Beteiligte

Kläger, Widerbeklagter und Revisionsbeklagter

Beklagte, Widerklägerin und Revisionsklägerin. Beigeladene: 1) … 2) …

 

Tatbestand

I.

Im Revisionsverfahren ist nur noch über die Widerklage zu entscheiden, nachdem die Klage, mit der die Rückzahlung angeblich zu Unrecht erstatteter Ausgleichsrente begehrt worden war, vom Kläger im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) zurückgenommen worden ist. Mit der Widerklage vom 29. Dezember 1970 verfolgt die Beklagte die Erstattung von Aufwendungen, die sie anläßlich eines Tuberkuloseheilverfahrens für den Beigeladenen Sch… (Sch.) in der Zeit vor dem 1. Dezember 1960 (Zeitraum 1. März bis 30. November 1960) aufgewendet hat.

Bei Sch. bestand im Zeitpunkt seiner Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft im Juni 1946 eine Lungentuberkulose, die in den folgenden Jahren wiederholt stationäre Heilbehandlung erforderlich machte. Auf seinen Antrag vom 19. Dezember 1960 erkannte das Versorgungsamt Lübeck durch Bescheid vom 4. Oktober 1961 eine Lungen- und Wirbelsäulentuberkulose mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. mit Wirkung vom 1. Dezember 1960 als Schädigungsfolge an. Die von der Beklagten für das Tuberkuloseheilverfahren des Sch. in der Zeit vom 1. Dezember 1960 bis zum 28. März 1961 aufgewendeten Kosten wurden vom Kläger mit insgesamt 5.293,35 DM der Beklagten überwiesen. Nachdem das SG Kiel auf die Widerklage durch Urteil vom 26. April 1973 das Land Schleswig-Holstein zur Erstattung von 10.110,75 DM an die Beklagte verurteilt hatte, erstattete das Land der Beklagten einen Betrag von 843,81 DM und verfolgte mit der Berufung die Abweisung der darüber hinausgehenden Widerklage.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 17. April 1975 das Urteil des SG Kiel abgeändert und die Widerklage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es, die Widerklage sei weder aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag noch nach den Grundsätzen öffentlich-rechtlicher Erstattung begründet. Auch die §§ 19 und 20 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) kämen als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Ansprüche aus §§ 677 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seien für die Zeit vor dem 1. Dezember 1960 schon deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte zumindest damals gemeint habe, ein eigenes Geschäft zu führen. Der öffentlich-rechtliche Abwälzungsanspruch sei der Höhe nach dahin begrenzt, was der endgültig verpflichtete Leistungsträger durch die Vorleistung erspart habe. Für die Zeit vor dem 1. Dezember 1960 habe das Land durch die Vorleistung der Beklagten nichts erspart, weil der Versorgungsanspruch des Sch. erst mit dem Antragsmonat eingesetzt habe. Ein Sozialleistungsträger dürfe nicht dadurch schlechtergestellt werden, daß er nicht von dem anspruchsberechtigten Bürger, sondern von einem anderen Sozialleistungsträger in Anspruch genommen werde.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) hat dieses Rechtsmittel eingelegt und rügt, die Auffassung des LSG widerspreche den gewohnheitsrechtlichen Grundsätzen öffentlich-rechtlicher Erstattung. Der Abwälzungsanspruch stehe einem sachlich unzuständigen Leistungsträger gegen den sachlich zuständigen Leistungsträger zu, wenn ersterer Leistungen gewährt habe, die der letztere hätte erbringen müssen. Mit der Anerkennung des Leidens als Wehrdienstbeschädigung sei ihre Zuständigkeit entfallen, und zwar vom Beginn der Behandlung an; auf den Antrag des Versorgungsberechtigten könne es nicht ankommen. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe in einem gleichgelagerten Fall (Urteil vom 12. Februar 1975 - 9 RV 376/74 -) diese Auffassung vertreten und dabei auf 10 Abs. 6 BVG hingewiesen. Dagegen könne die dort geäußerte Ansicht des BSG über Art und Umfang des Abwälzungsanspruchs nicht überzeugen. Der Leistungspflichtige müsse, dem zu Unrecht tätig gewordenen Leistungsträger das erstatten, was dieser nach Gesetz und Recht im Einzelfall geleistet habe. Diese Regelung finde sich in den verschiedensten gesetzlichen Vorschriften (so z.B. §§ 222 und 1504 der Reichsversicherungsordnung -RVO-, § 6 Abs. 3 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes -RehaAnglG) und nunmehr auch in § 43 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB-AT).

Die Beklagte und Widerklägerin beantragt, das Weil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. April 1975 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 26. April 1973 zurückzuverweisen.

Der Kläger und Widerbeklagte beantragt, die Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. April 1975 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Kläger habe alles das erstattet, was er durch Leistungen der Beklagten für die Zeit vom 1. Dezember 1960 an erspart habe. Für die davor liegende Zeit komme eine Ersparnis nicht in Betracht, weil der Antrag des Versorgungsberechtigten anspruchsbegründende Bedeutung habe und erst im Dezember 1960 gestellt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 18. Mai 1976 hat der Kläger unter Hinweis auf ä 45 Abs. 1 i.V.m. Art. II § 17 SGB-AT die Einrede der Verjährung erhoben.

Die Beklagte hält dem entgegen, der Kläger verstoße mit seiner Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben. Im übrigen habe sie durch die Klageerhebung die Verjährung gemäß § 209 BGB unterbrochen.

Die beigeladene Bundesrepublik schließt sich den Rechtsausführungen des Klägers an und weist ergänzend darauf hin, daß nach § 10 Abs. 6 Satz 2 BVG, auf den das BSG in dem zitierten Urteil hingewiesen habe, Kostenersatz nur dann zu leisten sei, wenn der Beschädigte durch Umstände, die außerhalb seines Willens lagen, an der Anmeldung des Versorgungsanspruchs gehindert gewesen sei. Derartige Umstände seien aber im vorliegenden Fall nicht bekannt geworden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die vom LSG zugelassene Revision ist von der Beklagten und Widerklägerin frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-); sie ist daher zulässig (§ 169 SGG). Die Revision ist jedoch unbegründet. Dem von der Beklagten mit der Widerklage geltend gemachten Erstattungsanspruch steht die von dem Kläger erhobene Einrede der Verjährung entgegen.

Der Beklagten steht grundsätzlich ein öffentlich-rechtlicher Erstattungs- bzw. Ersatzanspruch gegen den Kläger zu, der hier auf den Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung zwischen zwei Trägern öffentlicher Verwaltung gerichtet ist (vgl. BSGE 16, 151; 29, 44, 50; 36, 43; Urteil des erkennenden Senats vom 7. August 1975 - 10 RV 437/74 -). Die von der Beklagten erbrachten Leistungen der Heilbehandlung und sozialen Betreuung dürfen dem Grunde nach auf die Versorgungsverwaltung abgewälzt werden, weil insoweit ein Kostentragungsvorrang der Versorgungsverwaltung besteht (vgl. Art. 120 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes -GG-; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 666 d und 666 g II; s. auch § 1236 Abs. 3 RVO). Die Auffassung des LSG, daß die Kostentragungspflicht erst mit dem Ersten des Antragsmonats, d.h. hier mit dem 1. Dezember 1960, beginnt, trifft für den vorliegenden Fall nicht zu. Das Gesetz unterscheidet zwischen der Beschädigtenversorgung - früher Beschädigtenrente also dem Anspruch auf Geldleistungen -, die frühestens mit dem Antragsmonat beginnt (vgl. § 60 BVG in allen seinen Fassungen), und der Heilbehandlung, die bereits vor der Anmeldung und Anerkennung gewährt werden kann (vgl. für den hier streitigen Zeitraum § 10 Abs. 3 BVG i.d.F. des 6. ÄndG vom 1. Juli 1957, BGBl. I S.661; § 10 Abs. 5 und 6 BVG i.d.F. des 1. NOG von 27. Juni 1960, BGBI. I S. 453). Zwar handelt es sich hier nicht um eine von dem Beschädigten selbst durchgeführte Heilbehandlung, denn die Tuberkulosebehandlung ist nicht von dem Beschädigten Sch., sondern von der Beklagten im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit durchgeführt worden (vgl. § 1244a RVO). Es würde aber dem Zweck der konkurrierenden Leistungszuständigkeit mit der u. U. vorrangigen Leistungsverpflichtung der Kriegsopferversorgung nach § 1236 Abs. 3, RVO zuwiderlaufen, wenn der Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten nur deshalb verloren ginge, weil der leistungszuständige, aber letztlich nicht leistungspflichtige Rentenversicherungsträger das Heilverfahren im Interesse des Beschädigten ohne die zeitraubende Prüfung seiner Leistungspflicht beschleunigt und noch vor Anerkennung der Tbc-Erkrankung als Schädigungsfolge durchgeführt bzw. - wie hier - eingeleitet hat (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 7. August 1975 - 10 RV 437/74; Urteil des 9. Senats vom 24. März 1976 - 9 RV 440/74). Eine eindeutige Bestätigung für diese Auffassung findet sich jetzt in § 6 Abs. 2 und 3 Reha-AnglG und in § 43 SGB-AT. Der Entscheidung des Senats vom 14. März 1975 (10 RV 295/74) lag ein anderer Sachverhalt zugrunde (Eingliederung von Zahnersatz als Nichtschädigungsfolge)

Die Voraussetzungen des Abwälzungsanspruchs sind demnach auch für die Zeit vor dem 1. Dezember 1960 verwirklicht. Der Kläger hat einen Vermögensvorteil erlangt, indem er die Kosten und die stationäre Heilbehandlung des Sch. erspart hat. Tatsächlich hätte die Versorgungsverwaltung - u. U. nach langwierigen Ermittlungen, was nicht im Interesse des Betroffenen liegen kann und auch die Regelung des § 1236 Abs. 3 RVO gerade vermieden werden soll - die Heilbehandlung gewähren oder die Kosten dafür übernehmen müssen (vgl. BSGE 39, 137 = SozR 3100 BVG § 81 b Nr. 3; Urteil des 9. Senats des BSG vom 24. März 1976 - 9 RV 440/74).

Dem Erstattungsanspruch der Beklagten und Widerklägerin steht jedoch die vom Kläger (Widerbeklagten) im Revisionsverfahren erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Erörterung, ob der Erstattungsanspruch in voller Höhe besteht oder ob die von der Beklagten gewährten Leistungen über das hinausgehen, was aufgrund des Versorgungsrechts zu leisten gewesen wäre (vgl. BSGE 39, 137; siehe auch § 81 b BVG und § 43 Abs. 3 SGB-AT). Grundsätzlich kann zwar die Einrede der Verjährung nicht mehr (erstmalig) im Revisionsverfahren erhoben werden (vgl. BSGE 6, 283, 288 unter Bezugnahme auf BGHZ 1, 239; Urteil BSG vom 6. Juli 1972 - 9 RV 656/71; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 11. Aufl., § 146 Erl. II 2), weil das Vorbringen von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln in der Revisionsinstanz ausgeschlossen ist. Etwas anderes muß jedoch nach allgemeiner Rechtsüberzeugung dann gelten, wenn inzwischen eine Rechtsänderung eingetreten und in der Revisionsinstanz neues Recht anzuwenden ist, das den streitigen Anspruch seinem zeitlichen Geltungswillen nach ergreift (vgl. Rosenberg/Schwab a.a.O. § 144 Erl. VIII S. 793; Mattern, Juristenzeitung 1963 S. 649; Stein/Jonas ZPO 19. Aufl. § 561 Anm. II 2 g; Wieczorek ZPO § 561 Anm. B III c, § 550 Anm. D I; Baumbach/Lauterbach ZPO 32. Aufl. § 561 Anm. 3). Alsdann sind auch neue Tatsachen zu berücksichtigen, die z. Z. der letzten Tatsachenverhandlung bereits vorlagen, aber nach der bisherigen Rechtslage nicht rechtserheblich und deshalb nicht vorgetragen waren (vgl. RGZ 128,344, 350; Rosenberg/Schwab a.a.O.; Wieczorek a.a.O. § 561 Anm. A IV b). Das trifft auf den vorliegenden Rechtsstreit zu.

Die Rechtsprechung des BSG auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung ging bisher dahin, daß der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der 30-jährigen Verjährung unterliegt (vgl. BSG SozR BVG § 21 Nr. 2; § 19 Nr. 4; § 14 Nr. 5; vgl. demgegenüber § 21 Abs. 2 BVG und BSG SozR RVO § 29 Nr. 21; § 183 Nr. 64). Von dieser Rechtsprechung und Rechtslage - also einer 30-jährigen Verjährungsfrist - sind ersichtlich auch die Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits ausgegangen. Am 1. Januar 1976 ist jedoch das Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (BGBl. I S. 3015) in Kraft getreten. Nach § 45 Abs. 1 SGB-AT verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen (vgl. die Legaldefinition in § 11 SGB-AT) in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Diese kurze Verjährung gilt nach § 45 Abs. 4 SGB-AT für die Erstattungsansprüche nach § 42 und § 43 entsprechend. § 45 Abs. 4 SGB-AT bezieht sich zwar seinem Wortlaut nach nur auf Ersatz- und Erstattungsansprüche aufgrund von geleisteten Vorschüssen (§ 42) oder von vorläufigen Leistungen (§ 43). § 43 Abs. 3 SGB-AT normiert jedoch nicht den Erstattungsanspruch des vorleistenden Leistungsträgers, sondern setzt ihn voraus. Dabei ist es für den Ausgleich zwischen den Sozialleistungsträgern rechtlich unerheblich, ob der ersatzberechtigte Leistungsträger seine Leistungen erbracht hat, weil er zunächst irrtümlich seine Leistungspflicht annahm, oder ob er als zuerst angegangener Leistungsträger vorläufig Leistungen erbrachte, um bis zur Bestimmung des endgültig Leistungspflichtigen den Anspruch des Berechtigten auf Sozialleistungen insoweit zu erfüllen (vgl. das zu Veröffentlichung bestimmte Urteil des 2. Senats des BSG vom 28. April 1976 - 2 RU 119/75). Das SGB-AT beschränkt sich nicht nur darauf, Sozialleistungen und soziale Rechte im Interesse des anspruchsberechtigten Bürgers zu gestalten (vgl. insbesondere §§ 1 und 2 SGB-AT), sondern es will auch Regelungen über die Zusammenarbeit und den Leistungsausgleich (vgl. § 43 SGB-AT) der beteiligten Sozialleistungsträger treffen (vgl. Amtl. Begründung zu § 43 SGB-AT, BT-Drucksache S. 7/868 S. 28). Die in § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 SGB-AT bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren ist demnach Ausdruck eines allgemeinen Prinzips. Sie dient der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche und bestimmt dafür die gleiche Verjährungsfrist, wie sie für die Verjährung von Ansprüchen des Berechtigten auf Sozialleistungen vorgeschrieben ist (vgl. ausführlich BSG a.a.O.). Diese Regelung ist im Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander auch aus praktischen und haushaltsrechtlichen Gründen geboten, um jahrzehntelange Auseinandersetzungen, wie sie in der Vergangenheit häufig zu beobachten waren, einer beschleunigten (gerichtlichen) Klärung zuzuführen.

§ 45 SGB-AT gilt gem. Art. II § 17 SGB-AT auch für die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig gewordenen, noch nicht verjährten Ansprüche. Das trifft auf den hier streitigen Anspruch zu. Dieser ist mit der Entstehung, spätestens jedoch mit der Zahlungsaufforderung durch den Beklagten fällig geworden. Der Anspruch wer beim Inkrafttreten des SGB-AT noch nicht verjährt, da, wie bereits dargelegt, bei Erstattungsansprüchen der vorliegenden Art auf dem Gebiet des Versorgungsrechts in entsprechender Anwendung des § 195 BGB die 30-jährige Verjährung galt.

Die Anwendung des Art. II § 17 SGB-AT auf den vorliegenden Fall bedeutet zweierlei:

1.

Das hier streitige Rechtsverhältnis wird nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung von dem zeitlichen Geltungswillen des SGB-AT erfaßt. Insoweit liegt eine Rechtsänderung vor, die es dem Kläger erlaubt, noch im Revisionsverfahren neue Tatsachen vorzubringen, d.h. die Einrede der Verjährung zu erheben. Vor dem Inkrafttreten des SGB-AT bestand dazu für den Kläger kein Anlaß, da die hier streitigen Heilbehandlungskosten im Jahre 1960 angefallen sind. Die Verjährung konnte daher frühestens im Laufe des Jahres 1990 eintreten, ganz abgesehen davon, daß die Verjährung durch die Erhebung der Widerklage unterbrochen war (vgl. § 2e Abs. 1 BGB). Einer Anrufung des Großen Senats des BSG (vgl. BSGE 6, 283, 288) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. BGHZ 1, 239) bedarf es nicht; eine Abweichung von der oben erwähnten Rechtsprechung liegt nicht vor. Die vorliegende Entscheidung beruht allein darauf, daß während des Revisionsverfahrens eine Rechtsänderung eingetreten ist, die nach herrschender Auffassung dazu zwingt, neues tatsächliches Vorbringen im begrenzten Rahmen zuzulassen.

2.

Der Durchsetzbarkeit des Anspruchs der Beklagten steht die vom Kläger erhobene Einrede der Verjährung entgegen (Leistungsverweigerungsrecht im Sinne des § 222 BGB). Nach dem Inkrafttreten des SGB-AT kann ohnehin nicht mehr auf § 195 BGB (regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren) zurückgegriffen werden. Der Beklagten ist allerdings zuzugeben, daß die Regelung des Art. II § 17 SGB-AT nicht ganz eindeutig ist. Keinesfalls kann diese Übergangsregelung aber dahin verstanden werden, daß zu der bisher verstrichenen Verjährungszeit noch weitere vier Jahre - gerechnet vom 1. Januar 1976 an - hinzutreten. Das würde den gesetzgeberischen Absichten, die Abrechnung zwischen den Sozialleistungsträgern zu beschleunigen, eindeutig zuwiderlaufen. Dem Gesetzeswortlaut des Art. II § 17 SGB-AT ist auch nicht zu entnehmen, daß diese Regelung nur für das Verwaltungsverfahren, nicht aber für das gerichtliche Verfahren gelten soll. Zwar wird der Lauf der Verjährungsfrist durch die Klageerhebung unterbrochen (§ 209 Abs. 1 BGB). Art. II § 17 SGB-AT stellt es jedoch schon vom Wortlaut her nicht darauf ab, ob der streitige Anspruch bereits rechtshängig geworden ist oder nicht. Nach dem bisherigen Rechtszustand hing der Zeitpunkt der gerichtlichen Geltendmachung nach einer mehr oder weniger langen "Überlegungszeit" weitgehend von Zufälligkeiten ab. Auch im vorliegenden Fall ist die Klageerhebung erst nach einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren im Rahmen einer Widerklage erfolgt, nachdem die Beklagte zunächst selbst nur die Erstattung ihrer Aufwendungen für die Zeit ab 19. Dezember 1960 verlangt hatte (vgl. Schreiben der Beklagten vom 13. Januar 1965, Bl. 220 der Vers.Akten). Außerdem zwingt die Regelung des § 217 BGB - nach Beendung der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährungsfrist zu laufen - geradezu dazu, die Übergangsregelung auch auf die bereits rechtshängigen Sachen anzuwenden; anderenfalls könnte sich ein weiterer Schwebezustand von mehreren Jahren ergeben. Das aber würde wiederum der gesetzlichen Neuregelung zuwiderlaufen, wonach eine rückwirkende Anwendung auf sogenannte Altfälle ausdrücklich gewollt ist. Die Rechtslage ist insoweit nicht anders, als wenn die Senate des BSG, die bisher von einer 30-jährigen Verjährungsfrist ausgegangen sind, diese Rechtsprechung aufgegeben hätten oder der Große Senat des BSG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (vgl. § 43 SGG) allgemein eine 4-jährige Verjährungsfrist für Ersatz- und Erstattungsstreitigkeiten angenommen hätte.

Die Beklagte hat ihr Vorbringen, daß der Kläger auf die Erhebung der Einrede der Verjährung ausdrücklich verzichtet hat, nicht mehr aufrecht erhalten. Zu einem derartigen Verzicht bestand auch kein Anlaß, da die Beteiligten von einer 30-jährigen Verjährungsfrist ausgegangen sind. Der Vorwurf der Beklagten, daß die Berufung des Klägers auf die neue, kürzere Verjährungsfrist als Verstoß gegen Treu und Glauben oder als unzulässige Rechtsausübung anzusehen sei, greift nicht durch. Wenn der Gesetzgeber im Interesse des Rechtsfriedens und der Überschaubarkeit der öffentlichen Haushalte einheitlich eine kürzere Verjährungsfrist vorgeschrieben hat, um die bisherige Unsicherheit auf dem Gebiet der Verjährung von öffentlich-rechtlichen Ersatz- und Erstattungsansprüchen zu beseitigen, und wenn die gesetzliche Neuregelung ausdrücklich mit rückwirkender Kraft zur Erfassung der Altfälle ausgestattet ist (vgl. Art. II § 17), dann muß dem Kläger das Recht zugestanden werden, die neue Gesetzeslage zu seinen Gunsten in Anspruch zu nehmen. Dabei ist im Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander insbesondere zu berücksichtigen, daß die neue Regelung unterschiedslos alle Leistungsträger erfaßt, wobei sie sich je nach der Ausgangslage auf der Klägerseite oder der Beklagtenseite befinden können. Insoweit kann auf den Schriftsatz der Beigeladenen (Bundesrepublik Deutschland) vom 19. Juli 1976 verwiesen werden.

Die Entscheidung des LSG ist daher aufgrund der geänderten Rechtslage und mit anderer Begründung zu bestätigen; die Revision der Beklagten und Widerklägerin ist zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518760

BSGE, 135

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge