Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. kostenlose Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Erhalten von Leistungen der Sozialhilfe iS des § 145 SGB 9. bedarfsdeckendes Einkommen des schwerbehinderten Menschen. Anrechnung des seinen eigenen Bedarf übersteigenden Teil des Einkommens bei den Sozialhilfeleistungen des Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
Leistungen der Sozialhilfe "erhält" iS von § 145 SGB 9 ein schwerbehinderter Mensch, der über bedarfsdeckendes Einkommen verfügt, auch dann nicht, wenn der seinen eigenen Bedarf übersteigende Teil des Einkommens bei den Sozialhilfeleistungen des Ehegatten angerechnet wird. Diese Regelung ist mit dem GG vereinbar.
Leitsatz (redaktionell)
Für eine den Wortlaut des § 145 SGB IX erweiternde Auslegung, die zu einer Erstreckung auf Personen führt, die nicht Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII sind, besteht keine Veranlassung.
Normenkette
SGB 9 § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 Fassung: 2005-03-21, Nr. 2 Fassung: 2006-12-02; GG Art. 3 Abs. 1; SGB 12 § 41; SGB 12 §§ 41ff; SGB 12 § 19
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte an den Kläger, der in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist (Merkzeichen "G"), zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr eine kostenlose Wertmarke auszugeben hat.
Der Kläger bezieht Altersrente, seine Frau - unter teilweiser Anrechnung dieser Rente - laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Ein Antrag des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung wurde im Jahre 2005 unter Hinweis auf dessen bedarfsdeckendes Renteneinkommen abgelehnt.
Der Beklagte lehnte es ab, an den Kläger eine kostenlose Wertmarke auszugeben (Bescheid vom 16.1.2004), weil er keine der in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX genannten Leistungen erhalte. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13.2.2004; Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 16.7.2004). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger eine unentgeltliche Wertmarke für ein Jahr auszugeben (Urteil vom 7.9.2006). Auch wenn man annehme, der Kläger habe wegen seines bedarfsdeckenden Einkommens keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, so "erhalte" er iS des § 145 Abs 2 Satz 5 Nr 2 SGB IX doch Grundsicherungsleistungen, weil diese von seiner Ehefrau als Hilfebedürftiger und ihm als mit ihr zusammenlebendem Ehemann zur gemeinsamen Lebensführung benötigt, in Empfang genommen und verbraucht würden. Nur diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "erhalten" werde dem Sinn und Zweck der Regelung gerecht, die erkennbar darauf ziele, behinderten Menschen, die nur über Einkommen in Höhe des Existenzminimums verfügten, die (vollständig) kostenfreie Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zu eröffnen. Zu diesem Ergebnis führe auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX im Lichte der Grundrechte aus Art 3 Abs 1 und Art 6 GG.
In Ausführung dieses Urteils hat der Beklagte dem Kläger im Oktober 2006 ("zunächst") eine kostenlose Wertmarke ausgestellt.
Mit seiner beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegten Revision rügt der Beklagte einen Verstoß gegen § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 7.9.2006 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Aurich vom 16.7.2004 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG) .
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist zulässig.
Die Revisionsbegründung genügt noch den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Sie muss bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, dass und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist, obwohl es bei einer Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht darauf ankommt, ob die Revisionsbegründung den Revisionsangriff auch trägt, muss die Begründung aber doch rechtliche Erwägungen anstellen, die das Urteil als unrichtig, die Rechtsnorm als "verletzt" erscheinen lassen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 12 S 65).
Wie danach erforderlich hat sich der Beklagte - allerdings nicht sehr deutlich - mit der Begründung des Berufungsurteils auseinandergesetzt, indem er dessen Auslegungsergebnis mit den vom LSG bereits erwähnten und abgewogenen Gegenargumenten angreift.
Die Revision ist auch begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Ausgabe einer unentgeltlichen Wertmarke für die Zeit von Oktober 2006 bis September 2007. Soweit der Beklagte eine solche Wertmarke unter dem 23.10.2006 bereits ausgestellt hat, ist die Frage der Unentgeltlichkeit für diesen Zeitraum weiterhin streitig, weil der Beklagte damit ausdrücklich nur das Berufungsurteil ausgeführt hat.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage zulässig, denn sie ist auf Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes und auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke gerichtet. Ob die Entscheidung über eine unentgeltliche Wertmarkenausgabe durch Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X zu erfolgen hat (vgl zur Problematik LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 26 ff) kann offen bleiben, weil der Beklagte hier die Form des Verwaltungsaktes gewählt hat.
Rechtsgrundlage für die unentgeltliche Ausgabe der Wertmarken ist § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 und 5 Nr 2 SGB IX (zunächst idF vom 21.3.2005, BGBl I 818, und ab 12.12.2006 idF vom 2.12.2006, BGBl I 2742). Danach werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX im Nahverkehr unentgeltlich befördert. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu entrichten ist, ua an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem SGB XII, dem SGB VIII oder nach den §§ 27a und 27d Bundesversorgungsgesetz erhalten.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Kläger gehört zwar zum Kreis der berechtigten Personen iS des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX, denn der Beklagte hat ihm das Merkzeichen "G" erteilt. Er erhält aber keine der in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX genannten Leistungen.
Soweit die hier maßgebliche, bis zum 20.12.2007 geltende Fassung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX ua von schwerbehinderten Menschen spricht, die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz erhalten, geht das LSG zu Recht davon aus, dass damit die Leistungen der Grundsicherung nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung gemeint sind bzw - nach Außerkrafttreten dieses Gesetzes am 31.12.2004 - Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - des SGB XII (§ 41 ff SGB XII) . Der Gesetzgeber hat klargestellt (vgl BT-Drucks 16/6541 S 41) , dass die durch Art 11 Nr 3 Buchst a des Gesetzes vom 13.12.2007 (BGBl I 2904) vorgenommene Änderung zuvor versehentlich unterblieben ist.
Unter "erhalten" kann nach dem Wortsinn zunächst der tatsächliche Zufluss der Leistung verstanden werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX "erhalten" Personen die genannten Sozialleistungen, wenn sie solche Leistungen beziehen (BT-Drucks 15/1783 S 19) . Bereits die Begründung zum Entwurf der insoweit inhaltsgleichen Vorläufervorschrift des § 57 Abs 1 Nr 2 Schwerbehindertengesetz (SchwbG - idF des Art 20 Nr 1 Buchst b des Gesetzes vom 22.12.1983, BGBl I 1532 mW vom 1.4.1983), mit der die Eigenbeteiligung schwerbehinderter Menschen an den Kosten unentgeltlicher Beförderung eingeführt wurde, stellt auf den aktuellen Bezug der genannten Leistungen zum Zeitpunkt der Antragstellung ab (BT-Drucks 10/335 S 89; ebenso - allerdings ohne nähere Begründung -Masuch in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - Stand: August 2007, K § 145 SGB IX RdNr 24) . Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG (Urteil vom 3.3.1994 - 1 RK 33/93 - SozR 3-2500 § 61 Nr 3 S 16 zu § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V in der bis zum 30.6.1997 geltenden Fassung des Art 1 des Gesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2477) "erhält" der Versicherte ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz, wenn er solche Leistungen tatsächlich bezieht. Unter dem "Erhalten" von Sozialleistungen wird auch in anderen Leistungsbereichen des SGB der faktische Bezug der Leistung (zB BSG, Urteil vom 9.12.1976 - 2 RU 39/76 - BSGE 43, 68, 70= SozR 2200 § 1504 Nr 3 S 7für den Erhalt von Übergangsgeld bzw BSG, Urteil vom 13.5.1992 - 1/3 RK 10/90 - SozR 3-2200 § 189 Nr 1 S 3 für den Erhalt von Entgeltfortzahlung) iS des Zuflusses von Vermögenswerten verstanden (vgl insoweit auch BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 5/07 R - juris, RdNr 18 f) . Demgegenüber stellt die sozialhilferechtliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auf die materiell-rechtliche Leistungsberechtigung ab: "Empfänger der Hilfe ist aber derjenige, der sachlich-rechtlich Inhaber der Forderung gegen den Sozialhilfeträger ist, also der Hilfesuchende, dem die Leistung selbst zugedacht ist" (Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫, Urteil vom 30.04.1992 - 5 C 29/88 - NDV 1992, 340, 341 mwN) , nimmt also - insofern enger - an, dass nur derjenige Leistungen erhält, der auch materiell-rechtlich berechtigt ist.
Ob Leistungen schon derjenige "erhält", dem sie tatsächlich zufließen, oder nur derjenige, der auch sachlich-rechtlich Inhaber der Forderung ist, kann hier offenbleiben, denn der Kläger ist weder tatsächlich noch rechtlich Bezieher von Leistungen der Grundsicherung gemäß § 19 Abs 2, § 41 Abs 1 SGB XII.
In tatsächlicher Hinsicht ergibt sich dies bereits aus den Bescheiden des Landkreises Aurich, die - nach den Feststellungen des LSG - ihrem Wortlaut nach seit 2005 der Ehefrau des Klägers laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Anrechnung der Altersrente des Klägers gewähren. Adressatin der Verwaltungsakte und Empfängerin der Leistungen ist danach die Ehefrau des Klägers. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass der Kläger in der Anlage des Grundsicherungsbescheids vom 13.1.2005 als Empfänger der Zahlung erwähnt wird und die Grundsicherungsleistungen seinem Konto gutgeschrieben wurden. Denn es handelt sich dabei um das Konto, welches die Ehefrau des Klägers in dem Antrag auf Grundsicherungsleistungen als Bankverbindung für die Auszahlung der Geldleistung angegeben hat, sodass die Grundsicherungsbehörde nach Maßgabe des § 47 SGB I gehalten war, diesen Zahlungsweg einzuhalten (hierzu näher BSG, Urteil vom 14.8.2003 - B 13 RJ 11/03 R - SozR 4-7610 § 362 Nr 1 RdNr 8 ff).
Der Kläger ist auch nicht sachlich-rechtlich Inhaber des Sozialhilfeanspruchs. Gemäß § 19 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB XII ist Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Personen zu leisten, die das 65. Lebensjahr vollendet haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können. Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, sind zu berücksichtigen.
Nach § 19 Abs 2 Satz 2 SGB XII sind Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt mithin davon abhängig, dass kein bedarfsdeckendes Einkommen und Vermögen der betroffenen Person selbst oder ihres Ehegatten/Lebenspartners vorhanden ist. Die so einstandspflichtigen dritten Personen bilden kraft Gesetzes mit dem Hilfebedürftigen eine so genannte Einsatz- oder Einstandsgemeinschaft, was auf der Überlegung beruht, dass zwischen den genannten Personen und dem Hilfebedürftigen aufgrund familiärer Bindung ein so enges - ohnehin durch zivilrechtliche Unterhaltspflichten gekennzeichnetes - Verhältnis besteht, dass nach der Lebenserfahrung von einem Wirtschaften "aus einem Topf" sowie von einem selbstverständlichen füreinander Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens auszugehen ist (Seidel in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitssuchende, Stand: Dezember 2005, § 19 SGB XII RdNr 27, 29).
Jedenfalls für die Einsatzgemeinschaft nach § 19 Abs 2 SGB XII ist - wie nach dem bisherigen Recht unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes ≪BSHG≫ (BVerwG, Urteil vom 30.11.1966 - V C 29.66 - BVerwGE 25, 307, 310;Urteil vom 15.12.1977 - V C 35.77 - BVerwGE 55, 148, 150 mwN; Urteil vom 22.10.1992 - 5 C 65.88 - FEVS 43, 268, 271 ff; Urteil vom 26.11.1998 - 5 C 37.97 - BVerwGE 108, 36, 38;vgl auch Schoch in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 11 RdNr 7; ders NDV 2002, 8 f) - hinsichtlich ihrer einzelnen Mitglieder von einem individuellen Sozialhilfeanspruch auszugehen, bei dem unter Zugrundelegung eines individuellen Bedarfs sowie unter Berücksichtigung anzurechnender Mittel ein individueller Leistungsbetrag zu ermitteln ist: Einkommen eines Mitglieds der Einsatzgemeinschaft ist nur insofern bei der Bedürftigkeit der übrigen Mitglieder zu berücksichtigen, als dieses den eigenen sozialhilferechtlich anzuerkennenden Bedarf des Einkommensbeziehers übersteigt; der Einkommensbezieher, der mit seinem Einkommen seinen eigenen sozialhilferechtlichen Bedarf zu decken vermag, wird selbst nicht zum Leistungsbezieher (Neumann in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, Stand: September 2007, 11. Erg-Lfg IX/07, K § 19 SGB XII RdNr 21; Seidel in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitssuchende, Stand: Dezember 2005, § 19 SGB XII RdNr 42; für das Recht des BSHG ua BVerwG, Urteil vom 30.4.1992 - 5 C 29.88 - NDV 1992, 340, 341) .
Der nach ganz hM (Neumann in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, Stand: September 2007, K § 19 SGB XII RdNr 14 ff ; Schoch, LPK-SGB XII, 2. Aufl 2008, § 19 RdNr 11 ff; ders, ZfF 2004, 169, 170; Rothkegel in Rothkegel, Sozialhilferecht, Existenzsicherung - Grundsicherung, 1. Aufl 2005, Teil II Kapitel 3 RdNr 93; Grube in: Grube/Wahrendorf, SGB XII Sozialhilfe, 2. Aufl 2008, § 19 RdNr 11, aA noch in der Vorauflage 2005, § 19 RdNr 6, 15) vertretene Grundsatz der individuellen Anspruchsberechtigung der Sozialhilfe findet seine Begründung darin, dass es - auch nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 25.9.1992 - 2 BvL 5, 8, 14/91 - BVerfGE 87, 153, 172) - nicht mit dem Grundrecht auf Achtung und Schutz der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG ) vereinbar sein kann, denjenigen, der sich durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann (§ 2 Abs 1 SGB XII) , zu verpflichten, Mittel für andere einzusetzen, die er zur eigenen Bedarfsdeckung braucht, mit der Folge, dass er dadurch selbst bedürftig würde und auf staatliche Hilfe angewiesen wäre.
Entsprechendes ergibt sich aus der Begründung des bis zum 31.12.2004 geltenden Rechts (§ 11 Abs 1 Satz 1 BSHG) , derzufolge jedem Hilfsbedürftigen ein "selbstständiger Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt eingeräumt werden" soll (BT-Drucks 3/2673 S 4) . Soweit die Gesetzesmaterialien zum SGB XII Zweifel am Fortbestehen der Individualität des Anspruchs auf Sozialhilfe aufkommen lassen, weil danach das "Individualprinzip…nicht mehr auf die einzelne Person bezogen, sondern auf Grund der Lebenswirklichkeit gemeinsam wirtschaftende Haushalte erweitert" werden (BT-Drucks 15/1514 S 56 zu § 9), und außerdem der neue Hinweis in § 19 Abs 1 Satz 2 SGB XII "auf die gemeinsame Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen" der Änderung in § 9 Abs 1 SGB XII folgen und damit bewirken soll, "dass künftig einheitlich die Leistungsberechnung für diese Familien in der Regel gemeinsam erfolgt und die Leistungsberechnung nur dann für einzelne Familienmitglieder durchgeführt wird, wenn zum Beispiel minderjährigen Kindern ausreichend eigenes Einkommen und Vermögen zur Verfügung steht" (BT-Drucks 15/1514 S 57 zu § 19) , sprechen insbesondere og verfassungsrechtliche Argumente dafür, dass damit nicht etwa der individuelle Hilfeanspruch abgeschafft werden sollte (so Neumann in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, Stand: September 2007, K § 19 SGB XII RdNr 19 f; iE ebenso: Hessisches LSG, Beschluss vom 7.2.2008 - L 8 KR 218/07 ER - juris RdNr 20 ff; vgl auch Rothkegel in Rothkegel, Sozialhilferecht, Existenzsicherung - Grundsicherung, 1. Aufl 2005, Teil II Kapitel 3 RdNr 4, der die Durchbrechung des Individualisierungsgrundsatzes nur auf die Einsatzseite beschränkt sieht) .
Letztlich kann dies für die Einstandsgemeinschaft bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII (§ 19 Abs 2 SGB XII) offen bleiben, da dem Wortlaut des Satzes 2 der Vorschrift ("Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, sind zu berücksichtigen"), das Wort "gemeinsam" fehlt. Aus dem Abstellen auf Einkommen und Vermögen des Ehegatten/Lebenspartners, das "dessen" notwendigen Lebensunterhalt "übersteigt", lässt sich auf die Individualität des Anspruchs schließen.
Für eine den Wortlaut des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erweiternde Auslegung, die zu einer Erstreckung auf Personen führt, die nicht Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII sind, besteht keine Veranlassung.
Sie ist insbesondere nicht zur Erreichung des Gesetzeszwecks erforderlich. § 145 SGB IX dient der Förderung der Mobilität schwerbehinderter Menschen durch Teilnahme am öffentlichen Personenverkehr: Durch unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr erlangt der schwerbehinderte Mensch, dessen Behinderung seine Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr einschränkt, einen erleichterten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln (Masuch in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - Stand: August 2007, K § 145 SGB IX RdNr 1c). Das Ziel, die Mobilität schwerbehinderter Menschen zu fördern, wird jedoch bereits durch die Unentgeltlichkeit der Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mithin durch § 145 Abs 1 Satz 1 bis 2 SGB IX erreicht. Die Kostenbeteiligung nach Satz 3 dient lediglich dazu, die finanziellen Belastungen der öffentlichen Hand durch Erstattung der Fahrgeldausfälle nach § 145 Abs 3 iVm §§ 148 bis 150 SGB IX einzudämmen. Die Förderung nach Satz 1 und 2 des § 145 SGB IX wird dadurch nur moderat relativiert.
Außerdem steht der Anspruch auf die Ausgabe kostenloser Wertmarken nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 1 bis 3 SGB IX zur Freifahrtberechtigung unter Zahlung einer Eigenbeteiligung nach § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB IX systematisch in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis: Das Gesetz sieht als Regelfall (so schon die Begründung zum Regierungsentwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 1984, BT-Drucks 10/335 S 89 zu Nr 1 ≪§ 57 SchwbG≫) die Ausgabe der zur Freifahrt berechtigenden Wertmarken nur gegen Eigenbeteiligung in Höhe von 60 Euro im Jahr vor, die auf Antrag in den in Satz 5 Nr 1 bis 3 genannten Fällen nicht erhoben wird. Nur noch einem begrenzten Personenkreis sollte seit der Einführung der Kostenbeteiligung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22.12.1983 (BGBl I 1532) mW vom 1.4.1984 das Privileg unentgeltlicher Beförderung ohne Eigenbeteiligung nach der damals geltenden Vorschrift des § 57 SchwbG zugute kommen. Die übrigen Freifahrtberechtigten sollten sich an den Kosten der Vergünstigung beteiligen. Damit wollte der Gesetzgeber eine Entwicklung im Vergünstigungswesen für Schwerbehinderte aufhalten, die zu finanziell untragbaren Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte geführt hatte. Die Regelung ist abschließend (BSG, Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1 S 2 f unter Hinweis auf die Begründung in BT-Drucks 10/3138 S 34 f; Masuch in: Hauck/Noftz Sozialgesetzbuch SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - Stand: August 2007, K § 145 SGB IX RdNr 24).
Die gesetzliche Privilegierung der Bezieher von laufenden Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt stellt auch keinen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG dar. Insbesondere ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, weitere Personengruppen in den Regelungsbereich des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX einzubeziehen.
Art 3 Abs 1 GG verlangt, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Die Norm ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Verhältnis zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG, Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 - BVerfGE 87, 1, 36= SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7 ; BVerfG, Beschluss vom 8.4.1998 - 1 BvL 16/90 - BVerfGE 98, 1, 12= SozR 3-5755 Art 2 § 27 Nr 1 S 5) . Je nach den Umständen können verschiedenartige Regelungen bis hin zur Grenze der Willkür verfassungsrechtlich vertretbar sein (BSG, Urteil vom 7.12.1983 - 9a RVg 2/83 - BSGE 56, 90, 91 = SozR 3800 § 10 Nr 1 S 1 f mwN).
Zunächst ist die Begünstigung des in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX genannten Personenkreises allgemein gegenüber anderen Schwerbehinderten nicht willkürlich erfolgt. Für die Kostenbefreiung hat das BSG zu der entsprechenden Vorgängervorschrift des § 57 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG (Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1 S 2) bereits entschieden, dass sie geboten sei, weil die in Betracht kommenden Personen mangels finanzieller Mittel ohnehin auf die finanzielle Hilfe der öffentlichen Hand angewiesen seien.
Der Kläger unterscheidet sich von dem mit § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erfassten Personenkreis dadurch, dass er seinen Lebensbedarf durch eigenes Einkommen decken kann. Unter Berücksichtigung des Individualisierungsgrundsatzes des SGB XII muss er sich insoweit mit anderen Einzelpersonen vergleichen lassen, die über Einkommen verfügen, das ihren individuellen sozialhilferechtlichen Bedarf deckt. Solche Personen haben - auch wenn das Einkommen ihrem Bedarf centgenau entspricht, sodass sie wirtschaftlich Sozialhilfeempfängern gleichstehen - keinen Anspruch auf laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII und - in der Folge - auch keinen Anspruch auf die kostenfreie Ausstellung der Wertmarken nach § 145 Abs 1 SGB IX. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
§ 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX stellt - wie seine Vorläufervorschriften - Personengruppen von der Eigenbeteiligung frei, die typischerweise einkommensschwach (BT-Drucks 10/335, S 89 zu Nr 1 ≪§ 57 SchwbG≫) sind, und macht die Befreiung durch die Anknüpfung ua an den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII vom Unterschreiten einer Einkommensgrenze abhängig. Diese Einkommensgrenze bestimmt sich aus dem System des Sozialhilferechts nach dem SGB XII, welches für sich bereits zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen (11. Kap SGB XII) sowie relevante Sonderbedarfe (§§ 30 bis 34 SGB XII) regelt. Sie ist wegen der Übernahme angemessener Kosten der Unterkunft (§ 29 SGB XII) gleitend und nach Maßgabe von § 28 Abs 2 bis 3 SGB XII dynamisch.
Hinsichtlich der mittels dieser Einkommensgrenze erfolgten Bestimmung der begünstigten Personengruppe steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, den er nicht überschreitet, indem er die Regelung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX von der durch andere Träger festzustellenden Hilfebedürftigkeit abhängig macht, ohne weitere Sonderregelungen zu schaffen (vgl hierzu auch BSG, Urteil vom 3.3.1994 - 1 RK 33/93 - SozR 3-2500 § 61 Nr 3 S 18). Denn das System der Bedürftigkeitsprüfung nach dem SGB XII berücksichtigt im Rahmen der Sonderbedarfe bereits in zureichendem Maße individuelle Besonderheiten. Weitere Regelungen zum Ausgleich von Härten sind somit verfassungsrechtlich nicht erforderlich. Jeder Einkommensgrenze ist es immanent, dass diejenigen Normadressaten, die sie knapp nicht erreichen, von einer gewissen Härte betroffen sind. Dies gilt selbst dann, wenn durch gleitende Grenzen Härtefallregelungen eingeführt werden, für diejenigen, die deren Voraussetzungen ihrerseits knapp verfehlen.
Das Willkürverbot ist als Maßstab der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung auch deshalb ausreichend, weil dem Kläger rechnerisch ein Betrag in Höhe seines eigenen sozialhilferechtlichen Bedarfs belassen wird. Dieser - fiktiv - festgestellte Bedarf in Höhe des Regelsatzes nach § 28 SGB XII iVm mit der Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII (Regelsatzverordnung - RSV ) vom 3.6.2004 (BGBl I 1067 ) enthält einen monatlichen Betrag in Höhe von 17,91 Euro (bezogen auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ≪EVS≫ 1998 bzw von 15,71 bezogen auf die EVS 2003) für Verkehr (vgl Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Auswertung der EVS 2003 - Grundlage zur Neubemessung der Regelsätze nach SGB XII, Stand 17.5.2006, S 18) , sodass das vom Gesetzgeber in Höhe des Regelbedarfs normativ bestimmte (vgl § 27 Abs 1 SGB XII) soziokulturelle Existenzminimum dem Kläger auch dann erhalten bleibt, wenn er die Eigenbeteiligung in Höhe von 60 Euro im Jahr (5 Euro im Monat) aufzubringen hat. Damit fehlt es auch an einem Verstoß gegen Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG.
Entgegen der Auffassung des LSG ist der Kläger nicht schlechter gestellt als Altersrentner in einer so genannten "gemischten" Bedarfsgemeinschaft mit einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (zur Einbeziehung in die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 SGB II vgl BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 11; Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 3 RdNr 13). Diese ist wirtschaftlich genauso wie eine Einsatzgemeinschaft zwischen einem Altersrentner und einem Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII auf das Niveau des soziokulturellen Existenzminimums reduziert. Da jedoch Altersrentner aus dem Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen sind (§ 7 Abs 4 Satz 1 SGB II) , also in beiden Gemeinschaften Altersrentner keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erhalten, liegt eine Ungleichbehandlung dieser Normadressaten nicht vor.
Ebenso wenig besteht eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber dem Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, dessen Erwerbseinkommen zwar den eigenen aber nicht den gesamten Bedarf der Gemeinschaft deckt, mit der Folge, dass alle Personen dieser Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig gelten (§ 9 Abs 2 Satz 3 SGB II) . Der Senat lässt offen, ob mit dieser Fiktion eines Leistungsbezugs nach dem SGB II zugleich das "Erhalten" von Leistungen iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX fingiert wird. Sollte das der Fall sein, fände die Besserstellung eine hinreichende Rechtfertigung in den Besonderheiten des Systems der Grundsicherung für Arbeitssuchende: Mit dem SGB II hat der Gesetzgeber ein eigenes Sozialleistungssystem für erwerbsfähige Hilfebedürftige geschaffen, die nach dem Grundsatz des Forderns und Förderns (§§ 2, 14 SGB II) sich vorrangig und eigeninitiativ um die Beendigung ihrer Erwerbslosigkeit bemühen und ihre Arbeitskraft einsetzen sollen, um ihren Lebensunterhalt (und den ihrer Angehörigen) zu bestreiten (vgl hierzu BT-Drucks 15/1516 S 1 bis 3, 41 bis 51). Mit der Sozialhilfe hat der Gesetzgeber daneben ein gesondertes System für nicht erwerbsfähige Personen vorgesehen, das zwar auch einen Grundsatz des Fordern und Förderns kennt, der aber nicht primär auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abzielt, sondern auf eine Aktivierung der Hilfeempfänger, die Selbstverantwortung für den Erfolg der Hilfe übernehmen sollen (vgl BT-Drucks 15/1514 S 50 bis 51).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen