Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Unmittelbarkeit der Schädigung. Sekundäropfer. Schockschaden. Verübung der Straftat im Ausland. Territorialitätsprinzip
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Gewaltopferentschädigung nach dem OEG beruht darauf, dass den Staat eine besondere Verantwortung für Personen trifft, die durch eine vorsätzliche Straftat geschädigt werden. Der Umstand, dass die Gewalttat innerhalb eines staatsfreien Innenraums wie dem der Familie oder vergleichbarer Beziehungen stattgefunden hat, führt nicht zur Versagung der Entschädigung, obwohl dieser Bereich den staatlichen Sicherheitskräften nur beschränkt zugänglich ist, und zwar auch dann nicht, wenn der innerfamiliäre Zustand die Gefahr einer Gewalttat in sich barg.
2. Der Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt eine “unmittelbare” Schädigung des Opfers voraus. Ob eine solche vorliegt, beurteilt sich je nach den Umständen des Einzelfalls, wertend anhand des Schutzzwecks des Gesetzes (vgl. BSG, B 9 VG 3/02 R). Auf dieser Grundlage schützt § 1 Abs. 1 S. 1 OEG auch sog “Sekundäropfer”.
3. Eine mangelnde zeitliche und örtliche Nähe (etwa bei Schock durch Nachrichtenüberbringung) stellt die erforderliche Unmittelbarkeit nicht grundsätzlich in Frage. Vielmehr wird diese ggf. durch die enge persönliche Beziehung zwischen Primär- und Sekundäropfer begründet.
4. Soweit die Straftat außerhalb des Geltungsbereichs des OEG verübt wird und der Primärschaden auch dort eintritt, schließt es das dem OEG innewohnende Territorialitätsprinzip aus, dem Sekundäropfer auf Grund der seinerseits innerhalb des Geltungsbereichs erlittenen Schockschädigung einen Entschädigungsanspruch zuzubilligen. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
Normenkette
OEG § 1 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3, 20
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen eines sog Schockschadens im Wege der Neufeststellung nach § 44 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Die Klägerin ist die Mutter der am 29. Oktober 1980 geborenen und am 11. April 1998 getöteten N.… W.…, für die sie das Sorgerecht hatte, während das Aufenthaltsbestimmungsrecht beim Jugendamt der Stadt Solingen lag. Seit November 1988 lebte N.… in einem Kinderheim. Ende 1997 zog sie zu dem 1964 geborenen …(W…), der zu zwölf Vorstrafen wegen verschiedener Eigentumsdelikte, schwerer Brandstiftung, Bedrohung und Nötigung sowie vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung, zuletzt wegen Körperverletzung zum Nachteil von N.… verurteilt worden und dessen Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt war. In der Nacht zum 13. Februar 1998 prügelte er N.… zum wiederholten Male und warf sie aus der gemeinsamen Wohnung. Seitdem wohnte N.… in einer Notschlafstelle der Stadt Solingen, wo es am 23. März 1998 erneut zu einer Auseinandersetzung mit W… kam. Am 31. März 1998 erbat N.… vom Jugendamt die Genehmigung, mit vier Freunden, deren Namen sie sich ausgedacht hatte, ab 2. April 1998 zum Urlaub nach Frankreich zu fahren; sie versicherte, W… werde nicht mitkommen. Tatsächlich reiste sie am 10. April 1998 mit W, dessen beiden Brüdern W.… und M.… W.… sowie dem gemeinsamen Freund T.… M.… an die Atlantikküste nach Frankreich (Gemeinde Hautot sur Mer). Die Brüder M.… und W.… W.… nächtigten dort in einem VW-Bus, W… mit T.… M.… und N.… in einem Zelt. Am frühen Morgen des 11. April 1998 entfernte sich T.… M.… vom Schlafplatz, um nach Hause zu fahren. W… tötete N.… durch Stiche mit einem von seinem Bruder W.… geliehenen Messer. Am Abend informierten zwei Kriminalbeamte die Klägerin über den Tod ihrer Tochter. Das Schwurgericht Seine-Maritime verurteilte W… am 3. November 2000 wegen vorsätzlicher Tötung von N.… W.… zu einer Zuchthausstrafe von 18 Jahren.
