Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschadensrecht. Impfschadensversorgung. Impfstudie. Impfempfehlung. Rechtsschein. Ethikkommission. Sponsor. Elterninformation. Patienteninformation. behördliche Kontroll- und Überwachungsverpflichtung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung kann auch durch eine Elterninformation erzeugt werden, die im Rahmen einer Impfstudie von einem Pharmaunternehmen als Sponsor herausgegeben und verbreitet worden ist.
2. Zu den Pflichten der bei der Prüfung einer Impfstudie eingeschalteten Ethikkommission gehört es auch, die Elterninformation des Sponsors daraufhin zu untersuchen, ob bei den teilnehmenden Personen der falsche Eindruck erweckt wird, sie entsprächen damit einer öffentlichen Impfempfehlung.
3. Im Hinblick auf die Besonderheiten von Impfstudien haben die für das Impfwesen zuständigen Landesministerien dafür Sorge zu tragen, dass die dabei zur Verbreitung vorgesehenen Elterninformationen durch eine geeignete staatliche Stelle vorab auf einen irreführenden Inhalt hin überprüft werden.
Normenkette
IfSG § 60 Abs. 1 Fassung: 2000-07-20; AMG § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Fassung: 2001-10-23; AMG 1976 § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Fassung: 2001-10-23; AMG § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 Fassung: 2001-10-23; AMG 1976 § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 Fassung: 2001-10-23; AMG § 40 Abs. 1 S. 2 Fassung: 2001-10-23; AMG 1976 § 40 Abs. 1 S. 2 Fassung: 2001-10-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Impfschadensversorgung nach Impfungen im Rahmen einer Impfstudie.
Die am 21.3.2002 geborene Klägerin wurde am 30.5., 27.6. und 1.8.2002 im Rahmen einer Impfstudie gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Haemophilus influenzae b, Polio und Hepatitis B sowie gegen Meningokokken-Infektionen geimpft. Impfungen zum Schutz vor jeder der genannten Erkrankungen waren durch Erlass des Schleswig-Holsteinischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 28.7.1999 (Amtsblatt für Schleswig-Holstein 1999, 428) öffentlich empfohlen worden; die Empfehlung der Impfung zum Schutz vor Meningokokken-Erkrankungen war allerdings auf bestimmte gefährdete Personen beschränkt. Zudem war der verwendete Impfstoff gegen Meningokokken-Infektionen noch nicht zugelassen.
Anlässlich einer am 2.9.2002 durchgeführten Vorsorgeuntersuchung wurden bei der Klägerin erstmals Entwicklungsverzögerungen festgestellt. In der Folgezeit wurde sie aufgrund von epileptischen Anfällen stationär behandelt. Mittlerweile ist sie schwerstbehindert.
Am 30.10.2003 beantragte die Klägerin Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Der Beklagte lehnte die Gewährung der beantragten Leistungen mit der Begründung ab, dass bei der Impfung ein noch nicht zugelassener Impfstoff verwendet worden sei, der von der öffentlichen Impfempfehlung nicht erfasst werde (Bescheid vom 11.3.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.9.2004).
Auch im Klage- und Berufungsverfahren ist die Klägerin erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts Schleswig ≪SG≫ vom 7.6.2006 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24.4.2007). Das LSG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Versorgung nach § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 1 IfSG wegen der geltend gemachten gesundheitlichen Schäden könne nicht beansprucht werden, weil es für die durchgeführte Schutzimpfung an der erforderlichen öffentlichen Empfehlung der zuständigen Landesbehörde fehle. Zum einen gehöre die Klägerin nicht zu einer gefährdeten Personengruppe, für die eine Impfung gegen Menningokokken-Infektionen empfohlen worden sei. Damit habe die durchgeführte Kombinationsimpfung eine nicht empfohlene Einzelkomponente enthalten. Zum anderen werde die Impfung nicht von der öffentlichen Empfehlung gedeckt, weil für die Durchführung der Impfstudie kein zugelassener Impfstoff verwendet worden sei.
Eine Entschädigung komme auch nicht kraft Rechtsscheins in Betracht. Es könne offengelassen werden, ob die von der Firma G. GmbH & Co KG herausgegebene Elterninformation den unrichtigen Eindruck erwecke, dass mit der Teilnahme an der Studie gleichzeitig einer öffentlichen Empfehlung entsprochen werde. Denn jedenfalls sei ein solcher Rechtsschein nicht von einer zuständigen Behörde verursacht worden. Herausgeber der Elterninformation sei die Firma G. GmbH & Co KG und keine Behörde. Zwar habe sich die bei der Bayerischen Landesärztekammer eingerichtete Ethik-Kommission mit dem Inhalt der Patienteninformation befasst. Auch bei ihr handele es sich jedoch nicht um eine im vorliegenden Zusammenhang zuständige Behörde. Sie habe lediglich die Aufgabe, die klinische Prüfung eines Arzneimittels zu bewerten, nicht dagegen, mittels einer öffentlichen Empfehlung die Teilnahme an einer Impfung mit staatlicher Aufsicht nahezulegen.
Die Klägerin macht mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision im Wesentlichen eine Verletzung des § 60 Abs 1 IfSG geltend: Das LSG habe verkannt, dass vorliegend der Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung entstanden sei. Die den Eltern ausgehändigte Patienteninformation des Impfstoffherstellers erwecke den Eindruck, mit der Teilnahme an der Studie werde zugleich einer öffentlichen Empfehlung entsprochen. Dieser Rechtsschein werde mit Billigung der zuständigen Ethik-Kommission gesetzt, welche die Patienteninformation einer Prüfung unterzogen habe, worauf sich das Informationsblatt auch ausdrücklich berufe. Die Ethik-Kommission bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein unterstehe der Aufsicht der im Land Schleswig-Holstein auch für Impfempfehlungen zuständigen Behörde, nämlich des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Sie werde im Zusammenhang mit der Bewertung von klinischen Prüfungen im Auftrag des Landes als Teil der Gesundheitsverwaltung tätig und sei in diesem Sinne staatliche Stelle im Bereich der Gesundheitsverwaltung. Das beklagte Land müsse sich daher das Verhalten der Ethik-Kommission zurechnen lassen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 24. April 2007 und des SG Schleswig vom 7. Juni 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen der Folgen der Impfungen vom 30. Mai, vom 27. Juni und vom 1. August 2002 Beschädigtenrente nach dem lfSG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Der Senat hat bei dem Robert Koch-Institut eine Auskunft zu den Begriffen "Kombinationsimpfung" und "Kombinations-Impfstoff" eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Schreiben des Vizepräsidenten des Robert Koch-Instituts Prof. Dr. B. vom 20.4.2009).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) .
Die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs richtet sich nach § 60 Abs 1 IfSG idF vom 20.7.2000 (BGBl I 1045) . Danach erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die 1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, (…) eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens iS des § 2 Nr 11 lfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Ob diese Voraussetzungen hinsichtlich der hier relevanten, im Jahre 2002 erfolgten Impfungen erfüllt sind, vermag der Senat noch nicht abschließend zu entscheiden, weil ausreichende Tatsachenfeststellungen des LSG fehlen.
1. Nach den Feststellungen des LSG enthielt die Bekanntmachung des Schleswig-Holsteinischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (ab April 2001: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Verbraucherschutz; ab Januar 2003: Ministerium für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz; ab April 2005: Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren; im Folgenden vereinfachend: Gesundheitsministerium) vom 28.7.1999 (aaO) bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitraum eine öffentliche Empfehlung von Schutzimpfungen für Säuglinge nur gegen die sechs Infektionskrankheiten Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Haemophilus influenzae b, Polio und Hepatitis B; demgegenüber waren Impfungen gegen Meningokokken-Infektionen ausdrücklich nur für gefährdete Personen öffentlich empfohlen. Zudem galten Kombinationsimpfungen gegen die aufgezählten Schutzimpfungen nur dann als öffentlich empfohlen, wenn alle Einzelkomponenten öffentlich empfohlen waren; auch durften nach der Bekanntmachung für die vorgenannten Schutzimpfungen nur Impfstoffe verwendet werden, die vom Bundesamt für Sera und Impfstoffe (Paul-Ehrlich-Institut) zugelassen und deren Chargen von ihm freigegeben waren. Das LSG hat angenommen, dass gemessen an diesen Voraussetzungen die der Klägerin verabreichten Impfungen jeweils nicht öffentlich empfohlen waren. Zum einen gehörte die Klägerin nicht einem bezogen auf Meningokokken besonders gefährdeten Personenkreis an. Zum anderen wurde sie nach den Feststellungen des LSG jeweils mit einem Siebenfach-Kombinationsimpfstoff geimpft, welcher noch nicht zugelassen war.
An diese Tatsachenfeststellungen, die durch die Revision nicht angegriffen worden sind, ist der erkennende Senat gebunden (§ 163 SGG). Allerdings ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin nicht dreimal ein Siebenfach-Kombinationsimpfstoff injiziert wurde, sondern ihr jeweils zwei Spritzen, die eine mit zugelassenem Sechsfach-Impfstoff, die andere mit noch nicht zugelassenem Einzelwirkstoff gegen Meningokokken-Infektionen, verabreicht wurden (s ua die erst am 27.4.2009 - also nach Verkündung des Senatsurteils - eingegangene Stellungnahme der G. GmbH & Co KG vom 23.4.2009) . Sollte dies zutreffen, wäre fraglich, ob eine solche "Doppel-Injektion" von dem in der Bekanntmachung des Schleswig-Holsteinischen Gesundheitsministeriums vom 28.7.1999 (aaO) gewählten Begriff der "Kombinationsimpfung" umfasst wurde, der nach Auskunft des Robert-Koch-Instituts vom 20.4.2009 von dem in öffentlichen Impfempfehlungen üblicherweise (und inzwischen auch in den Impfempfehlungen des Landes Schleswig-Holstein) verwandten Begriff des Kombinationsimpfstoffs (bzw Mehrfachimpfstoffs) abweicht (vgl dazu allgemein auch Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 2.10.2008 - B 9/9a VJ 1/07 R - RdNr 21, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Von einem weiten Begriffsverständnis geht offenbar das in den Gerichtsakten befindliche Gutachten des MDK-Nord aus, welches als Kombinationsimpfung auch Impfungen mit mehreren Spritzen im Rahmen eines einheitlichen Impftermins bezeichnet. Dagegen könnte sprechen, dass die ministerielle Bekanntmachung vom 28.7.1999 im Weiteren von "Komponenten" einer Kombinationsimpfung spricht. Das LSG wird aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht dieser Frage im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzugehen und die erforderlichen Feststellungen zum Sachverhalt und zum Landesrecht zu treffen haben. Läge nämlich eine Kombinationsimpfung im Sinne der Bekanntmachung vom 28.7.1999 (aaO) nicht vor, würde eine Impfung mit zugelassenem Sechsfach-Impfstoff wohl der Impfempfehlung iS von § 60 IfSG entsprechen.
Ausgehend von seinen für den Senat bindenden Feststellungen hat das LSG zu Recht entschieden, dass ein gesetzlicher Versorgungsanspruch der Klägerin ausscheidet. Die Klägerin wurde danach im Rahmen der Impfstudie mit einem Impfstoff geimpft, der zum Zeitpunkt der Injektion noch nicht öffentlich zugelassen war, sondern sich noch in der klinischen Prüfung befand. Auch gehörte sie nach den Feststellungen des LSG nicht zu einem besonders gefährdeten Personenkreis, für den Meningokokken-Impfungen im Säuglingsalter durch das Schleswig-Holsteinische Gesundheitsministerium im Jahr 2002 empfohlen wurden. Ein bei solchen Fallkonstellationen möglicherweise in Betracht kommender Anspruch auf Härteausgleich nach § 63 Abs 5 lfSG iVm § 89 BVG (vgl dazu BSG SozR 3850 § 54 Nr 1) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
2. Auch wenn das gesetzliche Merkmal der öffentlichen Empfehlung hinsichtlich der bei der Klägerin durchgeführten Impfungen nicht erfüllt ist, kann die Klage begründet sein.
Das BSG entscheidet seit dem Urteil vom 29.5.1980 (- 9 RVi 3/79 - BSGE 50, 136, 139 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 32) in ständiger Rechtsprechung, dass dem Tatbestand einer öffentlichen Empfehlung der Impfung der Rechtsschein einer solchen Empfehlung unter bestimmten Voraussetzungen gleichzusetzen ist (s zuletzt Urteil vom 2.10.2008 - B 9/9a VJ 1/07 R -, aaO; s auch Urteil 20.7.2005 - B 9a/9 VJ 2/04 R - BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 29) . Liegen die Voraussetzungen für eine solche "Rechtsscheinshaftung" vor, sind die hier relevanten Impfungen rechtlich entsprechend § 60 Abs 1 IfSG so zu behandeln, als ob sich die ministerielle Empfehlung auf den Fall der Klägerin erstreckt hätte.
Das BSG hat zur Begründung eines solchen Entschädigungsanspruchs kraft Rechtsscheins auf die zivilrechtlichen Grundsätze zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht zurückgegriffen (vgl BSGE 50, 136, 139 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 32) . Diese beruhen auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, denjenigen, der den Rechtsschein einer Vollmacht gesetzt hat, daran festzuhalten, wenn ein Dritter darauf berechtigterweise vertraut hat (vgl grundlegend Bundesgerichtshof ≪BGH≫: BGHZ 5, 111, 116, und BGH NJW 1962, 1003; vgl dazu auchHeinrichs in Palandt, 68. Aufl 2009, § 172 RdNr 7) . Daher hat die zivilrechtliche Anscheins- bzw Duldungsvollmacht zur Voraussetzung, dass 1. ein zum Handeln in fremdem Namen nicht Befugter als Vertreter aufgetreten ist, 2. der Geschäftsgegner davon ausgehen konnte und darauf vertraut hat, dass der als Vertreter Handelnde Vollmacht habe, und 3. der Geschäftsherr das Verhalten des unbefugten Vertreters kannte und nicht dagegen eingeschritten ist, obwohl ihm das möglich gewesen wäre (im Falle der Duldungsvollmacht) bzw er dessen in der Regel wiederholtes und sich über einen gewissen Zeitraum erstreckendes Verhalten zwar nicht kannte, es aber bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen und verhindern können (vgl aus der Rechtsprechung zuletzt etwa BGH NJW 2006, 1971, 1972 MDR 2003, 1283; vgl aus der Literatur dazu insbesondere Schramm in MünchKomm zum BGB, 5. Aufl 2006, § 167 RdNr 47-49 und 54; vgl Heinrichs, aaO, § 172 RdNr 6 ff) .
Diesen allgemeinen Vertrauensschutzgedanken hat das BSG auch für das Impfschadensrecht zum Haftungsmaßstab gemacht. Es hat daher in seiner Entscheidung vom 29.5.1980 einen Impfschadensanspruch kraft Rechtsscheins ebenfalls an das Vorliegen dreier Voraussetzungen geknüpft: 1. eine durch eine Medizinalperson erfolgte Belehrung der betroffenen Personen, die den irrigen Schluss erlaubt, eine Impfung sei öffentlich empfohlen (Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung), 2. eine Veranlassung der Impfung gerade aufgrund des Irrtums, dass ein behördliches Anraten bestehe (für die Impfung kausal gewordener Vertrauenstatbestand) und 3. ein pflichtwidriges Unterlassen der staatlichen Gesundheitsverwaltung, einen für sie zumindest erkennbaren Rechtsschein gegenüber den betroffenen Personen rechtzeitig zu verhindern (Zurechnungstatbestand mit Verschuldensvorwurf; vgl zu den Voraussetzungen BSGE 50, 136, 139 ff = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 32 ff) .
3. Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, lässt sich revisionsgerichtlich noch nicht beantworten.
Das LSG hat das Bestehen eines Impfschadensanspruchs kraft Rechtsscheins zwar geprüft und es für möglich gehalten, dass durch die bei der Impfstudie verwendete schriftliche Elterninformation der falsche Eindruck erweckt worden ist, mit der Teilnahme an der Studie werde einer öffentlichen Impfempfehlung entsprochen. Letztlich hat es dies jedoch ebenso wie die Frage, ob die Eltern der Klägerin in die Impfungen gerade im Vertrauen auf eine vermeintliche Impfempfehlung eingewilligt haben, offengelassen. Es hat den Tatbestand der Rechtsscheinshaftung unter Hinweis darauf abgelehnt, dass es jedenfalls an der staatlichen Zurechenbarkeit eines etwaigen Rechtsscheins fehle. Die Elterninformation sei von dem Hersteller des Impfstoffs und nicht von einer Behörde herausgegeben worden. Auch die in der Elterninformation in Bezug genommene Ethik-Kommission sei in diesem Zusammenhang nicht als zuständige Behörde anzusehen.
Diese Argumentation greift in zweifacher Hinsicht zu kurz. Zum einen differenziert sie nicht hinreichend zwischen der Verursachung des Rechtsscheins einer Impfempfehlung durch einen unbefugten Dritten und dem die Gesundheitsverwaltung betreffenden Zurechnungstatbestand. Auch durch das Zusammenwirken eines Pharmaunternehmens (als "Sponsor" einer Impfstudie) und eines niedergelassenen Arztes (als örtlicher "Prüfer" des Prüfimpfstoffs) kann grundsätzlich der Rechtsschein einer öffentlichen Empfehlung verursacht werden (dazu unter a). Zum anderen kann ein Zurechnungstatbestand nicht allein unter Verweis darauf verneint werden, dass die bei den Ärztekammern gebildeten Ethik-Kommissionen bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und nicht im Zusammenhang mit öffentlichen Impfempfehlungen tätig würden (dazu unter b).
a) Im Rahmen der Teilnahme an einer Impfstudie wie der vorliegenden ist für den irrigen Schluss, die durchgeführte Impfung sei durch die staatlichen Gesundheitsbehörden öffentlich empfohlen worden (Rechtsschein), wie bei jeder Impfung auf die persönliche Belehrung durch den impfenden Arzt, daneben jedoch wesentlich auch auf die in diesem Falle regelmäßig ausgehändigte Patienten- bzw Elterninformation abzustellen. Denn mit diesem Informationsblatt wird bezweckt, die Teilnehmer der Impfstudie über deren Inhalt und Zweck sowie vor allem über die damit verbundenen Risiken aufzuklären.
Nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) dürfen Arzneimittel - auch Sera und Impfstoffe sind Arzneimittel iS des AMG (§ 4 Abs 3 und 4 AMG) - grundsätzlich erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch das Bundesgesundheitsamt oder (bei Sera/Impfstoffen) durch das Paul-Ehrlich-Institut zugelassen worden sind (vgl Rehmann, AMG, 2. Aufl 2003, § 40, Einführung, RdNr 11) . Für die Zulassung des Arzneimittels ist eine klinische Prüfung erforderlich (§ 22 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AMG) . Da die Prüfung der Wirkung eines noch nicht zugelassenen Präparates am Menschen mit besonderen Gefahren verbunden ist, stellen die §§ 40 ff AMG einen umfangreichen Voraussetzungskatalog für die Zulässigkeit einer klinischen Studie auf. Als eine dieser Voraussetzungen schreibt § 40 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AMG in der hier maßgeblichen Fassung vom 23.10.2001 (BGBl I 2702) mit Wirkung ab 1.1.2002 (im Folgenden: AMG 2002) zwingend die Einwilligung des Patienten vor, die wiederum nur bei dessen sachgerechter und vollständiger Aufklärung wirksam ist (vgl Rehmann, aaO, § 40 RdNr 1) . Deshalb ist unverzichtbarer Bestandteil des Prüfplans (§ 40 Abs 1 Satz 1 Nr 6 AMG) , der eine umfassende Beschreibung der geplanten Arzneimittelstudie enthält sowie Grundlage der rechtlichen und ethischen Bewertung der Studie durch die zuständige Bundesbehörde ist, auch der Inhalt der vorzunehmenden Patientenaufklärung (vgl Deutsch in Deutsch/Lippert, Kommentar zum AMG, 1. Aufl 2001, § 40 RdNr 16; Rehmann, aaO, § 40 RdNr 8) . Diese ist vor Beginn der Studie schriftlich abzufassen und jedem Studienteilnehmer auszuhändigen.
Nach den Feststellungen des LSG war Herausgeber der Elterninformation für die vorliegende Impfstudie das pharmazeutische Unternehmen, dessen Präparat getestet wurde (also der Sponsor). Anders als vom LSG vertreten, kann der Sponsor einer Impfstudie grundsätzlich (Mit-)Verursacher des Rechtsscheins einer öffentlichen Impfempfehlung sein. Ausgehend von den Grundsätzen zur Rechtsscheinshaftung muss die Irreführung gerade nicht durch eine staatliche Stelle erfolgen, vielmehr kommen insoweit zB auch nicht bei Behörden tätige Medizinalpersonen in Betracht. Das BSG hat schon in seiner Entscheidung vom 29.5.1980 (vgl BSGE 50, 136, 139 f = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 31 ff) das Verhalten einer Säuglingsschwester für grundsätzlich geeignet erachtet, einen Rechtsscheintatbestand auszulösen. Eine solche Medizinalperson stellt - selbst wenn sie regelmäßig mit der Vornahme von Impfungen in Berührung kommt - gegenüber dem Gesundheitsministerium als für das Impfwesen und den Ausspruch von Impfempfehlungen zuständiger Behörde zweifelsohne eine zum Ausspruch einer Empfehlung nicht befugte dritte Person dar. Zu fordern ist lediglich, dass der Rechtsschein einer öffentlich , also nicht lediglich privat empfohlenen Impfung erzeugt wurde (vgl dazu BSGE, aaO, S 140 = SozR, aaO, S 34) . Dies kann nicht nur durch Medizinalpersonen, sondern auch durch andere Stellen geschehen, die ersichtlich über eine entsprechende Fachkompetenz verfügen und auf eine staatliche Empfehlung verweisen. Folglich kann auch der den Impfstoff zur Verfügung stellende Sponsor als unbefugter Dritter den Rechtsschein einer Impfempfehlung verursachen, indem er eine irreführende Patienteninformation verfasst und durch den an der Studie als Prüfer beteiligten Arzt an die Patienten ("Impflinge") aushändigen lässt.
b) Die Einstandspflicht des beklagten Landes für einen - auch durch einen Sponsor und/oder örtlichen Prüfer gesetzten - Rechtsschein tritt nur dann ein, wenn der zuständigen Behörde dieser Rechtsschein zurechenbar ist. Entgegen der Ansicht des LSG ist eine solche Zurechnung nach den bisherigen Feststellungen zu den tatsächlichen und landesrechtlichen Gegebenheiten des vorliegenden Falles nicht ausgeschlossen.
aa) Dabei geht der Senat von folgenden Grundsätzen aus:
aaa) Unter Berücksichtigung der hierzu im Zivilrecht für die Duldungs- bzw Anscheinsvollmacht aufgestellten Maßstäbe, wonach ein Zurechnungstatbestand gegeben ist, wenn der Geschäftsherr den Mangel der Bevollmächtigung kannte oder hätte kennen müssen und nicht gegen ein vollmachtsloses Auftreten eingeschritten ist (vgl hierzu aus der Rechtsprechung zB BGH, Urteil vom 12.2.1952 - I ZR 96/51 - BGHZ 5, 111, 116; vgl weiter aus der Literatur zB Schramm in MünchKomm zum BGB, 5. Aufl 2006, § 167 RdNr 59) , macht auch das BSG für die Rechtsscheinshaftung in ständiger Rechtsprechung ein der zuständigen Behörde vorwerfbares Verhalten zur Voraussetzung (BSGE 50, 136, 139 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 32; BSG, Urteil vom 24.8.1982 - 9a/9 RVi 3/81 -, juris) . Maßgeblich ist hiernach, ob die zuständige Behörde den die Rechtsscheinshaftung auslösenden Sachverhalt kannte oder doch bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen und daher den aufgekommenen Rechtsschein hätte verhindern können (vgl BSG, aaO) .
Die Bejahung dieser Voraussetzung macht das BSG in seiner Rechtsprechung davon abhängig, ob der für den Ausspruch von Impfempfehlungen zuständigen Behörde eine schuldhafte Vernachlässigung bestehender Informations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden kann. Es hat insoweit namentlich die Pflicht gesehen, gegenüber massierten Fehlberatungen mit geeigneten Mitteln einzuschreiten, um eine gesetzmäßige Belehrung der Bürger zu gewährleisten (BSGE 50, 136, 139, 142 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 32, 35 f) . Die zuständige Behörde hat also darüber zu wachen, dass sich kein von der tatsächlichen Impfempfehlung abweichendes Beratungswesen etablieren kann; nur so kann dafür Sorge getragen werden, dass die Betroffenen vor eigenen Entscheidungen bewahrt werden, die - auf der Grundlage eines Irrtums - Impfschadensansprüche ausschließen (BSG, aaO) .
Diese Maßstäbe hat das BSG im Zusammenhang mit der Erzeugung eines Rechtsscheins durch eine im Impfwesen beschäftigte Säuglingsschwester aufgestellt (vgl BSGE 50, 136,139, 142 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 32, 35 f) . Entsprechende Überwachungspflichten ergeben sich jedoch nicht nur mit Blick auf das Tätigwerden von Medizinalpersonen, sondern vielmehr überall dort, wo der Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung zur Durchführung einer Impfung beitragen kann, wo also eine zu impfende Person Gefahr läuft, einer Impfung in dem irrigen Vertrauen darauf zuzustimmen, es handele sich um eine öffentlich empfohlene Impfung. Dies folgt aus dem Zusammenhang von Impfempfehlung einerseits und der Entschädigungspflicht des Staates im Falle eines Impfschadens andererseits. Zwar ist dem entschädigungspflichtigen Staat gerade wegen dieser Verknüpfung von Empfehlung und Entschädigung im Interesse der Minimierung seiner Entschädigungspflicht und damit auch des der Gesamtheit der steuerzahlenden Bevölkerung entstehenden Schadens die Möglichkeit eingeräumt, die Bedingungen der Impfung, die er empfiehlt, genau festzulegen (vgl hierzu die insoweit vom Gesetzgeber ausdrücklich formulierte Einschränkungsmöglichkeit, BT-Drucks VI/1568, S 7; sowie dazu auch BSGE 54, 202, 204 = SozR 3850 § 54 Nr 2 S 12, mwN). Dann muss er jedoch dort, wo er bei der Impfempfehlung Einschränkungen gemacht hat, dafür Sorge tragen, dass die Grenzen zwischen der Durchführung einer empfohlenen und der Teilnahme an einer nicht empfohlenen Impfung für den Einzelnen nachvollziehbar sind, also nicht durch fehlerhafte Aufklärung oder Belehrung verwischt werden.
bbb) Die Gefahr, einer Impfung im irrigen Vertrauen auf eine öffentliche Empfehlung zuzustimmen, besteht grundsätzlich auch und gerade im Zusammenhang mit der Durchführung von Impfstudien, also in der klinischen Prüfungsphase eines noch nicht zugelassenen Impfstoffs. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 20.7.2005 im Einzelnen herausgearbeitet, dass zwischen der Impfung im Rahmen einer Impfstudie und der Durchführung einer empfohlenen Impfung mit zugelassenem Impfstoff auf der rechtlichen Ebene eine klare Grenze zu ziehen ist (vgl BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 14 ff) . Er hat ausdrücklich klargestellt, dass ein Entschädigungsanspruch unmittelbar aus § 60 IfSG dann nicht entstehen kann, wenn der Impfstoff sich noch in einer Testphase befindet und deshalb nicht in die Impfempfehlung einbezogen ist (vgl BSG, aaO) . Diese aus rechtlichen Gründen maßgebliche Grenze lässt sich für den Teilnehmer an einer Impfstudie zT nur schwer erkennen, so insbesondere in Fallkonstellationen, in denen ein Studienteilnehmer jedenfalls auch gegen Infektionskrankheiten geimpft wird, für die öffentliche Impfempfehlungen bekanntermaßen bestehen, wenn auch bezogen auf andere Präparate. Dies gilt erst recht, wenn einer von mehreren zeitgleich injizierten Impfstoffen zugelassen ist und eine öffentlich empfohlene Impfung nach der maßgeblichen Impfempfehlung nur deshalb nicht vorliegt, weil der zugelassene Impfstoff neben einem noch nicht zugelassenen Impfstoff injiziert wird.
Die Klarstellung dieser feinen, aber entschädigungsrechtlich erheblichen Unterschiede wird nicht unbedingt ein vorrangiges Anliegen des Sponsors sein, der regelmäßig für den Inhalt der Patienten- bzw Elterninformation verantwortlich ist. Dieser hat ein erhebliches wirtschaftliches Interesse daran, für die Impfstudie eine hinreichende Anzahl von Teilnehmern zu gewinnen. Sein erstes Augenmerk wird daher (auch wenn man davon ausgehen kann, dass er an einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten schon aus haftungsrechtlichen Gründen interessiert sein muss) dahin gehen, in seiner Patienteninformation die bei einer Teilnahme an der Impfstudie entstehenden Vorteile hervorzuheben, dagegen nicht zu betonen, dass die im Rahmen einer Studie verabreichte Impfung nicht der öffentlichen Impfempfehlung entspricht. Die Art und Weise der Aufklärung eines Studienteilnehmers durch den Sponsor kann folglich interessengeleitet sein. Entsprechendes gilt für den Prüfarzt. Dieser hat grundsätzlich ebenfalls ein forschungsbedingtes und möglicherweise auch finanzielles Eigeninteresse daran, für die Studie eine hinreichende Anzahl an Teilnehmern zu finden.
ccc) Mit Blick auf das Zusammenspiel dieser Rahmenbedingungen bei Impfstudien ergeben sich für die zuständige Behörde besondere Kontroll- und Überwachungspflichten. Sie hat dafür Sorge zu tragen , dass der Einzelne nicht durch eine irreführende Formulierung in der Patienten- bzw Elterninformation den falschen Eindruck vermittelt bekommt, bei Teilnahme an der betreffenden Impfstudie gleichzeitig einer öffentlichen Impfempfehlung Folge zu leisten.
Für die Frage, wie weit diese behördliche Verpflichtung reicht, ist nicht darauf abzustellen, ob eine irreführende Patienteninformation schon zum wiederholten Male, also im Rahmen mehrerer Impfstudien in den Rechtsverkehr gelangt ist. Der Senat hat zwar in seiner Entscheidung vom 29.5.1980 (BSGE 50, 136, 142 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 36) ausgeführt, dass die Folgen bloß vereinzelter Belehrungsfehler bei Impfberatungen durch Einzelpersonen dem Land nicht zur Last gelegt werden könnten. Bezogen auf das individuelle Belehrungsverhalten von Ärzten und Krankenschwestern hat er daher eine Überwachungsverpflichtung nur insoweit formuliert, als einem ständigen und längere Zeit andauernden fehlerhaften Belehrungsverhalten entgegenzuwirken sei. Dieser Maßstab, den das BSG aus den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht hergeleitet hat, ist aber nicht auf die Frage der Verletzung von Überwachungspflichten im Zusammenhang mit der Durchführung von Impfstudien in der klinischen Phase übertragbar. Die im Zivilrecht für die Anscheinsvollmacht aufgestellte Voraussetzung, dass an ein wiederholtes und sich über einen gewissen Zeitraum erstreckendes Verhalten anzuknüpfen ist, gründet auf dem Gedanken, dass jemand nur dort rechtlich gebunden sein soll, wo von ihm schon zuvor ein Einschreiten nach Lage der Dinge erwartet werden konnte. Zwar ist hierfür im Regelfall eine gewisse Wiederholung von Sachverhalten zu verlangen. Jedoch ist dies nicht zwangsläufig so; vielmehr ist auch nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung unter Umständen davon abzuweichen und stets eine Betrachtung des konkreten Einzelfalls vorzunehmen (vgl abweichend von den üblichen Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht etwa in Fällen anonymer Massengeschäfte zB BGH,Urteilvom 16.3.2006,III ZR 152/05, NJW 2006, 1971, 1973) .
Auch für die Haftung nach Rechtsscheinsgesichtspunkten im Impfschadensrecht ist daher die Reichweite von Überwachungspflichten mit Blick auf die konkrete Sachverhaltskonstellation zu bestimmen. Von dieser hängt ab, wann ein Tätigwerden der zuständigen Behörde zu erwarten ist. Bei der Durchführung von Impfstudien ergeben sich insoweit zwei Besonderheiten: Zum einen wird die Patienteninformation schriftlich vorab formuliert und ist daher schon vor Beginn der Studie greifbar und überprüfbar. Zum anderen kann gerade wegen der vorgesehenen Verteilung an alle Studienteilnehmer bereits durch eine einzige Unklarheit in einer Patienteninformation eine Vielzahl von fehlerhaften Belehrungen hervorgerufen werden. Vor diesem Hintergrund haben die Kontrollpflichten bei Impfstudien nicht einen bloß reaktiven Charakter; vielmehr ist hier von der zuständigen Behörde - im Rahmen ihrer tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten - grundsätzlich eine präventive Kontrolle des Informationsblattes zu verlangen.
Mit der Formulierung einer solchen Kontrollverpflichtung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seiner Rechtsprechung in der Entscheidung vom 20.7.2005 (vgl BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 29) . Dort ist er nach den Umständen des Falles davon ausgegangen, dass durch die von den Eltern unterschriebene umfängliche "Patienten(Eltern)information und Einverständniserklärung" kein Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung hervorgerufen worden war. Es bestand daher keine Veranlassung, in Bezug auf dieses Informationsblatt den Umfang behördlicher Kontrollpflichten zu erörtern. Hinsichtlich eines möglichen Beratungsfehlers des individuellen Arztes hat der Senat einen behördlichen Zurechnungstatbestand verneint.
bb) Die berufungsgerichtlichen Feststellungen reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob die zuständige Behörde die bei Impfstudien bestehenden Kontroll- und Überwachungspflichten hier sowohl selbst als auch durch nachgeordnete Stellen in ausreichender Weise wahrgenommen hat.
aaa) Zuständig für den Ausspruch von Impfempfehlungen war nach den Feststellungen des LSG auch im Jahre 2002 das Schleswig-Holsteinische Gesundheitsministerium. Die das Impfwesen betreffenden Kontroll- und Überwachungspflichten lagen daher erstverantwortlich in dessen Hand. Allerdings hat das BSG schon in seiner Entscheidung vom 29.5.1980 herausgearbeitet, dass die bestehenden Kontroll- und Überwachungspflichten nicht allein durch das Gesundheitsministerium selbst, sondern auch durch diesem untergeordnete Stellen wahrzunehmen sind; dort hat das BSG insoweit die staatlichen Gesundheitsämter in der Pflicht gesehen (vgl BSGE 50, 136, 142 f = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 36 f) . Zur Begründung hat es ausgeführt, diese seien als Behörden der Gesundheitsverwaltung dem Landesgesundheitsministerium unterstellt; ihrer bediene sich das Ministerium zur Wahrnehmung seiner Gesundheitsverwaltungsaufgaben.
Aus dieser Begründung hat das LSG offenbar abgeleitet, für die Frage der Wahrnehmung der hier relevanten Kontroll- und Überwachungspflichten komme es darauf an, ob die betreffende Stelle eine Behörde der allgemeinen Gesundheitsverwaltung sei. Dementsprechend haben es die Ethik-Kommissionen, die im Rahmen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln tätig werden, nicht als "zuständige Behörden" angesehen. Diese Auffassung teilt der erkennende Senat nicht. Seine Entscheidung vom 29.5.1980 (aaO) ist nicht dahin zu verstehen, dass nur die staatlichen Gesundheitsämter in die Wahrnehmung der ministeriellen Kontrollpflichten einbezogen sein können. Dort ging es um das Impfberatungsverhalten privater Medizinalpersonen, für dessen Überwachung nach ihrer Aufgabenstellung die Gesundheitsämter in Betracht kamen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass in einem anderen Zusammenhang andere dem zuständigen Ministerium untergeordnete Stellen mit der Prüfung und Kontrolle von Vorgängen befasst sein können, aus denen sich der Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung ergeben kann. Ein Versagen solcher Stellen muss dann konsequenterweise auch dem Gesundheitsministerium im Sinne einer Rechtsscheinshaftung angelastet werden.
bbb) Demnach ist zunächst die Frage zu beantworten, ob die Ethik-Kommission eine staatliche Stelle ist, die tatsächlich mit der Prüfung der bei einer Impfstudie verwendeten Patienteninformation befasst ist und dabei (auch) die Aufgabe hat, einer irreführenden Patientenaufklärung entgegenzuwirken. Somit kommt es für die Bejahung einer nachgeordneten Kontrollzuständigkeit nicht auf Anlass und rechtlichen Kontext der prüfenden Tätigkeit, sondern allein auf den konkreten Prüfungsinhalt an, mit dem die staatliche Stelle betraut ist. Nur dieser Blickwinkel wird dem in der Entscheidung des BSG vom 29.5.1980 (aaO) zum Ausdruck kommenden Gedanken gerecht, dass grundsätzlich derjenige mit der Ausübung von Überwachungspflichten befasst sein soll, der an der Patientenbelehrung "näher dran" ist, der also am besten in der Lage ist, eine irreführende Aufklärung zu verhindern. In einem zweiten Schritt ist dann zu klären, ob ein Versagen der Ethik-Kommission dem für Impfempfehlungen zuständigen Gesundheitsministerium zugerechnet werden kann.
Ausgehend davon hat das LSG die Zuständigkeit der Ethik-Kommissionen zu Unrecht allein unter Verweis auf deren Tätigwerden im Rahmen der klinischen Phase von Impfstudien verneint. Entscheidend ist, dass die Ethik-Kommissionen im Zusammenhang mit der Durchführung von Impfstudien auch die Aufgabe haben, die herausgegebenen Patienteninformationen auf inhaltliche Richtigkeit und Klarheit zu überprüfen (dazu unter (1)). Die sich anschließende Frage nach etwaigen Versäumnissen einer Ethik-Kommission und deren Zurechenbarkeit vermag der erkennende Senat mangels hinreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend zu beantworten (dazu unter (2)).
(1) Den nach Landesrecht (im Regelfall bei den Ärztekammern, teilweise jedoch auch bei den Universitäten) gebildeten Ethik-Kommissionen sind bei der Durchführung von Arzneimittelstudien, soweit dies in ihre örtliche Zuständigkeit fällt, zwei unterschiedliche Aufgaben übertragen:
Zum einen haben die Ethik-Kommissionen im Verfahren der Zulassung von Arzneimitteln eine durch den Bundesgesetzgeber zugewiesene Prüfungskompetenz. Nach § 40 Abs 1 Satz 2 iVm § 40 Abs 1 Satz 1 Nr 6 AMG 2002 obliegt es ihnen, vor der Durchführung einer klinischen Studie von Arzneimitteln eine wertende Stellungnahme (Befürwortung oder Ablehnung) anhand eines konkreten Prüfkatalogs (§ 40 Abs 1 Satz 1 Nr 1-8 AMG 2002) zur Vorlage bei der staatlichen Aufsichtsbehörde abzugeben. Zum anderen sind die Ethik-Kommissionen aber auch auf standesrechtlicher Ebene mit Arzneimittelstudien befasst. Sie sind insoweit verpflichtet, ihre Kammermitglieder, und zwar hier die an der Studie als Prüfer beteiligten Ärzte, zu beraten. Diese Aufgabe knüpft an die für Ärzte normierte Berufspflicht an, sich vor der Durchführung klinischer Versuche am Menschen den Rat einer Ethik-Kommission einzuholen. Die Bundesärztekammer hat diese Berufspflicht in ihrer Musterberufsordnung aufgestellt (MBO; bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitraum in § 15 der Fassung der Beschlüsse des 100. Deutschen Ärztetages 1997, geändert durch die Beschlüsse des 103. Deutschen Ärztetags, abgedruckt bei Ratzel/Lippert, Kommentar zur MBO, 3. Aufl 2002) . Die MBO hat zwar nur Vorschlagscharakter, bindet also die Landesärztekammern nicht (vgl Lippert in Ratzel/Lippert, Kommentar zur MBO, 3. Aufl 2002, § 1 RdNr 4) . Sämtliche Ärztekammern haben diese Berufspflicht jedoch in ihre eigenen Berufsordnungen aufgenommen (vgl hierzu Lippert, aaO, iVm den Hinweisen von Lippert in Ratzel/Lippert, aaO, § 15, zu den im Wortlaut abweichenden Fassungen einzelner Berufsordnungen; vgl für Schleswig-Holstein § 15 der Berufsordnung [Satzung] der Ärztekammer Schleswig-Holstein in der hier maßgeblichen Fassung vom 3.2.1999, GVBl S 66 ff; im Übrigen ist diese Verpflichtung auch in § 6 Abs 1 Satz 1 iVm § 30 Nr 2 des schleswig-holsteinischen Gesetzes über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit für die Heilberufe ≪Heilberufegesetz≫ in der hier maßgeblichen Fassung vom 29.2.1996 ≪GVBl 248 ff≫ für den in Schleswig-Holstein tätigen Arzt normiert) .
Beide Aufgaben sind voneinander zu trennen und gegebenenfalls nebeneinander zu erfüllen (vgl hierzu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 10.9.2002 - 9 S 2506/01 -, DÖV 2003, 162 ff; vgl auch Deutsch, Arztrecht, 4. Aufl 1999, RdNr 632; ders/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl 2003, RdNr 949) . In beiden Bereichen ist die Ethik-Kommission aber auch mit der Überwachung einer richtigen Belehrungspraxis bei Impfstudien befasst.
Für die arzneimittelrechtliche Prüfung folgt dies unmittelbar aus § 40 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AMG 2002, der zur Voraussetzung einer positiven Bewertung der Arzneimittelstudie das zwingende Erfordernis der Einwilligung des Patienten und Probanden in die Teilnahme an der Studie aufstellt. Die Ethik-Kommissionen haben daher aus arzneimittelgesetzlicher Sicht nicht nur die Aufgabe, den Patienten und Probanden vor der übermäßigen Gefahr einer körperlichen Verletzung zu schützen, sondern sie haben in gleicher Weise auf die Gewährleistung einer voll informierten Zustimmung der Versuchspersonen hinzuwirken (vgl hierzu Deutsch in Deutsch/Lippert, Kommentar zum AMG, 1. Aufl 2001, § 40 RdNr 16) und deshalb insbesondere Inhalt und Umfang der vorgesehen Aufklärung (also die Patienten- bzw Elterninformation) zu überprüfen.
Eine rechtlich unbedenkliche und damit wirksame Einwilligung zur Teilnahme an einer Studie setzt nicht nur voraus, dass sich die betroffene Person der mit der Arzneimittelprüfung verbundenen gesundheitlichen Gefahren bewusst ist; sie darf vielmehr auch nicht durch ihr von dem Sponsor bzw Prüfer gegebene Informationen über wesentliche Rahmenbedingungen der Studien getäuscht worden sein (vgl dazu allgemein Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl 2003, S 132 mwN) . Insbesondere ist es schädlich, wenn bei dem Probanden der falsche Eindruck erweckt wird, mit der Teilnahme an einer Impfstudie entspreche er einer öffentlichen Impfempfehlung. Ziel einer solchen staatlichen Empfehlung ist es, die Bevölkerung aus Gesundheitsgründen möglichst vollständig zur Durchführung bestimmter Schutzimpfungen zu bewegen (vgl § 20 IfSG). Mithin kann die Vorstellung, einer staatlichen Impfempfehlung nachzukommen, ein wesentliches Motiv dafür sein, der Teilnahme an einem klinischen Vorhaben zuzustimmen, das der Prüfung eines Impfstoffs dient. Daraus folgt, dass das arzneimittelgesetzliche Prüfprogramm der Ethik-Kommission auch eine Kontrolle der Patienten- bzw Elterninformation daraufhin zu umfassen hat, ob diese möglicherweise zu Unrecht suggeriert, die im Rahmen der Studie verabreichten Impfungen seien öffentlich empfohlen.
Auch in ihrem daneben bestehenden berufsständischen Aufgabenfeld ist die Ethik-Kommission mit der Sicherstellung einer richtigen Belehrungspraxis bei Impfstudien befasst. Inhalt der standesrechtlichen Beratung eines Prüfarztes ist zwar die Beurteilung eines beabsichtigten Forschungsvorhabens nach vorwiegend ethischen Maßstäben. Auch in diesem Zusammenhang müssen aber zwangsläufig rechtliche Fragen, die sich im konkreten Fall stellen, in die Beratung mit einfließen (so ausdrücklich Schröder, Ethik-Kommissionen, Embryonenschutz und In-Vitro-Fertilisation: gültige Regelungen im ärztlichen Standesrecht?, VersR 1990, 243, 251) . Die Reichweite der erforderlichen Selbstbeschränkung und Selbstkontrolle eines Arztes im Rahmen eines Forschungsprojektes wird nämlich auch durch rechtliche Bestimmungen, wie zB allgemeine Gesetze zum Schutz der körperlichen Integrität und der Selbstbestimmung des Probanden, beeinflusst (vgl Schröder, aaO) .
Die Pflicht zur Einbeziehung rechtlicher Aspekte gilt dabei insbesondere für Probleme um eine unzureichende Aufklärung der Studienteilnehmer. Rechtliche und ethische Fragen bedingen sich gerade in diesem Zusammenhang. Hätte der Patient bei entsprechender Aufklärung nicht in die Studienteilnahme eingewilligt, so bringt dies mit Blick auf das Erfordernis der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten auch ärztlich-ethische Bedenken mit sich. Deshalb hat sich die angerufene Ethik-Kommission auch bei Durchführung der standesrechtlichen Beratung mit der Frage zu befassen, ob dem Patienten die Rahmenbedingungen seiner Teilnahme an der beabsichtigten Studie bewusst sind.
Folglich hat die Ethik-Kommission bei einer solchen Beratung Einsicht in die vom Sponsor herausgegebene Patienteninformation zu nehmen und diese entsprechend zu prüfen. Das gilt auch dann, wenn die arzneimittelrechtliche Bewertung der betreffenden Patienteninformation durch eine in einem anderen Bundesland ansässige Ethik-Kommission wahrzunehmen war. Zwar ist das Ergebnis der standesrechtlichen Überprüfung eines Forschungsvorhabens - anders als bei dem Tätigwerden einer Ethik-Kommission aufgrund der Vorschriften nach dem AMG - eine reine Konsiliarentscheidung; die Stellungnahmen der Ethik-Kommissionen haben insoweit also den Charakter unverbindlicher Gutachten, die vor den Verwaltungsgerichten unanfechtbar sind (Schröder, aaO) . Gleichwohl aber ist der Inhalt eines solchen unverbindlichen Gutachtens nicht rechtlich bedeutungslos (vgl hierzu Laufs, Arztrecht, 5. Aufl 2003, RdNr 686) . Der Prüfarzt wird sich nämlich im Regelfall schon aus haftungsrechtlichen Gründen (vgl hierzu Lippert in Ratzel/Lippert, Kommentar zur MBO, 3. Aufl 2002, § 15 RdNr 23) etwaige Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Forschungsvorhabens oder die Umstände seiner Durchführung (zB den Inhalt der Patienten- bzw Elterninformation) zu Eigen machen und entsprechend reagieren (vgl Glaeske/Greiser/Hart, Arzneimittelsicherheit und Länderüberwachung, 1993, S 96 f) .
(2) Ausgehend von seiner Rechtsauffassung, dass eine Ethik-Kommission für die Zurechnung des Rechtsscheins einer öffentlichen Impfempfehlung von vornherein nicht in Betracht komme, hat das LSG weder Feststellungen zu einem Verstoß gegen Überwachungspflichten noch dazu getroffen, ob etwaige Versäumnisse einer Ethik-Kommission dem Schleswig-Holsteinischen Gesundheitsministerium zuzurechnen sind. Insofern fehlt eine hinreichende Aufklärung des Sachverhalts sowie der landesrechtlichen Bestimmungen.
Zunächst ist nicht geklärt, welche Ethik-Kommission auf welcher gesetzlichen Grundlage überhaupt mit der Prüfung der Impfstudie befasst war, an der die Klägerin teilgenommen hat. Festgestellt hat das LSG lediglich, dass die bei der Bayerischen Landesärztekammer angesiedelte Ethik-Kommission das Studienvorhaben geprüft hat. Aufgrund der insoweit föderalistisch organisierten Gesundheitsverwaltung ist es zwar zweifelhaft, ob etwaige Versäumnisse der bayerischen Ethik-Kommission dem Schleswig-Holsteinischen Gesundheitsministerium zugerechnet werden können; gänzlich ausgeschlossen ist eine entsprechende landesrechtliche Ausgestaltung jedoch nicht.
Eine Zurechnung käme vor allem bei Versäumnissen einer bei der Schleswig-Holsteinischen Ärztekammer gebildeten Ethik-Kommission in Betracht. Ob diese mit der Prüfung der konkreten Impfstudie befasst war, hat das LSG nicht festgestellt. Möglicherweise war dies in arzneimittelgesetzlicher Hinsicht nicht der Fall. Denn seit der am 11.9.1998 in Kraft getretenen 8. AMG-Novelle (Achtes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 7.9.1998, BGBl I 2649) sah die für den vorliegenden Fall relevante Gesetzesfassung (§ 40 Abs 1 Satz 2 iVm § 40 Abs 1 Satz 1 Nr 6 AMG 2002) ihrem Wortlaut nach nicht mehr die Bewertung des Vorhabens durch alle diejenigen Ethik-Kommissionen vor, in deren Zuständigkeitsbereich sich ein Prüfarzt befand. Vielmehr wurde arzneimittelgesetzlich nur noch die Erstellung eines einzigen Votums, nämlich durch "die für den Leiter der klinischen Prüfung zuständige Ethik-Kommission", zur Voraussetzung für den Studienbeginn gemacht (vgl hierzu Schlacke, Die Pflicht zur Anrufung von Ethik-Kommissionen bei multizentrischen Arzneimittelprüfungen nach der 8. AMG-Novelle, MedR 1999, 551, 552; Deutsch, Arztrecht, 4. Aufl 1999, RdNr 629) . Das LSG hat nicht aufgeklärt, welche Ethik-Kommission für den Prüfungsleiter der vorliegenden Impfstudie zuständig war. Möglicherweise war dies eine bei der Bayerischen Landesärztekammer gebildete Ethik-Kommission; in diesem Fall wäre eine schleswig-holsteinische Ethik-Kommission mit der Überprüfung des Impfvorhabens nach dem AMG nicht zwingend befasst gewesen. Unabhängig davon liegt es nahe, dass der die Klägerin impfende Arzt die für ihn zuständige schleswig-holsteinische Ethik-Kommission nach Standesrecht angerufen und so mit der Überprüfung des von ihm beabsichtigten Studienvorhabens befasst hat.
War eine schleswig-holsteinische Ethik-Kommission mit der Überprüfung der konkreten Impfstudie - sei es nach dem AMG 2002, sei es standesrechtlich - tatsächlich befasst, stellt sich weiter die Frage, ob etwaige Kontroll- und Überprüfungsversäumnisse dieser Ethik-Kommission dem Schleswig-Holsteinischen Gesundheitsministerium zuzurechnen sind. Deren Beantwortung hängt wesentlich von der landesrechtlichen Einbettung der Ethik-Kommissionen in die schleswig-holsteinischen Behördenstrukturen zum hier bedeutsamen Zeitpunkt ab. Eine Zurechnung kommt dabei nicht allein auf der Grundlage einer ausdrücklichen Zurechnungsnorm in Betracht. Vielmehr kann sie je nach landesrechtlicher Ausgestaltung auch dann zu bejahen sein, wenn das Gesundheitsministerium aufsichtsrechtliche Möglichkeiten hätte, um die Erfüllung der Kontroll- und Überwachungspflichten durch die Ethik-Kommission sicherzustellen. Eine bloße Rechtsaufsicht dürfte dabei allerdings nur dann ausreichen, wenn dem Gesundheitsministerium jedenfalls Selbsteintrittsrechte für den Fall fehlender Mitwirkung der Ethik-Kommissionen zukamen. Feststellungen zu der insoweit relevanten landesrechtlichen Ausgestaltung hat das LSG nicht getroffen. Zwar kann auch das BSG den Inhalt von landesrechtlichen Vorschriften aus Gründen der Prozessökonomie feststellen, soweit das LSG dazu auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keine Feststellungen getroffen hat (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 162 RdNr 7b) . Von dieser Möglichkeit hat der Senat jedoch keinen Gebrauch gemacht, weil es ohnehin an Tatsachenfeststellungen für eine abschließende Entscheidung in der Sache fehlt.
ccc) Das LSG hat es zu Unrecht auch unterlassen, der Frage nachzugehen, ob dem Schleswig-Holsteinischen Gesundheitsministerium selbst eine Vernachlässigung seiner spezifischen Kontroll- und Überwachungspflichten vorzuwerfen ist. Wie sich auch schon der Entscheidung des BSG vom 29.5.1980 (BSGE 50, 136, 142 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 36) entnehmen lässt, stellt die Verpflichtung zur Wahrnehmung von Kontroll- und Überwachungspflichten durch eine andere Behörde das Gesundheitsministerium nicht von der eigenen Aufgabenwahrnehmung in diesem Bereich frei, sondern tritt vielmehr neben sie.
Im Hinblick darauf, dass bereits vor Beginn jeder Impfstudie die auszuhändigende Patienten- bzw Elterninformation schriftlich vorliegt und zudem die im eigenen Land gebildeten Ethik-Kommissionen durch den Sponsor und/oder jeden Prüfarzt über eine anstehende Impfstudie zu informieren waren, hätte für das LSG Veranlassung bestanden, sich eingehend damit zu befassen, ob im unmittelbaren Verantwortungsbereich des Gesundheitsministeriums selbst Versäumnisse festzustellen sind. Zur Erfüllung seiner Überwachungspflicht könnten dem Ministerium verschiedene Wege offengestanden haben. Denkbar wäre je nach landesrechtlicher Ausgestaltung beispielsweise die Nutzung aufsichtsrechtlicher Befugnisse gegenüber der Landesärztekammer. So könnten insbesondere Informationsrechte dem Gesundheitsministerium die Möglichkeit eröffnet haben, sich vorab über anstehende Impfstudien zu informieren und sich durch die Ärztekammer über den Inhalt der Patienteninformationen unterrichten zu lassen. Bei Feststellung eines irreführenden Inhalts konnte das Ministerium wahrscheinlich geeignete Maßnahmen ergreifen, um dem Rechtsschein einer Impfempfehlung entgegenzuwirken. Welche Möglichkeiten dem Ministerium in diesem Zusammenhang konkret zur Verfügung gestanden haben, ist Gegenstand landesrechtlicher Ausgestaltung, zu der bislang die erforderlichen Feststellungen fehlen.
4. Da der erkennende Senat die fehlenden Feststellungen zum Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes im Revisionsverfahren nicht alle selbst treffen kann (§ 163 SGG) und auch zu den sich ggf stellenden weiteren Fragen des Vorliegens eines Impfschadens die erforderlichen Feststellungen fehlen, ist das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 S 2 SGG) .
Bei der weiteren Bearbeitung des Falles wird das LSG auch die Rolle des die Klägerin impfenden Arztes in den Blick zu nehmen haben. Denn auf eine mögliche Verletzung von Kontroll- und Überwachungspflichten durch das Gesundheitsministerium und/oder die Ethik-Kommission in Bezug auf die schriftliche Elterninformation kommt es dann nicht an, wenn eine unzureichende Aufklärung der Eltern der Klägerin letztlich wesentlich auf das Verhalten des impfenden Arztes zurückging. Entsprechend verhielte es sich, wenn der Prüfarzt über die betreffende Elterninformation hinaus zusätzliche und insoweit klarstellende Erklärungen, Belehrungen und Erläuterungen gegenüber den Eltern abgegeben hat.
5. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2180186 |
NVwZ-RR 2010, 399 |
FA 2009, 400 |
MedR 2010, 580 |
SGb 2009, 360 |
SGb 2010, 217 |
GesR 2010, 42 |
Breith. 2010, 55 |