Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheitenentschädigung
Beteiligte
…, Kläger und Revisionsbeklagter |
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten, Mannheim, Dynamostraße 7 - 9, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um Berufskrankheitenentschädigung.
Der im Jahre 1927 geborene Kläger ist Müllermeister und betrieb das Müllerhandwerk in der eigenen Mehlmühle seit dem Jahre 1953. Dabei trug und bewegte er regelmäßig in großer Zahl Getreide- und Mehlsäcke mit einem Gewicht bis zu 100 kg. Nachdem bei ihm bereits im Jahre 1982 osteochondrotische und spondylarthrotische Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) und der Lendenwirbelsäule (LWS) festgestellt worden waren, traten in den Jahren 1986 und 1987 Beschwerden im Bereich des Rückens und des linken Beines auf. Im Sommer 1987 wurde der Kläger wegen akuter Lumboischialgie und einer Bandscheibenvorwölbung im Bereich des LWS stationär behandelt. Ende des Monats Dezember 1987 gab der Kläger seinen Mühlenbetrieb auf. Daraufhin erhielt er von der Landesversicherungsanstalt Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Im April 1988 zeigte der Kläger der Beklagten seine Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK) an, die er auf schweres Tragen zurückführte, und begehrte Entschädigung. Dies lehnte die Beklagte zunächst ab (Bescheid vom 28. Mai 1990).
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim abgewiesen (Urteil vom 11. Juli 1991). Soweit die Beklagte den Anspruch nach § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) abgelehnt habe, sei der angefochtene Bescheid bereits dadurch bindend geworden, daß der Kläger diesen Anspruch im Klageverfahren nicht mehr verfolgt habe, da die geltende Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) idF der Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl I 400) in ihrer Anlage 1 Wirbelsäulenveränderungen als Folgen des Hebens und Tragens von schweren Lasten nicht aufführe. Auch eine Entschädigungspflicht der Beklagten nach § 551 Abs 2 RVO sei nicht zu bejahen, da die hierfür erforderlichen neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nicht vorlägen. Der in der mündlichen Verhandlung gehörte medizinische Sachverständige habe im übrigen darauf verwiesen, daß die bei dem Kläger vorliegenden Veränderungen der gesamten Wirbelsäule "keineswegs dem Lebensalter voreilten".
Aufgrund der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Sektion "Berufskrankheiten", Wirbelsäulenerkrankungen als BKen in die Anlage 1 zur BKVO aufzunehmen (4. Februar 1992), hat auch der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften in einem Rundschreiben vom 17. Februar 1992 (VB 20/92) eine Entschädigung vorab nach § 551 Abs 2 RVO für unbedenklich gehalten. Daraufhin hat die Beklagte ihre Ermittlungen wieder aufgenommen und mit erstmaligem Auftrag vom 29. Oktober 1992 ein chirurgisches Fachgutachten des Dr. L vom 5. Mai 1993 eingeholt. Danach bestehen bei dem Kläger berufsbedingt Verschleißumformungen der mittleren und unteren HWS als eine bandscheibenbedingte HWS-Erkrankung entsprechend der Nr 2109 und Verschleißumformungen der gesamten LWS als eine Erkrankung der LWS entsprechend der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO idF der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 (2. ÄndVO [BGBl I 2343]). Die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 vH ab Antragstellung. Mit Bescheid vom 8. Juli 1993 hat es die Beklagte erneut abgelehnt, die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als BK anzuerkennen. Das folge aus versicherungsrechtlichen Gründen trotz des medizinischen Nachweises einer berufsbedingten Wirbelsäulenerkrankung durch das Gutachten des Dr. L . Die seit dem 1. Januar 1993 in Kraft befindliche BKVO bestimme in Art 2 Abs 2, eine Erkrankung nach den neuen Nrn 2108 und 2109 der Anlage 1 sei als BK anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten sei. Das treffe beim Kläger jedoch nicht zu. Er habe die schädigende Tätigkeit, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, am 31. Dezember 1987 aufgegeben, so daß der Versicherungsfall vor dem 1. April 1988 eingetreten sei. Deshalb stehe ihm kein Entschädigungsanspruch zu.
Das Landessozialgericht (LSG) hingegen hat die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 28. Mai 1990 und 8. Juli 1993 dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger Verletztenrente zu gewähren (Urteil vom 26. Oktober 1993). Zwar stehe dem Kläger dieser Anspruch nicht nach § 551 Abs 1 RVO iVm den Nr 2108 und 2109 der Anlage 1 zur BKVO nF zu, weil der Versicherungsfall mit der Aufgabe der Berufstätigkeit als Müller bereits Ende Dezember 1987 eingetreten sei (Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO). Die Gesundheitsstörungen im Bereich der HWS und der LWS seien jedoch nach § 551 Abs 2 RVO zu entschädigen. Spätestens mit der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 4. Februar 1992 seien alle Voraussetzungen dieser Gesetzesvorschrift einschließlich ausreichend starker neuer medizinischer Erkenntnisse erfüllt gewesen. Eine Entscheidung der Beklagten in der Zeit danach bis zum Inkrafttreten der 2. ÄndVO am 1. Januar 1993 hätte dem Kläger danach die Entschädigung gewähren müssen. Daran habe auch die 2. ÄndVO entgegen der Meinung des Bundessozialgerichts (BSG) in dem Urteil vom 30. Juni 1993 (2 RU 16/92) nichts ändern können. Dem Verordnungsgeber sei es aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt, den Anwendungsbereich des § 551 Abs 2 RVO einzuschränken. Das Prinzip der Gewaltenteilung (Art 20 Abs 2 Satz 2 Grundgesetz [GG]) und der Vorrang des Gesetzes (Art 20 Abs 3 GG) stünden einer Abänderung des (formellen) Gesetzes durch einfache Rechtsverordnung entgegen. Dem durch § 551 Abs 1 RVO ermächtigten Verordnungsgeber sei in dieser Vorschrift nicht auch die Befugnis eingeräumt, einen nach § 551 Abs 2 RVO bereits entstandenen Anspruch völlig zu beseitigen. Soweit die bei der Prüfung des § 551 Abs 2 RVO erhebliche Frage, ob neue Erkenntnisse vorlägen, die zu der Entschädigung einer Erkrankung wie eine BK führen könnten, eine allein nach Maßgabe der in § 551 Abs 2 geregelten Anspruchsvoraussetzungen zu beantwortende (Tatsachen-)Frage sei, komme den Vorstellungen des Verordnungsgebers über eine begrenzte Rückwirkung für die Zeit vor der Aufnahme in die BK-Liste keine Bedeutung zu. § 551 Abs 2 RVO solle die Lücke bei der Entschädigung von BKen schließen, die dadurch entstehe, daß die BKVO nur in Abständen von mehreren Jahren ergänzt und nicht unmittelbar nach jeder neuen Erkenntnis angepaßt werde. Diese Rechtsauslegung verhindere auch einen Eingriff in die (Renten)Anwartschaftsrechte, die jedenfalls dann, wenn sie - bei unfallversicherten Unternehmern wie dem Kläger - Äquivalent eigener Beitragsleistungen seien, dem Schutz des Art 14 Abs 1 GG unterfielen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 551 Abs 2 RVO. Das BSG habe bereits entschieden, daß Rückwirkungsvorschriften der BKVO auch die Fälle des § 551 Abs 2 RVO erfaßten.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Oktober 1993 aufzuheben, die Klage gegen den Bescheid vom 8. Juli 1993 abzuweisen und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. Juli 1991 zurückzuweisen. |
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Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
II
Die Revision ist begründet.
Die beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen im Bereich der HWS und der LWS sind keine entschädigungspflichtige BK und auch nicht wie eine BK zu entschädigen.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach § 551 Abs 1 RVO iVm der Anlage 1 zur BKVO zusteht. Zwar hat die Beklagte in dem gemäß § 96 Abs 1 iVm § 153 Abs 1 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheid vom 8. Juli 1993, der als mit der Klage angefochten gilt (s Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, VI RdNr 110), aufgrund des Gutachtens vom 5. Mai 1993 anerkannt, daß der medizinische Nachweis einer berufsbedingten Erkrankung der LWS und der HWS iS der Nrn 2108 und 2109 der Anlage 1 zur BKVO idF der 2. ÄndVO vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2343) erbracht sei. Aber eine derartige Erkrankung kann erst aufgrund der 2. ÄndVO als BK iS des § 551 Abs 1 RVO anerkannt werden. In die vorausgegangene Anlage 1 zur BKVO idF der 1. ÄndVO vom 22. März 1988 (BGBl I 400) waren diese Krankheiten noch nicht aufgenommen. Und für neu in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommene Krankheiten bestimmt Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO ausdrücklich, daß nur dann eine BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.
Dem LSG ist auch darin zuzustimmen, daß das im vorliegenden Falle nicht zutrifft (s hierzu auch BSG SozR 2200 § 551 Nr 35; Eilebrecht BG 1993, 187 ff, 193). Alle Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO iVm den Nrn 2108 und 2109 der Anlage 1 zur BKVO idF der 2. ÄndVO einschließlich derjenigen, daß die Erkrankungen "zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können", sind nach den das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erfüllt gewesen, als der Kläger seine Berufstätigkeit als Müller Ende Dezember 1987 aufgegeben hatte, also noch vor dem 1. April 1988. Der Senat hat bereits entschieden, daß eine solche nur begrenzte Einbeziehung früherer Versicherungsfälle in den Versicherungsschutz nicht nur von der Ermächtigung des § 551 Abs 1 RVO gedeckt, sondern auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BSGE 72, 303, 304; vgl auch BVerfGE 85, 1, 47).
Entgegen der Meinung des LSG steht dem Kläger wegen seiner berufsbedingten Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS und HWS auch nicht etwa unbeschadet dessen oder trotz des Ausschlusses gemäß Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO ein Verletztenrentenanspruch gemäß § 551 Abs 2 RVO zu. Diese Ausschlußbestimmung erfaßt auch den Versicherungsschutz nach § 551 Abs 2 RVO. Sie verbietet es dem Träger der Unfallversicherung, in Versicherungsfällen, die vor dem Stichtag eingetreten sind, nach § 551 Abs 2 RVO tätig zu werden. Mit dieser Entscheidung des Verordnungsgebers ist es dem Unfallversicherungsträger untersagt, anstelle des Verordnungsgebers in diesem Einzelfall festzustellen, daß die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO erfüllt sind und die Krankheit nach neuen medizinischen Erkenntnissen wie eine BK zu entschädigen ist. Auch das ist der Zweck dieser begrenzten Rückwirkungsbestimmung.
Der Verordnungsgeber hat diesen Zweck in seiner amtlichen Begründung zu Art 2 der 2. ÄndVO im Hinblick auf den Versicherungsschutz des § 551 RVO sowohl nach dessen Abs 1 als auch des Abs 2 erklärt (BR-Drucks 773/92 S 15). Altfälle, so hat er ausgeführt, die nach dem Inkrafttreten der letzten ÄndVO am 1. April 1988 eingetreten seien, würden ohne Rücksicht darauf erfaßt, ob über sie bereits durch bindende Bescheide oder rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte abschlägig befunden worden sei und auch ohne Rücksicht darauf, zu welchem Zeitpunkt insoweit "neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse" vorgelegen hätten. Der Senat hat auch bereits die Ermächtigung des Verordnungsgebers grundsätzlich bejaht, bei der Neuaufnahme von Krankheiten in die BK-Liste mit einer begrenzten Rückwirkungsklausel solche Versicherungsfälle, die vor dem Stichtag eingetreten sind, von dem Versicherungsschutz sowohl nach § 551 Abs 1 als auch nach § 551 Abs 2 RVO auszuschließen (BSGE 72, 303).
Die Kritik des LSG an dieser Rechtsprechung hat der Senat geprüft, vermag ihr aber nicht zu folgen. Es bedarf keines Rückgriffs auf die vom LSG angestellten verfassungsrechtlichen Erwägungen. Die Ermächtigung des Verordnungsgebers, frühere Versicherungsfälle sowohl im Hinblick auf § 551 Abs 1 als auch auf § 551 Abs 2 RVO nur begrenzt in den Versicherungsschutz einzubeziehen, folgt bereits aus dem einheitlichen BK-Recht, das der Gesetzgeber in den inhaltlich verbundenen Abs 1 und 2 des § 551 RVO geregelt hat.
In § 551 Abs 1 Satz 2 RVO hat er den Grundsatz des inzwischen sozialpolitisch umstrittenen "Listensystems" verankert. "Berufskrankheiten sind (nur) die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet ..." und nicht (aufgrund einer von einigen Seiten gewünschten "Generalklausel", s BSGE 59, 295, 297 mwN) alle Krankheiten, die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Der Gesetzgeber hat (allein) die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (Abs 1 Satz 3 aaO).
Von dieser Regel macht § 551 Abs 2 RVO nur insoweit eine Ausnahme für den Einzelfall, wenn der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKVO an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig geworden ist. Ausdrücklich nur wenn der Verordnungsgeber eine Krankheit nicht in der BKVO bezeichnet oder die dort bisher bestimmten (einschränkenden) Voraussetzungen noch nicht aufgehoben hat, räumt der Gesetzgeber in § 551 Abs 2 RVO dem Träger der Unfallversicherung das Recht und die Pflicht ein, im Einzelfall anstelle des noch nicht tätig gewordenen Verordnungsgebers in zwei voneinander zu unterscheidenden Verfahrensschritten vorzugehen. Dann soll der Unfallversicherungsträger zunächst - wie der Verordnungsgeber auch - in einem ersten Abschnitt feststellen, daß nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen die Voraussetzungen des Abs 1 Satz 3 aaO für die Aufnahme der betreffenden Krankheit in die BKVO erfüllt sind, und danach, wenn die Prüfung im ersten Abschnitt positiv ausgefallen ist, in dem Entschädigungsabschnitt nach Maßgabe seiner gewöhnlichen Entschädigungsaufgaben die betreffende Krankheit wie eine BK entschädigen. Dem eigentlichen Entschädigungsanspruch des Erkrankten nach § 551 Abs 2 RVO (zweiter Abschnitt) muß also die entsprechende Feststellung des Unfallversicherungsträgers im ersten Abschnitt vorausgehen, worauf dem Erkrankten ebenfalls ein Anspruch zustehen kann.
Nach der Rechtsprechung des BSG zu dem Begriff neue (medizinisch-wissenschaftliche) Erkenntnisse in § 551 Abs 2 RVO (s BSGE 44, 90, 93; 72, 303, 305; BSG BG 1967, 75, 76; s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 492p) hat der Gesetzgeber in § 551 Abs 1 und 2 RVO dem Träger der Unfallversicherung das oben beschriebene Recht und die Pflicht nach § 551 Abs 2 RVO weiter einschränkend nur für den Fall eingeräumt, daß von dem Verordnungsgeber noch nicht die betreffenden medizinischen Erkenntnisse als unzureichend eingestuft worden sind. Das wäre der Fall, wenn der Verordnungsgeber es trotz dieser Erkenntnisse abgelehnt hätte, eine bestimmte Krankheit in die BKVO aufzunehmen; denn dann sind diese Erkenntnisse bei einer Prüfung im Rahmen des § 551 Abs 2 RVO nicht mehr neu (BSGE 52, 272, 274).
Entscheidend für den Anspruch nach § 551 Abs 2 RVO hinsichtlich der von dem Träger der Unfallversicherung vorzunehmenden Feststellung im ersten Verwaltungsabschnitt ist, daß insoweit neue medizinische Erkenntnisse vorliegen, die der Verordnungsgeber noch nicht positiv durch die Aufnahme oder negativ durch die Ablehnung, die Krankheit in die BKVO aufzunehmen, geprüft hat. Der Senat hat dazu entschieden, in beiden Fällen zeige sich der gesetzlich vorgeschriebene Vorrang der Entscheidung des Verordnungsgebers vor derjenigen der Verwaltung (BSGE 72, 303, 305 mwN aus Rechtsprechung und Schrifttum). Dem trägt auch der insoweit begrenzte Zweck des § 551 Abs 2 RVO Rechnung. Er zielt in Übereinstimmung mit Abs 1 dieser Vorschrift auch nicht darauf, daß mit seiner Hilfe eine bereits durch den Verordnungsgeber ausreichend weit zurückreichende Rückwirkung noch erweitert wird. Er soll nicht dazu führen, daß der Unfallversicherungsträger anstelle des Verordnungsgebers in Fällen tätig wird, in denen dieser über bestimmte neue medizinische Erkenntnisse bereits dadurch entschieden hat, daß er die betreffende Krankheit in die BKVO aufgenommen, die Gewährung einer Entschädigung aber durch eine Rückwirkung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit begrenzt hat (BSGE 72, 303, 306 mwN). Der Träger der Unfallversicherung hat vielmehr nur dann das Recht und die Pflicht, anstelle des Verordnungsgebers nach § 551 Abs 2 RVO tätig zu werden, wenn es neue medizinische Erkenntnisse in dem oa Sinne gibt, über die der Verordnungsgeber noch nicht entschieden oder die zur Zeit einer ablehnenden Entscheidung noch nicht zur BK-Reife verdichtet waren (s dazu BSGE 72, 303, 305 mwN). Darauf hat der Erkrankte aber nur solange einen Rechtsanspruch, wie der Verordnungsgeber nicht in der oa Weise entschieden hat. Damit greift der Verordnungsgeber nicht etwa in einen unabhängig von seinen Entscheidungen nach § 551 Abs 1 RVO begründeten Rechtsanspruch auf Entschädigung ein; denn der betreffende Entschädigungsanspruch des Erkrankten kann erst dann entstehen, wenn gemäß § 551 Abs 2 RVO festgestellt worden ist, daß nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 551 Abs 1 Satz 3 RVO erfüllt sind. Der Eingriff des Verordnungsgebers erfolgt vielmehr nur in einen begrenzten Anspruch des Erkrankten gegen den Träger der Unfallversicherung auf ein Tätigwerden iS des § 551 Abs 2 RVO, während und solange es der Verordnungsgeber an einer entsprechenden Entscheidung fehlen läßt. Diese Gesamtregelung des § 551 Abs 1 und 2 RVO kann weder als Verletzung des Vorrangs eines Gesetzes noch des Prinzips der Gewaltenteilung gewertet werden.
Das bedeutet für den Unfallversicherungsschutz, den § 551 RVO gegen die Risiken der BK begründet: Er besteht von vornherein gegen alle, aber auch nur gegen diejenigen Krankheiten, die der Verordnungsgeber in der Anlage 1 zur BKVO aufgenommen hat (Abs 1). Eine Erweiterung dieses Unfallversicherungsschutzes gegen andere Krankheiten auch in die Vergangenheit hinein ist rechtlich möglich, entsteht aber selbst beim Vorliegen neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse noch nicht kraft Gesetzes (Abs 2). Der erweiterte Unfallversicherungsschutz nach § 551 Abs 2 RVO setzt vor allem eine entsprechende Feststellung des Unfallversicherungsträgers anstelle des Verordnungsgebers voraus. Der Rechtsanspruch des Erkrankten darauf ist auch durch das Gericht überprüfbar und die betreffende Feststellung gerichtlich ersetzbar. Aber selbst das Gericht muß den Vorrang der Entscheidung des Verordnungsgebers beachten. Weil der Verordnungsgeber im vorliegenden Falle die betreffenden Krankheiten mit Wirkung vom 1. Januar 1993 in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommen und in Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO die Versicherungsfälle ausgeschlossen hat, die schon vor dem 1. April 1988 eingetreten sind, ist jedenfalls nunmehr die Feststellung zugunsten des Klägers ausgeschlossen, daß seine Erkrankungen nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen wie eine BK zu entschädigen sind.
Soweit der Senat es für die Rechtswirksamkeit einer Rückwirkungsvorschrift darauf abgestellt hat, ob der Verordnungsgeber sie im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten auf ausreichend weit in der Vergangenheit liegende Versicherungsfälle erstreckt hat (BSGE 72, 303, 306), ist diese Voraussetzung in Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO gewahrt. Aus der amtlichen Begründung zu Art 2 der 2. ÄndVO ergibt sich, daß der Verordnungsgeber diese Frage geprüft, sich aber an einer Anerkennung von Versicherungsfällen auch nach den Nrn 2108 und 2109 der Anlage zur BKVO aus der Zeit vor dem 1. April 1988, dem Inkrafttreten der 1. ÄndVO, mittels Rückverlegung des Stichtages in die weitere Vergangenheit durch die Ablehnung des damaligen Verordnungsgebers gehindert sah (BR-Drucks 773/92 S 15 zu Art 2). Nach der Einschätzung des Verordnungsgebers haben danach die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse erst nach dem Inkrafttreten der vorausgegangenen ÄndVO vorgelegen. Auf diesen Zeitraum hat er auch die Rückwirkung erstreckt. Das ist ein sachlich begründeter, ausreichender Rückwirkungszeitraum.
Dem Kläger steht deshalb auch kein Entschädigungsanspruch nach § 551 Abs 2 RVO zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen