Entscheidungsstichwort (Thema)
Einer gewohnheitsrechtlichen Übertragung des einheitlichen Beitragssatzes auf Ersatzkassenmitglieder stand § 31 SGB I entgegen (zu § 520 RVO)
Beteiligte
Kläger und Revisionsklägers |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Arbeitgeberanteils nach dem früheren § 520 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen mit Zweigstellen an zahlreichen Orten der Bundesrepublik Deutschland und etwa 3.000 krankenversicherungspflichtig Beschäftigten. Aufgrund des Erlasses des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 11. Juni 1942 (Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung -AN- II 395) vereinbarte sie im Jahre 1968 mit dem damaligen Bundesverband der Ortskrankenkassen (BdO, heute: AOK-Bundesverband) eine zentrale Beitragsabführung. Dabei ermittelte der BdO in der Krankenversicherung für die bei Ortskrankenkassen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer der Beklagten einen einheitlichen Beitragssatz, der jeweils für die Dauer eines Kalendervierteljahres galt. In den Jahren 1983 bis 1986 führte die Beklagte die Beiträge nach dem jeweiligen einheitlichen Beitragssatz für etwa 410 versicherungspflichtig Beschäftigte zentral an den BdO ab. Diese Beschäftigten waren Mitglieder bei durchschnittlich 30 verschiedenen Ortskrankenkassen, darunter die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Bremen.
Der Kläger ist seit April 1983 krankenversicherungspflichtiger Angestellter bei der Beklagten in Bremen. Er ließ sich von der Mitgliedschaft bei der AOK Bremen befreien und wurde Mitglied der Handelskrankenkasse (HKK), einer Ersatzkasse. Im Jahre 1985 machte er unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. März 1981 (SozR 2200 § 520 Nr. 2) geltend, der Arbeitgeberanteil i.S. des § 520 Abs. 1 RVO sei nicht nach dem einheitlichen Beitragssatz, sondern nach dem höheren allgemeinen Beitragssatz der AOK Bremen zu ermitteln. Die Differenz berechnete er für die Zeit vom 1. Mai 1983 bis zum 31. Dezember 1986 mit 665, 95 DM.
Auf Zahlung dieses Betrages hat der Kläger Ende 1986 vor dem Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben. Das SG hat ihr durch Urteil vom 31. März 1988 stattgegeben. Ob der Erlaß fortgelte, könne dahinstehen. Jedenfalls habe ein einheitlicher Beitragssatz keinen Einfluß auf die Höhe des Arbeitgeberanteils, den der Arbeitgeber den Ersatzkassenmitgliedern zu zahlen habe. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Bremen durch Urteil vom 6. Juli 1989 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Festsetzung des einheitlichen Beitragssatzes finde zwar in dem Erlaß keine ausreichende Legitimation. Es sei aber aufgrund von Gewohnheitsrecht nach ihm zu verfahren.
Gegen das Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene -Revision des Klägers, mit der er eine Verletzung des § 520 RVO und der §§ 31, 32 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB I) rügt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 6. Juli 1989 aufzuheben und |
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 31. März 1988 zurückzuweisen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie trägt im wesentlichen vor: § 404a RVO sei eine ausreichende Ermächtigung für den Erlaß und dieser eine wirksame Rechtsgrundlage für den einheitlichen Beitragssatz. Er sei auch im Rahmen des § 520 Abs. 1 RVO anzuwenden. Jedenfalls bestehe ein entsprechendes Gewohnheitsrecht und für sie Vertrauensschutz. Ein Obsiegen des Klägers führe zu unverhältnismäßig aufwendigen Nachberechnungen. Im Hinblick auf eine intern getroffene Abrede und einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung müsse sie dann für zahlreiche Beschäftigte den Arbeitgeberanteil bis 1981 zurück und anhand wechselnder Beitragssätze vieler Ortskrankenkassen neu berechnen. Sie befürchte auch Auswirkungen auf die Mitglieder von Ortskrankenkassen unter ihren Beschäftigten und steuerrechtliche Probleme wegen der Nachzahlung.
Der Senat hat zur Anwendung des Erlasses die Auskünfte des AOK-Bundesverbandes vom 10. April 1990 und vom 11. März 1991, des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen e. V. vom 28. August 1990, der AOK Bremen vom 20. März 1991 und der HKK vom 21. März 1991 eingeholt.
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Umstritten ist, ob er für die Zeit vom 1. Mai 1983 bis zum 31. Dezember 1986 einen Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen den Arbeitgeberanteilen hat, die nach dem allgemeinen Beitragssatz der AOK Bremen und dem vom BdO festgesetzten einheitlichen Beitragssatz berechnet sind. Da der Beitragssatz der AOK Bremen in der genannten Zeit (11, 9 v.H. bzw. 12, 9 vH) ständig höher lag als der vom BdO für diese Zeit festgesetzte einheitliche Beitragssatz (zwischen 11, 2 v.H. und 12, 4 vH), steht dem Kläger für die genannte Zeit eine Forderung in der unstreitigen Höhe von 665, 95 DM zu.
Rechtsgrundlage ist der hier noch anzuwendende § 520 RVO. Nach seinem Abs. 1 Satz 1 hatte die Ersatzkasse für die nach § 517 RVO von der Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse Befreiten Anspruch auf den vollen Beitragsteil, den der Arbeitgeber an die gesetzliche Krankenkasse (Pflichtkasse) abzuführen hätte, bei der der Beschäftigte ohne die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse versichert gewesen wäre. Der Arbeitgeber hatte den Beitragsteil unmittelbar an den Versicherten bei der Lohn- und Gehaltszahlung abzuführen (Abs 1 Satz 2). Nach dieser Regelung war Beitragsschuldner der Ersatzkasse hinsichtlich des gesamten Beitrags der Versicherte; er konnte vom Arbeitgeber die Zahlung des Arbeitgeberanteils in Höhe des Beitragsanteils beanspruchen, den der Arbeitgeber an die Pflichtkasse abzuführen gehabt hätte (BSGE 11, 218, 220/221; zum Firmenabrechnungsverfahren vgl. BSGE 31, 59 = SozR Nr. 3 zu § 520 RVO). Der Arbeitgeberanteil war auch dann in Höhe der Hälfte des an die Pflichtkasse zu entrichtenden Arbeitgeberanteils abzuführen, wenn der Beitrag (Beitragssatz) der Ersatzkasse niedriger war als der der Pflichtkasse. Dieses hat der erkennende Senat mit Urteil vom 17. März 1981 (SozR 2200 § 520 Nr. 2) entschieden und in Urteilen vom 16. April 1985 (SozR 2200 § 520 Nr. 3) und vom 24. Juni 1987 (BB 1987, 2097) bestätigt. Er hält daran weiterhin fest. Hiernach hat auch der Kläger, der von der Mitgliedschaft bei der AOK Bremen befreit war, einen Anspruch auf den Arbeitgeberanteil entsprechend deren allgemeinem Beitragssatz (damals 11, 9 v.H. bzw. 12, 9 vH), obwohl der Beitragssatz seiner Ersatzkasse (10, 6 v.H. im Jahre 1983, 10, 2 v.H. im Jahre 1984; 10, 8 v.H. in den Jahren 1985 und 1986) niedriger war.
An diesem Anspruch änderte der einheitliche Beitragssatz nichts. Seine Festsetzung beruhte auf der Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem BdO aus dem Jahre 1968 und dem Erlaß des RAM "betreffend die Abführung der für mehrere Ortskrankenkassen bestimmten Beiträge zur Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung an eine Zentralstelle" vom 11. Juni 1942 (AN II 395). In ihm hatte der RAM als Ermächtigungsgrundlagen angeführt: § 404a RVO, § 9 der Verordnung (VO) zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 (RGBl I 206) und § 18 der Zweiten Lohnabzugs-VO vom 24. April 1942 (RGBl I 252). Diese Vorschriften sind inzwischen nicht mehr in Kraft. Die VO von 1939 wurde durch Art X § 10 Abs. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 23. Dezember 1956 (BGBl. I 1018), die VO von 1942 durch Art II § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I 3845) aufgehoben. § 404a RVO ist - ebenso wie die §§ 517 und 520 RVO - mit Wirkung vom 1. Januar 1989 durch Art 5 Nr. 2 des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2477) gestrichen worden, der Erlaß nach Art 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des sogenannten Einordnungsgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2330) ebenfalls zum 1. Januar 1989 außer Kraft getreten.
In der Zeit von Mai 1983 bis Dezember 1986, um die es hier geht, waren demnach § 404a RVO und der Erlaß noch nicht aufgehoben. § 404a RVO ermächtigte den RAM, Bestimmungen zu treffen, um die Einziehung der Beiträge zu vereinfachen. Unter Berufung u.a. hierauf war der Erlaß "zur Vereinfachung der Beitragsberechnung, des Beitragsabzugs (§§ 381, 394, 395 RVO) und der Beitragsabführung" ergangen. Nach seiner Ziff 1 konnten u.a. Betriebe, die in den Bezirken mehrerer Ortskrankenkassen versicherungspflichtige "Gefolgschaftsmitglieder"
beschäftigten und deren Gehälter und Löhne von einer Zentralstelle aus zur Auszahlung brachten, beim Reichsverband der Ortskrankenkassen beantragen, daß an ihn die Beiträge zur Krankenversicherung abgeführt wurden. Gemäß Ziff 3 Satz 1 wurde auf Verlangen des Betriebes der Berechnung der Beiträge zur Krankenversicherung und dem Abzug der Beitragsanteile der Versicherten vom Gehalt oder Lohn ein einheitlicher Beitragssatz zugrunde gelegt, der dem Durchschnitt der Beitragssätze der beteiligten Ortskrankenkassen unter Berücksichtigung der Zahl und der Entgelte der Versicherten entsprach und vom Reichsverband für mindestens drei Monate im voraus festgesetzt wurde. Der einheitliche Beitragssatz trat nach Ziff 3 Satz 2 für die zuständige Ortskrankenkasse, für den Betrieb wie für das krankenversicherungspflichtige "Gefolgschaftsmitglied" an die Stelle des satzungsmäßigen Beitragssatzes.
Bei einer solchen Beitragsabführung nach einem einheitlichen Beitragssatz entrichtete der Arbeitgeber für die Mitglieder von Ortskrankenkassen insgesamt Beiträge in der gleichen Höhe, wie er sie für jeden dieser Versicherten gesondert an deren Kasse abgeführt hätte. Denn der einheitliche Beitragssatz wurde aus den Beitragssätzen der Ortskrankenkassen gebildet, bei denen die versicherungspflichtig Beschäftigten Mitglieder waren, und zwar unter Berücksichtigung der Zahl der bei den einzelnen Ortskrankenkassen versicherten Beschäftigten. So gesehen war die zentrale Beitragsabführung für den Arbeitgeber im wesentlichen (dh abgesehen von Auf-und Abrundungen sowie der Festsetzung für jeweils drei Monate im voraus) "beitragsneutral". Dieses traf andererseits für die genannten Beschäftigten nicht zu. Vielmehr wurde den bei einer AOK mit einem höheren als dem einheitlichen Beitragssatz Versicherten ein niedrigerer Arbeitnehmeranteil, den bei einer AOK mit einem niedrigeren als dem einheitlichen Beitragssatz Versicherten ein höherer Arbeitnehmeranteil vom Lohn einbehalten als bei einer Beitragsabführung an die jeweilige Kasse nach deren kassenindividuellem Beitragssatz. Auch die Ortskrankenkassen erhielten bei uneingeschränkter Anwendung der Ziff 3 des Erlasses Beiträge nach dem einheitlichen Beitragssatz, also eine AOK mit höherem Beitragssatz zu wenig, eine AOK mit niedrigerem Beitragssatz zuviel. Das konnte sogar dazu beitragen, bestehende Beitragssatzunterschiede (zu deren Verfassungsmäßigkeit BSGE 58, 134 = SozR 2200 § 385 Nr. 14) zu verstärken.
Die Wirksamkeit der Ziff 3 des Erlasses mit diesen materiell-rechtlichen Auswirkungen war im Bereich der Ortskrankenkassen nicht zweifelsfrei. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) hatte insofern schon unter dem 14. April 1959 (DOK 1959, 336) Bedenken geäußert und darauf hingewiesen, daß zum Teil nicht mehr nach dem Erlaß verfahren werde. Immerhin hat ihn jedoch der AOK-Bundesverband bzw. der BdO nach seiner Auskunft in den achtziger Jahren noch bei etwa 70 Arbeitgebern angewandt, die abgeführten Beiträge auf die beteiligten Ortskrankenkassen allerdings nicht nach dem einheitlichen Beitragssatz, sondern nach deren kassenindividuellen Beitragssätzen "umgerechnet"; diese Handhabung führte auch bei den Kassen zur Beitragsneutralität des zentralen Verfahrens und beseitigte insofern rechtliche Bedenken gegen die Anwendung von einheitlichen Beitragssätzen. Andererseits hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Frankfurt/Main in einem Rechtsstreit zwischen einem versicherungspflichtigen AOK-Mitglied und seinem Arbeitgeber die Auswirkungen des einheitlichen Beitragssatzes auf den Arbeitnehmeranteil für rechtens gehalten (Urteil vom 13. Juni 1975 - 8/2 Sa 775/72). Wie die Anwendung des Erlasses im Bereich der Ortskrankenkassen rechtlich zu beurteilen war, bedarf hier keiner Entscheidung, weil der Kläger Mitglied einer Ersatzkasse ist. Einheitliche Beitragssätze sind seit dem 1. Januar 1989 bei der heute in § 28f. Abs. 4 SGB IV geregelten zentralen Beitragsabführung nicht mehr vorgesehen.
Jedenfalls galt aber ein einheitlicher Beitragssatz im Rahmen des § 520 Abs. 1 RVO nicht. Führte ein Arbeitgeber die Beiträge nicht zentral ab, so war zwar der Berechnung des Arbeitgeberanteils der Beitragssatz der Ortskrankenkassen zugrunde zu legen, deren Mitglieder seine Beschäftigten ohne die Mitgliedschaft bei Ersatzkassen gewesen wären. Denn die Versicherung auch dieser Ersatzkassenmitglieder bei Ortskrankenkassen hätte deren Beitragssätze wegen der Festsetzung hauptsächlich nach den vorgesehenen Ausgaben (vgl. § 385 Abs. 1 Satz 2 RVO) und im Hinblick auf die große Mitgliederzahl in der Regel nicht beeinflußt. Anders verhielt es sich jedoch beim einheitlichen Beitragssatz, der nur unter Berücksichtigung der Zahl der bei diesem Arbeitgeber beschäftigten versicherungspflichtigen AOK-Mitglieder und der Beitragssätze ihrer Ortskrankenkassen festgesetzt worden war. Ein solcher einheitlicher Beitragssatz wurde nämlich nur von einem Teil der Beschäftigten geprägt, wenn der Arbeitgeber - wie die Beklagte - eine erhebliche Zahl versicherungspflichtiger Ersatzkassenmitglieder (in der Regel Angestellte) beschäftigte. In diesem Fall ist der nach dem Erlaß auf einseitiges Verlangen des Arbeitgebers festzusetzende (und festgesetzte) einheitliche Beitragssatz nicht als derjenige i.S. des § 520 Abs. 1 RVO anzusehen, den der Arbeitgeber bei einer AOK-Mitgliedschaft der bei ihm beschäftigten Ersatzkassenmitglieder abzuführen gehabt hätte. Bei einer solchen Mitgliedschaft wäre nämlich der einheitliche Beitragssatz anhand einer weitaus größeren Versichertenzahl und der Beitragssätze der für die Ersatzkassenmitglieder in Betracht kommenden Ortskrankenkassen ermittelt worden.
Die Übertragung des einheitlichen Beitragssatzes auf § 520 Abs. 1 RVO gewährleistete auch nicht, daß der in der Rechtsprechung des BSG hervorgehobene Sinn und Zweck dieser Regelung erreicht wurde. Die Mitgliedschaft von Versicherungspflichtigen bei Ersatzkassen soll dem Arbeitgeber beitragsmäßig weder Vorteile noch Nachteile bringen. Das hätte zuverlässig nur ein einheitlicher Beitragssatz bewirken können, der unter Berücksichtigung der Ersatzkassenmitglieder und der für sie einschlägigen Beitragssätze der Ortskrankenkassen festgesetzt worden wäre. Dafür fehlte aber eine Rechtsgrundlage. Daß die Ersatzkassenmitglieder in demselben Verhältnis wie die AOK-Mitglieder auf die Ortskrankenkassen verteilt sind, ist nicht gesichert.
Der einheitliche Beitragssatz ist für die Ersatzkassenmitglieder insbesondere dann nicht zu übernehmen, wenn die Zentralstelle die abgeführten Beiträge an die Ortskrankenkassen nach deren kassenindividuellen Beitragssätzen ausgezahlt hat. Dann erhielten nämlich die Ortskrankenkassen, für deren Bereich der Erlaß den einheitlichen Beitragssatz vorsah, trotz der zentralen Beitragsabführung jeweils ebenso hohe Beiträge (also auch Arbeitgeberanteile) wie bei individueller Beitragsentrichtung. Damit ist es nicht vereinbar, gerade die Ersatzkassenmitglieder auf einen Arbeitgeberanteil mit einem zugrunde liegenden einheitlichen Beitragssatz zu verweisen, der für sie weder vorgesehen noch unter ihrer Mitberücksichtigung ermittelt worden ist. Ob die Beklagte dem Kläger entgegenhalten kann, sie habe die Auszahlung nach kassenindividuellen Beitragssätzen aus dem Erlaß und ihrer Vereinbarung mit dem BdO nicht entnehmen können und davon erst im vorliegenden Prozeß erfahren, kann offen bleiben. Ihr war jedenfalls bekannt, daß der einheitliche Beitragssatz nur unter Berücksichtigung der Mitglieder von Ortskrankenkassen ermittelt wurde. Sie entrichtete auch aus ihrer Sicht an die Zentralstelle für einen Teil der AOK-Mitglieder nur deswegen zu niedrige Arbeitgeberanteile, weil sie für den anderen Teil in insgesamt derselben Höhe zuviel zahlte. Ein derartiger Ausgleich war bei Übernahme des einheitlichen Beitragssatzes auf den Ersatzkassenbereich erkennbar nicht gesichert. Eine Verteilung nach kassenindividuellen Beitragssätzen hatte die Zentralstelle auch schon in den Fällen vorgenommen, über die das LAG Frankfurt/Main (a.a.O.) und das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 15. Februar 1973 (AP Nr. 2 zu § 405 RVO mit Anm. Brackmann = BB 1973, 703) entschieden hatten.
Das BAG hat in dieser Entscheidung den einheitlichen Beitragssatz auf den Arbeitgeberzuschuß nach dem früheren § 405 RVO übertragen und dabei die gleiche Ansicht auch zu § 520 Abs. 1 RVO geäußert (zu § 520 Abs. 1 RVO ebenso schon LSG Niedersachsen Breithaupt 1969, 474). Sie hat einerseits Zustimmung (Brackmann a.a.O.; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 405 Anm. 6, Stand Mai 1984), andererseits eingehende Kritik gefunden (Figge BB 1974, 839ff.). Von dem Urteil des BAG sollte nach dem Schreiben des BMA vom 7. Juni 1973 (DOK 1973, 446) bei Anwendung des § 405 RVO künftig ausgegangen werden, und der Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V. hat dem Senat mitgeteilt, daß sein "Fachausschuß Beiträge" zu § 520 Abs. 1 RVO diese Ansicht teile. Der erkennende Senat vermag ihr indessen für die Anwendung des § 520 Abs. 1 RVO nicht zu folgen. Da der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes schon mit Beschluß vom 4. Juni 1974 (BSGE 37, 292 = SozR 1500 § 51 Nr. 2 = AP Nr. 3 zu § 405 RVO) entschieden hat, daß für den Anspruch nach § 405 RVO der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (nicht zu denen der Arbeitsgerichtsbarkeit) gegeben ist und dieses auch für den Anspruch auf den Arbeitgeberanteil nach § 520 Abs. 1 RVO galt, brauchte der Gemeinsame Senat nicht angerufen zu werden, selbst wenn eine Abweichung vorliegen sollte (BSGE 39, 41, 44 = SozR 1900 § 4 Nr. 1).
Entgegen der Ansicht des LSG ist die Anwendung des einheitlichen Beitragssatzes im Rahmen des § 520 Abs. 1 RVO nicht durch Gewohnheitsrecht begründet. Mit dessen Entstehen hat sich das BSG wiederholt befaßt (BSGE 3, 161, 171 = SozR Nr. 1 zu Art 19 der 1. VereinfachungsVO; BSGE 11, 126, 128/129; BSGE 20, 10, 18/19 = SozR Nr. 2 zu § 1524 RVO; BSGE 21, 209,
219ff. = SozR Nr. 1 zu § 205d RVO; BSGE 24, 118, 120/121 = SozR Nr. 3 zu § 291 BGB; BSGE 27, 54, 55/56 = SozR Nr. 10 zu § 1299 RVO; BSGE -GS- 34, 1, 21/22 = SozR Nr. 24 zu § 29 RVO; BSGE 56, 185, 188/189 = SozR 2200 § 842 Nr. 1; BSGE 56, 259, 265 = SozR 2200 § 385 Nr. 8). Es hat dabei die Möglichkeit, daß sich auch im Sozialrecht bei einer langdauernden, von Rechtsüberzeugung aller, "die es angeht", getragenen Übung Gewohnheitsrecht bildet, grundsätzlich anerkannt, jedoch an Gewohnheitsrecht zu Ungunsten der Betroffenen oder von "gesetzesänderndem" Charakter strenge Anforderungen gestellt.
Hier hatte sich bis zum Inkrafttreten des SGB I am 1. Januar 1976 noch kein Gewohnheitsrecht des genannten Inhalts gebildet. Der einheitliche Beitragssatz wurde selbst im Bereich der Ortskrankenkassen nicht mehr oder nicht mehr uneingeschränkt angewandt und war in seiner Wirksamkeit nicht unumstritten. Auch die Frage seiner Auswirkung auf den Anspruch nach § 520 Abs. 1 RVO war damals noch nicht abschließend geklärt. Seit dem Inkrafttreten des SGB I stand dessen § 31 der Verfestigung einer Praxis zu Gewohnheitsrecht entgegen. Nach dieser Vorschrift dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen (hier: Krankenversicherung) dieses Gesetzbuchs, zu denen auch der vom Kläger geltend gemachte Anspruch gehört, nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt (Vorbehalt des Gesetzes). Daran fehlt es hier, weil der auf Gesetz beruhende Erlaß die Anwendung eines einheitlichen Beitragssatzes auf den Anspruch von Ersatzkassenmitgliedern nach § 520 Abs. 1 RVO nicht zuließ. Wenn die Begründung des Entwurfs zu § 31 SGB I bemerkt, daß solange und soweit das allgemeine Verwaltungsrecht nicht kodifiziert sei (was es damals in Gestalt des SGB X noch nicht war), die dort gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätze zu beachten seien (BT-Drucks 7/868, S. 27 zu § 31 aE), so kommt dieses für das im einzelnen geregelte Recht der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (Nachweise im Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand 1. Januar 1991, § 241 SGB V RdNrn 4ff., insbesondere RdNr 8) nicht in Betracht. Dieses entspricht der erwähnten Zurückhaltung der Rechtsprechung bei der Annahme von gesetzesänderndem Gewohnheitsrecht.
Der Anspruch des Klägers für die Zeit von Mai 1983 bis Dezember 1986 ist nicht verjährt. Er ist auf Beiträge i.S. des § 25 Abs. 1 SGB IV gerichtet, der in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs der Fälligkeit verjährt (ebenso für Ansprüche des Arbeitgebers auf die Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag BSGE 67, 290 = SozR 3 - 2400 § 25 Nr. 2), und Ende 1986 gerichtlich geltend gemacht worden (vgl. § 25 Abs. 2 SGB IV i.V.m. § 209 Abs. 1 BGB). Der Anspruch ist auch ebensowenig wie der Anspruch der Klägerin in dem Urteil des Senats vom 16. April 1985 (SozR 2200 § 520 Nr. 3) durch etwaige arbeitsrechtliche Klauseln ausgeschlossen oder verwirkt. In diesem Urteil hat der Senat allerdings einen Verstoß gegen Treu und Glauben angenommen, wenn ein Ersatzkassenmitglied, das für Zeiten mit höherem Beitragssatz der Ersatzkasse vom Arbeitgeber die Hälfte des Ersatzkassenbeitrags angenommen hatte, nunmehr für die übrige Zeit, in der der Beitragssatz der Ersatzkasse niedriger war, die Hälfte des höheren AOK-Beitrags beanspruchte. Entsprechendes kann auch für solche Ersatzkassenmitglieder gelten, die in Zeiten mit höherem (als dem kassenindividuellen) einheitlichen Beitragssatz einen nach dem einheitlichen Beitragssatz berechneten Arbeitgeberanteil bezogen haben und für die übrige Zeit, in der der einheitliche Beitragssatz niedriger war, noch nachträglich den Arbeitgeberanteil nach dem AOK-Beitragssatz fordern. Auf den Kläger trifft dieses jedoch nicht zu, weil der allgemeine Beitragssatz der AOK Bremen seit Beginn seiner Beschäftigung bei der Beklagten ununterbrochen höher war als der einheitliche Beitragssatz und als der Beitragssatz seiner Ersatzkasse.
Einen weitergehenden Vertrauensschutz hat der Senat einem Arbeitgeber schon in dem erwähnten Urteil vom 16. April 1985 nicht zugebilligt, auch nicht im Hinblick auf das Urteil zum Vertrauensschutz bis zur Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSGE 51, 31 = SozR 2200 § 1399 Nr. 13). Die Ausführungen dazu gelten im wesentlichen auch hier. Eine Bestätigung für die Rechtsansicht der Beklagten durch das zuständige BSG lag bisher nicht vor. Zusätzlich konnte das Urteil vom 17. März 1981 (SozR 2200 § 520 Nr. 2) Ersatzkassenmitglieder wie den Kläger veranlassen, nunmehr erstmals für die nicht verjährte Zeit einen höheren Arbeitgeberanteil geltend zu machen und dabei auch die Anwendung des einheitlichen Beitragssatzes überprüfen zu lassen. Dem stehen weder die Ansicht der Kassen noch Aufwand und Schwierigkeiten entgegen, die eine Nachberechnung bei anderen Beschäftigten verursacht. Der Kläger hat seine Forderung spezifiziert. Das kann die Beklagte auch von anderen erwarten, die eine Nachforderung erheben wollen. Die Beklagte hat außerdem intern die Führung des vorliegenden Rechtsstreits als Musterprozeß vereinbart und auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Dann konnte sie auch für den Fall des Unterliegens frühzeitig gewisse Vorkehrungen treffen.
Hiernach hat der Senat auf die Revision des Klägers das Urteil des LSG aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.12 RK 30/89
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 518405 |
BSGE, 131 |
NZA 1992, 191 |