Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Kindergeld für die Zeit von Juni 1972 bis Februar 1980 nachzuzahlen hat.

Aus der Ehe der Klägerin mit dem am 10. Mai 1972 verstorbenen Herbert G… sind vier zwischen 1956 und 1964 geborene Kinder hervor-gegangen. Der Ehemann der Klägerin hatte zunächst bis März 1969 Kindergeld bezogen. Danach war die Zahlung des Kindergeldes gemäß § 8 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) eingestellt worden, weil Herbert G… ab 20. März 1969 eine Rente wegen Erwerbsun-fähigkeit aus der Arbeiterrentenversicherung nebst Kinderzuschüssen erhielt.

Nach dem Tode ihres Ehemannes bzw. des Vaters beziehen oder bezogen die Klägerin Witwenrente und die Kinder Halbwaisenrente aus der Arbeiterrentenversicherung.

Im September 1980 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung des Kindergeldes ab Juni 1972. Die rückwirkende Zahlung sei geboten, weil sie nur durch die fehlerhaften Auskünfte des bei der Beigeladenen beschäftigten Zeugen K… von der rechtzeitigen Antragstellung abgehalten worden sei.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit dem Bescheid vom 25. November 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 1981 Kindergeld ab März 1980. Das weitergehende Begehren lehnte sie ab.

Das Sozialgericht (SG) Heilbronn (Urteil vom 26. Juni 1981) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württem-berg hat mit Urteil vom 25. März 1983 die - vom SG zugelassene - Berufung zurückgewiesen: Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BKGG sei das Kin-dergeld nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Antragsmonats zu gewähren. Die Klägerin habe die Beklagte nicht um Aufklärung gebeten; die Beklagte habe deshalb selbst auch keine Aufklärungspflicht verletzt, die einen Herstellungsanspruch der Klägerin begründen könnte. Die Beklagte habe der Klägerin das begehrte Kindergeld im Wege des Herstellungsanspruches auch nicht im Hinblick auf die behauptete fehlerhafte Beratung durch den Zeugen K… zu gewähren. Das Einstehenmüssen der Beklagten für eine mögliche fehlerhafte Beratung durch die Beigeladene sei schon aus rechtlichen Gründen zu verneinen, weil die Beigeladene jedenfalls im Jahre 1972 nicht an dem Kindergeldantragsverfahren beteiligt gewesen sei.

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision in erster Linie geltend, sie sei stets Berechtigte des Kindergeldanspruches im Sinne des § 1 BKGG geblieben. Dieser habe von April 1969 bis Mai 1972 lediglich geruht, so daß die Beklagte nach dem Tode des von den anspruchsberechtigten Ehegatten gemäß § 3 Abs. 3 BKGG zum Leistungsberechtigten bestimmten Ehe-mannes die Kindergeldzahlung von Amts wegen ab Juni 1972 an die Klägerin habe durchführen müssen. Zumindest sei ihr Leistungsbe-gehren aber als Herstellungsanspruch begründet. Das die Leistungspflicht der Beklagten begründende Fehlverhalten liege darin, daß sie keine Vorsorge dafür getroffen habe, bei Wegfall des Kinderzuschusses zu einer Rente aus der Rentenversicherung die Zahlung des nur ruhenden Kindergeldes von Amts wegen aufnehmen zu können. In jedem Falle müsse die Beklagte aber die Folgen des Fehlverhaltens des Zeugen K… im Wege des Herstellungsanspruches ausgleichen.

Die Klägerin beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. März 1983 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. Juni 1981aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. November 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 26. Januar 1981 zu verurteilen, der Klägerin rückwirkend Kindergeld für die Zeit vom 1. Juni 1972 bis 29. Februar 1980 zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

II

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, weil letztere von der Nachholung der Feststellung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen abhängt.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte der Klägerin das Kindergeld für die streitige Zeit nicht aufgrund des für die Kindergeldzahlung für die Zeit bis März 1969 maßgeblich gewesenen Antrages der Ehegatten G… nachzuzahlen hat. Schon aus dem Wortlaut des § 8 BKGG folgt, daß in den Fällen des Zusammentreffens der Ansprüche auf Kindergeld nach den Vorschriften des BKGG und auf Kinderzuschuß nach § 1262 der Reichsversicherungsordnung -RVO- (§ 39 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-, § 60 des Reichsknappschaftsgesetzes -RKG-) zur Vermeidung von Doppelleistungen der Anspruch auf Kindergeld nicht nur ruht, sondern ausgeschlossen ist (vgl. BSGE 32, 46, 47 m.w.N.). Tritt der Ausschlußtatbestand des § 8 BKGG während des laufenden Bezuges von Kindergeld ein, so stellt die Beklagte dementsprechend nicht nur das Ruhen des Kindergeldanspruches fest, sondern sie entzieht diese Leistung endgültig. Demgemäß hat hier der von den Ehegatten G… zunächst gestellte Antrag (§ 17 BKGG) mit der Entziehung des Kin-dergeldes im Jahre 1969 seine Wirkung verloren. Er gilt nicht als Antrag des überlebenden Elternteils im Falle des Todes des anderen Elternteils während des laufenden Kindergeldbezuges fort.

Nach dem Tode ihres Ehemannes und dem damit verbundenen Wegfall seiner Rente und des Kinderzuschusses zu seiner Rente aus der Arbeiterrentenversicherung war die Klägerin allein kindergeldberechtigt. Den aus den zuvor dargelegten Gründen erforderlichen neuen Kindergeldantrag hat die Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG erst im September 1980 gestellt. Diese Tatsachenfest-stellung ist entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG), weil sie von der Klägerin nicht mit rechtserheblichen Rügen angegriffen worden ist. Das gilt insbesondere für die Revisionsrüge, das LSG habe den Beweisantrag der Klägerin auf Vernehmung der Zeugin E… vom 27. Oktober 1981 ohne Angabe von Gründen nicht beachtet. Denn die Klägerin hat die Zeugin E… nicht dafür benannt, daß sie 1972 einen Antrag bei der Beigeladenen gestellt habe, sondern dafür, daß sie damals durch die ihr von dem bei der Beigeladenen tätigen Zeugen K… erteilten Auskunft von der Antragstellung abgehalten worden sei. Dementsprechend konnte das LSG bereits aufgrund der eigenen Sachdarstellung der Klägerin ohne weitere Beweisaufnahme die Tatsache feststellen, daß die Klägerin einen Kindergeldantrag nicht bereits im Jahre1972, sondern erst im September 1980 gestellt hat. Diese Tatsachenfeststel-lung rechtfertigte auch die Entscheidung des LSG, daß die Beklagte aufgrund dieses Antrages gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BKGG das Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor dem Antragsmonat - ab März 1980 - zu zahlen hatte.

Der Klägerin könnte aber das geltend gemachte Kindergeld im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zustehen. Dieser Anspruch ist zwar, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht bereits wegen einer unrichtigen oder unterbliebenen Beratung durch die Beklagte gegeben. Denn nach den unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Klägerin sich vor der Antragstellung im September 1980 nicht wegen ihres Kindergeldanspruches an die Beklagte gewandt. Die Beklagte hat auch keine gegenüber der Klägerin bestehende Betreuungspflicht verletzt, denn sie war nicht verpflichtet, nach dem auf § 8 BKGG beruhenden Erlöschen des dem Ehemann der Klägerin gezahlten Kindergeldes die Akten deshalb unter Kontrolle zu behalten, weil nach dem Wegfall des Kinderzuschusses zur Rente des Ehemannes der Klägerin die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch in der Person der Klägerin erfüllt sein konnten. Eine derartige Entwicklung ist nicht zwingend. Vor allem wird eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die zur erneuten Entstehung des Kindergeldanspruches führen kann, der Beklagten nicht zwangsläufig bekannt.

Der Anspruch könnte aber bestehen, wenn eine zur Mitwirkung an dem Verfahren zur Gewährung des Kindergeldes berufene Behörde ihre Hinweispflicht verletzt hätte und die Unterlassung der Antragstellung durch die Klägerin hierauf beruhen kann.

Wie der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits entschieden hat (Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 34/80 -, BSGE 51, 89 m.w.N.), kann ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung berufene Behörde auch dann gegeben sein, wenn die unzurei-chende Beratung einer anderen Behörde, die vom Gesetzgeber "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist, zu Nachteilen für den Berechtigten geführt hat (BSG aaO S. 95 f). Ebenso hat der 11. Senat des BSG (Urteil vom 13. Dezember 1984 - 11 RA 68/83 -, zur Ver-öffentlichung bestimmt) entschieden, daß der Herstellungsanspruch in Betracht kommt, wenn eine "in den Verwaltungsablauf eingeschalte-te andere Behörde" Pflichten verletzt hat. Dieser Grundsatz gilt auch hier. Zwar hat das LSG hierzu zunächst zutreffend entschieden, daß eine fehlerhafte Beratung durch den Zeugen K… einen Herstellungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht auslöst. Denn die Gemeinden waren 1972 nicht in das Kindergeld-Antrags- und Feststellungsverfahren eingebunden. Dies ist erst seit dem Inkrafttreten des § 16 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) am 1. Januar 1976 der Fall. Eine im Jahre 1972 erfolgte fehlerhafte Beratung durch Bedienstete der Beigeladenen konnte daher allenfalls einen Amtshaftungsanspruch i.S. des § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegen die Beigeladene auslösen; ein solcher Anspruch ist jedoch nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Dahingestellt bleiben kann, ob dem Zeugen K… 1980 ein Beratungsfehler unterlaufen ist. Selbst wenn das der Fall wäre, würde sich dieser Fehler infolge der zur gleichen Zeit erfolgten Antragstellung der Klägerin beim zuständigen Arbeitsamt der Beklagten nicht entscheidungserheblich ausgewirkt haben.

Nicht geprüft hat das LSG hingegen, ob der Rentenversicherungsträger, der den Kinderzuschuß gezahlt hat, im Hinblick auf das Konkur-renzverhältnis zwischen Kinderzuschuß und Kindergeld jedenfalls insoweit arbeitsteilig in das Kindergeld-Verfahren eingeschaltet war, daß er bei Wegfall des Kinderzuschusses auf die Möglichkeit des Wiederauflebens des Kindergeldanspruches hinzuweisen hatte und ob die Unterlassung der Antragstellung im Jahre 1972 auf dem Ausbleiben einer zureichenden Unterrichtung der Klägerin durch den zuständigen Rentenversicherungsträger über die infolge des Todes des Ehemannes der Klägerin eingetretene Änderung der Rechtslage bezüglich des Kindergeldanspruches beruht. Das Kindergeld und die in § 8 Abs. 1 BKGG genannten Leistungen stehen in einem Konkurrenzverhält-nis, in dem der Gesetzgeber den letztgenannten Leistungen den Vorrang eingeräumt hat. Für Laien nicht ohne weiteres erkennbar ist, daß hingegen der Kindergeldanspruch durch den Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht ausgeschlossen wird und daß bei Wegfall der gegenüber dem Kindergeld vorrangigen Leistung i.S. des § 8 Abs. 1 BKGG das Kindergeld neu zu beantragen ist. Aus dieser Verknüp-fung des Kinderzuschusses zur Rente aus der Rentenversicherung mit dem Kindergeld ergab sich als Ausfluß der schon vor dem Inkraft-treten der §§ 13 ff SGB 1 anerkannt gewesenen allgemeinen Fürsorge- und Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers dessen Verpflichtung zur Aufklärung über die Folgewirkungen des Wegfalles des Kinderzuschusses für den Kindergeldanspruch. Das gilt jeden-falls dann, wenn das Kindergeld zunächst wegen der später einsetzenden Zahlung des Kinderzuschusses zur Rente aus der Rentenversi-cherung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG weggefallen war und für dessen erneute Gewährung im Zeitpunkt des Wegfalles des Kinderzu-schusses zur Rente die Voraussetzungen des § 2 BKGG noch gegeben sein konnten. In Fällen dieser Art muß der Rentenversicherungs-träger zwar nicht prüfen, ob die Voraussetzungen für die erneute Gewährung des Kindergeldes gegeben sind; ebensowenig muß er den jetzt Kindergeldberechtigten im einzelnen über die Antragstellung belehren. Gerade weil aber der wegen der Gewährung des Kinderzu-schusses zur Rente weggefallene Kindergeldanspruch nach dem Wegfall des Kinderzuschusses zur Rente auch bei an sich ununterbro-chen fortbestehenden Leistungsvoraussetzungen i.S. des BKGG nicht von selbst wieder auflebte, hatte der Rentenversicherungsträger die sich aus seiner Fürsorgepflicht ergebende Nebenpflicht, zugleich mit der Mitteilung über den Wegfall des Kinderzuschusses zur Rente darauf hinzuweisen, daß der Kindergeldanspruch nunmehr wieder neben der Witwen- und Waisenrente gegeben sein könnte und daß dazu ein Antrag bei dem zuständigen Arbeitsamt zu stellen war. Nur durch eine derart umfassende Information ist gewährleistet, daß nach dem Wegfall des bisherigen Kindergeldberechtigten infolge eines Zusammentreffens von Kindergeld und Leistungen i.S. des § 8 Abs. 1 BKGG und dem späteren Wegfall der mit dem Kindergeld konkurrierenden Sozialleistung der neue Kindergeldberechtigte über die sich aus der Änderung der Sach- und Rechtslage ergebenden Rechtsfolgen hinreichend unterrichtet wird (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 28. Februar 1984 - 12 RK 31/82 SozR 1200 § 14 Nr. 16 m.w.N.).

Dementsprechend wird das LSG zu prüfen haben, ob der für die Gewährung des Kinderzuschusses zur Rente aus der Rentenversicherung des Ehemannes der Klägerin zuständig gewesene Versicherungsträger die Klägerin im Zusammenhang mit dem Wegfall des Kinderzu-schusses darauf hingewiesen hat, daß ihr nach dem Wegfall des Kinderzuschusses das Kindergeld zustehen konnte und an welche Stelle sie sich deshalb zu wenden hatte. Stellt das LSG fest, daß der Rentenversicherungsträger einen derartigen Hinweis nicht erteilt hat und daß diese Unterlassung auch kausal für die Unterlassung der Antragstellung war, so kann der Kindergeldanspruch bei Erfüllung der weiteren - vom LSG bei seinem rechtlichen Ausgangspunkt zu Recht nicht geprüften - Leistungsvoraussetzungen und bei Fehlen von Leis-tungshindernissen gegeben sein. Zwar ist der Rentenversicherungsträger nicht in das eigentliche Kindergeld-Antrags- und Feststellungs-verfahren eingebunden. Gleichwohl muß die Beklagte für eine unterlassene oder unrichtige Beratung einstehen, weil Kindergeld und Kin-derzuschuß zur Rente so sehr miteinander verknüpft sind, daß eine Zusammenarbeit der jeweiligen Leistungsträger geboten ist.

Das LSG wird mit seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.10 RKg 5/84

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518243

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