Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Erstattungsanspruch. Grundsicherungsträger. Jobcenter. Sozialhilfeträger. Erwerbsunfähigkeit. Feststellung. Gemeinsame Einigungsstelle. Nahtlosigkeitsfall. Arbeitslosengeld II. Krankenversicherung. Pflegeversicherung. Pflichtbeitrag
Orientierungssatz
Parallelentscheidung zum Urteil des BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R, das vollständig dokumentiert ist.
Normenkette
SGB II § 44a Abs. 2 S. 1, § 5 Abs. 2, § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; SGB III § 335 Abs. 2 Sätze 1-2; SGB V § 16 Abs. 3a S. 2; SGB X § 102 Abs. 1, § 103 Abs. 1, § 104 Abs. 1 S. 1, § 105 Abs. 1 S. 1; SGB XII § 21 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 2012 abgeändert und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28. Februar 2012 insgesamt zurückgewiesen. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 2012 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1100 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit sind die Erstattung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung (für die Zeit vom 6.6.2006 oder 1.4.2006 bis 31.1.2007; Beginn des Erstattungszeitraums unklar) in Höhe von tenorierten insgesamt 873,53 Euro (beantragt waren jedoch 878,53 Euro, und in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils sind die beiden unterschiedlichen Beträge genannt) sowie die Zahlung von Zinsen.
Die 1971 geborene A S (S) erhielt von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) der Stadt K, der Funktionsvorgängerin des Klägers, im streitbefangenen Zeitraum Arbeitslosengeld (Alg) II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Da zwischen dieser und dem Beklagten als Sozialhilfeträger keine Einigkeit über die Erwerbsfähigkeit der S bestand, war die gemeinsame Einigungsstelle angerufen worden. Diese stellte fest, dass S seit 28.3.2006 nicht erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs 1 SGB II sei (Entscheidung vom 8.3.2007). In der Folge erstattete der Beklagte die Kosten des Alg II, verweigerte allerdings die Zahlung der außerdem geltend gemachten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung, die wegen den aus dem Alg-II-Bezug resultierenden Pflichtversicherungen gezahlt worden waren.
Während das Sozialgericht (SG) Koblenz die Klage auf Zahlung von 878,53 Euro (Erstattung der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung) zuzüglich Zinsen hieraus abgewiesen hat (Urteil vom 28.2.2012), hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das Urteil des SG abgeändert und den Beklagten verurteilt, an den Kläger 873,53 Euro (in den Entscheidungsgründen ist allerdings auch der Betrag von 878,53 Euro genannt) zu zahlen, wegen des Zinsanspruchs die Berufung jedoch zurückgewiesen (Urteil vom 24.10.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Erstattungsanspruch des Klägers gemäß § 44a Abs 2 SGB II alte Fassung (aF) iVm § 103 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) umfasse nach der Entstehungsgeschichte des § 44a SGB II sowie Sinn und Zweck der Regelung die wegen des Alg-II-Bezugs gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung. Ein Zinsanspruch nach § 108 Abs 2 SGB X bestehe indes nicht.
Mit seiner dem Kläger am 28.2.2013 zugestellten Revisionsbegründung rügt der Beklagte eine fehlerhafte Anwendung des § 44a SGB II. Er ist der Ansicht, die gesetzliche Regelung erfasse nicht die zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung gezahlten Beiträge. Selbst wenn man dies anders sähe, stünde der Anspruch nicht dem Kläger, sondern dem Bund zu, weil dieser gemäß § 251 Abs 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) die Beiträge zu tragen gehabt habe, was über § 59 Abs 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) auch für die soziale Pflegeversicherung gelte.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG insgesamt zurückzuweisen.
Der Kläger hat schriftsätzlich am 2.5.2013 beantragt,
1. die Revision des Beklagten zurückzuweisen und
2. das Urteil des LSG dahin abzuändern, dass der Beklagte auch zur Zahlung von Zinsen "nach § 108 SGB X" verurteilt wird.
Er hält die Entscheidung des LSG, soweit sie die Erstattung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung betrifft, für zutreffend. Entgegen der Auffassung des LSG bestehe indes auch ein Zinsanspruch, der sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 108 SGB X ergebe.
Insoweit beantragt der Beklagte,
die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das Begehren des Klägers, den Beklagten zur Zahlung von Zinsen zu verurteilen, ist, weil das LSG insoweit seine Klage abgewiesen hat, nur als Einlegung einer Revision bzw der Anschlussrevision auslegbar, auch wenn der Kläger dies nicht ausdrücklich so formuliert hat (§ 123 SGG). Letztlich kann dahinstehen, was gewollt war; denn sowohl eine Revision als auch eine zumindest denkbare Anschlussrevision sind unzulässig. Seinen Antrag hat der Kläger nämlich weder innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG für die Revision) noch innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung (vgl nur für die Anschlussrevision gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 554 Abs 2 Satz 2 Zivilprozessordnung Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 3f mwN) eingereicht. Das Urteil des LSG wurde dem Kläger am 11.1.2013, die Revisionsbegründung des Beklagten am 28.2.2013 zugestellt, während der Schriftsatz des Klägers, mit dem er eine Abänderung des Urteils des LSG begehrt, am 2.5.2013, also sowohl für eine Revision als auch eine Anschlussrevision verspätet, beim Bundessozialgericht eingegangen ist.
Die Revision des Beklagten hatte indes Erfolg, wobei eine Beiladung der S im Revisionsverfahren nicht durchzuführen war (vgl dazu die Ausführungen im Urteil des Senats vom selben Tag in dem Parallelverfahren zwischen denselben Beteiligten mit dem Aktenzeichen B 8 SO 6/13 R). In der Parallelentscheidung wird zudem ausführlich dargelegt, dass dem Kläger weder in unmittelbarer Anwendung der §§ 102 ff SGB X noch aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 103 SGB X iVm § 44a Abs 2 SGB II aF (Fassung bis 31.12.2010) Erstattungsansprüche zustehen, die die wegen des Alg-II-Bezugs zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung umfassen. Ebenso wenig ergeben sich Ansprüche aus § 335 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) iVm § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II aF. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil dieses Parallelverfahrens Bezug genommen. Es bedurfte vorliegend, weil die Klage ohnedies keinen Erfolg hatte, keiner Klärung der Frage, für welchen Zeitraum genau die Erstattung von Pflichtbeiträgen verlangt wurde und ob es sich bei der Verurteilung durch das LSG in Höhe von 873,53 Euro statt 878,53 Euro um eine offensichtliche Unrichtigkeit gehandelt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung, die Streitwertfestsetzung auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 1 Satz 1, § 52 Abs 3 Satz 1, § 43 Abs 2, § 47 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz. Für die vom Beklagten beantragte Korrektur des Rubrums bestand im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Senats zum in R-P geltenden Behördenprinzip (§ 70 Nr 3 SGG) keine Veranlassung.
Fundstellen