Am 2. Mai 1998 beantragte die Klägerin Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Dazu machte sie geltend, durch die Nachricht von der Ermordung ihrer Tochter habe sie sich ein seelisches Leiden zugezogen. Der Antrag blieb ohne Erfolg (Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 7. September 1998).
Mit Antrag vom 17. März 2000 begehrte die Klägerin die Rücknahme des Bescheides vom 7. September 1998, was der Beklagte ablehnte (Bescheid vom 10. November 2000; Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2000). Auch Klage (Urteil des Sozialgerichtsgerichts Düsseldorf ≪SG≫ vom 8. Juni 2001) und Berufung der Klägerin (Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ≪LSG≫ vom 16. Juli 2002) blieben ohne Erfolg.
In den Entscheidungsgründen des Urteils vom 16. Juli 2002 heißt es ua: Das OEG gewähre keinen Anspruch auf Versorgung, wenn sich eine Schädigung – etwa auch des Sekundäropfers als unmittelbarer Tatzeuge – nicht im räumlichen Schutzbereich des OEG, sondern zB in Frankreich ereigne. Nur für den räumlichen Geltungsbereich des OEG könne deutschen Organen eine Verantwortung für die Sicherheit der Menschen und für die Aufklärung von Straftaten zugeschrieben werden. Nach dem Ergebnis der Beweiserhebung habe W… die Tochter der Klägerin nicht auf Grund eines umfangreichen Tatplans nach Frankreich gelockt, um sie dort zu töten; vielmehr habe er auf Grund eines kurzfristigen Entschlusses vor Ort in Frankreich gehandelt. Dieser Tathergang entspreche auch dem Persönlichkeitsprofil des Täters. Zwar gebiete der Schutzzweck des § 1 Abs 1 OEG auch, einen kausalen Zusammenhang zwischen Gewalttat und Drittschädigung anzunehmen, wenn eine Person die Nachricht von der vorsätzlichen Tötung eines nahen Angehörigen erhalte und dadurch einen Schock erleide. Diese Lockerung des Unmittelbarkeitserfordernisses greife indessen nur, soweit der Tatzeuge am Tatort geschützt wäre. Der Klägerin wäre Versorgung nach dem OEG zu versagen, hätte sie unmittelbar am Tatort in Frankreich körperliche Verletzungen – etwa durch Messerstiche – selbst erlitten oder aber als Augenzeugin einer solchen Tat sich einen seelischen Schaden zugezogen. Nur dadurch, dass sie erst in Deutschland mittelbar vom Tatgeschehen in Frankreich erfahren habe, könne sich ihre Rechtsstellung nicht verbessern. Dieses Ergebnis verletze weder das Grundgesetz noch das Recht der Europäischen Union.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 1 Abs 1 OEG. Dafür stützt sie sich im Wesentlichen auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 27. September 2001 – L 6 VG 3894/98 –. Das schadenstiftende Geschehen sei für sich und unabhängig vom Ende der Gewalttat an ihrem Kinde zu betrachten. Die versorgungsrechtlich beachtliche Ursachenkette habe erst mit der Schädigung ihrer Psyche in Deutschland geendet. Dies sei bei dem ursprünglichen Ablehnungsbescheid vom 7. September 1998 rechtswidrig verkannt worden. Die schädlichen Auswirkungen der Gewalttat auf sie habe das LSG gar nicht erst geprüft. Seine Beweiswürdigung zum Tathergang habe es ausschließlich auf die Angaben des Täters und der Tatzeugen, sämtlich enge Verwandte des Täters, gestützt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 16. Juli 2002 sowie das Urteil des SG vom 8. Juni 2001 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 10. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2000 zu verurteilen, den Bescheid vom 7. September 1998 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen und ihr ab 1. April 1998 Beschädigtenrente wegen der Gewalttat vom 11. April 1998 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt unter näherer Darlegung,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, sie hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 7. September 1998, weil dieser nicht wie von § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X vorausgesetzt, auf unrichtiger Rechtsanwendung beruht oder dabei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden ist; im Bescheid wurde vielmehr zutreffend ein Anspruch der Klägerin auf Opferentschädigung verneint. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass Entschädigungsansprüche wegen eines in Deutschland erlittenen Schocks ausgeschlossen sind, wenn die Straftat außerhalb des Geltungsbereichs des OEG verübt worden und dort die Primärschädigung eingetreten ist (Senatsurteil vom 10. Dezember 2002, BSGE 90, 190 = SozR 3-3800 § 1 Nr 23 S 106).
In dem als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ist geregelt: Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen deren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Wie der Senat in seiner Grundsatzentscheidung vom 10. Dezember 2002 aaO (mwN) auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung eingehend dargelegt hat, beruht die Gewaltopferentschädigung nach dem OEG darauf, dass den Staat eine besondere Verantwortung für Personen trifft, die durch eine vorsätzliche Straftat geschädigt werden. Die Tatsache, dass der Staat es im Einzelfall nicht vermocht hat, durch den Schutz der Rechtsordnung den Bürger vor einem gewaltsamen Angriff zu bewahren, lässt das Bedürfnis nach einem Eintreten der Gesellschaft für Schäden aus einem solchen Angriff hervortreten. Allerdings führt der Umstand, dass die Gewalttat innerhalb eines staatsfreien Innenraumes wie dem der Familie oder vergleichbarer Beziehungen stattgefunden hat, nicht zur Versagung der Entschädigung, obwohl dieser Bereich den staatlichen Sicherheitskräften nur beschränkt zugänglich ist, und zwar auch dann nicht, wenn der innerfamiliäre Zustand die Gefahr einer Gewalttat in sich barg.
Weiter geht der erkennende Senat davon aus, dass – entsprechend dem Regelungssystem der Kriegsopferversorgung – auch der Entschädigungsanspruch nach dem OEG eine unmittelbare Schädigung des Opfers voraussetzt. Die vor allem aus dem Wortlaut des § 1 Abs 1 BVG (“wer”) und des § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 BVG als Erfordernis abgeleitete Unmittelbarkeit wird grundsätzlich als enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung iS einer engen, untrennbaren Verbindung beider Tatbestandselemente ohne örtliche und zeitliche Zwischenglieder verstanden. Sie betrifft eine Vorfrage der Kausalität und begrenzt den berechtigten Personenkreis. Ob das Opfer einer Gewalttat durch den Angriff “unmittelbar” geschädigt worden ist, beurteilt sich je nach den Umständen des Einzelfalls wertend anhand des Schutzzwecks des Gesetzes (vgl zur Abgrenzung der unmittelbaren feindlichen Ausrichtung: Senatsurteil vom 10. Dezember 2003 – B 9 VG 3/02 R –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, mwN). Auf dieser Grundlage schützt § 1 Abs 1 Satz 1 OEG auch sog “Sekundäropfer”; im Anschluss an die Rechtsprechung zur Kriegsopferversorgung zählen hierzu auch solche Personen, deren Schädigung und Schädigungsfolgen psychischer Natur sind. Im Ergebnis werden die psychischen Auswirkungen einer schweren Gewalttat als mit dieser so unmittelbar verbunden betrachtet, dass beide eine natürliche Einheit bilden. In der Anerkennung von Schockschadensopfern liegt keine Erweiterung des Personenkreises gegenüber dem BVG, wenngleich darin ein weites Verständnis des Begriffs der Unmittelbarkeit zum Ausdruck kommt.
Eine Einbeziehung aller durch Kenntnisnahme von der Gewalttat psychisch geschädigten Personen in den Kreis der Anspruchsberechtigten würde indessen den Rahmen dieser auf dem Ausnahmetatbestand der “aberratio ictus” beruhenden Erweiterung der zu entschädigenden Fälle sprengen. Der Senat hat den insoweit gebotenen engen Zusammenhang (vgl dazu neuerdings Senatsurteile vom 12. Juni 2003 – B 9 VG 8/01 R –, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, und – B 9 VG 1/02 R –) bejaht, wenn das Sekundäropfer am Tatort unmittelbar Zeuge der Tat gewesen ist, als der seelische Schock eintrat, und es zudem aus Gründen einer sachgerechten Fassung des Schutzbereichs des OEG als erforderlich angesehen, die Unmittelbarkeit jedenfalls bei nahen Angehörigen auch dann anzunehmen, wenn eine solche Person die Nachricht von der vorsätzlichen Tötung des Primäropfers erhält und dadurch einen Schock erleidet, ohne dass eine Tatzeugenschaft vorliegt. Da die Nachrichtenübermittlung generell eine räumliche und zeitliche Distanz zum primären Tatgeschehen bedingt, eignet sich dieses Merkmal hier nicht als Abgrenzungskriterium. Es spielt dabei auch keine Rolle, mit welchem Medium die Todesnachricht übermittelt wird. Jedenfalls ist eine mangelnde zeitliche und örtliche Nähe grundsätzlich nicht dazu angetan, die erforderliche Unmittelbarkeit in Frage zu stellen. Vielmehr wird diese ggf durch die enge persönliche Beziehung zwischen Primär- und Sekundäropfer begründet (zur personalen Nähe bei getrennt lebenden Eheleuten vgl Senatsurteil vom 12. Juni 2003 – B 9 VG 1/02 R – mwN).
Gemessen an diesen Kriterien käme eine Entschädigung der Klägerin nach dem OEG nur in Betracht, wenn sie infolge der Nachricht über die Tötung ihrer Tochter, also einer besonders nahen Angehörigen, einen Schockschaden erlitten hätte, wozu das LSG allerdings – von seinem Standpunkt auch zu Recht – keine Feststellungen getroffen hat (vgl dazu auch Senatsurteil vom 8. August 2001, BSGE 88, 240, 245 = SozR 3-3800 § 1 Nr 20 S 88).
Der Entschädigungsanspruch der Klägerin scheitert hier daran, dass der tätliche Angriff auf ihre Tochter und deren Schädigung in Frankreich, also im Ausland, stattgefunden hat. Ihm steht das dem OEG innewohnende Territorialitätsprinzip entgegen.
Nach der ausdrücklichen Regelung des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG erhält ua nur derjenige Gewaltopferentschädigung, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Somit werden jedenfalls solche Fälle vom OEG nicht erfasst, bei denen sich der Angriff und die Schädigung im Ausland ereignet haben. Demgemäß hat ein im Ausland stationierter deutscher Soldat, dessen Ehefrau außerhalb des dortigen NATO-Stützpunktes einer Gewalttat zum Opfer fiel, für sich und seine Kinder keinen Hinterbliebenenrentenanspruch (Senatsurteil vom 18. Juni 1996 – 9 RVg 4/94 – USK 9663).
Der Gewaltopferschutz im Ausland bleibt grundsätzlich der Rechtsordnung des jeweiligen Aufenthaltsstaates überlassen. In seinen Genuss können deutsche Staatsangehörige ggf bei Vorliegen entsprechender zwischen- oder überstaatlicher Vereinbarungen gelangen. Eine weitere Frage ist dann, inwieweit dort auch psychische Sekundärschäden entschädigt werden. Allenfalls kann durch das Erfordernis der Gegenseitigkeit (vgl § 1 Abs 4 Nr 3 OEG) Einfluss genommen werden, Deutschen bei Schädigungen durch Gewalttaten im Ausland einen Versorgungsschutz wie im Inland zu verschaffen (vgl Senatsurteil vom 6. März 1996, SozR 3-3800 § 10 Nr 1 S 4 ff).
Problematisch ist die Anwendung des in § 1 Abs 1 Satz 1 OEG verankerten Territorialitätsprinzips auf Fälle, bei denen – wie hier – der tätliche Angriff und die primäre Schädigung im Ausland erfolgt sind, jedoch ein naher Angehöriger im Inland durch die Nachricht über dieses Geschehen einen Schock, dh eine sekundäre Schädigung, erlitten hat. Hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs des OEG ist der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig. Nach der gesetzgeberischen Konzeption wird die Entschädigungspflicht des Staates durch die Grenzen seines Sicherheitsregimes beschränkt. Nur im räumlichen Geltungsbereich des OEG (einschließlich deutscher Schiffe und Luftfahrzeuge) können die deutschen Organe eine Verantwortung für die Sicherheit der Menschen und für die Aufklärung von Straftaten tragen. Soweit die Straftat außerhalb des Geltungsbereichs des OEG verübt wird und der Primärschaden auch dort eintritt, schließt es der Schutzzweck des Gesetzes aus, dem Sekundäropfer auf Grund der seinerseits innerhalb des Geltungsbereichs erlittenen Schockschädigung einen Entschädigungsanspruch zuzubilligen. In Fällen wie dem vorliegenden ist die Bundesrepublik Deutschland objektiv nicht in der Lage, die Primäropfer (hier die Tochter der Klägerin) vor den an ihnen begangenen Gewalttaten zu schützen und den rechtswidrigen Angriff zu verhindern. Der Ort des Eintritts der Schockschädigung reicht insoweit nicht aus, um einen hinreichenden Inlandsbezug zu begründen. Da die psychischen Auswirkungen eines Gewaltgeschehens mit diesem eine natürliche Einheit bilden, ja ohne dieses nicht zu denken sind, hält es der Senat nicht für sachgerecht, in Ansehung des Territorialitätsprinzips Primär- und Sekundärschädigung unabhängig von einander zu betrachten. Entsprechend der gesetzgeberischen Konzeption, die an die Gewalttat anknüpft, ist dabei vielmehr entscheidend auf den Ort der Gewalttat und der Primärschädigung abzustellen. Fallen diese Vorgänge nicht in den Geltungsbereich des OEG, so kann sich der Schutz dieses Gesetzes auch nicht auf die damit zusammenhängende Schockschädigung erstrecken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter eine sekundäre Schädigung bei nahen Angehörigen seines primären Opfers in seinen Vorsatz mit aufgenommen hat.
Bei einer anderen Beurteilung ergäben sich auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl Art 3 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) unzuträgliche Konsequenzen, auf die auch schon im Berufungsurteil hingewiesen worden ist. Denn weder erscheint es angängig, inländische Sekundäropfer zu entschädigen, wenn die im Ausland betroffenen Primäropfer von einer Anwendung des OEG ausgeschlossen sind, noch ließe es sich rechtfertigen, wenn Personen, die im Inland durch die Nachricht über eine ausländische Primärschädigung einen Schock erleiden, entschädigungsrechtlich besser gestellt würden als solche, die durch ein unmittelbares Tatzeugenerlebnis im Ausland psychisch beeinträchtigt werden. Das zeigt auch ein Blick auf den vorliegenden Fall: Hätte die Klägerin den Schockschaden während eines (gedachten) gemeinsamen Frankreich-Urlaubs bei sonst vergleichbaren Gegebenheiten (telefonische Benachrichtigung über den Tod der Tochter) erlitten, könnte sie eindeutig nicht nach dem OEG entschädigt werden. Nicht anders verhielte es sich, wenn sie dort sogar unmittelbar nach der Tat Zeugin des Geschehenen geworden wäre. Nur deshalb, weil sie sich seinerzeit in Deutschland aufgehalten hat, darf ihr keine bessere Rechtsstellung erwachsen. Dies gilt auch im Vergleich zu ihrer Tochter, für die, wenn sie die Tat überlebt hätte, ebenfalls eine Entschädigung nach dem OEG entfiele.
Der erkennende Senat braucht hier nicht darüber zu befinden, wie Fälle zu behandeln sind, bei denen der tätliche Angriff im Inland erfolgt, die (primäre) Schädigung jedoch im Ausland eingetreten ist (vgl dazu Behn, ZfS 1993, 289, 290). Denn der vorliegende Fall bietet nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen, das Bundessozialgericht bindenden Feststellungen des LSG keine Anhaltspunkte dafür, dass hinreichende Elemente der in Frankreich vollendeten Tat bereits in Deutschland stattgefunden haben.
Eine verfassungswidrige Regelungslücke, die gegebenenfalls nach Art 3 Abs 1 und Art 20 Abs 1 GG zu schließen wäre, liegt hier nicht vor. Die Bundesregierung hat bereits nach den Ereignissen vom 11. September 2001 in den USA herausgestellt, dass der deutsche Staat vor dererlei Schädigungen seine Bürger nicht zu schützen vermag; dies sei auch vor dem Hintergrund des unkalkulierbaren Kostenrisikos hinzunehmen (vgl BT-Drucks 14/7270). Eine solche Zielstellung ist angesichts des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums nicht willkürlich (BVerfGE 87, 234, 262 ff mwN). Dementsprechend verbietet sich auch unter dem Gesichtspunkt einer Kompensation entsprechender Schwächen im ausländischen oder zwischenstaatlichen Recht eine “lückenfüllende” Rechtsauslegung iS einer Erstreckung der deutschen Gewaltopferentschädigung auf Schockschäden, die infolge von Auslandstaten eingetreten sind (zur Rechtsfortbildung vgl Senatsurteil vom 16. April 2002, BSGE 89, 199, 202 ff = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 95 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen