Leitsatz (amtlich)
1. Maßgebender Zeitraum, innerhalb dessen eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten seiner früheren Ehefrau gegenüber bestanden haben muß, ist der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (vergleiche BSG 1961-03-23 4 RJ 13/60 = BSGE 14 129), soweit er nach der Scheidung liegt. 2. Ist der Versicherte jedoch so kurz nach der Scheidung gestorben, daß sich die früheren Ehegatten noch nicht auf die durch die Scheidung hervorgerufene neue wirtschaftliche Situation umstellen konnten, so ist ausnahmsweise aus sonstigen Merkmalen, vor allem aus den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des Versicherten, auch soweit sie vor der Scheidung liegen, und den Vermögens- und Einkommensverhältnissen seiner früheren Ehefrau, soweit sie nach dem Tode des Versicherten liegen, zu schließen, ob die Frau durch den Tod des Versicherten eine Einbuße an Unterhaltsberechtigung erlitten hat.
2. Für die Frage, ob der Versicherte tatsächlich Unterhalt geleistet hat, kann nur die nach der Scheidung liegende Unterhaltsleistung des Versicherten berücksichtigt werden, selbst wenn der Zeitraum zwischen der Scheidung und dem Tod des Versicherten kürzer als ein Jahr ist.
Normenkette
RVO § 1265 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. November 1958 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin war seit 1948 mit dem Versicherten verheiratet. Seit dem 10. September 1952 lebten die Eheleute getrennt. Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. März 1953, rechtskräftig geworden mit Ablauf des 18. Mai 1953, aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden. Am 26. Mai 1953 ist der Versicherte verstorben.
Der Versicherte leistete der Klägerin bis zum 4. November 1952 Unterhalt, und zwar zuletzt durch Gewährung von Geldleistungen. Die wöchentlichen Zahlungen betrugen von Oktober bis Anfang November 1952 DM 20,-. Von November 1952 an bis zu seinem Tode war der Versicherte arbeitslos. Er erhielt bis zum 18. März 1953 Arbeitslosenunterstützung. Vom 11. Dezember 1952 bis zum 31. März 1953 wurde die Klägerin von der Sozialbehörde unterstützt. Vom 11. Dezember 1952 bis zum 18. März 1953 wurde der Familienzuschlag für die Klägerin aus der Arbeitslosenunterstützung des Versicherten in Höhe von wöchentlich DM 4,80 zuzüglich DM 0,72 Teuerungszuschlag an die Sozialbehörde überwiesen. In der Zeit von der Ehescheidung bis zum Tode des Versicherten wurde kein Unterhalt geleistet.
Bei der Sozialbehörde Hamburg hat die Klägerin am 23. März 1953 erklärt, sie habe ihrem Ehemann gegenüber auf Unterhalt verzichtet, weil dieser ihr alle "Sachen überlassen habe". Sie meint heute, damit einen verbindlichen Verzicht nicht ausgesprochen zu haben. Sie habe diese Erklärung nur abgegeben, weil sie befürchtet habe, ohne diese Angaben keine Fürsorgeunterstützung zu erhalten. Tatsächlich habe sie vorgehabt, nach der Scheidung eine Unterhaltsklage gegen den Versicherten anzustrengen. Nur infolge dessen baldigen Todes sei es dazu nicht mehr gekommen.
Am 7. Oktober 1954 hat die Klägerin Antrag auf Gewährung von Witwenrente gestellt. Dieser Antrag ist von der Beklagten mit Bescheid vom 11. Juli 1955 abgelehnt worden. Der Versicherte sei zwar nach dem Schuldausspruch im Scheidungsurteil an sich zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe jedoch auf Unterhalt verzichtet. Tatsächlich sei auch nach der Scheidung kein Unterhalt mehr geleistet worden. Die Behauptung der Klägerin, sie habe die umstrittene Angabe bei der Sozialbehörde nur deshalb gemacht, weil sie andernfalls habe befürchten müssen, keine Unterstützung zu erhalten, träfe nicht zu. Auch ohne eine derartige Erklärung wäre der Klägerin bei Bedürftigkeit Unterstützung gewährt worden.
Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch ist mit Bescheid vom 21. Dezember 1955 zurückgewiesen worden. Die Klägerin habe auf Unterhalt verzichtet. Als Gegenleistung für diesen Verzicht habe der Versicherte der Klägerin die während der Ehe gemeinsam gemachten Anschaffungen überlassen.
Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Nach § 58 des Ehegesetzes 1946 (EheG) habe sie im Zeitpunkt der Ehescheidung Unterhaltsansprüche gegen ihren früheren Ehemann gehabt. Ein Erlaßvertrag sei nicht geschlossen worden. Im übrigen habe sie auch noch bis zum November 1952 Unterhalt von ihrem derzeitigen Ehemann erhalten. Später habe der Versicherte nicht mehr zahlen können, weil er erwerbslos geworden sei. Es könne, da ihr Ehemann nur noch kurze Zeit nach der Scheidung gelebt habe, nicht allein darauf abgestellt werden, ob nach der Scheidung Unterhalt entrichtet worden sei, sondern es müsse auch die Zeit vorher berücksichtigt werden.
Die Beklagte meinte, aus dem Umstand, daß die Klägerin es unterlassen habe, Unterhaltsansprüche geltend zu machen, müsse geschlossen werden, daß ihr die Wirkung ihres Verzichtes voll bewußt gewesen sei. Der Versicherte habe zwar im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhaltsbeiträge an die Klägerin gezahlt. Dies sei jedoch zu einer Zeit geschehen, als die Ehe noch bestand. Während dieser Zeit sei der Ehemann aber nach den Bestimmungen des Familienrechtes zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen. Für die Frage der tatsächlichen Unterhaltsgewährung im Sinne der letzten Alternative des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei lediglich das Jahr nach rechtskräftigem Scheidungsurteil maßgebend. In der Zeit vom 18. bis 26. Mai 1953 seien aber Zahlungen nicht geleistet worden.
Mit Urteil vom 28. Februar 1958 ist die Klage abgewiesen worden. Der Verstorbene habe zur Zeit seines Todes nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen keinen Unterhalt zu leisten brauchen. Im übrigen habe er im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet; der Zeitbegriff "letztes Jahr" in § 1265 RVO sei so zu verstehen, daß damit das letzte Lebensjahr des geschiedenen Ehemannes nach erfolgter Scheidung gemeint sei. Dieses Tatbestandsmerkmal entfalle aber, weil der geschiedene Ehemann im Zeitpunkt der Ehescheidung arbeitslos und daher zur Leistung nicht fähig gewesen und im übrigen bereits acht Tage nach Rechtskraft des Scheidungsurteils verstorben sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Erst von der Rechtskraft des Scheidungsurteils an habe sie sich mit der Frage der Unterhaltszahlung durch ihren Ehemann befassen können. Dieser sei aber schon alsbald verstorben. Nach den tatsächlichen Verhältnissen habe ein volles Jahr nach Rechtskraft des Scheidungsurteils überhaupt nicht erfüllt werden können. Es müsse davon ausgegangen werden, daß der Ehemann der Klägerin zur Unterhaltszahlung verurteilt worden wäre. Die Arbeitslosigkeit des Versicherten im Zeitpunkt der Ehescheidung und des kurz darauf folgenden Todes seien ohne Bedeutung.
Die Beklagte meinte, daß für die Prüfung der Frage, ob der Verstorbene zur Unterhaltsleistung in der Lage gewesen sei, der Zeitraum vom 18. bis 26. Mai 1953 maßgebend sei. In dieser Zeit sei der verstorbene Ehemann der Klägerin arbeitslos gewesen. Es fehle somit an der von der Rechtsprechung geforderten konkreten Unterhaltsfähigkeit. Auf den möglichen späteren Verlauf einer Unterhaltsklage komme es für den Fall, daß der Ehemann noch weitergelebt hätte, nicht an. Im übrigen gehe schon aus der Überschrift des § 1265 RVO "Rente an frühere Ehefrau" hervor, daß der Gesetzgeber nur an die geschiedene Ehefrau gedacht habe. Somit müsse mit dem "letzten Jahr" vor dem Tode des geschiedenen Ehemannes ein Jahreszeitraum nach Rechtskraft des Scheidungsurteils verstanden werden.
Durch Urteil vom 27. November 1958 hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts (SG) Hamburg vom 28. Februar und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 11. Juli 1955 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 1955 die Beklagte verurteilt, der Klägerin über die Gewährung der Hinterbliebenenrente nach dem am 26. Mai 1953 verstorbenen F... B... R... ab 1. Januar 1957 einen Bescheid zu erteilen. Es hat die Revision zugelassen. Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihren Anspruch auf die Zeit vom 1. Januar 1957 an beschränkt habe, sei der Rechtsstreit nur nach den Vorschriften des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I, 45) zu beurteilen.
Der Versicherte habe im letzten Jahre vor seinem Tode der Klägerin Unterhalt geleistet; hiermit seien die in § 1265 RVO letzte Alternative geforderten Voraussetzungen erfüllt. Bei dieser Unterhaltsleistung habe es sich einerseits nicht nur um gelegentliche Zuwendungen, andererseits aber auch nicht um zwar regelmäßige, jedoch nur geringfügige Zuwendungen, die als Unterhaltsleistungen nicht angesehen werden könnten, gehandelt. Eine volle Unterhaltszahlung werde vom Gesetzgeber nicht gefordert. Der in § 1265 RVO angegebene Zeitraum "im letzten Jahr" besage nicht, daß der Versicherte während des ganzen letzten Jahres vor seinem Tode Unterhalt geleistet haben müsse, es genüge vielmehr, wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Leistungen erbracht habe, die als Ausdruck seiner Absicht, Unterhalt leisten zu wollen, zu werten seien. Allein aus der Tatsache, daß der Versicherte vom 11. November 1952 an arbeitslos gewesen sei, zu schließen, er sei nun auch nicht mehr unterhaltswillig gewesen, sei nicht folgerichtig. Selbst, wenn die Überweisung des Familienzuschlages ab Dezember 1952 an die Fürsorgebehörde nicht als Unterhaltsleistung im Sinne des Gesetzes angesehen werden könnte, sei dennoch "im letzten Jahr" Unterhalt geleistet worden, und zwar wenigstens bis zum November 1952. Schon zu der bis zum 31. Dezember 1956 gültigen Vorschrift des § 1256 Abs. 4 RVO aF hätten der Bundesminister für Arbeit (BMA) und die Arbeitsminister (Senatoren) der Länder empfohlen, bei Unterbrechung tatsächlicher Unterhaltsleistungen die Zeiten der Leistungsunfähigkeit, die nicht länger als ein Jahr, in Ausnahmefällen höchstens bis zu zwei Jahren dauerten, als unwesentlich anzusehen (Schreiben des BMA vom 20. April 1956, BArbBl 1956, 295). Bei entsprechender Anwendung dieses Grundsatzes auf die neue Gesetzesfassung und auf den vorliegenden Rentenstreit könne somit nicht einmal von einer wesentlichen Unterbrechung der Unterhaltszahlung ausgegangen werden.
Die Ansicht der Beklagten und des Vorderrichters, das letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten könne nur maßgebend sein, soweit es nach Rechtskraft des Ehescheidungsurteils liege, finde im Gesetz keine Stütze. Es würde eine nicht vertretbare Einengung des Gesetzesinhalts bedeuten, wenn die Zeitbestimmung des letzten Jahres vor dem Tode ergänzend den Begriff: "nach rechtskräftig geschiedener Ehe" umfassen solle. Etwas anderes lasse sich auch nicht etwa aus der von der Beklagten behaupteten Überschrift zu § 1265 RVO herauslesen, da in der allein maßgebenden Fassung des Bundesgesetzblattes (BGBl I 1957, 45/57) eine Überschrift zu § 1265 RVO nicht enthalten sei.
Gegen das ihr am 19. Januar 1959 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch Schriftsatz vom 3. Februar 1959, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 5. Februar 1959 - unter Stellung eines Revisionsantrages - Revision eingelegt und diese durch Schriftsatz vom 18. Februar 1959, beim BSG eingegangen am 21. Februar 1959, begründet.
Sie rügt die Verletzung des § 1265 RVO. Die Auslegung des Berufungsgerichts, daß bei der Prüfung der tatsächlichen Unterhaltsleistung im letzten Jahre vor dem Tode des Versicherten auch Zeiten vor rechtskräftiger Scheidung zu berücksichtigen seien, wenn seit der Scheidung bis zum Tode des Versicherten kein volles Jahr vergangen sei, stehe weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Bestimmung im Einklang. Bereits der Wortlaut des § 1265 RVO ergebe, daß das letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten nur insoweit in Betracht kommen könne, als während dieses Jahres die Ehe bereits geschieden gewesen sei, weil vor der Ehescheidung der Unterhalt nicht an eine "frühere Ehefrau", sondern an die Ehefrau geleistet worden sei. Dies könne nur bedeuten, daß der Versicherte ihr, also der "früheren Ehefrau", im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet habe. Die gegenteilige Auslegung des Berufungsgerichts entspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinne des Gesetzes. Dies ergebe sich schon daraus, daß sonst der Rentenanspruch von einer reinen Zufälligkeit abhängig gemacht würde; denn solange die Ehe bestehe, werde im allgemeinen immer Unterhalt an die Ehefrau gezahlt. Die letzte Alternative des § 1265 setze somit voraus, daß nach der Scheidung während eines Jahres und, falls der Tod schon vor Ablauf der Jahresfrist eingetreten sei, in der dann verbleibenden kürzeren Frist tatsächlich Unterhalt an die geschiedene Ehefrau geleistet worden sei. Diese Rechtsauffassung stehe im Einklang mit der Entscheidung des BSG vom 6. Juni 1957 (BSGE Bd. 5 S. 179.ff).
Die von dem Ehemann der Klägerin im Oktober und November 1952 geleisteten Zahlungen stellten somit keine Leistung an die geschiedene Ehefrau dar, denn zu diesem Zeitpunkt sei die Ehe noch nicht geschieden gewesen. Nach der rechtskräftigen Scheidung aber sei keine Zahlung durch den Versicherten erfolgt. Da er zur Zeit seines Todes mangels Unterhaltsfähigkeit auch keinen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte, seien zudem die Voraussetzungen des § 1265 RVO nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg vom 27. November 1958 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Hamburg vom 28. Februar 1958 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus der Fassung des § 1265 RVO sei nichts dafür zu entnehmen, daß bei der letzten Alternative das letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten nur insoweit in Betracht komme, als während dieses Jahres die Ehe bereits geschieden gewesen sei. Das Entscheidende sei, daß der Versicherte überhaupt Unterhalt an seine Frau gezahlt hat, wobei es gleichgültig sei, ob er noch mit ihr verheiratet oder nicht mehr verheiratet gewesen sei. Wenn der Gesetzgeber hätte sagen wollen, daß das letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten sich nur auf eine geschiedene Ehe beziehen könne, wäre nichts näherliegend gewesen, als daß er dies ausdrücklich erklärt hätte. Daß der Rentenanspruch, wie der Beklagte meint, bei der Auslegung des Berufungsgerichts von einer reinen Zufälligkeit abhängig gemacht werde, sei ebenfalls unrichtig. Wenn auch während Bestehens der Ehe meistens Unterhalt gezahlt werde, so gäbe es doch genügend Fälle, in denen auch während dieser Zeit kein Unterhalt gezahlt werde. Entsprechendes gelte aber ebenso für die Zeit nach der Scheidung. Die Worte "im letzten Jahr vor seinem Tode" bezögen sich nur auf die letzte Alternative und könnten daher nicht auf die Fälle der Unterhaltsverpflichtung bezogen werden. Die Unterhaltszahlung habe daher nichts mit dem Zeitpunkt der Scheidung der Ehe zu tun. Dem Berufungsgericht sei auch darin beizustimmen, daß der in der letzten Alternative des § 1265 RVO angegebene Zeitraum nicht besage, daß der Versicherte während des ganzen letzten Jahres vor seinem Tode Unterhalt geleistet haben müsse. Wenn das vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen wäre, hätte er es eindeutig zum Ausdruck gebracht. Aus der Tatsache der Arbeitslosigkeit des Versicherten vom 11. November 1952 an könne nicht der Rückschluß gezogen werden, daß er nun keinen Unterhalt mehr hätte zahlen wollen. Er habe also im letzten Jahr vor seinem Tode an sie Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO geleistet, auch wenn man die Überweisung des Familienzuschlages an die Fürsorgebehörde, die für sie sorgte, nicht als Unterhaltsleistung im Sinne der RVO anerkennen wolle.
Selbst wenn man das von der Beklagten zitierte Urteil des BSG vom 6. Juni 1957 heranziehe, nach dem nur der nach der Scheidung gezahlte Unterhalt von Bedeutung sein solle, sei der Anspruch der Klägerin begründet. Die Ehe zwischen ihr und dem Versicherten sei mit Ablauf des 18. Mai 1953 rechtskräftig geschieden. In gleicher Weise, wie der Versicherte der Klägerin während des Bestehens der Ehe unterhaltspflichtig gewesen sei, habe diese Unterhaltspflicht auch nach rechtskräftig geschiedener Ehe weiter bestanden, weil der Versicherte als alleinschuldiger Teil an der Scheidung der Ehe erklärt worden sei. Sie habe diese Unterhaltsansprüche lediglich deshalb nicht geltend machen können, weil der Versicherte nach der Scheidung Hamburg verlassen habe, ohne sich ordnungsgemäß abzumelden, und nach Darmstadt übergesiedelt sei, um dort in einem größeren Betrieb zu arbeiten. Sie habe zunächst einmal ausfindig machen müssen, wo der Versicherte sich aufgehalten habe. Bevor dieses Bemühen Erfolg gehabt hätte, sei der Versicherte aber bereits verstorben gewesen. Von einem Verzicht auf den Unterhaltsanspruch könne keine Rede sein. Ein Verzicht könne nur in Form eines Vertrages abgeschlossen werden; ein solcher sei aber nicht abgeschlossen worden. Wenn ein Unterhaltsverzicht zwischen den Parteien vereinbart worden wäre, würde dieser sicherlich im Scheidungsprozeß geschlossen worden sein. Wie die Akten des Landgerichts Hamburg auswiesen, sei dies aber nicht der Fall.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das Berufungsgericht sie zugelassen hat, ist sie auch statthaft. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es konnte ihr auch zum Teil der Erfolg nicht versagt bleiben.
Obwohl der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des ArVNG eingetreten ist, findet § 1265 RVO nach Art. 2 § 19 auch auf den vorliegenden Versicherungsfall, da er nach dem 30. April 1942 eingetreten ist, Anwendung.
Das Berufungsgericht irrt, wenn es die Voraussetzungen der letzten Alternative des § 1265 RVO als erfüllt ansieht. Nach dieser kommt es darauf an, ob "der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat". Die für den vorliegenden Fall entscheidende Frage ist, ob ein volles Jahr vor dem Tode des Versicherten auch dann maßgebend zu sein hat, wenn die Ehe erst im Laufe dieses Jahres geschieden worden ist, zwischen Scheidung der Ehe und Tod des Versicherten also nicht ein volles Jahr verstrichen ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dies nicht Rechtens. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 23. März 1961 - 4 RJ 13/60 - zu § 1266 RVO ausgeführt hat, haben Hinterbliebenenrenten den Zweck, den durch den Tod des Versicherten weggefallenen Unterhalt zu ersetzen. Danach müßte es der Gesetzgeber, wenn er nicht eine unbedingte Hinterbliebenenrente gewährt, eigentlich darauf abstellen, ob der Versicherte, fall er nicht gestorben wäre, seine frühere Ehefrau wahrscheinlich unterhalten hätte oder zu ihrem Unterhalt verpflichtet gewesen wäre. Nur weil eine solche Feststellung naturgemäß kaum getroffen werden könnte, hat es der Gesetzgeber bei Hinterbliebenenrenten dieser Art verständlicherweise auf den Zeitraum vor dem Tode des Versicherten abgestellt, weil angenommen werden kann, daß sich dieser Zustand wahrscheinlich fortgesetzt haben würde, wenn der Versicherte nicht gestorben wäre. Es kann, wie der erkennende Senat in dem o. a. Urteil ausgeführt hat, daher immer nur auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten ankommen, da nur er symptomatisch in diesem Sinne sein kann. Bei Fassung des § 1265 RVO hat dem Gesetzgeber, wie sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt, der Regelfall vorgeschwebt, in dem die Jahresfrist voll nach der Scheidung liegt, denn es ist auf den Begriff der "früheren" Ehefrau abgestellt. Die Fälle, in denen zwischen Scheidung der Ehe und Tod des Versicherten kein volles Jahr liegt, entsprechen hiernach dem Leitbild des Gesetzgebers nicht. Es war daher zu prüfen, wie diese Fälle zu behandeln sind. Der Umstand, daß der Versicherte seine Ehefrau bei noch bestehender Ehe unterhalten hat, kann nicht so gewertet werden, als ob er sie nach der Scheidung unterhalten hätte. Denn die Unterhaltsverpflichtung ist in beiden Fällen durchaus unterschiedlich geregelt. Nach § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist der Ehemann während bestehender Ehe, wenn er hierzu nicht ausnahmsweise außerstande ist - dann zahlt er aber auch keinen Unterhalt, so daß diese Frage nicht auftauchen kann -, stets zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Selbst wenn die Eheleute, ohne geschieden zu sein, lediglich getrennt leben, ist der Ehemann im Grundsatz jedenfalls - wenn auch nur nach Billigkeitsgrundsätzen - ebenfalls zur Unterhaltsleistung verpflichtet (§ 1361 BGB). Nach § 58 EheG 46 dagegen ist nur der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehemann, wenn er zur Unterhaltsleistung imstande und seine geschiedene Ehefrau bedürftig ist, zum Unterhalt verpflichtet. Aus dem Umstand aber, daß jemand seine Unterhaltsverpflichtung erfüllt, kann nicht geschlossen werden, daß er diese Leistungen auch dann erbracht hätte, wenn er nicht hierzu verpflichtet gewesen wäre. Man könnte allenfalls daran denken, die vor der Scheidung liegenden Unterhaltsleistungen dann entsprechend zu berücksichtigen, wenn auch nach der Scheidung der Mann zur Unterhaltsleistung verpflichtet war. Ist dies aber der Fall, so ist der Anspruch ohnehin schon nach § 1265 RVO gegeben, so daß es einer besonderen Berücksichtigung dieser Möglichkeit hier nicht bedarf. Es kommt hinzu, daß der Mann einer Unterhaltsverpflichtung bei bestehender Ehe auch eher nachzukommen pflegt, als nach der Scheidung, so daß selbst in diesen Fällen aus dem Umstand, daß der Ehemann vor der Scheidung Unterhalt geleistet hat, nicht der Schluß gezogen werden kann, daß er dies auch nach der Scheidung getan hätte. Es ist also im Gegensatz zu der Ansicht des Berufungsgerichts nur auf die Zeit nach der Scheidung abzustellen. Der erkennende Senat hatte aus den angegebenen Gründen keine Bedenken, an seiner bisherigen Rechtsprechung festzuhalten (BSG 5, 179, 185).
Da der Versicherte in der Zeit von der Scheidung bis zu seinem Tode nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Unterhalt geleistet hat, liegen die Voraussetzungen der letzten Alternative nicht vor. Insoweit kann dem angefochtenen Urteil nicht zugestimmt werden. Es war daher aufzuheben.
Es fragt sich allerdings, ob nicht die Voraussetzungen der ersten Alternative des § 1265 RVO gegeben sind. Die des zweiten Unterfalls der ersten Alternative liegen offensichtlich nicht vor, da weder ein Unterhaltsvertrag noch ein Vergleich abgeschlossen noch ein Anerkenntnis der Unterhaltsverpflichtung abgegeben worden ist.
Im ersten Unterfall seiner ersten Alternative stellt es § 1265 RVO darauf ab, ob der Versicherte seiner Ehefrau zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Es ist schon für das alte Recht (§ 1256 Abs. 4 RVO aF) klar gewesen (vgl. dazu Erlaß des BMA vom 20. April 1956 - BArbBl 1956, 295 - an die Versicherungsträger und Urteil des 1. Senats des BSG vom 23. August 1956 - BSG 3, 197, 200), daß es trotz des Wortlauts des § 1256 Abs. 4 RVO aF, der es auf die Zeit des Todes des Versicherten abstellt, nicht auf den Todeszeitpunkt, sondern auf einen vor dem Tode liegenden Zeitraum ankommt, wobei Unterbrechungen von ein bis allenfalls zwei Jahren in den Unterhaltszahlungen ohne Bedeutung sind. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat auch für den insoweit wörtlich übereinstimmenden § 1265 RVO an. Es muß, da im Zeitpunkt des Todes wegen fehlender Unterhaltsfähigkeit des Versicherten wohl kaum eine Unterhaltsverpflichtung bestehen kann, verständigerweise auf einen Zeitraum vor dem Tode des Versicherten abgestellt werden. Es kann nach § 1265 RVO also nichts anderes gelten als nach § 1266 RVO. Hierzu hat der erkennende Senat durch Urteil vom 23. März 1961 - 4 RJ 13/60 - bereits entschieden, daß der letzte wirtschaftliche Dauerzustand maßgebend ist.
Ebenso wie bei der letzten Alternative des § 1265 RVO kann aber auch bei der ersten Alternative nur auf einen nach der Scheidung liegenden Zeitraum abgestellt werden, da die Unterhaltsverpflichtung zur Zeit des Bestehens der Ehe anders geregelt ist (§§ 1260, 1361 BGB) als für die Zeit nach der Scheidung (§§ 58 ff EheG 46) - vgl. die obigen Ausführungen -. Aus dem Umstand, daß der Versicherte während bestehender Ehe zur Unterhaltsleistung verpflichtet war, können daher keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob er, nachdem inzwischen die Ehe geschieden worden ist, auch nach seinem Tode wahrscheinlich unterhaltsverpflichtet gewesen wäre. Diese Schlüsse sind vielmehr nur möglich aus den nach der Scheidung liegenden Umständen, wobei es nicht nur auf den Schuldausspruch im Ehescheidungsurteil, sondern auch auf die Unterhaltsfähigkeit des Versicherten und die Bedürftigkeit seiner früheren Ehefrau ankommt. Auch wenn der Beginn des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor der Scheidung liegt, kann dieser Zustand somit doch nur maßgebend sein, soweit er nach der Scheidung liegt.
Allerdings versagt das dem Gesetz zugrunde liegende Leitbild, nach welchem der Zeitraum vor dem Tode des Versicherten symptomatisch in diesem Sinne ist, wenn die Zeit zwischen Scheidung und Tod des Versicherten so kurz ist, daß die früheren Eheleute, insbesondere die frühere Ehefrau, sich wirtschaftlich noch nicht auf die infolge der Scheidung eingetretene neue Situation einstellen konnten. In diesen Fällen muß daher versucht werden, aus anderen Merkmalen zu schließen, ob die frühere Ehefrau durch den Tod des Versicherten eine Einbuße an Unterhaltsberechtigung erlitten hat, ob also der Versicherte, falls er nicht gestorben wäre, wahrscheinlich zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen wäre. Es bestehen in diesen Fällen keine Bedenken, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Versicherten, auch soweit sie vor der Scheidung liegen, zugrunde zu legen, da sich durch die Scheidung in aller Regel an den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des Mannes kaum etwas ändern wird, so daß am unterstellen darf, daß sich diese fortgesetzt haben würden, falls er nicht gestorben wäre. Auf Seiten der Frau wird dagegen durch die Scheidung vielfach eine grundlegende Änderung zumindest in ihren Einkommensverhältnissen eintreten, so daß man insoweit in der Regel auf ihre vor der Scheidung liegenden wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zurückgreifen kann. Andererseits aber ist es bei der Frau praktisch möglich und bedenkenfrei, auch ihre nach dem Tode des Versicherten liegenden Vermögens- und Einkommensverhältnisse heranzuziehen. Da sich die Unterhaltsverpflichtung, abgesehen von dem Schuldausspruch im Ehescheidungsurteil, danach richtet, ob und in welchem Umfang der Mann und die Frau über Vermögen und Einkommen verfügen, kann somit aus diesen Komponenten zwanglos festgestellt werden, ob der Versicherte, falls er nicht gestorben wäre, wahrscheinlich unterhaltspflichtig gewesen wäre. Bejaht man dies, so hat die frühere Ehefrau durch den Tod des Versicherten eine Einbuße an Unterhaltsberechtigung erlitten, so daß nach dem Sinn der die Unterhaltsverpflichtung betreffenden Alternative im Grundsatz jedenfalls ein Anspruch der früheren Ehefrau des Versicherten auf eine Rente nach § 1265 RVO besteht.
Da die Arbeitslosigkeit des Versicherten nicht länger als ein Jahr gedauert hat, kommt es im vorliegenden Fall auf die vorhergehenden wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten an. Die Klägerin hat nach dem Tode des Versicherten Arbeitslosenhilfe bezogen, deren Dauer und Höhe allerdings nicht festgestellt sind, so daß nicht entschieden werden kann, ob die Klägerin während dieser Zeit als bedürftig anzusehen war. Davon abgesehen, kommt es darauf an, ob die Klägerin, die zur Zeit des Todes des Versicherten erst 40 Jahre alt war und keine Kinder zu versorgen hatte, später nicht erwerbstätig geworden ist oder zumindest gesundheitlich hierzu noch in der Lage gewesen ist. Da es an diesen für die Entscheidung erforderlichen Feststellungen mangelt, konnte der erkennende Senat nicht selbst entscheiden, ob ein Rentenanspruch nach § 1265 RVO wegen Unterhaltsverpflichtung des Versicherten z. Zeit seines Todes besteht, sondern mußte die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Das Berufungsgericht wird allerdings auch noch festzustellen haben, ob die Klägerin und der Versicherte, wie die Beklagte behauptet, einen Erlaßvertrag abgeschlossen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1984369 |
BSGE, 255 |