Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche. Bildung eines Durchschnittseinkommens
Leitsatz (amtlich)
Die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens bei der abschließenden Entscheidung erfolgt unabhängig vom Grund der Vorläufigkeit, erfasst alle Einkommensarten und alle Monate des Bewilligungszeitraums.
Normenkette
SGB II § 11 Abs. 1 Sätze 1, 3 Fassung: 2011-05-13, S. 4 Fassung: 2011-05-13, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 4 Sätze 1, 3, § 80 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. September 2018 und des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2017 geändert, soweit der Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 16. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. März 2017 verurteilt worden ist, der Klägerin für Mai 2016 weiteres Arbeitslosengeld II von mehr als 96,67 Euro zu zahlen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin drei Viertel der Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit ist der Anspruch der Klägerin im Mai 2016 auf höheres Alg II, insbesondere ihr bei der abschließenden Entscheidung zugrunde zu legendes Einkommen.
Die 1996 geborene Klägerin lebte mit ihrer Mutter und weiteren Familienangehörigen in einer Wohnung und bezog als Mitglied der nach ihrer Mutter gebildeten Bedarfsgemeinschaft Alg II. Anfang 2016 war auch der neue Ehemann der Mutter in die Wohnung gezogen. Für die Klägerin bezog ihre Mutter 190 Euro monatliches Kindergeld. Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin für die Zeit von Mai bis Oktober 2016 Alg II zunächst vorläufig aufgrund fehlender Unterlagen zur Haushaltsgemeinschaft sowie zum Ehemann der Mutter in Höhe von monatlich 285,36 Euro (Bescheid vom 6.4.2016). Ab Juli 2016 ging die Klägerin einer Beschäftigung nach, für die ihr ein monatliches Entgelt jeweils im Folgemonat ausgezahlt wurde (im August 2016 für Juli 2016 42,50 brutto = netto, ab September 2016 jeweils 85 Euro brutto = netto). Die Familienkasse hob die Bewilligung von Kindergeld für die Klägerin ab Juli 2016 auf (Bescheid vom 10.6.2016). Nachdem zunächst von Juli bis Oktober 2016 kein Kindergeld ausgezahlt worden war, erfolgte im November 2016 eine Nachzahlung für diese Monate sowie die Wiederaufnahme der laufenden Zahlung von Kindergeld.
Im Rahmen der abschließenden Entscheidung für die Zeit von Mai bis Oktober 2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin für Mai und Juni 2016 Alg II wie zuvor in Höhe von monatlich 285,36 Euro (Bescheid vom 16.2.2017). Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, "insoweit der Monat Mai 2016 geregelt wird"; sie habe Anspruch auf höhere Leistungen, weil der Beklagte es versäumt habe, das Durchschnittseinkommen im Bewilligungszeitraum zu bilden. Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 31.3.2017).
Mit ihrer Klage hiergegen begehrte die Klägerin höhere Leistungen für Mai und Juni 2016. Das SG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin weiteres Alg II in Höhe von monatlich 126,67 Euro für Mai und Juni 2016 zu gewähren (Urteil vom 16.10.2017). Das LSG hat auf die vom SG zugelassene Berufung des Beklagten das Urteil des SG geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin weiteres Alg II in Höhe von 126,67 Euro nur für Mai 2016 zu bewilligen (Urteil vom 20.9.2018). Für Juni 2016 sei die Berufung begründet, weil die Klage unzulässig sei, denn der Widerspruch sei auf den Mai 2016 beschränkt gewesen. Für Mai 2016 seien der Klägerin zu geringe Leistungen bewilligt worden, da entgegen der rechtlich eindeutigen Vorgabe des § 41a Abs 4 SGB II bei der abschließenden Entscheidung nicht ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt worden sei. Nach Abzug der Versicherungspauschale vom Durchschnittseinkommen aus Kindergeld stehe der Klägerin für Mai 2016 noch ein weiterer Leistungsanspruch in Höhe von 126,67 Euro zu.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 41a Abs 4 SGB II. Dieser sei einschränkend dahin auszulegen, dass ein Durchschnittseinkommen bei der abschließenden Entscheidung nur zugrunde zu legen sei, wenn Grund für die vorläufige Entscheidung schwankendes Einkommen gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. September 2018 zu ändern und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2017 aufzuheben sowie die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist nur teilweise begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG den Beklagten zu höheren Leistungen für Mai 2016 verurteilt, weil ein monatliches Durchschnittseinkommen auch vom Kindergeld zu bilden ist; der Anspruch der Klägerin beträgt indes nur 96,67 Euro, weil vorliegend keine Versicherungspauschale gesondert abzusetzen ist.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 16.2.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.3.2017, durch den der Beklagte abschließend über den Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin für die Zeit von Mai bis Oktober 2016 entschieden hat; die vorläufige Bewilligung durch Bescheid vom 6.4.2016 erledigte sich hierdurch (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl letztens etwa BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 18/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 81 RdNr 10). Streitig ist allein die Höhe des individuellen Leistungsanspruchs der Klägerin, nachdem nur diese Klage gegen den Bescheid erhoben hat, und streitig ist nur noch der Mai 2016, nachdem der Beklagte für diesen Monat vom LSG zu weiteren Leistungen in Höhe von 126,67 Euro verurteilt worden ist und nur er Revision gegen das Urteil des LSG eingelegt hat.
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war die Berufung zulässig, nachdem das SG sie in seinem Urteil zugelassen hat (vgl § 144 SGG). Die Klägerin verfolgt ihr Begehren - weitere Zahlungen über die vorläufig erbrachten Leistungen hinaus - zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG; vgl BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 39/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 41a Nr 1, RdNr 11), die sie auf höhere Leistungen nur für sich und nur (noch) für einen Monat beschränken konnte, obwohl der angefochtene Bescheid weitere Bedarfsgemeinschaftsmitglieder und weitere Monate regelte. Dies folgt aus dem Individualanspruch jedes Mitglieds einer Bedarfsgemeinschaft (vgl grundlegend BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12 ff) und dem Monatsprinzip im SGB II (vgl insoweit im vorliegenden Zusammenhang nur BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 18/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 81 RdNr 11).
In der Sache begehrt die Klägerin nicht nur ein Grundurteil im Höhenstreit (§ 130 Abs 1 SGG), weil sie die Zahlung eines bezifferten Betrags geltend macht (vgl zur Abgrenzung BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10). Trotz des Tenors des LSG, weitere Leistungen in Höhe von 126,67 Euro "zu bewilligen", handelt es sich nicht um einen hinter dem Leistungsantrag der Klägerin zurückbleibenden Verpflichtungstenor, weil das LSG ausweislich seiner Entscheidungsgründe den Beklagten nicht nur zum Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts, sondern zu einer höheren Leistung verurteilen wollte (vgl BSG, ebenda, RdNr 12).
3. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf höheres Alg II ist §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch Gesetz vom 24.6.2015 (BGBl I 974) erhalten hat, denn in Rechtsstreitigkeiten über abgeschlossene Bewilligungszeiträume ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip; vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
4. Die Klägerin erfüllte nach den Feststellungen des LSG im Mai 2016 die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II; ein Ausschlusstatbestand lag nicht vor.
Als ihren Bedarf in diesem Monat hat das LSG den Regelbedarf nach § 20 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB II in Höhe von 324 Euro und den Kopfteil an den Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in Höhe von 121,36 Euro festgestellt. Als der Klägerin im Mai 2016 zuzurechnendes Einkommen hat das LSG das für sie an ihre Mutter gezahlte Kindergeld in Höhe von 190 Euro festgestellt (§ 11 Abs 1 Satz 4, 3 SGB II).
5. Indes hat der Beklagte durch den Bescheid vom 16.2.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.3.2017 abschließend über den Leistungsanspruch (auch) der Klägerin (ua) im Mai 2016 entschieden, nachdem er zuvor durch Bescheid vom 6.4.2016 den zugrunde liegenden Leistungsantrag zunächst nur vorläufig beschieden hatte. Neben den genannten gesetzlichen Vorgaben für den Leistungsanspruch sind daher die des § 41a SGB II auf die getroffene abschließende Entscheidung anzuwenden (dazu 6.). Bei dieser ist nach § 41a Abs 4 SGB II als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen (dazu 7.). Bei dessen Berücksichtigung hat die Klägerin im Mai 2016 Anspruch auf höheres Alg II (dazu 8.).
6. § 41a SGB II ist mit Wirkung zum 1.8.2016 in das SGB II eingefügt worden (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824). Mit demselben Gesetz ist die Übergangsvorschrift des § 80 SGB II eingefügt worden, nach der für die abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1.8.2016 noch nicht beendet sind, § 41a SGB II anzuwenden ist (Abs 2 Nr 2).
Vorliegend hatte der Beklagte über den Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2016 vorläufig entschieden. Dieser Zeitraum war vor dem 1.8.2016 noch nicht beendet. Auf die abschließende Entscheidung des Beklagten ist daher § 41a SGB II anzuwenden und steht es der Anwendbarkeit dieses neuen Rechts nicht entgegen, dass für die vorangegangene vorläufige Bewilligung noch altes Recht (§ 40 Abs 2 Nr 1 SGB II in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung iVm § 328 SGB III) anzuwenden war (vgl zur Auslegung der Übergangsvorschrift des § 80 Abs 2 SGB II im Einzelnen BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 39/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 41a Nr 1, RdNr 21 ff).
7. Bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs ist nach § 41a Abs 4 SGB II als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens bei der abschließenden Entscheidung erfolgt unabhängig vom Grund der Vorläufigkeit, erfasst alle Einkommensarten und alle Monate des Bewilligungszeitraums.
a) Die Vorgabe des § 41a Abs 4 Satz 1 SGB II, bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs nach § 41a Abs 3 SGB II als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen, ist vorliegend anzuwenden, weil nach den Feststellungen des LSG keiner der Ausnahmetatbestände nach § 41a Abs 4 Satz 2 SGB II gegeben ist.
b) Als monatliches Durchschnittseinkommen ist nach § 41a Abs 4 Satz 3 SGB II für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt.
c) Mit der zwingenden Vorgabe der Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens erfasst § 41a Abs 4 SGB II alle Arten von Einkommen im Bewilligungszeitraum, bezieht alle Monate des Bewilligungszeitraums in die Bildung des Durchschnittseinkommens ein und setzt nicht voraus, dass der (schwankende) Bezug von Einkommen Grund der Vorläufigkeit war. Aus Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck sowie aus systematischen Gründen ergeben sich keine genügenden Anhaltspunkte dafür, von dieser am Wortlaut orientierten Auslegung des § 41a Abs 4 SGB II abzusehen.
aa) Dem Wortlaut lassen sich keine Anknüpfungspunkte dafür entnehmen, dass es für die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens darauf ankommt, ob der Bezug von Einkommen der Grund der Vorläufigkeit war, erst recht nicht, dass der Grund der Vorläufigkeit der Bezug von (schwankendem) Erwerbseinkommen war. Dem Wortlaut lässt sich auch nicht entnehmen, dass es für die Bildung des Durchschnittseinkommens auf die Art des bezogenen Einkommens ankommt, erst recht nicht, dass es nur für Erwerbseinkommen zu bilden ist. Dem Wortlaut lässt sich schließlich auch nicht entnehmen, dass ein Durchschnittseinkommen nur für die Monate zu bilden ist, in denen Einkommen erzielt worden ist.
Vielmehr geben § 41a Abs 4 Satz 1 und 3 SGB II nach ihrem Wortlaut ohne jede weitere Differenzierung vor, dass bei der abschließenden Entscheidung als monatliches Durchschnittseinkommen für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zugrunde zu legen und zu berücksichtigen ist, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Dies unterscheidet § 41a Abs 4 SGB II von § 2 Abs 3 Alg II-V in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung, die sich allein auf Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit bezog (vgl zu § 2 Abs 3 Alg II-V in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung näher BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 18/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 81 RdNr 20 ff).
bb) Ausweislich der Gesetzesmaterialien wird mit § 41a Abs 4 SGB II "die bislang in § 2 Absatz 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung mögliche Bildung eines Durchschnittseinkommens für die abschließende Entscheidung übernommen. Die Regelung dient der Verwaltungsvereinfachung: Wird im Bewilligungszeitraum ein Einkommen bezogen, das nur geringen Schwankungen unterliegt, ist im Ergebnis nur die Feststellung eines einheitlichen monatlichen Einkommens für den gesamten Bewilligungszeitraum erforderlich. Damit entfallen gegebenenfalls bis zu elf differenzierte Leistungsberechnungen, ohne dass sich daraus für den Bewilligungszeitraum insgesamt ein abweichender Leistungsanspruch ergäbe" (BT-Drucks 18/8041 S 53).
Mit ihrem Verweis auf § 2 Abs 3 Alg II-V in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung lässt sich der Begründung zwar ein Bezug zum Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit entnehmen, das Regelungsgegenstand des § 2 Alg II-V ist. Die Begründung stellt indes auch allgemein auf Einkommen ab, ohne nach Einkommensarten zu differenzieren. Eine Beschränkung der Bildung eines Durchschnittseinkommens nur bei Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit und nicht auch bei anderen Einkommensarten findet sich hierin nicht angelegt. Dies entspricht dem sich von § 2 Abs 3 Alg II-V in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung unterscheidenden, weitergehenden Wortlaut von § 41a Abs 4 SGB II.
Mit der Verwaltungsvereinfachung, der die Regelung des § 41a Abs 4 SGB II nach den Materialien dienen soll, sind allgemein verwaltungsökonomische Gesichtspunkte angesprochen, ohne diese mit einer konkreten Regelungskonzeption für die Bildung eines Durchschnittseinkommens bei der abschließenden Entscheidung zu verbinden, etwa nur bezogen auf bestimmte Einkommensarten.
cc) Sinn und Zweck des § 41a Abs 4 SGB II ist ausweislich dieser Materialien eine Verwaltungsvereinfachung bei der abschließenden Entscheidung über den monatlichen Leistungsanspruch durch die grundsätzlich verpflichtende Vorgabe der Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens.
Diesem Sinn und Zweck wird insbesondere durch eine Bildung von Durchschnittseinkommen bei schwankendem Erwerbseinkommen Rechnung getragen. Eine Verwaltungsvereinfachung kann aber auch mit der Bildung von Durchschnittseinkommen bei anderen Einkommensarten verbunden sein, erst recht, wenn diese mit Erwerbseinkommen zusammen treffen und/oder ihrerseits schwanken. Aus dem mit der gesetzlichen Neuregelung allgemein verfolgten Ziel der Verwaltungsvereinfachung folgen insoweit keine konkreten normativen Vorgaben, für die es im Normtext keine Anknüpfungspunkte gibt. Ob die Bildung eines Durchschnittseinkommens tatsächlich zu einer Verwaltungsvereinfachung führt, und auch, welche Wirkungen die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens auf den monatlichen Leistungsanspruch der Leistungsberechtigten hat, ergibt sich erst aus den konkreten Umständen des Einzelfalls.
dd) Für eine systematische Auslegung sind insbesondere die §§ 11 ff SGB II in den Blick zu nehmen, von denen § 41a Abs 4 SGB II eine spezialgesetzliche Ausnahme regelt. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Nach § 11 Abs 2 SGB II sind laufende Einnahmen grundsätzlich für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Einmalige Einnahmen sind nach § 11 Abs 3 SGB II grundsätzlich in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen.
Von dem (auch) hierin zum Ausdruck kommenden Monatsprinzip im SGB II (stRspr: BSG vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 27; BSG vom 28.10.2014 - B 14 AS 36/13 R - BSGE 117, 179 = SozR 4-4200 § 37 Nr 7, RdNr 25; BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 18/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 81 RdNr 18; BSG vom 24.8.2017 - B 4 AS 9/16 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 10 RdNr 31; zuletzt BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 13) weicht § 41a Abs 4 SGB II ab, weil bei der abschließenden Entscheidung nicht die in einem Monat tatsächlich zugeflossenen Einnahmen der Berücksichtigung als Einkommen zugrunde zu legen sind, sondern ein monatliches Durchschnittseinkommen zu bilden ist. Diese Abweichung differenziert ebenso wenig nach Einkommensarten (insbesondere Einkommen aus nichtselbständiger und aus selbständiger Arbeit, Einkommen aus anderen Sozialleistungen), wie die Regelungen zum Monatsprinzip der §§ 11 ff SGB II.
Mit der Bildung eines Durchschnittseinkommens knüpft § 41a Abs 4 SGB II an § 2 Abs 3 Alg II-V in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung und an § 3 Abs 4 Alg II-V an. Diese sahen die Bildung eines Durchschnittseinkommens vor für die Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs 3 Alg II-V; vgl dazu BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 18/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 81 RdNr 20 ff) und sehen diese vor für die Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft (§ 3 Abs 4 Alg II-V). § 41a Abs 4 SGB II löst diese Verbindung mit einer bestimmten Einkommensart und erstreckt die Bildung eines Durchschnittseinkommens auf alle von dieser Vorschrift erfassten Fälle der abschließenden Entscheidung über den monatlichen Leistungsanspruch nach einer vorläufigen Entscheidung.
Auch dass nach § 41a Abs 4 Satz 2 Nr 2 SGB II vom Sonderregime des § 41a Abs 4 Satz 1 und 3 SGB II eine Rückausnahme gilt, die eine Berechnung auf der Grundlage des tatsächlichen monatlichen Einkommens erfordert, führt als Ausnahme zur Grundregel des § 41a Abs 4 SGB II unter dem Gesichtspunkt der Systematik der Vorschrift nicht zu deren einschränkender Auslegung.
ee) Anderes ergibt sich nicht daraus, dass nach § 41a Abs 2 Satz 1 SGB II bei der vorläufigen Entscheidung der Grund der Vorläufigkeit anzugeben ist und nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung iVm § 328 Abs 1 Satz 2 SGB III Umfang und Grund der Vorläufigkeit anzugeben waren. Dem lässt sich eine den Anwendungsbereich des § 41a Abs 4 SGB II beschränkende Vorwirkung auf die abschließende Entscheidung und das bei ihr zugrunde zu legende monatliche Durchschnittseinkommen nicht entnehmen. Entsprechend erledigt die abschließende Entscheidung die vorläufige Entscheidung insgesamt nach § 39 Abs 2 SGB X, ohne dass es auf den Grund der Vorläufigkeit ankommt, und begründet die vorläufige Entscheidung grundsätzlich keinen Vertrauensschutz (zum begrenzten Vertrauensschutz nur im Rahmen der Fiktionswirkung des § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II siehe § 41a Abs 5 Satz 2 Nr 2 SGB II). Mit der abschließenden Entscheidung über Leistungen werden diese insgesamt neu geregelt; nur vorläufig bewilligte Leistungen bilden ein aliud gegenüber abschließend bewilligten Leistungen und entfalten keine Bindungswirkung für diese (vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - SozR 4-4200 § 40 Nr 9 RdNr 22 f; BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 39/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 41a Nr 1, RdNr 18).
c) Eine teleologische Reduktion des § 41a Abs 4 SGB II auf Fälle schwankenden Erwerbseinkommens oder zumindest auf Fälle schwankenden Einkommens scheidet aus.
aa) Die Korrektur einer Vorschrift durch einschränkende Auslegung im Wege einer teleologischen Reduktion ist vorzunehmen, wenn die auszulegende Vorschrift auf einen Teil der vom Wortlaut erfassten Fälle nicht angewandt werden soll, weil Sinn und Zweck der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (zu den Voraussetzungen und Grenzen dieses methodischen Vorgehens vgl BVerfG vom 19.6.1973 - 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72 - BVerfGE 35, 263, 279 f; BVerfG vom 30.3.1993 - 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90 - BVerfGE 88, 145, 166 ff; vgl letztens etwa BVerfG ≪Kammer≫ vom 31.10.2016 - 1 BvR 871/13, 1 BvR 1833/13 - RdNr 22; vgl aus der Rechtsprechung des Senats letztens BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 31/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 42a Nr 2, RdNr 25 ff).
Entsprechend durchgreifende Gründe gegen eine Einbeziehung aller Einkommensarten in die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens für alle Monate eines Bewilligungszeitraums ungeachtet des Grunds der Vorläufigkeit lassen sich weder dem Sinn und Zweck des § 41a Abs 4 SGB II, wie er sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt, noch der Systematik des SGB II entnehmen. Dass § 41a Abs 4 SGB II der Verwaltungsvereinfachung dienen soll, rechtfertigt keine Korrektur der gesetzlichen Vorschrift dahin, vom Wortlaut für Fallkonstellationen abzusehen, in denen die Bildung von Durchschnittseinkommen keine Verwaltungsvereinfachung mit sich bringt. Ob mit der Vorschrift überhaupt die nach den Gesetzesmaterialien angestrebte Verwaltungsvereinfachung zu erreichen ist, hat der Gesetzgeber zu beurteilen.
Ebenso rechtfertigt eine faktische Besserstellung von Leistungsberechtigten mit abschließender nach vorläufiger Entscheidung im Vergleich zu Leistungsberechtigten mit sogleich endgültiger Entscheidung, zu der die Bildung von monatlichen Durchschnittseinkommen im Einzelfall führen kann, keine teleologische Reduktion des § 41a Abs 4 SGB II. Dieser regelt seit 1.8.2016 eine gesetzliche Abweichung vom Monatsprinzip im SGB II (zur Rechtslage zuvor BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 18/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 81 RdNr 17 ff), die typischerweise sachgerecht ist; dass dies im Einzelfall anders sein kann, rechtfertigt keine Korrektur der allgemein geltenden Norm. Ob es sich generell so verhält, dass die Vorschrift zu ungerechtfertigten Besserstellungen bestimmter Leistungsberechtigter führt und ob dem durch - womöglich mit einer weiteren Ausdifferenzierung verbundenen - Korrekturen des Regelungsprogramms zu begegnen ist, obliegt der Einschätzung des Gesetzgebers.
bb) Soweit in der Literatur eine einschränkende Auslegung des § 41a Abs 4 SGB II befürwortet wird (Formann, SGb 2016, 615, 618; Geiger, NZS 2017, 139, 141 f; zum Meinungsspektrum in der Kommentarliteratur vgl nur Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 41a RdNr 381 ff, Stand Dezember 2018, einerseits und O. Loose in Hohm, SGB II, § 41a RdNr 93 ff, Stand November 2017, andererseits), knüpft dies zum einen an einem dem Gesetzgeber zugeschriebenen Fokus auf schwankendes Erwerbseinkommen und zum anderen an einer Bewertung der Ergebnisse einer Durchschnittseinkommensbildung an. Doch ein entsprechender Fokus hat weder im Wortlaut der Vorschrift noch in den Materialien einen hinreichend deutlichen Ausdruck gefunden, und die Bewertung einer Bildung von Durchschnittseinkommen im Einzelfall hängt ab von den konkreten Umständen dieses Einzelfalls, die indes nicht die Auslegung der Vorschrift bestimmen können.
cc) Entsprechendes gilt für die einschränkende Auslegung des § 41a Abs 4 SGB II, die den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zugrunde liegt (Fachliche Weisungen der BA zu § 41a SGB II ≪41a.27≫, Stand 20.3.2018). Deren Verständnis der Vorschrift mag eine von mehreren in Betracht kommenden sachgerechten Lösungen sein, für die sich der Gesetzgeber entscheiden kann; mit Blick auf die geltende Fassung des § 41a SGB II fehlt es hierfür indes an einer Stütze in dessen Wortlaut.
8. Bei Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens im Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2016 hat die Klägerin Anspruch auf höheres Alg II für Mai 2016.
Zutreffend sind SG und LSG davon ausgegangen, dass erst ein monatliches Durchschnittseinkommen durch Addition der Einnahmen je Einkommensart zu bilden ist und anschließend dessen monatliche Bereinigung um die Absetzbeträge nach § 11b SGB II nachfolgt (vgl zu dieser Reihenfolge auch § 3 Abs 4 Satz 1 und 3 Alg II-V), weil für diese Bereinigung des monatlichen Durchschnittseinkommens zwischen Einkommensarten zu unterscheiden ist, soweit für diese unterschiedliche Absetzbeträge gelten. Danach ist zum einen das Einkommen der Klägerin im Bewilligungszeitraum aus nichtselbständiger Arbeit auf die Monate des Bewilligungszeitraums zu verteilen (42,50 Euro im August 2016 + jeweils 85 Euro im September und Oktober 2016 = 212,50 Euro / 6 Monate = 35,42 Euro im Monat). Von diesem monatlichen Durchschnittseinkommen ist der Grundfreibetrag für Erwerbstätige nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II abzusetzen (35,42 Euro - 100 Euro). Ein zu berücksichtigendes Einkommen verbleibt insoweit nicht.
Zum anderen ist das der Klägerin zuzurechnende Einkommen im Bewilligungszeitraum aus Kindergeld auf die Monate des Bewilligungszeitraums zu verteilen (jeweils 190 Euro im Mai und Juni 2016 = 380 Euro / 6 Monate = 63,33 Euro im Monat). Von diesem monatlichen Durchschnittseinkommen ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen vorliegend nicht der Pauschbetrag nach § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V (Versicherungspauschale von 30 Euro) gesondert abzusetzen. Zwar war die Klägerin im Bewilligungszeitraum eine volljährige Leistungsberechtigte und findet für solche der Abzug einer Versicherungspauschale vom Kindergeld grundsätzlich statt. Doch steht dem die Absetzung bereits des Grundfreibetrags für Erwerbstätige nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II vom monatlichen Durchschnittseinkommen aus nichtselbständiger Arbeit entgegen, der auch Aufwendungen für Versicherungsbeiträge nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II pauschal umfasst, weshalb keine weitere Absetzung vom Kindergeld mehr vorzunehmen ist: Beim Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und Kindergeld kann die Versicherungspauschale grundsätzlich insgesamt nur einmal in Abzug gebracht werden und der nicht verbrauchte Teil des Grundfreibetrags für Erwerbstätige nicht auf das Kindergeld übertragen werden (vgl im Einzelnen BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 49/13 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 66 RdNr 18 ff; BSG vom 17.2.2015 - B 14 AS 1/14 R - RdNr 15 ff). Diese Grundsätze finden Anwendung auch bei der Bereinigung der monatlichen Durchschnittseinkommen unterschiedlicher Einkommensarten, für die besondere Absetzbeträge gelten, und führen beim Zusammentreffen von monatlichen Durchschnittseinkommen aus Erwerbseinkommen und Kindergeld dazu, dass mit der Berücksichtigung des pauschalen Grundfreibetrags nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II die Versicherungspauschale nach § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V abgegolten ist.
Es verbleibt ein nach § 41a Abs 4 SGB II zu berücksichtigendes monatliches Durchschnittseinkommen der Klägerin von 63,33 Euro. Berücksichtigt hat der Beklagte als Einkommen der Klägerin im Mai 2016 jedoch 160 Euro (190 Euro Kindergeld minus 30 Euro Versicherungspauschale), weshalb ihr weitere Leistungen von 96,67 Euro zustehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt den Teilerfolg des Beklagten im Revisionsverfahren.
Fundstellen
FEVS 2020, 289 |
NDV-RD 2020, 56 |
NZS 2019, 957 |
ZfF 2020, 21 |
Breith. 2020, 334 |
info-also 2019, 281 |