hätten. Allerdings lasse es Art 14 Abs 1 Satz 2 GG nicht zu, dass die Überleitung mit Einbußen einhergehe, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprächen und Eigentumspositionen in unzumutbarer Weise schmälerten. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes erfordere bei einem Eingriff auch eine Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit. Bereits hier sei aber nicht ersichtlich, inwieweit eine Abwägung zu Lasten derjenigen ausfallen müsse, deren Arbeitsunfall einem zuständigen Unfallversicherungsträger erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werde. Insbesondere sei nicht verständlich, warum ein Vertrauensschutz nur noch bis diesem Zeitpunkt gelten sollte, wenn die Ausgangslage für alle Betroffenen gleich gewesen sei. Liege die Entschädigungsfähigkeit nach dem Dritten Buch der RVO nicht vor, bedeute die Ausschlussregelung, dass ein Betroffener bei Kenntnis des Leistungsträgers vor dem 1. Januar 1994 seinen Anspruch auf Unfallrente verwirklichen könne, bei späterer Kenntnis ein vollständiger Anspruchsausschluss bestehe. Diese Verletzung des Gleichheitsgebots werde noch deutlicher, wenn die letztere Gruppe mit jenen verglichen werde, deren Unfallrente zB wegen § 50 der Renten-Verordnung der DDR geruht habe und deshalb nicht im Rentenbestand der Sozialversicherung der DDR aufgeführt gewesen sei, und die erst nach dem 31. Dezember 1993 dem zuständigen Unfallversicherungsträger hiervon Kenntnis gegeben hätten. Die letztere Gruppe erhalte dann die Unfallrente (wieder) erst mit dem Ersten des Antragsmonats, statt bereits, auch rückwirkend, ab 1. Januar 1992.
Auch wenn die Zulassung von Ausnahmen von der Stichtagsregelung in § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO als Sinn und Zweck der Regelung widersprechend angesehen werde, sei die Regelung noch verfassungskonform dahingehend auszulegen, als sie nur auf Fälle anzuwenden sei, in denen es sich nicht um bereits in der DDR anerkannte Arbeitsunfälle, sondern um solche handele, deren Geschehen zwar vor dem Beitritt der DDR festzusetzen gewesen, deren Anerkennung aber erst nach Geltung des § 1150 RVO durch den zuständigen Leistungsträger und nach dem 31. Dezember 1993 erfolgt sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 1. November 2001 und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 12. November 1997 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 6. Dezember 1993 eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vH der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat in der Sache nicht Stellung genommen. Sie schließt sich jedoch dem Antrag des Klägers an.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente auf Grund der Folgen der in der ehemaligen DDR erlittenen Dienstbeschädigung, weil es sich dabei nicht um einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall handelte. Wie die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) geltenden Vorschriften, da der geltend gemachte Unfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten war (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes ≪UVEG≫, §§ 212 ff SGB VII).
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt deren Träger nach Maßgabe der §§ 548 ff RVO nach Eintritt des Arbeitsunfalls (§ 547 RVO). Einen Arbeitsunfall iS dieser Vorschrift hat der Kläger jedoch nicht erlitten. Seine Dienstbeschädigung hat er sich nach den gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG während seines militärischen Dienstes in der Zeit von November 1968 bis April 1970 in der ehemaligen DDR zugezogen. Nach § 215 Abs 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 (in der ehemaligen DDR) eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs 2 und 3 RVO weiter, also über das Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 hinaus, anzuwenden.
Nach § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten iS des Dritten Buches (der RVO). Dies gilt nicht für Unfälle und Krankheiten, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO). Die Dienstbeschädigung des Klägers ist zwar vor dem 1. Januar 1992 eingetreten. Sie ist jedoch der Beklagten als einem seit 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst im Juli 1994, also nach dem 31. Dezember 1993, durch den Antrag des Klägers auf Zahlung der Unfall-Teilrente bekannt geworden.
Ein vor dem 1. Januar 1994 liegendes Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO kann nicht darin gesehen werden, dass möglicherweise amtliche Unterlagen über die Dienstbeschädigung mit der Übernahme des Daten- und Aktenbestandes der früheren Sozialversicherung der DDR an die Beklagte oder einen sonstigen Träger der bundesdeutschen Unfallversicherung gelangt sind. Selbst wenn dies so wäre, läge darin kein Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO. Wie der Senat zuletzt in seinem Urteil vom 26. Juni 2001 (– B 2 U 31/00 R – HVBG-Info 2001, 2237 mwN) entschieden hat, bezeichnet dieses Bekanntwerden ein rein tatsächliches Geschehen. In entsprechender Weise hat das Bundessozialgericht (BSG) den Begriff des Bekanntwerdens auch in § 60 Abs 3 Satz 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ausgelegt (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 60 BVG). Dieser Begriff ist somit gleich bedeutend mit der ua in § 45 Abs 4 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und in § 48 Abs 4 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes verwendeten Formulierung, in der auf die Kenntnis von Tatsachen durch die Behörde abgestellt wird. In erster Linie muss daher der mit der Sache befasste oder für sie zuständige Amtsträger der betreffenden Behörde oder jedenfalls der in der dafür zuständigen Organisationseinheit tätige und mit Aufgaben der in Frage stehenden Art befasste Bedienstete die Kenntnis erhalten; dass irgendjemand in der Behörde Kenntnis hat oder erlangt, genügt nicht (vgl BSGE 60, 239, 241 = SozR 1300 § 45 Nr 26; BVerwGE 70, 356, 364; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl, § 48 RdNr 144 mwN). Die Feststellungen des LSG enthalten jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein für die gesetzliche Unfallversicherung zuständiger Bediensteter der Beklagten vor dem 1. Januar 1994 Kenntnis von Unterlagen über die Dienstbeschädigung des Klägers erhalten hat.
Ein nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO erforderliches Bekanntwerden ist hier auch nicht darin zu sehen, dass der zuständige Amtsträger der Beklagten zwar keine Kenntnis von Unterlagen über die Dienstbeschädigung des Klägers hatte, die Beklagte aber so zu behandeln wäre, als ob dieser Kenntnis gehabt hätte. Eine Behörde ist nämlich nur dann daran gehindert, sich auf die Unkenntnis ihres Amtsträgers zu berufen, wenn dieser trotz Aktenkundigkeit der betreffenden Tatsache keine Kenntnis von ihr hatte (vgl von Wulffen, SGB X, 4. Aufl, § 45 RdNr 33) oder wenn ihr unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens vorzuwerfen ist, dass bei ordnungsgemäßer Regelung des Geschäftsgangs der Amtsträger rechtzeitig Kenntnis erlangt hätte (vgl BFHE 138, 313, 315; 143, 520, 522; Kopp/Ramsauer, aaO § 48 RdNr 145). Keine dieser Voraussetzungen ist im vorliegenden Fall erfüllt. Weder befanden sich vor dem 1. Januar 1994 Unterlagen über die Dienstbeschädigung des Klägers bei den – den Kläger betreffenden – Verwaltungsakten der Beklagten, noch war diese verpflichtet, die bei ihr oder anderen Stellen archivierten umfangreichen Unterlagen aus der Unfallversicherung der DDR ohne konkreten Anlass darauf zu untersuchen, ob sich darunter Bescheide von Behörden der DDR über die Anerkennung von Arbeitsunfällen befinden und diese dann der Sachbearbeitung zuzuführen.
Die in der DDR eingetretene Dienstbeschädigung des Klägers ist auch nicht dadurch der Beklagten vor dem 1. Januar 1994 bekannt geworden, dass dieser in seinem am 6. Dezember 1993 eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 22. November 1993 geltend gemacht hat, er habe keinen Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gestellt, sondern lediglich die Weiterzahlung seiner in der DDR bezogenen Unfall-Teilrente beantragt. Denn hierdurch konnte ein Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO über § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I aus rechtlichen Gründen nicht erreicht werden.
Nach letzterer Vorschrift gilt ein Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er ua bei einem unzuständigen Leistungsträger eingeht. Ein Unfall kann dem Unfallversicherungsträger zwar auch durch einen Antrag bekannt werden, jedoch ist der Eingang eines Antrags für das Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht erforderlich; die Kenntnis von dem Unfall kann auch auf jede andere Weise eintreten. Das Bekanntwerden iS dieser Vorschrift bezeichnet – wie bereits erwähnt – ein rein tatsächliches Geschehen. Dementsprechend hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. Oktober 1998 – B 2 U 26/97 R – (HVBG-Info 1998, 3381) entschieden, dass § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO keine Antrags-, sondern eine gesetzliche Ausschlussfrist enthält. Da § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I lediglich die Einhaltung eines Zeitablaufs für den Eingang eines Antrags fingiert, nicht jedoch andere Voraussetzungen für Sozialleistungen wie etwa das – hier geforderte – tatsächliche Bekanntwerden eines Vorfalls bei einem Sozialleistungsträger (vgl BSG SozR 2200 § 216 Nr 5), kann dieser Umstand auf Grund des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I einem anderen Sozialleistungsträger nicht zugerechnet werden (vgl BSG Urteile vom 20. Februar 2001 – B 2 U 11/00 R – und vom 26. Juni 2001 – B 2 U 31/00 R – HVBG-Info 2001, 2237).
Ein Bekanntwerden der Dienstbeschädigung des Klägers iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO kann auch über § 28 Satz 1 SGB X (Rückwirkung eines nachgeholten Antrags bei Ablehnung einer anderen Sozialleistung) selbst dann nicht herbeigeführt werden, wenn man in dem am 6. Dezember 1993 eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 22. November 1993 einen Antrag auf Weiterzahlung seiner Unfall-Teilrente sieht. Denn § 28 Satz 1 SGB X kann nur die Rückwirkung einer (wiederholten) Antragstellung, nicht jedoch der übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs bewirken (BSG SozR 1300 § 28 Nr 1). Da aber das Bekanntwerden des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit bei einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung vor dem 1. Januar 1994 eine eigenständige Voraussetzung für Ansprüche aus vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ist, die diese Eigenschaft nach dem Dritten Buch der RVO nicht haben, kann § 28 Satz 1 SGB X nicht über die Versäumung der Ausschlussfrist hinweghelfen.
§ 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO findet auch auf Unfälle Anwendung, die – wie hier – bereits in der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle anerkannt waren, so dass hierdurch bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Rechtsnorm eine Überprüfung daraufhin, ob sie nach den Vorschriften des Dritten Buches der RVO als Arbeitsunfälle zu entschädigen wären, nicht ausgeschlossen ist. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BU 69/97 – (HVBG-Info 1997, 1952) und sodann in seinen Urteilen vom 19. Dezember 2000 (SozR 3-2200 § 1150 Nr 4) und vom 26. Juni 2001 (– B 2 U 31/00 R – HVBG-Info 2001, 2237) entschieden hat, gilt die Fiktion des § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht für Unfälle und Krankheiten, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären; irgendwelche Einschränkungen – etwa hinsichtlich einer Ausnahme für bereits in der DDR anerkannte Arbeitsunfälle – sind dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Die Würdigung des Wortlauts einer Vorschrift ist die Grundlage jeder Auslegung; ist der Wortlaut einer Vorschrift eindeutig und nach ihm sprachlich und begrifflich das klar zum Ausdruck gebracht, was dem vom Gesetzgeber gewollten Sinn der Vorschrift entspricht, so ist grundsätzlich hiernach auszulegen. Die Auslegung einer Rechtsnorm gegen ihren Wortlaut ist nur dann angezeigt, wenn sie Fälle umfasst oder Folgen herbeiführt, die vom Gesetzgeber überhaupt nicht erkannt oder bedacht sind und die er, falls er sie erkannt oder bedacht hätte, vernünftigerweise nicht so geregelt hätte. Dabei sind im Interesse der Rechtssicherheit besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Es muss klar erkennbar sein, dass der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommende Gedanke dem wirklichen Sinn und Zweck des Gesetzes nicht entspricht (vgl BSG Urteil vom 13. Juni 1989 – 2 RU 49/88 – HV-Info 1989, 1873 mwN).
Offensichtlich sind Einschränkungen, wie sie die Revision der betreffenden Rechtsvorschrift trotz des dergleichen nicht umfassenden Wortlauts entnimmt, auch vom Gesetzgeber nicht gewollt. Dementsprechend heißt es in der amtlichen Begründung zum RÜG, durch dessen Art 8 Nr 14 ua § 1150 RVO in die RVO eingefügt worden ist, zu § 1150 RVO (BT-Drucks 12/405, S 154): “Absatz 2 gewährleistet die Übernahme aller bereits eingetretenen Unfälle und Krankheiten, die nach dem Sozialversicherungsrecht des Beitrittsgebiets versichert waren, in die gesetzliche Unfallversicherung nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn es sich nach der Reichsversicherungsordnung nicht um einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit gehandelt hätte. Die Regelung gewährleistet den erforderlichen Vertrauensschutz … – Ist der Versicherungsfall zwar vor dem 1. Januar 1992 eingetreten, wird er dem Versicherungsträger aber erst später bekannt – zB bei Berufskrankheiten –, soll ein Vertrauensschutz nur noch bis zum 31. Dezember 1993 gelten (Absatz 2 Satz 2 Nr 1).” Daraus werden Sinn und Zweck der Vorschrift deutlich, Versicherten aus dem Beitrittsgebiet für eine Übergangszeit umfassenden Vertrauensschutz hinsichtlich der Anerkennung von nach dem Recht der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle bzw Berufskrankheiten geltenden Unfällen bzw Krankheiten zu gewähren, diesen Vertrauensschutz aber an dem genannten Stichtag enden zu lassen und nunmehr im Interesse der Gleichbehandlung und Rechtseinheit nur noch das Recht der RVO unterschieds- und ausnahmslos anzuwenden (vgl BSG Urteil vom 26. Juni 2001 – B 2 U 31/00 R – HVBG-Info 2001, 2237 -; Sächsisches LSG Urteil vom 27. Oktober 1999 – L 2 U 96/97 – HVBG-Info 2000, 967, rechtskräftig nach Verwerfung der Revision durch BSG Beschluss vom 28. November 2000 – B 2 U 5/00 R –). Neben den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Rechtseinheit ist die in § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO enthaltene Ausschlussfrist aber auch von Bedeutung für die Finanzplanung und Beitragsgestaltung der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die nicht auf Dauer im Ungewissen gelassen werden können, welche systemfremden Altlasten ihnen aufgebürdet werden. Hierzu wird in der amtlichen Begründung des Entwurfs eines RÜG (BT-Drucks 12/405 S 116) ausgeführt, dass der Grundsatz der Verwaltungspraktibilität zu berücksichtigen gewesen sei, der – bei ca 300 000 übernommenen alten Rentenfällen und einer nicht unerheblichen Zahl von noch zur Entschädigung anstehenden, zeitlich weit zurückliegenden Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten – von großer Bedeutung sei. Die Zulassung von Ausnahmen von dieser Stichtagsregelung – etwa für in der DDR anerkannte Arbeitsunfälle – würde demnach auch unter diesem Gesichtspunkt dem Zweck der Regelung widersprechen.
Der Ansicht der Revision, der die Anerkennung als Arbeitsunfall aussprechende Verwaltungsakt der DDR sei nach Art 19 Satz 1 EinigVtr über den 2. Oktober 1990 hinaus (zeitlich unbegrenzt) wirksam geblieben und könne demnach nur aufgehoben werden, wenn er mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des EinigVtr unvereinbar wäre, wobei § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO “verfassungskonform” auf die Fälle ohne Anerkennung des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit durch Verwaltungsakt zu beschränken sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Sie lässt unberücksichtigt, dass die Geltendmachung von Rechten aus Verwaltungsakten auch durch gesetzliche Regelungen ausgeschlossen werden kann. Bei der Regelung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO handelt es sich nicht um eine Vorschrift, durch die etwa bindende Verwaltungsakte aufgehoben würden, sondern – wie der Senat bereits entschieden hat – um eine Ausschlussfrist (BSG Urteile vom 26. Oktober 1998 – B 2 U 26/97 R – HVBG-Info 1998, 3381 und vom 26. Juni 2001 – B 2 U 31/00 R – HVBG-Info 2001, 2237). Dies bedeutet hier, dass Ansprüche aus nach dem Recht der DDR als Arbeitsunfälle geltenden Unfällen nach Ablauf der Ausschlussfrist nicht mehr bzw nur noch unter der Voraussetzung ihrer Entschädigungsfähigkeit nach dem Dritten Buch der RVO geltend gemacht werden können, unabhängig davon, ob diese durch Verwaltungsakt anerkannt sind oder nicht. Hätte der Gesetzgeber eine Ausnahme für durch Verwaltungsakte der ehemaligen DDR anerkannte Arbeitsunfälle vorsehen wollen, hätte er dies deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl zum Ganzen Urteil des Senats vom 19. Dezember 2000 – SozR 3-2200 § 1150 Nr 4).
Auch die in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik an der Rechtsprechung des Senats von Ulmer (NJ 2001, 448), wonach § 1150 RVO nur das materielle Recht, nicht aber das Verwaltungsverfahrensrecht und damit die Bestandskraft von Verwaltungsakten regele, überzeugt nicht. Der Wortlaut der Vorschrift, ihre systematische Einordnung in den Fünften Teil des Dritten Buches der RVO (§§ 1148 bis 1160 RVO) und mehrere in diesem Teil enthaltene andere Vorschriften sprechen eher gegen als für eine solche Einschränkung. So trifft bereits § 1150 Abs 4 Satz 1 RVO eine Regelung über eine “nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht bereits festgestellte Übergangsrente”. § 1154 RVO enthält sowohl Bestimmungen, die dem Verwaltungsverfahrensrecht zuzuordnen sind (Abs 1 Satz 5 und 6), als auch solche, welche die Anwendung von Vorschriften des SGB X einschränken (Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbs 2) oder zulassen (Abs 1 Satz 3). § 1156 Abs 1 RVO legt den Leistungsbeginn ua für bestimmte Leistungen auf Grund des “Zehnten Buches Sozialgesetzbuch” fest. Dieses Ergebnis der Auslegung im Wortsinne wird durch den Zweck der Stichtagsregelung (Rechtseinheit, Gleichbehandlung, Sicherheit in der Finanzplanung und Beitragsgestaltung) bestätigt. Dieser Zweck würde nämlich bei einer Beschränkung der Stichtagsregelung auf noch nicht durch Bescheid anerkannte Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Wesentlichen nicht erreicht, da jedenfalls bei den vor 1989 eingetreten Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in der Regel auch entsprechende Verwaltungsentscheidungen der DDR-Behörden ergangen sein dürften, die beschiedenen Fälle also die Hauptmasse der übergeleiteten Ansprüche aus Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten darstellen, die nach Bundesrecht nicht zu entschädigen wären. Der Gesetzgeber war auch nach Art 30 Abs 5 Satz 1 EinigVtr befugt, Regelungen über das Verwaltungsverfahren einschließlich solcher Bestimmungen zu treffen, welche die Bindungswirkung von DDR-Bescheiden einschränken. Denn dies gehörte zu den durch Bundesgesetz zu regelnden Einzelheiten der Überleitung des Dritten Buches der RVO.
Auch kann aus dem Vorhandensein eines Rentenbescheides der DDR-Behörden nicht geschlossen werden, dass die Ausschlussfrist des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht anzuwenden sei. Zwar enthält § 1154 RVO eingehende Regelungen über die Zahlung von Renten, die im Beitrittsgebiet festgestellt worden sind. Der Wortlaut der Vorschrift gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass Rentenbescheide aus dem Beitrittsgebiet unabhängig von den Voraussetzungen des § 1150 RVO zu Rentenansprüchen nach Bundesrecht führen könnten. Das gilt insbesondere für § 1154 Abs 2 Satz 2 Halbs 1 RVO, wonach eine Rente, die in der DDR wegen anderer Sozialversicherungsrenten nicht oder nur zum Teil ausgezahlt wurde, auf Antrag gezahlt wird, wenn der Träger der Unfallversicherung keine Kenntnis von dem Anspruch auf eine Unfallrente hat. Ist ein solcher Antrag nach dem 31. Dezember 1993 gestellt worden, wird die Rente nur dann gezahlt, wenn ihr ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit auch iS des Dritten Buches der RVO zu Grunde liegt. Entsprechendes gilt für § 1154 Abs 3 Satz 3 Halbs 1 RVO. Die amtliche Begründung zu § 1154 RVO (BT-Drucks 12/405 S 156, 157) enthält nichts hiervon Abweichendes. Vielmehr lässt sich der amtlichen Begründung zu § 1150 RVO (BT-Drucks 12/405, S 154) entnehmen, dass Absatz 2 sich auf die Übernahme aller bereits eingetretenen Unfälle und Krankheiten, die nach dem Sozialversicherungsrecht des Beitrittsgebiets versichert waren, bezieht, und dass mithin die in dessen Satz 2 Nr 1 enthaltene Stichtagsregelung auch für die Fälle gilt, in denen bereits Unfallrenten durch Bescheid der zuständigen DDR-Stellen festgestellt waren.
Die Dienstbeschädigung des Klägers wäre auch nicht als Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen. Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Als Wehrdienstleistender wäre der Kläger nach dem Recht des Dritten Buches der RVO jedoch nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen, weil ihm bei einer Wehrdienstbeschädigung nach Maßgabe der §§ 80 ff des Soldatenversorgungsgesetzes Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes gewährt worden wäre und für ihn daher nach § 541 Abs 1 Nr 2 RVO Versicherungsfreiheit bestanden hätte (vgl BSG Urteil vom 25. Oktober 1989 – 2 RU 40/86 – SGb 1990, 465; BSG SozR 3-2200 § 1150 Nr 3; BSG Urteil vom 16. April 2002 – B 9 V 7/01 R – mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X, die im Grundsatz auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Rechts zulässig (BSGE 64, 153, 155 = SozR 1300 § 27 Nr 4; BSG SozR 3-2200 § 176b Nr 1; BSG SozR 3-5070 § 21 Nr 8) und daher mangels eines Ausschlusses iS des § 27 Abs 5 SGB X auch bei Versäumung der Ausschlussfrist nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO zulässig ist, kommt hier nicht in Betracht. Selbst wenn man unterstellt, der Kläger sei durch falsche, irreführende oder unterlassene Auskünfte von Bediensteten der Beigeladenen oder anderer Sozialversicherungsträger ohne eigenes Verschulden daran gehindert worden, einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung seine in der DDR erlittene Dienstbeschädigung bekannt zu geben, scheitert eine Wiedereinsetzung daran, dass er nicht gemäß § 27 Abs 2 Satz 1 SGB X innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, dh nach Kenntnis der Zuständigkeit der Beklagten, bei dieser einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt oder die versäumte Handlung nachgeholt hat. Wie den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG nämlich zu entnehmen ist, hat der Kläger in dem Erörterungstermin am 5. Mai 1994 erfahren, dass die Beklagte als der für ihn zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Bewilligung der von ihm begehrten Rente zuständig ist. Ferner ergibt sich aus den bindenden Feststellungen des LSG, dass die Dienstbeschädigung des Klägers der Beklagten erst am 8. Juli 1994 bekannt geworden ist.
Der Kläger kann seine Rente auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erhalten. Ob neben einer Wiedereinsetzung ein auf dasselbe Ziel gerichteter Herstellungsanspruch überhaupt in Betracht kommt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht erfüllt sind, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann der Beklagten die Überschreitung der Ausschlussfrist in § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO durch den Kläger nicht iS einer Verletzung sozialrechtlicher Nebenpflichten zugerechnet werden. Der Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine gesetzliche oder aus einem bestehenden Sozialrechtsverhältnis resultierende Verpflichtung objektiv rechtswidrig verletzt hat, die ihm gerade gegenüber dem Betroffenen oblag. Die Pflichtverletzung muss als nicht hinwegdenkbare Bedingung – zumindest gleichwertig neben anderen Bedingungen – ursächlich einen Nachteil des Betroffenen bewirkt haben. Die verletzte Pflicht muss darauf gerichtet sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren. Die Nachteile müssen durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2; BSG SozR 3-3200 § 86a Nr 2; BSG SozR 3-2940 § 124 Nr 1; BSG SozR 3-5670 § 5 Nr 1; jeweils mwN). Eine Pflichtverletzung der Beklagten ist insoweit nicht ersichtlich. Ein Herstellungsanspruch besteht damit nur dann, wenn sich die Beklagte ein eventuelles Fehlverhalten Dritter zurechnen lassen müsste. “Dritte” in diesem Sinne wäre die Beigeladene, sofern ihr eine Pflichtverletzung bei der Beratung des Klägers vorgeworfen werden könnte. Letzteres kann offen bleiben. Voraussetzung für die Zurechnung des Verhaltens Dritter im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist, dass zwischen der die Pflichtverletzung begehenden und der in Anspruch genommenen Stelle eine “Funktionseinheit” besteht (BSGE 71, 217, 218 ff = SozR 3-1200 § 14 Nr 8, BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 9; jeweils mwN). Nach der Rechtsprechung des BSG kann dies der Fall sein, wenn mehrere Behörden mit einer Aufgabe arbeitsteilig betraut sind, also eine andere Behörde in die Abwicklung eines konkreten Versicherungsverhältnisses mit eingeschaltet ist, oder wenn zwei Sozialleistungen eng miteinander verknüpft sind (BSG SozR 3-5670 § 5 Nr 1). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Beigeladene ist als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung weder bei der Anerkennung von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten noch bei der Festsetzung von darauf beruhenden Leistungen beteiligt.
Die auf § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO beruhende Versagung der vom Kläger beantragten Rente verstößt auch nicht gegen das GG. Insbesondere ist sein Grundrecht auf Garantie des Eigentums (Art 14 Abs 1 GG) nicht verletzt. Anders als bei Rentenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die teilweise durch einkommensbezogene eigene Beiträge der Versicherten finanziert werden (vgl BVerfGE 53, 257, 290 ff = SozR 7610 § 1587 Nr 1; BVerfGE 58, 81, 109 = SozR 2200 § 1255a Nr 7; BVerfGE 70, 101, 110f = SozR 2200 § 1260c Nr 17), ist zweifelhaft, ob Ansprüche auf Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung überhaupt dem Schutz des Art 14 Abs 1 GG unterliegen (vgl BVerfG SozR 2200 § 568 Nr 9). Dies kann aber offen bleiben; denn selbst wenn man unterstellt, der durch Überschreiten der Ausschlussfrist erloschene Anspruch des Klägers falle unter den Schutz des genannten Grundrechts, wäre dieses nicht verletzt. § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO stellt sich dann nämlich als eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) liegt eine Enteignung iS des Art 14 Abs 3 GG nicht vor, wenn das betreffende Recht infolge des ihm zu Grunde liegenden Sachverhalts zum einen ohnehin besonders geltend gemacht werden muss und zum anderen sein Erlöschen vom Berechtigten binnen angemessener Frist und in einfacher, leicht zu erfüllender Form verhindert werden kann (vgl BVerfGE 70, 278, 286). Eine Fristversäumung und damit das Erlöschen des in der DDR erworbenen Rentenanspruchs kann vom Berechtigten auf einfache Weise abgewendet werden, da § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO lediglich ein Bekanntwerden des im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfalls oder der dort eingetretenen Berufskrankheit bei einem für das Beitrittsgebiet, also nicht einmal dem im Einzelfall zuständigen, Träger der gesetzlichen Unfallversicherung innerhalb der dort genannten Frist fordert.
Allerdings muss ein Eingriff in nach früherem Recht entstandene Rechte darüber hinaus durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein (vgl BVerfGE 31, 275, 290; 70, 191, 201 f mwN). Die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, müssen so schwerwiegend sein, dass sie Vorrang haben vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts, das durch die Bestandsgarantie des Art 14 Abs 1 Satz 1 GG gesichert wird (vgl BVerfGE 42, 263, 294 f; 58, 300, 351). Diese Voraussetzungen sind bei § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO erfüllt. Die dort festgelegte Ausschlussfrist ist durch besonders gewichtige Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt und entspricht im Übrigen auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl BVerfGE 83, 201, 212). Denn der der Vorschrift zu Grunde liegende Gesetzeszweck (Rechtseinheit, Gleichbehandlung, Sicherheit in der Finanzplanung und Beitragsgestaltung) rechtfertigt die Einführung der Ausschlussfrist. Den Betroffenen war auch zuzumuten, ihre im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten innerhalb der zwischen dem In-Kraft-Treten des RÜG (1. Januar 1992) und dem Stichtag (1. Januar 1994) liegenden zweijährigen Frist einem Träger der Unfallversicherung bekannt zu geben, zumal auch eine vor dem 1. Januar 1992 liegende Bekanntgabe die Wirkung der Ausschlussfrist verhindert hätte. Hinzu kommt, dass mit der Wiedereinsetzungsvorschrift des § 27 SGB X eine Regelung besteht, die in Härtefällen Ausnahmen von der Ausschlussfrist zulässt.
Auch wird der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht durch die Stichtagsregelung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO verletzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es mit ihm unvereinbar, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88; 81, 156, 205/206 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1; BVerfGE 93, 386, 397; 102, 41, 54 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3). Hier sind aus dem Kreis der Personen mit Arbeitsunfall oder Berufskrankheit im Beitrittsgebiet zunächst diejenigen, bei denen – wie beim Kläger – ein Versicherungsfall nach dem Recht des Dritten Buches der RVO nicht vorlag, mit denjenigen zu vergleichen, bei denen dies der Fall war. Diese beiden Gruppen unterscheiden sich einerseits im Hinblick auf den oben genannten Gesetzeszweck erheblich von einander, andererseits führt § 1150 Abs 2 RVO nur bei den wenigen der zur ersten Gruppe Gehörenden zu einer unterschiedlichen Behandlung, bei denen der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht oder erst nach Ablauf der Ausschlussfrist bekannt wird. Diese geringfügig unterschiedliche Behandlung der ersten Gruppe erscheint jedoch im Hinblick auf die sich aus dem Gesetz ergebenden erheblichen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gerechtfertigt. Die von der Revision vorgetragene unterschiedliche Behandlung der allein nach dem Recht des Beitrittsgebiets Anspruchsberechtigten je nach dem, ob der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit innerhalb oder nach Ablauf der Ausschlussfrist dem Träger der Unfallversicherung bekannt geworden ist, stellt keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes dar, weil Stichtagsregelungen für die Schaffung von Ansprüchen wie für das In-Kraft-Treten belastender Regelungen trotz der damit verbundenen Härten grundsätzlich zulässig sind (BVerfGE 3, 58, 148; 71, 364, 397; 77, 308, 338; 80, 297, 311). Dabei ist allerdings erforderlich, dass die Einführung eines Stichtags am vorgegebenen Sachverhalt orientiert ist (BVerfGE 13, 31, 38; 58, 81, 126; 79, 212, 219 f, BVerfG SozR 3-2200 § 551 Nr 15). Da letztere Voraussetzung bei einer Frist, die über vier Jahre nach der Wiedervereinigung und zwei Jahre nach In-Kraft-Treten des RÜG liegt, erfüllt ist, scheidet eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG aus. Soweit die Revision eine Verletzung dieser Verfassungsnorm in einer unterschiedlichen Behandlung zwischen der ersten Gruppe und denjenigen sieht, deren Unfallrente zB wegen § 50 der Renten-Verordnung der DDR geruht hat und deshalb nicht im Rentenbestand der Sozialversicherung der DDR aufgeführt gewesen ist und die erst nach dem 31. Dezember 1993 dem zuständigen Unfallversicherungsträger hiervon Kenntnis gegeben haben, ist eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG schon deshalb nicht gegeben, weil die von der Revision unterstellte unterschiedliche Behandlung nicht vorliegt. Denn – wie oben zu § 1154 Abs 2 RVO bereits ausgeführt – hat ein Bekanntwerden nach Ablauf der Ausschlussfrist auch bei der von der Revision zum Vergleich herangezogenen Personengruppe ein Erlöschen der Rentenanwartschaft zur Folge.
Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen