Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Streitig ist die Zahlung von Altersübergangsgeld (Alüg) für die Zeit vom 1. Januar bis 10. Februar 1993.
Der im Mai 1937 geborene Kläger arbeitete seit 1961 als Hausmeister im Kinderheim M. (Landkreis P. ). Nachdem er mit seinem Arbeitgeber, dem Landkreis P. , schon im Juli 1992 ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erörtert hatte, einigten sich die Arbeitsvertragsparteien am 26. November 1992 über eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1992; wegen des Ausscheidens wurde dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 10.000,-- DM gemäß § 2 des Tarifvertrags zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (Amtsblatt für Mecklenburg-Vorpommern 1992, 911) gezahlt.
Der Kläger, dem im Oktober und November 1992 ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von jeweils 2.125, 98 DM und im Dezember 1992 in Höhe von 2.247, 46 DM zustand, das bei Ausscheiden auch abgerechnet und zugeflossen war, meldete sich im Dezember mit Wirkung ab 1. Januar 1993 arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alüg. Die Beklagte bewilligte die Leistung zunächst ab 12. Februar (Verfügung vom 16. Januar 1993) und lehnte durch weiteren Bescheid die Gewährung von Alüg für den Zeitraum vom 1. Januar bis 11. Februar 1993 ab, weil der Anspruch wegen der gezahlten Abfindung gemäß § 117 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ruhe (Bescheid vom 16. Januar 1993). Mit dem Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger unter Berichtigung des Ruhenszeitraums zusätzlich für den 11. Februar 1993 Alüg bewilligt, der Widerspruch jedoch im übrigen als unbegründet zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 14. April 1993).
Die Klage blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos (Urteil des Sozialgerichts [SG] vom 12. Oktober 1994; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] vom 8. Februar 1995). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Alüg-Anspruch des Klägers ruhe gemäß § 117 Abs. 2 und 3 AFG in der Zeit vom 1. Januar bis 10. Februar 1993, da der Kläger wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten habe und bei Abschluß des Auflösungsvertrags die Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende des Kalendervierteljahres nicht eingehalten worden sei. Ohne Bedeutung sei, daß dem Kläger eine Abfindung auch zugestanden hätte, wenn die Kündigungsfrist eingehalten worden wäre; im Rahmen des § 117 Abs. 2 und 3 komme es nicht darauf an, ob die Abfindung auf der Vorzeitigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhe.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG. Er ist der Ansicht, die ihm ausgezahlten 10.000,-- DM seien entgegen ihrer Bezeichnung keine Abfindung i.S. dieser Vorschrift, da es an der Lohnersatzfunktion mangele. Der Betrag sei gezahlt worden, weil sein Arbeitsverhältnis im Rahmen von Umstrukturierungen gelöst worden sei. Die Arbeitgeberleistung sei Ausgleich für Maßnahmen, denen im Beitrittsgebiet alle Bediensteten der öffentlichen Verwaltung nach der Wiedervereinigung für einen begrenzten Zeitraum ausgesetzt gewesen seien. Demgemäß sehe bereits der Einigungsvertrag für den Fall eines Ausscheidens besondere Kündigungsgründe und Geldleistungen, wie Wartegeld, vor. Die Wartegeldregelung sei durch den Tarifvertrag vom 6. Juli 1992 ersetzt worden. Demgegenüber regele § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG das Ruhen von Ansprüchen für den Fall, daß der Berechtigte sich für den Verzicht auf laufendes Arbeitsentgelt eine Abfindung zahlen lasse. Dies hätte für ihn (den Kläger) nur gegolten, wenn er zusätzlich zu der Abfindung nach dem Tarifvertrag eine Abfindung für den Zeitraum bis zum Ende der Kündigungsfrist erhalten hätte.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
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das Urteil des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Alüg-Bewilligungsbescheides und Aufhebung des "Ruhensbescheides" vom 16. Januar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 1993 zu verurteilen, ihm Alüg für die Zeit vom 1. Januar bis 10. Februar 1993 zu zahlen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie verweist darauf, daß nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu prüfen sei, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Abfindungssumme Lohnanteile enthalte bzw. aus welchen Gründen die ausgeschiedenen Arbeitnehmer diese Leistung erhielten. Die Rechtsfolge des Ruhens trete schon dann ein, wenn zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Zahlung der Abfindung ein Kausalzusammenhang bestehe.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SSG]).
Die Beklagte hat zu Recht die Auszahlung von Alüg für die Zeit vom 1. Januar bis 10. Februar 1993 abgelehnt, wobei dahinstehen kann, ob die Grundvoraussetzungen für die Zahlung von Alüg nach § 249e AFG (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 - BGBl. I 2044) gegeben waren bzw. sonstige Leistungshindernisse vorlagen; jedenfalls steht dem Kläger Alüg gemäß § 249e Abs. 3 Satz 1 AFG i.V.m. § 117 Abs. 2 und 3 AFG (hier in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 - BGBl. I 1297) nicht zu.
Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG ruht nämlich der Leistungsanspruch, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistungen erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist, von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der Frist geendet hätte. Diese Frist beginnt, wenn - wie hier - eine Kündigung nicht erfolgt ist, mit dem Tage der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 117 Abs. 2 Satz 2 AFG). Der Ruhenszeitraum erstreckt sich jedoch nicht über den Tag hinaus, bis zu dem der Arbeitslose bei Weiterzahlung des während der letzten Beschäftigungszeit kalendertäglich verdienten Arbeitsentgelts einen Betrag in Höhe von 70 v.H. der Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung als Arbeitsentgelt verdient hätte (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AFG). Dieser zu berücksichtigende Anteil der Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung vermindert sich sowohl für je fünf Jahre des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen als auch für je fünf Lebensjahre nach Vollendung des 35. Lebensjahres um je 5 vH; er beträgt nicht weniger als 30 v.H. der Leistung (§ 117 Abs. 3 Satz 3 AFG). Letzte Beschäftigungszeit (iS des § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AFG) sind die am Tage des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate (§ 117 Abs. 3 Satz 4 1. Halbs AFG).
Diese Regelungen rechtfertigen die Bescheide der Beklagten.
Der Kläger hat wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses 10.000,-- DM erhalten. Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, wird wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung gewährt, wenn zwischen Beendigung und Abfindung ein ursächlicher Zusammenhang besteht (BSG SozR 3-4100 § 117 Nrn 5, 6 und 10 m.w.N.). Dies ist hier nach den Feststellungen des LSG der Fall. Der Kläger hat die Einmalzahlung von 10.000,-- DM nur erhalten, weil sein Arbeitsverhältnis beendet wurde, nicht etwa als Erfüllung für noch ausstehendes Arbeitsentgelt oder aus sonstigen Rechtsgründen (vgl. zu dieser Unterscheidung BSG SozR 3-4100 § 117 Nrn 5 und 11).
Sein Einwand, es habe sich bei der Einmalzahlung von 10.000,-- DM um eine Leistung gehandelt, der keine Lohnersatzfunktion zukomme, steht der Qualifierung als einer zum Ruhen des Alüg führenden Abfindung nicht entgegen. Die Formulierung "Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung" in § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG ist nämlich umfassend zu verstehen; sie soll sicherstellen, daß alle im Zusammenhang mit einem vorzeitigen Ausscheiden aus einem Arbeitsverhältnis gewährten Zuwendungen erfaßt werden (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 10). Dies gilt auch, sofern die Leistung aus sozialen Gründen gewährt worden ist (vgl. BSG SozR 4100 § 117 Nr. 6), wie etwa anläßlich von Umstrukturierungsmaßnahmen. Das Gesetz bietet insoweit keine Anhaltspunkte dafür, zwischen Maßnahmen in den neuen und den alten Bundesländern zu unterscheiden.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist schließlich, wie von § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG vorausgesetzt, ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist, also vorzeitig, beendet worden. Gemäß Anlage I Kap XIX Sachgebiet A Abschn III Nr. 1 Abs. 1 und 4 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - (vom 31. August 1990 - BGBl. II 889) i.V.m. dem Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (vom 23. September 1990 - BGBl. II 885) und § 55 Abs. 2 Arbeitsgesetzbuch der DDR war das Arbeitsverhältnis des Klägers nur mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Quartalsende kündbar. Diese Frist war mit der Vereinbarung vom 26. November 1992 über das Ausscheiden zum 31. Dezember 1992 nicht eingehalten.
Daß die Abfindung selbst bei Einhaltung der Kündigungsfrist zu zahlen gewesen wäre, ist ohne Belang. Anders ausgedrückt: Es ist keine Ursächlichkeit zwischen der Vorzeitigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindungszahlung erforderlich (BSG, Urteil vom 21. September 1995 - 11 RAr 41/95 -, zur Veröffentlichtung vorgesehen; Urteil vom 21. September 1995 - 11 RAr 23/95 -, unveröffentlicht). Wie das BSG wiederholt ausgeführt hat, beruht nämlich die Vorschrift des § 117 AFG auf dem Grundgedanken, daß der Arbeitslose nicht der Leistungen der Versichertengemeinschaft bedarf, solange er keinen Lohnausfall hat; es geht also um die Vermeidung von Doppelleistungen (vgl. BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 11). Daher ruht der Leistungsanspruch für die Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat (Abs 1). Ebenso bedarf der Arbeitslose keiner Leistung, soweit ihm bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Entschädigung für künftigen Lohnausfall gewährt wird. Von einer solcher Entschädigung in einem bestimmten, durch Abs. 2 und 3 pauschalierten Umfang geht aber das Gesetz typisierend aus, wenn das Arbeitsverhältnis bei Gewährung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung vorzeitig beendigt wird (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 10 m.w.N.).
Nach § 117 Abs. 2 AFG führen mithin alle Abfindungen, die bei vorzeitiger (ohne Einhaltung der für den Arbeitgeber geltenden Kündigungsfrist) Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, zum Ruhen des Leistungsanspruchs in dem vom Gesetz vorgesehenen Umfang, und zwar - entgegen der Ansicht des Klägers - ohne Rücksicht darauf, ob sie von einem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber gezahlt werden. Die Prüfung, ob eine bestimmte Abfindung entgegen der Annahme des Gesetzgebers keinen Lohnausfall vergütet, wollte der Gesetzgeber durch eine pauschale Bewertung gerade verhindern. Ist der Arbeitnehmer also, wie der Kläger, vorzeitig ausgeschieden und ist der ursächliche Zusammenhang der Leistungsgewährung mit dem Ausscheiden gegeben, wertet § 117 Abs. 2 bis 4 AFG einen Teil der Leistung als "Arbeitsentgelt für die Zeit nach dem Ausscheiden" (vgl. nur BSG SozR 3-4100 § 117 Nrn 6 und 10 m.w.N.), ohne daß diese Rechtsfolge verfassungsrechtlich zu beanstanden ist (BSG, Urteile vom 21. September 1995, a.a.O.). Im übrigen steht § 2 Abs. 4 des Tarifvertrags zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 der Argumentation des Klägers ohnedies entgegen. Zur Inhaltsbestimmung dieser Regelung und ihrer Auslegung ist der Senat auch unter Berücksichtigung des § 162 SGG schon deshalb befugt, weil das LSG hierzu keine eigenen Feststellungen getroffen hat (vgl. BSG SozR 3-2500 § 47 Nr. 5 m.w.N.). Danach sind nämlich u.a. Abfindungen, die im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens vergleichsweise vereinbart werden, auf die tarifvertragliche Abfindung anzurechnen. Das in § 2 Abs. 4 des Tarifvertrags geregelte Kumulationsverbot mit für § 117 Abs. 2 und 3 AFG typischen Abfindungen zeigt, daß sich die dem Kläger gewährte Arbeitgeberleistung gerade nicht von diesen Abfindungsarten unterscheidet.
Sind sonach beim Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs auf Alüg nach § 117 Abs. 2 AFG erfüllt, ist auch die Annahme der Beklagten nicht zu beanstanden, der Anspruch auf Alüg ruhe vom 1. Januar bis 10. Februar 1993. Im Hinblick auf die Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb und das Lebensalter des Klägers waren nur 30 v.H. der Abfindung (3.000,-- DM) anrechenbar. Im dreimonatigen Bemessungszeitraum mit mindestens 60 Tagen Anspruch auf Arbeitsentgelt (Oktober, November, Dezember 1992) hatte der Kläger insgesamt bei Ausscheiden aus der Beschäftigung abgerechnete 6.499, 42 DM verdient, die ihm nach den Feststellungen des LSG sogar bereits zugeflossen waren. Vorliegend kann deshalb dahinstehen, ob ein solcher Zufluß erforderlich wäre. Nach der Berechnung der Beklagten war wegen des festen Monatsgehalts das kalendertäglich erzielte Arbeitsentgelt mittels Division durch 90 (30 Tage je Monat) festzusetzen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob dieser pauschalierenden Methode zu folgen ist; denn diese Berechnungsart, bei der sich ein Arbeitsentgelt von 72, 22 DM je Kalendertag ergibt, begünstigt den Kläger (so auch zur Berechnungsmethode der Beklagten BSG SozR 4100 § 117 Nr. 5; vgl. zu einer anderen - ebenfalls ungünstigeren Berechnung - noch BSGE 46, 20, 32 = SozR 4100 § 117 Nr. 2). Die Berücksichtigung von 92 tatsächlichen Kalendertagen würde demgegenüber zu einem niedrigeren kalendertäglichen Arbeitsentgelt und damit zu einem längeren Ruhenszeitraum führen. Der Alüg-Anspruch ruht mithin mindestens für - abgerundet (zu dieser Voraussetzung BSGE 46, 20, 32 = SozR 4100 § 117 Nr. 2) - 41 Tage, also bis 10. Februar 1992.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.7 RAr 24/95
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen