Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 14.05.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Mai 1991 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist im Rahmen eines Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe (Alhi), ob der Kläger ab 14. Januar 1988 wegen Erwerbsunfähigkeit nicht mehr der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.
Der 1969 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebt seit 1971 in Deutschland. Die deutsche Sprache beherrscht er besser als Türkisch. Er spricht aber langsam und stockend. Sein Ausdrucksvermögen ist beschränkt. Bis 1984 besuchte er eine Sonderschule für Lernbehinderte bis zur 9. Klasse. Den Hauptschulabschluß erreichte er nicht. Während des Berufsvorbereitungsjahres (BVJ 1984/1985) erbrachte er nur bei umfassender und ständiger Betreuung nach der Beobachtung des Berufsschullehrers „halbwegs normale Leistungen”. Ohne eine solche Betreuung waren seine Mitarbeit und Leistung „gleich Null”. Im praktischen Bereich des BVJ arbeitete er nicht mit.
Vom 28. Oktober 1985 bis 30. September 1986 war der Kläger im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) als Bauhof- und Gartenarbeiter bei der Stadt Georgsmarienhütte (Beigeladene zu 2) beschäftigt. Nach Angaben seiner Vorgesetzten waren seine Leistungen „eine einzige Katastrophe”. Seit November 1988 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstätte für Behinderte teil; seit 1989 besucht er eine Ausbildungswerkstatt für Metallberufe (Jugendwerkstatt).
Ein amtsärztliches Gutachten des Leitenden Medizinaldirektors Dr. W. … (Gesundheitsamt des Landkreises O. …) vom 28. September 1987 kam zu dem Ergebnis, der Kläger sei wegen einer geistig-seelischen Behinderung mit verlangsamtem Reaktionsvermögen und verlangsamten Bewegungsabläufen nicht in der Lage, auch nur einfachste Arbeiten ohne regelmäßige Aufsicht und Anleitung zu verrichten. Der Amtsarzt empfahl die Eingliederung in eine Werkstatt für Behinderte.
Auf die Arbeitslosmeldung des Klägers im Oktober 1986 bewilligte die beklagte Bundesanstalt (BA) Alhi – zuletzt für die Zeit vom 1. Oktober 1987 bis 30. September 1988 (Bescheid vom 11. November 1987). Wegen der Beurteilung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit des Klägers durch Dr. W. … ersuchte die BA im Oktober 1987 die Landesversicherungsanstalt Hannover (Beigeladene zu 1) als zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, eine Feststellung über die Berufsunfähigkeit (BU) oder Erwerbsunfähigkeit (EU) zu treffen. Dieses Ersuchen beantwortete die Beigeladene zu 1) vom 4. Dezember 1987 dahin, daß beim Kläger EU auf Dauer vorliege, die Wartezeit für eine Rente wegen EU/BU aber nicht erfüllt sei. Diese Mitteilung gab die Beigeladene zu 1) dem Kläger nicht bekannt.
Mit Bescheid vom 6. Januar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1988 hob die BA die Bewilligung von Alhi mit Wirkung ab 14. Januar 1988 auf. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger stehe der Arbeitsvermittlung wegen EU objektiv nicht zur Verfügung. Durch die Feststellung der Beigeladenen zu 1), an die die BA gebunden sei, sei eine Voraussetzung des Anspruchs auf Alhi entfallen. Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 4. August 1989 eingeholt, der eine Leistungsminderung durch intellektuelle Beeinträchtigung, starke Antriebsstörung, allgemeine Interesselosigkeit und psychosomatische Verlangsamung bekundet hat. Unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts sei er nicht in der Lage, irgendeine berufliche Tätigkeit auszuüben. Möglich und sinnvoll sei ein Einsatz in einer beschützenden Werkstätte, wo ständige Aufsicht und Anregung auf ihn einwirke. Der den Kläger seit 1989 behandelnde Arzt, der Internist Dr. M. … – …, hat ihm am 28. Februar 1989 bescheinigt, daß er seinem niederen Ausbildungsstand entsprechend mindestens 20 Wochenstunden arbeiten könne. Das SG hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 1. Oktober bis 1. November 1988 Alhi zu zahlen. Es hat ausgeführt, bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen im übrigen komme es hier allein darauf an, ob die nach § 105a Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) fingierte Leistungsfähigkeit des Klägers durch eine wirksame Feststellung seiner EU aufgehoben sei. Die Frage des Eintritts von EU/BU könne offenbleiben, weil die Beigeladene zu 1) die EU des Klägers nicht wirksam festgestellt habe. Im Verhältnis zum Kläger enthalte die Entscheidung der Beigeladenen zu 1) einen Verwaltungsakt, der erst durch die Bekanntgabe an den Betroffenen wirksam werde. Die Feststellung der EU habe die Beigeladene zu 1) dem Kläger aber nicht mitgeteilt. Die Fiktion der objektiven Verfügbarkeit nach § 105a Abs 1 Satz 1 AFG greife deshalb für die streitige Zeit zugunsten des Klägers ein.
Die BA hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung der §§ 105a Abs 1 AFG, 37 Abs 1 Satz 1 und 39 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch: Verwaltungsverfahren (SGB X).
Die BA führt aus, eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen, die bei Erlaß des Bewilligungsbescheides vom 11. November 1987 vorgelegen hätten, sei mit der Feststellung der EU des Klägers durch die Beigeladene zu 1), nicht aber schon durch Eintritt der EU selbst, eingetreten. Die Feststellung der EU sei wirksam erfolgt. Bei dieser Feststellung handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, denn sie habe lediglich verwaltungsinterne Wirkung, nicht aber unmittelbare Rechtswirkung nach außen. Für die Ansicht des LSG, die Entscheidung des zuständigen Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung auf Ersuchen der BA treffe den Versicherten in gleicher Weise wie eine Entscheidung im Rentenantragsverfahren, fehle es an einer stichhaltigen Begründung. Ein Verwaltungs-(Sozial-) Rechtsverhältnis zwischen Arbeitslosem und Rentenversicherungsträger bestehe nur, wenn dieser ein gesondertes Verfahren bei dem Rentenversicherungsträger durchführe. Das Verfahren auf Feststellung der EU/BU auf Ersuchen der BA nach § 105a Abs 1 Satz 2 AFG führe nur zu einer verbindlichen Entscheidung im Rahmen des AFG, nicht aber über einen Rentenanspruch des Arbeitslosen. Der Bekanntgabe dieser Entscheidung an den Kläger bedürfe es nicht. Im Falle einer Anfechtung der Entscheidung der BA über den Leistungsanspruch stehe einer Beteiligung des zuständigen Rentenversicherungsträgers am Widerspruchsverfahren nichts entgegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Mai 1991 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 1. März 1990 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, die Fiktion des § 105a Abs 1 Satz 1 AFG bleibe bestehen, solange die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers noch nicht rechtskräftig sei. Die BA dürfe über den Fortbestand seines Leistungsanspruchs erst nach Eintritt der Rechtskraft dieser Feststellung entscheiden.
Die Beigeladene zu 1) teilt die Rechtsansicht der BA. Die Beigeladene zu 2) hat sich im Revisionsrechtszug zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Im Einverständnis mit den Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Die Revision der BA ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet. Das Urteil des LSG beruht auf einer Verletzung der §§ 105a Abs 1 Satz 1 und 2 AFG; 31 Satz 1 SGB X. Die Feststellung des zuständigen Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 105a Abs 1 Satz 2 AFG, ob bei einem Arbeitslosen EU oder BU vorliegt, weist mangels unmittelbarer Rechtswirkung nach außen nicht die Merkmale eines Verwaltungsakts auf.
Ein Verwaltungsakt ist mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen kann hier mit der Feststellung der EU des Klägers durch die Beigeladene eingetreten sein. Sie hat gegebenenfalls zum Wegfall der Verfügbarkeit als Anspruchsvoraussetzung der dem Kläger bewilligten Alhi (§ 134 Abs 1 Nr 1 AFG) geführt.
Der Arbeitsvermittlung steht – unter anderen hier nicht streitigen Voraussetzungen – zur Verfügung, wer eine zumutbare, nach § 168 die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (§ 134 Abs 4 Satz 1; § 103 Abs 1 Nr 1 AFG). Nach §§ 134 Abs 4 Satz 2; 105a Abs 1 AFG hat Anspruch auf Alhi auch, wer die in den §§ 101 – 103 genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi allein deshalb nicht erfüllt, weil er wegen einer nicht nur vorübergehenden Minderung seiner Leistungsfähigkeit keine längere als kurzzeitige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann, wenn weder BU noch EU iS der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt worden ist. Die Feststellung, ob BU oder EU vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 105a Abs 1 Satz 2 AFG). Dies ist hier mit dem Schreiben der Beigeladenen zu 1) an die BA vom 4. Dezember 1987, das sie dem Kläger nicht bekanntgegeben hat, geschehen. An einer Überprüfung der sachlichen Richtigkeit dieser Feststellung hat sich das LSG gehindert gesehen, weil es die Feststellung der Beigeladenen mangels Bekanntgabe an den Kläger nicht als wirksam angesehen hat. Diese Rechtsansicht hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Feststellung des Rentenversicherungsträgers nach § 105a Abs 1 Satz 1 AFG weist nicht die Merkmale eines Verwaltungsakts iS des § 31 SGB X auf. Sie ist jedenfalls dann nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet, wenn sie – wie hier – nicht im Rahmen eines durch Rentenantrag des Versicherten eingeleiteten Rentenverfahrens, sondern ausschließlich auf Ersuchen der BA erfolgt. Gegenstand der Beurteilung ist insoweit ein Anspruch aus einem Sozialleistungsverhältnis zwischen dem Arbeitslosen (Versicherten) und der BA. Die Entscheidung über einen solchen Anspruch hat der Direktor des Arbeitsamts zu treffen (§ 146 Satz 1 AFG). Diese Zuständigkeitsregelung läßt § 105a Abs 1 Satz 2 AFG im Außenverhältnis zum Arbeitslosen (Versicherten) unberührt. Der Feststellung des Rentenversicherungsträgers kommt bloß im Innenverhältnis zur Vorbereitung der Entscheidung der BA Bedeutung zu. Das ergibt sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck des § 105a Abs 1 AFG.
Einen Anhaltspunkt für diese Deutung der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitslosem (Versichertem), BA und Rentenversicherungsträger liefert der Wortlaut der Vorschrift. Der Rentenversicherungsträger hat – abweichend von § 103 Abs 2 AFG idF vom 25. Juni 1969 (BGBl I, 582) – nicht eine „Entscheidung”, sondern nur die „Feststellung” des Eintritts von EU/BU zu treffen. Zwar kann die Entscheidung der BA durch diese Feststellung „entscheidend” (mit-)bestimmt sein. Für die Annahme einer unmittelbaren Außenwirkung gegenüber dem Kläger reicht dies jedoch nicht aus. Andernfalls wären Betroffene zu gesondertem Vorgehen gegen verschiedene Behörden stets in Fällen gezwungen, in denen an der Entscheidung der federführenden Behörde eine andere „entscheidend” mitwirkt (sog mehrstufiger Verwaltungsakt). Diese Rechtsfolge findet – von möglichen Sonderregelungen abgesehen – im geltenden Recht keine Grundlage. Das zeigt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu Vorschriften, in denen Entscheidungen „im Einvernehmen” oder „mit Zustimmung” einer anderen Behörde zu treffen sind. Selbst bei diesen stärkeren Beteiligungsformen soll dem Betroffenen gesondertes prozessuales Vorgehen gegen zwei Maßnahmen nicht zugemutet werden (BVerwGE 16, 116, 119, 125; 62, 342, 344; BVerwG NVwZ 1986, 556; BGHZ 65, 182, 185; 99, 262, 273; Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl 1973, 383f = § 46 V c 2).
Zur Abgrenzung knüpft die Lehre an unterschiedliche Anhaltspunkte an: unmittelbares Bewirken einer Rechtsfolge gegenüber einem anderen Rechtssubjekt (so Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl 1988, 195 = § 11 II 5); ausschließliche Wahrnehmung bestimmter Aufgaben und alleinige Geltendmachung besonderer Gesichtspunkte (so Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl 1990, 164 = § 9 RdNr 30); von der Verwaltungsbehörde intendierte Außenwirkung (so Gornig, Die sachbezogene hoheitliche Maßnahme, 1985, 39 ff). Die Feststellung des Rentenversicherungsträgers ließe sich danach verschieden qualifizieren. Das kann hier auf sich beruhen, zumal BA und Rentenversicherungsträger als Funktionseinheit gegenüber dem Arbeitslosen (Versicherten) nach außen auftreten und die Mitwirkung lediglich eine nahtlose Zuständigkeit der beteiligten Sozialleistungsträger gewährleisten soll.
Eine unmittelbare Wirkung nach außen ist bei der Feststellung des Rentenversicherungsträgers nach § 105a Abs 1 Satz 2 AFG um so weniger anzunehmen, als dieser nicht an der Entscheidung über den Leistungsanspruch selbst beteiligt ist, sondern nur die Feststellung von EU/BU zu treffen hat, die ein Teilaspekt der allein von der BA zu treffenden Entscheidung über den Leistungsanspruch bzw die Leistungsvoraussetzung der objektiven Verfügbarkeit des Arbeitslosen für die Arbeitsvermittlung darstellt. Für die Frage der Außenwirkung dieser Feststellung kann dahinstehen, ob es sich dabei um ein Tätigwerden „in eigener Zuständigkeit” (so Gagel/Steinmeyer, AFG, § 105a RdNr 15 – Stand: Januar 1986) oder „das Mitwirken des Rentenversicherungsträgers an den Aufgaben der BA” (so BSGE 43, 75, 84; 44, 29, 30) handelt oder ob der Rentenversicherungsträger „im Wege der Amtshilfe” tätig wird – wie § 103 Abs 2 AFG idF vom 25. Juni 1969 ausdrücklich vorsah (ebenso: Winkler, Info Also 1991, 11, 12; bei Zusammenwirken von Behörden „als einer regelmäßigen und dauerhaften Einrichtung”; Amtshilfe verneinend: Schlink, Die Amtshilfe, 1982, 227).
Die Nahtlosigkeitsregelung (§ 103 Abs 1 und 2 AFG aF; § 105a Abs 1 AFG idF des Artikel II § 2 Nr 7 SGB X vom 18. August 1980 – BGBl I, 1469 –) hat der Gesetzgeber getroffen, um den als unbefriedigend empfundenen Zustand des bis dahin geltenden Rechts zu beenden, wonach ein Arbeitsloser (Versicherter) wegen unterschiedlicher Beurteilung seiner gesundheitlichen Leistungsfähigkeit von der BA nicht als verfügbar sowie vom Rentenversicherungsträger nicht als erwerbs- bzw berufsunfähig angesehen werden konnte und daher weder Leistungen wegen Arbeitslosigkeit noch Versichertenrente erhielt (Begründung des RegEntw BT-Drucks V/2291, 79; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit zu Drucks V/4110, 18). Die jetzt geltende Regelung des § 105a Abs 1 AFG faßt die Regelungen des § 103 Abs 1 und 2 AFG aF „im Interesse der Rechtsklarheit” – „bei weitgehender Übernahme des geltenden Rechts” -zusammen (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung BT-Drucks 8/4022, 89). Den nahtlosen Versicherungsschutz der Erwerbsfähigkeit (in der gesetzlichen Rentenversicherung) und der Erwerbsmöglichkeit (in der Arbeitslosenversicherung) sucht das Gesetz rechtstechnisch auf doppelte Weise zu gewährleisten: Es fingiert gesundheitliches Leistungsvermögen des Arbeitslosen (Versicherten) bis zur Feststellung des Eintritts des in der Rentenversicherung versicherten Risikos der EU/BU (BSGE 44, 29, 31; 49, 1, 8; BSG SozR 3-4100 § 105a Nr 1) und überträgt diese Feststellung ausschließlich dem Rentenversicherungsträger. Die Bindung der BA an diese Feststellung des Rentenversicherungsträgers (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit zu Drucks V/4110, 18) schließt einen dem Versicherten nachteiligen negativen Kompetenzkonflikt zwischen der BA und dem Rentenversicherungsträger wegen unterschiedlicher Beurteilung der gesetzlichen Leistungsfähigkeit aus. Die damit angestrebte Nahtlosigkeit des Versicherungsschutzes ist allerdings auf die objektive Verfügbarkeit begrenzt, denn die Fiktion ausreichenden gesundheitlichen Leistungsvermögens des Arbeitslosen (Versicherten) kann das Fehlen anderer versicherungsrechtlicher Anspruchsvoraussetzungen (zB Wartezeit, Anwartschaft, Anwartschaftszeit oder Arbeitsbereitschaft) nicht ersetzen (Gagel/Steinmeyer, aaO, RdNr 7). Nur in diesen Grenzen ist die BA an die Feststellung von EU/BU als Abgrenzungsmerkmal zwischen den Risikobereichen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung gebunden. Im übrigen ist sie – wie der Senat bereits in anderem Zusammenhang näher ausgeführt hat – zur selbständigen Beurteilung des Leistungsvermögens von Arbeitslosen berechtigt (BSG SozR 3-4100 § 105a Abs 1; vgl auch BSGE 49, 1, 6, 8).
Bei dieser Rechtslage ist das Bedenken des LSG nicht begründet, dem Arbeitslosen werde die Widerspruchsinstanz praktisch genommen, weil die BA wegen ihrer Bindung an die Feststellung des Rentenversicherungsträgers eine fehlerhafte Feststellung nicht berichtigen könne. Die BA ist wegen des Gesetzeszwecks, einen negativen Kompetenzkonflikt bei unterschiedlicher Beurteilung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit zu Lasten des Arbeitslosen (Versicherten) auszuschließen, nicht gehindert, abweichend von der Feststellung des Rentenversicherungsträgers zu entscheiden, daß EU oder BU nicht vorliegt und – bei Vorliegen der Voraussetzungen im übrigen – objektive Verfügbarkeit gegeben ist. Solchen Fällen mag nur geringe praktische Bedeutung zukommen, zumal die „Verwaltungsvereinbarung zwischen der BA und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger zur Vermeidung von unterschiedlichen Beurteilungen der Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch den Rentenversicherungsträger und durch das Arbeitsamt sowie zur Vermeidung von unnötigen Doppeluntersuchungen” vom 5. März 1980 (ANBA 1980, 486) eine enge Zusammenarbeit der genannten Sozialleistungsträger vorsieht. Es ist aber denkbar, daß die Feststellung des Rentenversicherungsträgers auf der Fehldiagnose einer schweren Erkrankung beruht oder der Arbeitslose (Versicherte) geltend machen kann, sein Gesundheitszustand habe sich gegenüber den der Feststellung des Rentenversicherungsträgers zugrunde liegenden Befunden entscheidend gebessert. Rechtsschutz muß er deshalb gegenüber der BA wahrnehmen können, die allein eine Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen zu treffen hat. Der Rentenversicherungsträger trifft unter den hier gegebenen Umständen – wie dargelegt – nur eine Feststellung zu einem Element einer Anspruchsvoraussetzung. Für eine gesonderte Anfechtung dieser Feststellung fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 54 Abs 1 SGG; 31 SGB X).
Die Anfechtbarkeit der Feststellung des Rentenversicherungsträgers läßt sich – entgegen der Ansicht des LSG – auch nicht mit der Konstruktion einer Doppelnatur der Feststellung als Verwaltungsakt im Verhältnis zum Arbeitslosen (Versicherten) und als Verwaltungsinternum im Verhältnis zur BA begründen (so aber: Gagel/Steinmeyer, aaO, § 105a RdNrn 17 ff; 34). Die Vorstellung von Verwaltungsakten mit Doppelnatur wird in verschiedenen rechtlichen Zusammenhängen erörtert (vgl dazu die kritischen Bestandsaufnahmen bei Erichsen/Martens, aaO, 189 ff = § 11 II 5; Gornig, aaO, 41 ff; 76 ff; Wolff/Bachof, aaO; von Mutius, in: Festschrift für H. J. Wolff, 1973, 167, 172; Bachof, in: Festschrift für W. Weber, 1974, 515, 522; Laubinger VerwArch 77 – 1986 –, 421 ff). Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat sie bereits erwogen (BSGE 40, 190, 194). Für das hier zu behandelnde Problem des Verwaltungsverbunds von BA und Rentenversicherungsträger im Rahmen des § 105a Abs 1 AFG ist die Annahme einer Doppelnatur der Feststellung des Rentenversicherungsträgers – abgesehen von den schon genannten – auch aus Gründen der Logik ausgeschlossen. Es wäre widersprüchlich, dieselbe Maßnahme einmal als Verwaltungsinternum und ein andermal als Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen zu qualifizieren (Laubinger, aaO, 432 f mwN). Dem Bedürfnis wirksamen Rechtsschutzes des Klägers ist genügt, wenn die Entscheidung der BA – wie dargelegt – als mehrstufiger Verwaltungsakt aufgefaßt wird.
Die Wirksamkeit der Feststellung der Beigeladenen ist damit nicht von der Bekanntmachung an den Kläger abhängig (§ 37 Abs 1 SGB X). Als Verwaltungsinternum wird sie nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, der in § 130 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Ausdruck gefunden hat, mit dem Zugang bei der BA wirksam. Das schließt die Feststellung von EU/BU für einen zurückliegenden Zeitraum nicht aus, wie § 105a Abs 3 AFG zeigt.
Das LSG hat – nach seiner Rechtsansicht folgerichtig – Feststellungen, die die Beurteilung von EU/BU des Klägers durch das BSG ermöglichen, nicht getroffen. Bei der weiteren Sachaufklärung werden die vom Kläger während der Rehabilitations-Maßnahme im Trainingsbereich der Werkstatt für Behinderte in Osnabrück ab November 1988 und in der Ausbildungswerkstatt für Metallberufe in Bremen ab April 1989 erbrachten Leistungen des Klägers zu ermitteln sein. Wie das BSG entschieden hat, ist die Frage nach dem Eintritt von EU/BU nicht nur eine medizinische, sondern vorrangig eine Rechtsfrage (BSG SozR 2200 § 1247 Nr 12i vgl ferner zur Bedeutung einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte BSG Urteil vom 22.4.1992 – 5 RJ 40/91 – mwN). Sollte das LSG aufgrund dieser Ermittlungen die Richtigkeit der Feststellung der Beigeladenen anhand der Erwägungen von Dr. Sch. im Gutachten vom 4. August 1989 nicht selbständig beurteilen können, wird das festzustellende tatsächliche Leistungsverhalten des Klägers wichtige Anknüpfungspunkte für sachbezogene Fragen an einen medizinischen Sachverständigen liefern.
Da der Senat die Beweisaufnahme nicht selbst durchführen kann, muß das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens – nach § 170 Abs 2 SGG an das LSG zurückverwiesen werden.
Fundstellen