Entscheidungsstichwort (Thema)
NVA-Soldat. Wehrpflicht, gesetzliche. Wehrdienst freiwilliger. Härteleistung. Eingliederung. Versicherungsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
1. Soldaten der NVA war wegen eines Wehrdienstunfalls im Wege derHärteregelung nach § 89 BVG nur dann Versorgung zu gewähren, wenn der Wehrdienst aufgrund gesetzlicher Pflicht geleistet wurde; dem steht „freiwilliger”, aber durch gesellschaftlichen Druck erzwungener Wehrdienst nicht gleich.
2. Wehrdienstverletzte Soldaten der NVA mit Anspruch auf Unfallrente gegen den FDGB waren in der Bundesrepublik ohne Rücksicht darauf nach Fremdrentenrecht durch Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung einzugliedern, da sie an Soldaten der Bundeswehr versicherungsfrei gewesen wären
Normenkette
BVG § 82 Abs. 2, § 89; FRG § 5 Abs. 2, § 16 Abs. 1 S. 2; RVO a.F. § 541 Nr. 2; RVO § 1150 Abs. 2; WWSUG Art. 24 § 1
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.02.1994; Aktenzeichen L 4 V 55/92) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 23.06.1992; Aktenzeichen S 8 V 20/92) |
Tenor
Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen, soweit er gegen den Beklagten Ansprüche auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz geltend macht.
Im übrigen wird auf die Revision des Klägers das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Februar 1994 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger erlitt bei seinem freiwilligen Wehrdienst in der nationalen Volksarmee (NVA) im Jahre 1960 einen Unfall. Wegen der Unfallfolgen bezog er bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland Anfang 1989 vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) – Verwaltung der Sozialversicherung – eine Unfallteilrente nach einem Grad des Körperschadens von 25 %.
Der Beklagte lehnte den im Januar 1989 gestellten Versorgungsantrag ab (Bescheid vom 23. April 1991; Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1992). Versorgung wegen einer im Dienst der NVA erlittenen Beschädigung könne nur im Wege des Härteausgleichs und dann nur ehemaligen Wehrpflichtigen gewährt werden, § 82 Abs. 2 iVm § 89 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Zur Zeit des Unfalls habe die gesetzliche Wehrpflicht in der DDR noch nicht bestanden. Klage und Berufung blieben aus dem gleichen Grund ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 23. Juni 1992; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 25. Februar 1995).
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision macht der Kläger eine Verletzung der §§ 82, 89 BVG geltend. Bei Ablehnung des Versorgungsanspruchs komme als leistungspflichtig ein Unfallversicherungsträger in Betracht, der deshalb notwendig beizuladen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Februar 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 23. Juni 1992 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. April 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 1992 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren,
hilfsweise: festzustellen, daß die Gesundheitsstörungen „Verlust des fünften Fingers und Teilverlust des fünften Mittelhandknochens rechts, Muskelminderung im Bereich des rechten Armes und der rechten Hand, Funktionsstörung der Finger zwei, drei und vier rechts infolge Nervenschädigung” Folgen eines Arbeitsunfalls vom 26. Dezember 1960 sind und den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu verurteilen, dem Grunde nach Leistungen nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die im Revisionsverfahren mit ihrer Zustimmung Beigeladene zu 1) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Eine Entschädigung des Klägers auf der Grundlage des Fremdrentengesetzes (FRG) komme nicht in Betracht, weil er – hätte sich der Unfall 1960 im Bundesgebiet ereignet – gegen Unfall nicht versichert, sondern als Bundeswehrsoldat versicherungsfrei gewesen wäre. Für eine Entschädigung des Unfalls nach Überleitungsrecht sei die Beigeladene zu 2) zuständig.
Die ebenfalls mit ihrer Zustimmung Beigeladene zu 2) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers hat in dem Sinne Erfolg, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG hat zwar zu Recht entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Versorgung nach dem BVG hat. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG durfte sich mit dieser Entscheidung aber nicht begnügen. Es hätte prüfen müssen, ob der Kläger nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland von jeglicher weiteren Sozialleistung wegen des in der DDR erlittenen und dort bis zur Übersiedlung in die Bundesrepublik entschädigten Unfalls ausgeschlossen war. Denn dem Kläger kommt es nach seinem im Revisionsverfahren ausdrücklich vorgetragenen Begehren nicht auf Entschädigung gerade nach den für ehemalige Soldaten geltenden Vorschriften an, sondern auf sozialrechtliche Eingliederung nach den in der Bundesrepublik Deutschland überkommenen Grundsätzen. Danach werden die gesundheitlichen Folgen nahezu aller Arbeits- und Dienstunfälle entschädigt. Ob der Kläger deshalb Anspruch auf Leistungen gegen einen Unfallversicherungsträger oder jedenfalls auf die Feststellung hat, daß bei ihm an der rechten Hand Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls vorliegen, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, weil das angefochtene Urteil dazu keine ausreichenden Feststellungen enthält.
1. Gemäß § 82 Abs. 2 BVG kann Vertriebenen auch dann Versorgung gewährt werden, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 in Erfüllung ihrer gesetzlichen Wehrpflicht nach den im Vertreibungsgebiet geltenden Vorschriften eine Schädigung iS des § 1 Abs. 1 BVG erlitten haben. Im vorliegenden Fall sind zwei Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt: Der Kläger ist weder Vertriebener noch gab es zur Zeit des Unfalls im Jahre 1960 in der DDR eine gesetzliche Wehrpflicht. Sie ist dort erst durch das Wehrpflichtgesetz vom 24. Januar 1962 (GBL I S 2) eingeführt worden. Versorgung für ehemalige NVA-Soldaten kann allerdings im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 1 BVG trotz fehlender Vertriebeneneigenschaft gewährt werden (vgl RdSchr des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ≪BMA≫ vom 6. Februar 1969 und vom 29. Oktober 1970 – beide unveröffentlicht – sowie vom 8. Oktober 1991, BArbBl 1991, Nr. 12, 81). Eine danach mögliche Versorgung des Klägers scheitert aber an der Freiwilligkeit seiner Dienstleistung. Eine besondere Härte liegt darin nicht. Härteausgleich ist nur dann zu gewähren, wenn sich wegen der Umstände des Einzelfalles, die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen hat, die Gesetzesanwendung in einer dem Zweck der begehrten aber abgelehnten Versorgung widersprechenden Weise auswirkt und dies besonders unbillig ist (BSG SozR 3850 § 54 Nr. 1; SozR 3100 § 89 Nr. 11; Urteil vom 18. Oktober 1995 – 9 RVg 7/93 –, NJW 1996, 1620). So verhält es sich hier nicht. Der Ausschluß von Versorgung wegen der gesundheitlichen Folgen eines im freiwilligen Wehrdienst erlittenen Unfalls ist keine besondere Härte, die sich im Einzelfall aus der Anwendung des § 82 Abs. 2 BVG ergibt. Der Ausschluß beruht vielmehr darauf, daß das BVG planmäßig nur den Verletzten entschädigen will, dem der Wehrdienst im Vertreibungsgebiet als gesetzlich begründete Pflicht abgefordert worden ist (ebenso BMA im RdSchr vom 8. Oktober 1991, a.a.O. unter Ziff 5). Dem Kann auch ein ohne gesetzliche Dienstpflicht durch gesellschaftlichen Druck oder mittelbaren Zwang abverlangter Dienst (zB Ableistung des Dienstes als Voraussetzung für ein Studium) nicht gleichgestellt werden. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits in anderem Zusammenhang entschieden (vgl zur gesetzlichen Dienstpflicht iS von § 28 Abs. 1 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz; BSGE 46, 239, 241 = SozR 2200 § 1251 Nr. 36).
2. Der Kläger ist nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland in das hiesige Arbeits- und Sozialgefüge einzugliedern. Das geschieht wegen der Folgen des in der DDR erlittenen Unfalls durch Entschädigung nach den für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden Vorschriften, und zwar nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FRG ohne Rücksicht darauf, daß der Kläger nicht zu dem in § 1 Buchst a bis d FRG genannten Personenkreis (vor allem der Vertriebenen) gehört. § 5 Abs. 1 FRG schreibt vor, daß nach hiesigen Vorschriften auch ein außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland eingetretener Arbeitsunfall entschädigt wird, wenn der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Kläger war 1960 bei seiner unfallbringenden Tätigkeit als Soldat der NVA bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Dazu zählen auch die Versicherungsträger, die nach 1945 in der DDR errichtet worden sind und dort die auf Gesetz beruhende Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten durchgeführt haben. Soldaten der NVA waren zur Zeit des Unfalls im Jahre 1960 bei der in der DDR errichteten allgemeinen Sozialpflichtversicherung unfallversichert. Dementsprechend hat der FDGB Kreisvorstand - VErwaltung der Sozialversicherung - dem Kläger eine Unfallrente aus der Sozialpflichtversicherung bewilligt. Ob als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung iS des § 5 Abs. 1 Nr. 1 FRG auch die Träger der in der DDR errichteten Sonderversorgungssysteme anzusehen sind (ablehnend für das Sonderversorgungssystem der NVA das BMA im RdSchr vom 8. Oktober 1991, a.a.O. unter Ziff 5), konnte offenbleiben. Denn Dienstbeschädigungen von Soldaten wurden erst ab 1. Juli 1968 aus dem bereits zum 1. Juli 1957 eingeführten (vgl DAng 1991, 281, 285) Sonderversorgungssystem der NVA entschädigt (vgl HV-Info 1992, 2378), nicht aber schon zur Zeit des Unfalls im Jahre 1960.
Die Eingliederung des Klägers scheitert auch nicht daran, daß sein Dienstunfall als Soldat der NVA nach dem 1960 in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Unfallversicherungsrecht etwa nicht als Arbeitsunfall versichert gewesen wäre (§ 5 Abs. 2 FRG). Auf den ersten Blick scheint die Ausschlußvorschrift des § 5 Abs. 2 FRG den Kläger zwar zu erfassen: Hätte sich sein Unfall nicht in der DDR, sondern in der Bundesrepublik Deutschland ereignet, wäre die als Soldat erlittene gesundheitliche Schädigung eine Wehrdienstbeschädigung gewesen, für die nach § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG gewährt wird. Diese Gewährleistung von Versorgung hätte nach § 541 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ (idF des Gesetzes vom 27. Juli 1957 ≪BGBl I 1105≫) zu Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung geführt, ohne daß der Kläger sich als Soldat gegen Unfälle dieser Art freiwillig hätte versichern können (§ 5 Abs. 2, 2. Halbsatz FRG). Damit würde aber nicht nur der Unfallort in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlegt und gefragt werden, ob der Verletzte nach dem hier geltenden Recht wegen des Unfalls versichert gewesen wäre, wie das § 5 Abs. 2 iVm § 7 FRG vorschreibt. Darüber hinaus würde aus dem Soldaten der NVA ein Soldat der Bundeswehr. Eine solche Änderung des Sachverhalts, die NVA-Soldaten generell von einer Eingliederung ausschlösse, läßt das FRG nicht zu.
Das FRG stellt nach seiner Grundkonzeption umfassenden Versicherungsschutz auch für Unfälle sicher, die außerhalb des Bundesgebiets eingetreten sind. Dieses Ziel würde für einen großen Personenkreis verfehlt, wenn Unfallversicherungsschutz nach dem FRG entfiele, weil der Verletzte nach der Art seiner Tätigkeit, hätte er sie im Bundesgebiet verrichtet, beamten- oder soldatenrechtlich versorgt worden und damit versicherungsfrei gewesen wäre. Denn Verletzte dieses Personenkreises erwerben regelmäßig aufgrund des außerhalb des Bundesgebiets erlittenen Unfalls in der Bundesrepublik Deutschland keine beamten- oder soldatenversorgungsrechtlichen Unfallversorgungsansprüche. Ergebnis einer solchen Auffassung wäre die Ausgliederung dieses Personenkreises aus dem in der Bundesrepublik nahezu lückenlosen Unfallversicherungsschutz. Diese Folge verhindert das FRG für das Rentenversicherungsrecht durch die in § 16 Abs. 1 Satz 2 getroffene Regelung. Diese Vorschrift verlangt für die Anrechnung ausländischer Beschäftigungszeiten – ähnlich wie § 5 Abs. 2 FRG –, daß das „die Beschäftigung nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätte, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wäre”. In Halbsatz 2 wird bestimmt, daß dabei die „Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht … wegen der Eigenschaft als Beamter oder Soldat nicht anzuwenden” sind. Diese Bestimmung muß entsprechend auch Tür das Unfallversicherungsrecht gelten. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber Unfallversicherte nach anderen Maßstäben hätte eingliedern wollen, als Rentenversicherte. Maßstab ist die Aufnahme in das hiesige Versicherungssystem auch dann, wenn dieses System in Teilbereichen wegen der Sicherung durch andere Systeme zurücktritt, diese Systeme aber dem FRG-Personenkreis nicht zugänglich sind, weil sie Zugangsvoraussetzungen haben, die nur im Bundesgebiet erfüllt werden können. Nur wenn diese anderen Systeme den FRG-Personenkreis ihrerseits eingliedern, entfällt die Eingliederung in die gesetzliche Unfallversicherung.
Der Senat weicht damit nicht von der Entscheidung des 2. Senats vom 25. Oktober 1989 – 2 RU 40/86 – (SGb 1990, 465) ab, obwohl danach ehemalige NVA-Soldaten durch § 5 Abs. 2 FRG iVm § 541 Nr. 2 RVO von einer Eingliederung nach dem Fremdrentenrecht ausgeschlossen sein sollen. Eine Abweichung liegt schon deshalb nicht vor, weil der Kläger jenes Falles der NVA nicht freiwillig als Soldat angehörte, sondern bei Ableistung des Grundwehrdienstes verunglückte, so daß seine Eingliederung nach Auffassung des 2. Senats in Übereinstimmung mit den einschlägigen Rundschreiben des BMA (a.a.O.) über § 82 Abs. 2 iVm § 89 BVG zu erfolgen hatte.
3. Der Anfang 1989 aus der DDR übergesiedelte Kläger ist trotz des zwischenzeitlichen Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland noch individuell nach Fremdrentenrecht in das hiesige Unfallversicherungssystem einzugliedern, nicht im Zuge umfassender Überleitung in der DDR erworbener Ansprüche. Ausschlaggebend dafür ist, daß der Kläger sein Eingliederungsbegehren im Jahre 1989 – wenn auch nicht beim zuständigen Unfallversicherungsträger – zu einer Zeit gestellt hat, als für Übersiedler aus der DDR noch uneingeschränkt Fremdrentenrecht galt und daß das dadurch in Gang gesetzte Eingliederungsverfahren bisher noch nicht abgeschlossen ist.
Mit der jahrzehntelang geltenden Regelung, wonach auf Übersiedler aus der DDR das FRG anzuwenden war, brach für das Unfallversicherungsrecht erst Art. 24 § 1 Staatsvertragsgesetz (StVertrG): Auf Arbeitsunfälle, die in der DDR nach dem 18. Mai 1990 eingetreten sind, ist das FRG nicht mehr anzuwenden (Art. 24 § 1 Abs. 1 StVertrG), auf davor eingetretene Unfälle ebensowenig, wenn der Verletzte zu diesem Datum seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland hatte (Art. 24 § 1 Abs. 2 StVertrG). Der vor dem Stichtag verletzte Kläger wurde von dieser Regelung nicht betroffen, weil er sich am Stichtag in der Bundesrepublik Deutschland gewöhnlich aufgehalten hat. Eine endgültige Feststellungssperre für FRG-Leistungen brachte dann das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG), das in § 1150 RVO die Konkurrenz von Fremdrentenansprüchen mit Ansprüchen nach dem Unfallversicherungsrecht der DDR neu regelte. Nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 RVO ist das Fremdrentenrecht nur noch auf Unfälle anzuwenden, die mit Wirkung für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 als Arbeitsunfälle nach dem FRG anerkannt worden sind. Auch nach dieser Regelung ist auf den Kläger das FRG anzuwenden, obwohl sein Unfall bis heute noch nicht nach diesem Gesetz anerkannt ist.
Der Gesetzestext läßt offen, ob nur in der Vergangenheit, also vor Inkrafttreten des RÜG am 1. Januar 1992, erfolgte Anerkennungen erfaßt sind oder auch spätere, in denen der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1992 liegt. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 12/405 S 155) sollen auch die Fälle erfaßt werden, in denen das Anerkennungsverfahren zum Stichtag noch lief und später mit einem Bescheid mit Wirkung für die Zeit vor dem Stichtag abgeschlossen wurde. In der Praxis der Unfallversicherungsträger wird ein am 31. Dezember 1991 laufendes Anerkennungsverfahren angenommen, wenn spätestens zu diesem Tag ein Antrag auf Leistungen nach dem FRG gestellt oder auf anderem Wege – zB über einen Arztbericht oder die Meldung einer Krankenkasse – das Verfahren aufgenommen worden ist (vgl Raschke, BG 1993, 377, 379 und derselbe in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts – UV –, 1996, § 72 Rz 264). Dem ist der vorliegende Fall eines an unzuständiger Stelle aber fristgerecht geltend gemachten Eingliederungsbegehrens gleichzustellen (vgl § 16 Abs. 2 SGB I). Nur dies entspricht dem Grundgedanken des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 RVO, Ansprüche nach dem Recht des Gebietes fortbestehen zu lassen, in das der Verletzte vor Inkrafttreten des RÜG eingegliedert war (vgl Raschke, a.a.O., Rz 261) oder – wie hier – zur Zeit seines Leistungsantrages einzugliedern war. Nicht der Eingliederungserfolg bereits vor dem Stichtag ist maßgebend, sondern das rechtzeitige Ingangsetzen des auf Eingliederung gerichteten und mit ihr endenden Verfahrens.
4. Ob der Kläger danach gegen die gemäß § 9 Abs. 2 FRG als Unfallversicherungsträger zuständige Beigeladene zu 1) einen Anspruch auf FRG-Leistungen oder jedenfalls auf die Feststellung hat, daß bei ihm an der rechten Hand Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls vorliegen, wird das LSG zu entscheiden haben, nachdem es die dafür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nachgeholt hat.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1102112 |
BSGE, 265 |
SozSi 1997, 198 |
SozSi 1997, 319 |