Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Arbeitslosigkeit. alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. selbständige Tätigkeit. kurzzeitige Beschäftigung. tatsächliche Verhältnisse
Leitsatz (amtlich)
Der Umfang der selbständigen Tätigkeit einer Gesellschafter-Geschäftsführerin ist anhand der tatsächlichen Verhältnisse, nicht auf der Grundlage der aus der Gesellschafterstellung folgenden Rechtsmacht festzustellen.
Normenkette
AFG § 101 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1995-07-24, S. 2 Nr. 1 Fassung: 1995-07-24, § 102 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1988-12-20
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich in einem Zugunstenverfahren gegen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 3. Januar 1997.
Die Klägerin war bis zum 30. November 1996 als Produktionsleiterin der Fenster-Türen-Fabrik S. GmbH, deren Geschäftsführer ihr Vater war, beschäftigt (20 Arbeitsstunden wöchentlich). Daneben gründete sie durch notariellen Vertrag vom 4. November 1992 die E. Baubedarf GmbH. Sie war alleinige Gesellschafterin dieses Unternehmens, dessen Geschäftsgegenstand der Handel und die Montage von Bauelementen aller Art ist. Geschäftsführerin der Gesellschaft war zunächst Frau R. und ab 20. April 1994 die Klägerin selbst.
Am 3. Januar 1997 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Sie gab im Antrag an, dass sie keine selbständige Tätigkeit oder Nebenbeschäftigung ausübe. Ihre Vermittlungsfähigkeit beschränkte sie wegen der Betreuung ihrer Kinder auf 20 Stunden wöchentlich. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 25. April 1997 Alg ab 3. Januar 1997 für eine Anspruchsdauer von 312 Tagen in Höhe von 442,80 DM wöchentlich.
Nachdem die Beklagte bereits ab 24. Juli 1997 die Zahlung der Leistung eingestellt hatte, nahm sie nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 2. Oktober 1998 die Bewilligung von Alg mit Wirkung vom 3. Januar 1997 nach § 45 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) in vollem Umfang zurück, weil die Klägerin wegen ihrer Stellung als alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der E. GmbH nicht arbeitslos sei und daher keinen Anspruch auf Alg habe. Es sei Alg in Höhe von 12.767,40 DM nach § 50 SGB X zu erstatten. Mit einem weiteren Bescheid vom 2. Oktober 1998 verlangte die Beklagte die Erstattung der im Zeitraum vom 3. Januar 1997 bis 23. Juli 1997 erbrachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 3.316,35 DM. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 1999 zurückgewiesen.
Im Dezember 2000 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Rücknahmeentscheidung. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Januar 2001 ab. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit der Begründung Widerspruch ein, sie habe zwar die rechtliche Funktion einer Geschäftsführerin der E. GmbH innegehabt, jedoch eine tatsächliche Geschäftsführertätigkeit nicht ausgeübt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2001 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen (Urteil vom 5. September 2003), der Klägerin stehe als Arbeitgeberin kein Anspruch auf Alg zu. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 28. März 2006): Der Alg-Bewilligungsbescheid vom 25. April 1997 sei rechtswidrig gewesen. Die Klägerin sei ab 3. Januar 1997 nicht arbeitslos iS des § 101 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), sondern als alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der E. GmbH selbständig unternehmerisch tätig gewesen. Maßgebend für die Entscheidung über die Frage einer selbständigen unternehmerischen Tätigkeit seien die faktischen Verhältnisse. In seinem Urteil vom 9. November 1989 - 11 RAr 39/89 - habe das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, dass zu den tatsächlichen Verhältnissen auch die vorhandene Rechtsmacht gehöre. Daraus sei zu schließen, dass derjenige, der die Rechtsmacht habe, selbst dann unternehmerisch tätig sei, wenn unternehmerisches Handeln nicht von ihm selbst, sondern allein von zu diesem Zweck beschäftigten Dritten ausgeübt werde. Gegen eine Arbeitslosigkeit spreche zudem, dass der Geschäftsführer nach den Regelungen des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) unverzichtbare Pflichten ua zur Geschäftsführung, zur ordnungsgemäßen Buchführung, zur Aufstellung des Jahresabschlusses sowie zur Anmeldung bestimmter Vorgänge im Handelsregister und Einreichungspflichten habe. Bereits aus diesen gesetzlich auferlegten Pflichten folge, dass die Klägerin ihre Funktion als Geschäftsführerin, wenn auch möglicherweise unzureichend, ausgeübt habe und damit auch faktisch nicht untätig gewesen sei. Die Tätigkeit sei auch "der Natur der Sache nach" nicht auf weniger als 18 Stunden wöchentlich beschränkt gewesen. Es sei typisch für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit, dass diese sich nicht innerhalb eines festen Zeitrahmens vollziehe, sondern üblicherweise auf einen möglichst großen Umfang angelegt sei, um den Erfolg eines Unternehmens sicherzustellen. Hinsichtlich der Rücknahmevoraussetzungen lägen die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X vor, weil die Klägerin die Frage nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit mit "nein" beantwortet habe. Ihre Erwägung, angenommen zu haben, dass eine Angabe nicht erforderlich sei, weil sie tatsächlich diese Funktion nicht ausgeübt habe, stehe der Annahme einer unrichtigen Angabe nicht entgegen. Eine etwaige Kenntnis der fraglichen Umstände durch einzelne Mitarbeiter der Beklagten könne die fehlerhafte Angabe nicht ausgleichen. Die Rücknahmefristen des § 45 Abs 3 Satz 1 und Satz 3 Nr 1, Abs 4 Satz 2 SGB X seien gewahrt.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 101 AFG. Sie ist der Auffassung, die vom LSG vorgenommene rein formelle Anknüpfung an die Rechtsmacht sei in einer Fallgestaltung wie dieser nicht möglich. Die Entscheidung des BSG vom 9. November 1989 - 11 RAr 89/89 - betreffe eine völlig andere Fallkonstellation. Dort sei es darum gegangen, ob derjenige, der Alleingesellschafter sei, trotz seiner rechtlichen Befugnis, auch wenn er diese nicht ausübe, weisungsgebunden beschäftigt sei. Für Fallkonstellationen der hier vorliegenden Art gehe die Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass es möglich sei, in gewissem Umfang selbständig tätig zu sein, ohne seine Eigenschaft als Arbeitsloser zu verlieren. Im Übrigen sei sie nicht zu Erwerbszwecken tätig gewesen. Sie habe die Rechtsstellung als Gesellschafterin und Geschäftsführerin rein formal ausgeübt. Jedenfalls sei der Umfang der selbständigen Tätigkeit so gering gewesen, dass die Kurzzeitigkeitsgrenze nicht überschritten worden sei. Einen nicht näher begründeten Erfahrungssatz, dass sich eine selbständige Tätigkeit nicht innerhalb eines festen Zeitrahmens vollziehe, gebe es nicht. Vielmehr müsse der Umfang der Tätigkeit im konkreten Einzelfall festgestellt werden. Sie habe schon während ihrer Beschäftigung bei der S. GmbH das gesamte operative Geschäft dem angestellten Betriebsleiter K. übertragen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2006 und des Sozialgerichts Hannover vom 5. September 2003 sowie des Bescheids vom 16. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 2001 zu verpflichten, die beiden Bescheide vom 2. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 1999 zurückzunehmen und weiteres Arbeitslosengeld ab 24. Juli 2007 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Es sei nicht entscheidend, ob die Klägerin ihre Rechtsstellung als Gesellschafterin und Geschäftsführerin rein formal ausgeübt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) begründet. Ob die Beklagte gemäß § 44 SGB X verpflichtet ist, die unanfechtbar gewordenen Bescheide vom 2. Oktober 1998 zurückzunehmen, kann auf Grund der bisher vom LSG getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.
Gegenstand der von der Klägerin nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist der Ablehnungsbescheid vom 16. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 2001 und die von der Klägerin begehrte Verpflichtung der Beklagten, die Ausgangsbescheide über die ab 3. Januar 1997 erfolgte Rücknahme der Alg-Bewilligung und die Erstattung von Alg sowie von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung vom 2. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 1999 zurückzunehmen.
1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rücknahme der bindenden Verwaltungsentscheidung über die Rücknahme der Alg-Bewilligung ergeben sich aus § 44 Abs 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der Anwendung des § 44 SGB X steht nicht entgegen, dass mit den Bescheiden vom 2. Oktober 1998 nicht die Gewährung von Sozialleistungen abgelehnt worden ist, sondern die ursprünglich erfolgte Bewilligung wieder zurückgenommen worden ist. Denn § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X will auch Fälle erfassen, bei denen die Verwaltung zunächst Leistungen bewilligt, danach aber die Leistungsbewilligung zu Unrecht wieder zurückgenommen hat (BSG SozR 1300 § 44 Nr 38; SozR 3-1300 § 44 Nr 24).
2. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass hinsichtlich der Frage, ob die Bewilligung von Alg durch den Bescheid vom 25. April 1997 rechtswidrig gewesen ist, auf die Rechtslage während des Bewilligungszeitraums abzustellen ist. Ob der Klägerin für die Zeit ab 3. Januar 1997 Alg zugestanden hat, richtet sich deshalb nach den §§ 100 ff AFG. Streitig ist zwischen den Beteiligten insoweit, ob die Klägerin arbeitslos iS des § 101 AFG gewesen ist. Nach § 101 Abs 1 Satz 1 AFG idF des Art II des Sozialgesetzbuchs - Viertes Buch - vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) war arbeitslos ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Nach § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG ist der Arbeitnehmer jedoch nicht arbeitslos, wenn er eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger oder Selbständiger ausübt, die die Grenze des § 102 AFG überschreitet. Nach § 102 Abs 1 Satz 1 AFG idF des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 war eine Beschäftigung kurzzeitig, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im Voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist.
2.1 Ob die Klägerin eine mehr als kurzzeitige selbständige Tätigkeit mit einem Umfang von zumindest 18 Wochenstunden ausgeübt hat, lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Das LSG hat derartige Feststellungen offenbar jedenfalls im Ergebnis für entbehrlich gehalten, weil es der Auffassung gewesen ist, dass die Klägerin im Hinblick auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern durch die E. Baubedarf GmbH, deren alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin sie im streitigen Zeitraum war, Arbeitgeberin und schon deshalb nicht dem Kreis der Arbeitnehmer iS des § 101 AFG zuzurechnen sei. Zutreffend ist insoweit, dass die Tätigkeit als Geschäftsführerin auf der Grundlage der Rechtsprechung des BSG zu Gesellschafter-Geschäftsführern als selbständige Tätigkeit einzustufen ist. Unerheblich ist hingegen, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum tatsächlich Arbeitgeberin im sozialversicherungsrechtlichen Sinne der von der GmbH beschäftigten Arbeitnehmer war (vgl hierzu allgemein BSGE 95, 275 = SozR 4-2600 § 2 Nr 7). Letztlich kann dies dahinstehen, weil die Regelung in § 101 AFG ausdrücklich davon ausgeht, dass die Ausübung einer kurzzeitigen selbständigen Tätigkeit die Arbeitnehmereigenschaft und damit die Arbeitslosigkeit nicht ausschließt. Das Gesetz verneint in § 101 AFG das Vorliegen von Arbeitslosigkeit allein nach dem zeitlichen Umfang der Erwerbstätigkeit, ohne zwischen abhängiger und selbständiger Tätigkeit zu unterscheiden (BSG SozR 4100 § 102 Nr 7). Dass etwas anderes gelten könnte, wenn im Rahmen der selbständigen Tätigkeit Arbeitnehmer oder selbständige Hilfskräfte beschäftigt werden, ist weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Zusammenhang der gesetzlichen Regelungen zu entnehmen.
Nicht gefolgt werden kann insbesondere der Annahme des LSG, es sei hinsichtlich des Umfangs der unternehmerischen Tätigkeit auf die aus der Gesellschafterstellung folgende Rechtsmacht abzustellen. Das LSG hat der Rechtsprechung des Senats zur Einordnung der Tätigkeit von Gesellschafter-Geschäftsführern entnommen, dass zu den maßgebenden tatsächlichen Verhältnissen auch die vorhandene Rechtsmacht - unabhängig von ihrer Ausübung - gehöre (BSGE 66, 69 = SozR 4100 § 104 Nr 19 S 36). Hieraus hat das LSG weiter gehend abgeleitet, dass derjenige, der die Rechtsmacht habe, selbst dann unternehmerisch im Sinne des § 101 AFG tätig sei, wenn unternehmerisches Handeln nicht von ihm selbst, sondern von zu diesem Zweck beschäftigten Dritten ausgeübt werde. Damit verkennt das LSG, dass die angezogene Rechtsprechung allein zur Abgrenzung von versicherungspflichtiger Beschäftigung zu selbständigen Tätigkeiten ergangen ist. Insoweit ergeben sich keine Berührungspunkte zu der hier zu beantwortenden Frage, in welchem zeitlichen Umfang die Klägerin tätig gewesen ist. Eine rechtliche Zurechnung der Tätigkeit von Dritten ist bei der Beurteilung des Merkmals Arbeitslosigkeit ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 8. Oktober 1981 - 7 RAr 38/80, juris-RdNr 25). Ebenso unberücksichtigt müssen Tätigkeiten bleiben, zu denen die Klägerin zwar verpflichtet gewesen ist, die sie jedoch - ggfs pflichtwidrig - nicht tatsächlich verrichtet hat. Schließlich existiert auch kein vom LSG angenommener Rechts- oder Erfahrungssatz, eine selbständige Tätigkeit sei üblicherweise auf einen größtmöglichen Umfang ausgerichtet (vgl schon BSG, Urteil vom 8. Oktober 1981 - 7 RAr 38/80, juris-RdNr 27).
Konkrete Feststellungen zum Umfang der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit sind auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil nach der Rechtsprechung des BSG die Prüfung der Frage, ob eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit kurzzeitig ist, jeweils bei Beginn der Tätigkeit vorzunehmen ist (BSG SozR 4100 § 102 Nr 3; BSG, Urteil vom 17. März 1981 - 7 RAr 19/80, DBlR 2676a zu § 104 AFG; BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 11 AL 53/99 R, DBlR 4591a zu § 102 AFG). Ob eine Beschäftigung kurzzeitig ist, ist zunächst den vertraglichen Vereinbarungen über die Arbeitszeit zu entnehmen. Ist zu beurteilen, ob eine selbständige Tätigkeit die Grenze des § 102 AFG überschreitet, kann mangels vertraglicher Vereinbarungen über eine Arbeitszeit allein nach der Natur der Sache beurteilt werden, ob die Tätigkeit auf weniger als 18 Stunden wöchentlich beschränkt zu sein pflegt (BSG SozR 4100 § 102 Nr 7). Dabei kommt es auf eine vorausschauende Betrachtung an (BSG, Urteil vom 15. Juni 1988 - 7 RAr 12/87). Ebenfalls ist in der Rechtsprechung des BSG bereits geklärt, dass nicht von einer abstrakt generalisierten Tätigkeit auszugehen ist, sondern von den Verrichtungen, die der selbständig Tätige nach der Gestaltung, die er seiner Tätigkeit gegeben hat, tatsächlich vorzunehmen hat bzw voraussichtlich vornehmen wird (BSG, Urteil vom 25. August 1981 - 7 RAr 68/80, DBlR 2677 zu § 102 AFG; Urteil vom 8. Oktober 1981 - 7 RAr 38/80, DBlR 2677a zu § 102 AFG, jeweils zu selbständig tätigen Rechtsanwälten; BSG SozR 4100 § 102 Nr 7 zu einem selbständig tätigen Gastwirt).
Bei der Ermittlung des Umfangs der selbständigen Tätigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin die fragliche Tätigkeit bereits vor der Arbeitslosmeldung neben der anwartschaftsbegründenden Arbeitnehmertätigkeit ausgeübt hat. Ausgehend vom Umfang der im Jahre 1996 ausgeübten Tätigkeiten ist zu prüfen, ob mit der Arbeitslosmeldung zum 3. Januar 1997 eine wesentliche Änderung des Umfangs der selbständigen Tätigkeit eingetreten ist oder - wie die Klägerin geltend macht - das gesamte operative Geschäft der Gesellschaft dem angestellten Betriebsleiter unverändert übertragen blieb. Einzubeziehen sind auf dieser Grundlage im Übrigen auch sämtliche Zeiten, in denen sich die Klägerin in den Geschäftsräumen der GmbH für Tätigkeiten tatsächlich bereithielt, ohne dass insoweit von Bedeutung wäre, ob sie diese Zeit mit einer vollen Arbeitsleistung ausgefüllt hat und ob sie überhaupt aus der Geschäftsführertätigkeit Einkünfte erzielt hat. Andererseits ist vom LSG festzustellen, ob und in welchem Umfang die Klägerin Aufgaben aus der Geschäftsführertätigkeit zur selbständigen Ausführung auf Arbeitnehmer der GmbH übertragen hat, sodass ihre Anwesenheit jedenfalls zeitweise entbehrlich war.
Bei der Prüfung der Arbeitslosigkeit der Klägerin während des gesamten Bewilligungszeitraums ab dem 3. Januar 1997 ist - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass die §§ 101, 102 AFG zwar mit Wirkung vom 1. April 1997 durch Art 11 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24. März 1997 (BGBl I 594) geändert bzw aufgehoben worden sind. Gemäß § 242y Abs 1 AFG sind jedoch diese Bestimmungen in der bis zum 31. März 1997 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Schließlich wird das LSG auch zu beachten haben, dass im Rahmen des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Rücknahme der Bescheide vom 2. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 1999 sämtliche Voraussetzungen des in den genannten Bescheiden im Ergebnis verneinten Anspruchs auf Alg zu prüfen sind und nicht lediglich die von der Beklagten verneinte Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit wegen der Stellung als alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin. Denn ein Betroffener kann die (Wieder-)Einräumung einer ihm materiell nicht zustehenden Position nicht verlangen (vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 38, S 108; Steinwedel, Kasseler Komm, § 44 SGB X RdNr 2 mwN). Daher kann sich auch die von den Beteiligten bislang nicht erörterte Frage der Verfügbarkeit der Klägerin für die Arbeitsvermittlung nach § 103 AFG stellen (vgl BSG SozR 4100 § 102 Nr 7 S 19; BSG, Urteil vom 25. April 2002 - B 11 AL 69/01 R- und BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1 RdNr 21 mwN).
2.2. Zu überprüfen ist im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X iVm § 330 Abs 2 SGB III für eine Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Alg vorgelegen haben. Eine Rücknahme für die Vergangenheit ist nach Abs 4 Satz 1 nur in den Fällen von Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 eröffnet. Der Senat teilt die Auffassung des LSG, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X unabhängig von der zweifelhaften Einschätzung der Rechtslage durch die Klägerin vorgelegen haben, wenn sie eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als Geschäftsführerin nicht angegeben hat (vgl BSG SozR 4-4220 § 6 Nr 4 RdNr 34).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1964397 |
NZS 2008, 499 |
SGb 2007, 733 |
HzA aktuell 2009, 29 |