Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Versorgungskrankengeld. Arbeitsunfähigkeit. maßgebliche Tätigkeit bei schädigungsbedingtem Berufswechsel. neue Beschäftigung. Loslösung vom früherem Beruf. Arbeits- und Belastungserprobung
Leitsatz (amtlich)
Beim Versorgungskrankengeld ist das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit an der neuen Beschäftigung zu messen, wenn der Beschädigte sich von seiner bisherigen Tätigkeit, die er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, gelöst hat.
Orientierungssatz
Während der Zeit einer Arbeits- und Belastungserprobung erfolgt allerdings grundsätzlich noch keine Lösung vom bisherigen Beruf (vgl BSG vom 12.9.1978 - 5 RJ 6/77 = BSGE 47, 47 = SozR 2200 § 1237 Nr 9 und vom 24.5.1978 - 4 RJ 69/77 = BSGE 46, 190 = SozR 2200 § 182 Nr 34).
Normenkette
BVG § 16 Abs. 1 Buchst. a Hs. 1, Abs. 2 Buchst. b; OEG § 1 Abs. 1 S. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, §§ 44, 192 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Versorgungskrankengeld ab 11.10.2003 streitig.
Die 1956 geborene Klägerin ist gelernte Drogistin. Bei ihrem bisherigen Arbeitgeber war sie im Bereich Schulungen tätig. Ab 1999 wechselte die Klägerin zur M AG. Obwohl sie auch dort Schulungen durchführen wollte, war sie auf ausdrückliche Bitte ihrer Vorgesetzten als Filialleiterin tätig. Im Oktober 2000 wurde die Klägerin in der Filiale Opfer eines Überfalls. Wegen der psychischen Folgen der Tat war sie arbeitsunfähig und trat ihre Arbeitsstelle bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses am 28.9.2006 nicht mehr an.
Ab 20.8.2001 war die Klägerin in Teilzeit als Lehrkraft an einem Berufskolleg tätig, zunächst im Rahmen eines befristeten, ab August 2003 im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsvertrags. Die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) erkannte die Tätigkeit am Berufskolleg als Arbeits- und Belastungserprobung an und gewährte der Klägerin Verletztengeld vom 30.11.2000 bis zum 10.10.2003. Die Arbeits- und Belastungserprobung sah die BG im August 2003 mit der in diesem Monat ursprünglich bereits vorgesehenen Einstellung der Zahlung des Verletztengelds als beendet an. Vom 11.10.2003 bis zum 21.6.2005 absolvierte die Klägerin ein von der BG als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gefördertes berufsbegleitendes Studium. Sie bezog Übergangsgeld und schloss das Studium als Betriebswirtin für Soziale Einrichtungen erfolgreich ab.
Auf Antrag der Klägerin vom 31.10.2000 stellte das Versorgungsamt bestimmte Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen fest und gewährte ihr ab Oktober 2000 eine Grundrente, die ab September 2003 wegen Rentenleistungen der BG ruhte. Unter dem 24.10.2005 teilte das Versorgungsamt der Klägerin weiter mit, dass ein Anspruch auf Versorgungskrankengeld dem Grunde nach bestehe, der Anspruch aber wegen der Zahlung von Verletztengeld ruhe. Mit Bescheid vom 15.9.2006 stellte das Versorgungsamt fest, dass die Klägerin wegen bestehender schädigungsbedingter Arbeitsunfähigkeit dem Grunde nach Anspruch auf Versorgungskrankengeld gehabt habe, das aber zunächst wegen des vorrangigen Verletztengelds geruht habe. Über den 17.8.2003 hinaus komme Versorgungskrankengeld nicht in Betracht, weil es maximal 78 Wochen gezahlt werde. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.6.2010; Urteil des SG vom 19.1.2016).
Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin sei ab 11.10.2003 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen. Bezugspunkt dieser Prüfung sei nicht mehr das Beschäftigungsverhältnis als Filialleiterin, sondern die Tätigkeit als Lehrkraft am Berufskolleg. Die Klägerin habe sich spätestens mit der Entfristung des Arbeitsvertrags im August 2003 freiwillig von ihrem früheren Beschäftigungsverhältnis gelöst. Die Tätigkeit als Filialleiterin habe bei Betrachtung der Erwerbsbiografie der Klägerin lediglich eine vorübergehende Ausnahme dargestellt. Der Anerkennung der Tätigkeit als Lehrkraft im Berufskolleg als Arbeits- und Belastungserprobung durch die BG komme für die Beurteilung eines Berufswechsels keine entscheidende Bedeutung zu. Die Erprobung sei aus Sicht der BG im August 2003 mit der in diesem Monat ursprünglich vorgesehenen Einstellung der Zahlung des Verletztengelds beendet gewesen. Eine verbindliche Anerkennung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsunfähigkeit durch den Beklagten liege nicht vor (Urteil vom 26.2.2021).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 77 SGG, § 16 Abs 1 Buchst a Halbsatz 1 und Abs 2 Buchst b Bundesversorgungsgesetz (BVG) sowie § 1 Abs 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG). Die Bescheide vom 24.10.2005 und 15.9.2006 enthielten die bindende Regelung, dass ein Anspruch auf Versorgungskrankengeld dem Grunde nach entstanden sei. Diese Regelung sei vom Beklagten nicht aufgehoben worden. Durch ihre Tätigkeit am Berufskolleg habe sie sich nicht freiwillig von der zuvor ausgeübten Tätigkeit als Filialleiterin gelöst, weil es sich um eine Arbeits- und Belastungserprobung gehandelt habe. Durch die Aufnahme einer leidensgerechten Teilzeitbeschäftigung verändere sich jedenfalls im sozialen Entschädigungsrecht wegen des dort geltenden Aufopferungsgedankens und der Anrechnungsbestimmungen nicht der Beurteilungsmaßstab für die Arbeitsunfähigkeit, wenn das vorherige Arbeitsverhältnis fortbestehe. Außerdem begründe auch eine Arbeits- und Belastungserprobung als Leistung der Heilbehandlung einen Anspruch auf Versorgungskrankengeld.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26.2.2021 und des Sozialgerichts Köln vom 19.1.2016 aufzuheben sowie den Bescheid des Versorgungsamts Köln vom 15.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 11.6.2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr Versorgungskrankengeld ab dem 11.10.2003 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb nach § 170 Abs 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgungskrankengeld für die Zeit ab 11.10.2003.
A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, mit dem der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Versorgungskrankengeld für die Zeit ab 11.10.2003 unter Aufrechterhaltung des Bescheids vom 15.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.6.2010 (§ 95 SGG) verneint worden ist. Ihr Begehren verfolgt die Klägerin zulässig mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG).
B. Die Klägerin gehört zwar zum Kreis der potentiell versorgungsberechtigten Personen (dazu unter 1.). Ein Anspruch auf Versorgungskrankengeld ab 11.10.2003 ergibt sich aber weder aus dem Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit (§ 16 Abs 1 Buchst a Halbsatz 1 BVG; dazu unter 2.) noch aus der Durchführung einer Behandlungsmaßnahme der Heil- oder Krankenbehandlung (§ 16 Abs 2 Buchst b BVG; dazu unter 3.) und auch nicht aus einer bindenden Anerkennung des Anspruchs durch den Beklagten (dazu unter 4.).
1. Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG (idF des Gesetzes vom 11.5.1976, BGBl I 1181, das bezüglich Abs 1 Satz 1 seither keine Änderung erfahren hat) iVm § 16 BVG (idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes vom 15.12.1995, BGBl I 1809). Danach erhält, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Die Klägerin gehört aufgrund der vom Beklagten anerkannten Schädigungsfolgen zum Kreis der potentiell versorgungsberechtigten Personen (vgl BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a V 1/06 R - juris RdNr 26 mwN). Im Übrigen lagen aufgrund des Überfalls im Oktober 2000 auch die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG vor.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgungskrankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit. Dieses wird gemäß § 16 Abs 1 Buchst a Halbsatz 1 BVG Beschädigten gewährt, wenn sie wegen einer Gesundheitsstörung, die als Folge einer Schädigung anerkannt ist, arbeitsunfähig im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Die Klägerin war ab 11.10.2003 nicht wegen einer solchen Gesundheitsstörung arbeitsunfähig im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung (dazu unter a). Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit war ihre Beschäftigung als Lehrkraft am Berufskolleg (dazu unter b). Als Lehrkraft war sie nicht arbeitsunfähig (dazu unter c).
a) Zur Bestimmung von Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für einen Anspruch auf Versorgungskrankengeld sind nach dem ausdrücklichen Verweis in § 16 Abs 1 Buchst a Halbsatz 1 BVG die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Grundsätze entsprechend anzuwenden (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VS 1/09 R - SozR 4-3100 § 16b Nr 1 RdNr 17; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VS 3/09 R - SozR 4-3200 § 82 Nr 1 RdNr 43; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 18.12.2014 - L 6 VG 4352/13 - juris RdNr 49; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 44 RdNr 44, Stand der Einzelkommentierung: September 2020; Rohr/Sträßer/Dahm, BVG, Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher, § 16 BVG Anm 3, Stand der Einzelkommentierung: Mai 2015; Vogl in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 16 BVG RdNr 7 f; Fehl in Fehl/Förster/Leisner/Sailer, BVG, 7. Aufl 1992, § 16 BVG RdNr 3). Die grundlegenden Unterschiede von Krankengeld nach §§ 44 ff SGB V als einer beitragsfinanzierten Leistung der Sozialversicherung und Versorgungskrankengeld nach §§ 16 ff BVG als einer steuerfinanzierten Leistung des sozialen Entschädigungsrechts erfordern entgegen dem Vorbringen der Klägerin keine abweichende Auslegung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit in diesen beiden Bereichen. Dem steht schon der konkrete Verweis auf die Arbeitsunfähigkeit "im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung" in § 16 Abs 1 Buchst a Halbsatz 1 BVG entgegen. Gründe, aus denen die Maßstäbe der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arbeitsunfähigkeit im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht heranzuziehen sein könnten, sind nicht ersichtlich (vgl aber BSG Urteil vom 3.10.1984 - 9a RVi 1/83 - SozR 3100 § 16 Nr 3 - juris RdNr 12 für den Fall eines Schülers einer allgemeinbildenden Schule).
Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung liegt vor, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich an der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit zu messen und endet nicht dadurch, dass die Möglichkeit besteht, den Erwerb durch Übergang zu einer anderen Berufstätigkeit zu gewinnen (stRspr; zB BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 1 KR 30/00 R - SozR 3-2500 § 44 Nr 9 - juris RdNr 13; BSG Urteil vom 7.8.1991 - 1/3 RK 28/89 - BSGE 69, 180 = SozR 3-2200 § 182 Nr 9 - juris RdNr 18; BSG Urteil vom 15.11.1984 - 3 RK 21/83 - BSGE 57, 227 = SozR 2200 § 182 Nr 96 - juris RdNr 23; vgl auch BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VS 3/09 R = SozR 4-3200 § 82 Nr 1 RdNr 42). Dies folgt im Krankenversicherungsrecht insbesondere aus dem Zweck des Krankengelds, der insoweit auch auf das Versorgungskrankengeld zutrifft (Fehl in Fehl/Förster/Leisner/Sailer, BVG, 7. Aufl 1992, § 16 BVG RdNr 2). Das Krankengeld hat Lohnersatzfunkton. Es ist dazu bestimmt, den krankheitsbedingten Ausfall des bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bezogenen Arbeitsentgelts oder sonstigen Erwerbseinkommens für einen begrenzten Zeitraum auszugleichen und die wirtschaftliche Basis für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten (vgl hierzu speziell zum Versorgungskrankengeld BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VS 3/09 R - SozR 4-3200 § 82 Nr 1 RdNr 43; BSG Urteil vom 10.8.1983 - 9a RV 7/82 - juris RdNr 11; LSG für das Saarland Urteil vom 30.3.2004 - L 5 V 1/01 - juris RdNr 47; OLG Hamm Urteil vom 24.10.2001 - 13 U 85/01 - juris RdNr 29; Fehl in Fehl/Förster/Leisner/Sailer, aaO). Das Krankengeld behält seine Funktion, solange die Unfähigkeit zur Verrichtung der zuletzt ausgeübten oder einer vergleichbaren Erwerbstätigkeit andauert. Allein die Bereitschaft, eine dem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechende Arbeit anzunehmen, beseitigt deshalb nicht den für den Krankengeldanspruch maßgebenden Bezug zu der früheren Beschäftigung. Mit der tatsächlichen Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit endet aber dieser Bezug, und die neue Tätigkeit wird zur Grundlage für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit (BSG Urteil vom 8.2.2000 - B 1 KR 11/99 R - BSGE 85, 271 = SozR 3-2500 § 49 Nr 4 - juris RdNr 14; BSG Urteil vom 19.9.1979 - 11 RA 78/78 - SozR 2200 § 1241 Nr 14 - juris RdNr 20; BSG Urteil vom 2.10.1970 - 3 RK 6/70 - BSGE 32, 18 = SozR Nr 40 zu § 182 RVO - juris RdNr 18; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 7.3.2019 - L 5 KR 27/18 - juris RdNr 46; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 9.3.2017 - L 6 U 1655/16 - juris RdNr 35; Rieke in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Werkstand: April 2022, § 44 SGB V RdNr 20; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 44 RdNr 87, Stand der Einzelkommentierung: September 2020; Knorr/Krasney in Entgeltfortzahlung - Krankengeld - Mutterschaftsgeld, § 44 SGB V RdNr 91, Dokumentstand: 2020; Nebendahl in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl 2018, § 44 SGB V RdNr 25; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 44 SGB V RdNr 104, Stand der Einzelkommentierung: Juli 2010).
Auch wenn der Versicherte seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen oder sonst unfreiwillig aufgegeben hat, kann eine spätere Tätigkeit maßgebend sein, wenn er sich damit von seinem früheren Beruf gelöst hat. Denn das Krankengeld - und ebenso das Versorgungskrankengeld - deckt grundsätzlich nur das Risiko ab, die Arbeitspflicht aus dem laufenden Arbeitsverhältnis nicht mehr erfüllen zu können. Wegen dieser Zweckbestimmung ist es notwendig, dass die Arbeitsfähigkeit während eines laufenden Arbeitsverhältnisses nach diesem zu beurteilen ist, und zwar auch dann, wenn der Versicherte es nur widerstrebend eingegangen ist (BSG Urteil vom 27.11.1990 - 3 RK 3/88 - juris RdNr 22; vgl auch BSG Urteil vom 7.8.1991 - 1/3 RK 28/89 - BSGE 69, 180 = SozR 3-2200 § 182 Nr 9 - juris RdNr 25 zum fehlenden Grund, das Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlen, wenn sich der Arbeitnehmer weigert, eine ihm arbeitsvertraglich obliegende und im Rahmen des Direktionsrechts zugewiesene Tätigkeit auszuüben, obwohl gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen). Dies gilt umso mehr als der Umfang des Versicherungsschutzes seit Geltung des SGB V maßgeblich aus dem jeweils konkret bestehenden Versicherungsverhältnis abgeleitet wird. Ein früheres Versicherungsverhältnis vermag danach nur unter engen Voraussetzungen und für eng begrenzte Zeiträume Leistungsansprüche zu begründen. Die Aufrechterhaltung des krankenversicherungsrechtlichen Berufsschutzes bedarf mit Blick darauf, dass die Aufnahme einer (neuen) versicherungspflichtigen Beschäftigung gegen Entgelt einen neuen Krankenversicherungstatbestand begründen kann (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V), einer besonderen Rechtfertigung, zB über § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V (vgl BSG Urteil vom 19.9.2002 - B 1 KR 11/02 R - BSGE 90, 72 = SozR 3-2500 § 44 Nr 10 - juris RdNr 18 f, 21, 27; s auch BSG Urteil vom 17.6.2021 - B 3 KR 2/19 R - BSGE 132, 211 = SozR 4-2500 § 46 Nr 12, RdNr 13 f; Tischler in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 65. Edition, Stand: 1.6.2022, § 44 SGB V RdNr 24; Schifferdecker in Kasseler Komm, BeckOGK, § 44 SGB V RdNr 97 f, 111, Stand der Einzelkommentierung: 1.3.2022). Darauf, ob das bisherige Beschäftigungsverhältnis zum Zeitpunkt der Aufnahme einer neuen Beschäftigung schon beendet ist, kommt es nicht an, weil dies genauso wie der Gesundheitszustand der Begründung eines neuen Versicherungsverhältnisses nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V nicht entgegensteht (vgl BSG Urteil vom 29.9.1998 - B 1 KR 10/96 R - SozR 3-2500 § 5 Nr 40 - juris RdNr 15; BSG Urteil vom 28.6.1979 - 8b/3 RK 80/77 - BSGE 48, 235 = SozR 2200 § 306 Nr 5 - juris RdNr 17; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.11.2013 - L 4 KR 3347/10 - juris RdNr 31; Felix in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 5 RdNr 23, Stand der Einzelkommentierung: 22.7.2022; Peters in Kasseler Komm, BeckOGK, § 192 SGB V RdNr 22, Stand der Einzelkommentierung: 1.12.2015).
Eine Einschränkung wird allerdings insoweit angenommen, als während einer Arbeits- und Belastungserprobung grundsätzlich keine Lösung vom bisherigen Beruf erfolgt, weil keine Erwerbstätigkeit im Sinne einer tatsächlichen, auf Dauer ausgerichteten Arbeitsleistung ausgeübt, sondern eine solche allenfalls versucht und auf ihre Eignung für den Rehabilitanden geprüft wird (BSG Urteil vom 12.9.1978 - 5 RJ 6/77 - BSGE 47, 47 = SozR 2200 § 1237 Nr 9 - juris RdNr 37; BSG Urteil vom 24.5.1978 - 4 RJ 69/77 - BSGE 46, 190 = SozR 2200 § 182 Nr 34 - juris RdNr 15; Rohr/Sträßer/Dahm, BVG, Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher, § 16 BVG Anm 3, Stand der Einzelkommentierung: Januar 2011). Maßnahmen der Arbeits- oder Belastungserprobung können einem Berufswechsel daher allenfalls vorausgehen (Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 44 SGB V RdNr 104, Stand der Einzelkommentierung: Juli 2010).
b) Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen ist nach den Feststellungen des LSG, gegen die die Klägerin keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben hat und die deshalb für den Senat bindend sind (vgl § 163 SGG), Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit ihre Beschäftigung als Lehrkraft am Berufskolleg. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin sich mit der Entfristung dieser Beschäftigung im August 2003 und damit noch vor der hier streitigen Zeit von ihrer früheren Tätigkeit als Filialleiterin gelöst hat. Ohnehin stellte die Tätigkeit als Filialleiterin - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - mit Blick auf die Erwerbsbiografie der Klägerin nur eine vorübergehende Ausnahme dar. Nachdem sie bereits bei ihrem früheren Arbeitgeber Schulungen durchgeführt hatte und auch bei der M AG in diesem Bereich tätig sein wollte, aber auf ausdrückliche Bitte ihrer Vorgesetzten die Filialleitung übernommen hatte, wollte die Klägerin von Beginn der Tätigkeit beim Berufskolleg an wieder lehrend und nicht mehr in einem Filialbetrieb tätig sein. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihre Lehrtätigkeit am Berufskolleg auch nach deren Entfristung im August 2003 lediglich noch weiter ausprobiert und nicht im Sinne einer tatsächlichen, auf Dauer ausgerichteten Arbeitsleistung ausgeübt hat, bestehen nicht. Auch die BG sah die Arbeits- und Belastungserprobung bereits im August 2003 mit der ursprünglich schon in diesem Monat vorgesehenen Einstellung der Zahlung des Verletztengelds als beendet an. Folgerichtig begann die Klägerin kurze Zeit nach ihrer mit der unbefristeten Anstellung im Berufskolleg erfolgreich verlaufenen und abgeschlossenen Arbeits- und Belastungserprobung am 11.10.2003 das von der BG als für ihre Lehrtätigkeit geeignete Fortbildungsbildungsmöglichkeit geförderte berufsbegleitende Studium zur Betriebswirtin für Soziale Einrichtungen.
c) Nach den Feststellungen des LSG war die Klägerin weder in ihrer Beschäftigung als Lehrkraft am Berufskolleg noch hinsichtlich des berufsbegleitenden Studiums arbeitsunfähig. Auch insoweit hat sie keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben.
3. Die Klägerin hat ebenfalls keinen Anspruch auf Versorgungskrankengeld nach § 16 Abs 2 Buchst b BVG. Danach ist als arbeitsunfähig im Sinne der §§ 16 bis 16f BVG auch der Berechtigte anzusehen, der ohne arbeitsunfähig zu sein, wegen einer anderen Behandlungsmaßnahme der Heil- oder Krankenbehandlung keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Dies war hier nicht der Fall. Zwar erkannte die BG die Tätigkeit am Berufskolleg als Arbeits- und Belastungserprobung an, die gemäß § 27 Abs 1 Nr 7 SGB VII iVm § 26 Abs 2 Nr 7 SGB IX (jeweils in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046) eine Leistung der Heilbehandlung sein kann. Die Arbeits- und Belastungserprobung war aber - wie oben ausgeführt - bereits vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum beendet. Zudem war die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des LSG nicht wegen einer maßnahmebezogenen Erprobung ihrer gesundheitlichen Leistungsfähigkeit an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit gehindert, sondern allein wegen des fehlenden Bedarfs seitens des Berufskollegs und des parallelen Studiums.
4. Ein Anspruch auf Versorgungskrankengeld ergibt sich schließlich nicht aus einer bindenden Anerkennung durch den Beklagten. Dabei kann offenbleiben, ob das Schreiben vom 24.10.2005 überhaupt eine verbindliche Regelung enthält oder sich in einer Mitteilung des Wissens ohne Regelungswille erschöpft (vgl hierzu BSG Urteil vom 8.12.1993 - 10 RKg 19/92 - SozR 3-1300 § 34 Nr 2 - juris RdNr 20). Sowohl das Schreiben vom 24.10.2004 als auch der Bescheid vom 15.9.2006 beziehen die mögliche Anerkennung eines Anspruchs auf Versorgungskrankengeld wegen bestehender schädigungsbedingter Arbeitsunfähigkeit dem Grunde nach (s hierzu BSG Urteil vom 25.8.2022 - B 9 V 2/21 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) ausdrücklich nur auf die hier nicht streitgegenständliche Zeit bis zum 17.8.2003.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Kaltenstein Röhl Othmer
Fundstellen
NZS 2023, 240 |
SGb 2022, 616 |