Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Versicherungsschutzes bei der Verfolgung privat-rechtlicher Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfällen.
Normenkette
RVO § 550 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Unfalls des Klägers als Arbeitsunfall.
Der im Jahre 1964 geborene Kläger befand sich am 5. Februar 1986 gegen 5.20 Uhr mit seinem Pkw auf dem Weg von seiner Wohnung in Dortmund zu seiner Arbeitsstelle in Unna, als er einen plötzlichen Anstoß am linken Außenspiegel seines Pkw bemerkte. Da er annahm, daß der Anstoß von einem ihm entgegengekommenen Ford Scorpio verursacht worden sei, wendete er sein Fahrzeug und fuhr diesem hinterher. Nach ca 800 m überholte er das Fahrzeug und veranlaßte den Fahrer H. W. (W.) anzuhalten. Der Kläger verließ sein Fahrzeug und warf W. vor, sein Fahrzeug beschädigt zu haben. Als W. dies bestritt, erklärte der Kläger, er wolle die Polizei rufen. W. erwiderte, er sei in Eile und müsse zur Arbeit. Daraufhin erklärte der Kläger, er wolle zumindest die von ihm vermutete Anstoßstelle am Seitenspiegel des Fahrzeug des W. fotografieren und ging zu seinem Fahrzeug, um eine Kamera zu holen. In diesem Moment fuhr W. an. Der Kläger lief zunächst neben dem Fahrzeug des W. her und forderte ihn auf, anzuhalten. Da dies nicht geschah, lief der Kläger vor das langsam fahrende Fahrzeug und versuchte, dadurch W. zum Anhalten zu bewegen. Dabei geriet er auf die Motorhaube dieses Fahrzeugs. Als W. dennoch die Fahrt fortsetzte, ließ der Kläger sich seitwärts von der Motorhaube gleiten. Der Durchgangsarzt stellte als Verletzungen eine Hüftprellung links, eine Prellung beider Kniegelenke sowie des rechten Sprunggelenkes fest.
Mit Bescheid vom 6. Mai 1987 lehnte es die Beklagte ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen sowie Entschädigungsleistungen zu gewähren. Bei seiner Verfolgungsfahrt habe der Kläger sich nicht auf einem nur unbedeutenden Umweg befunden; vielmehr sei der Weg zur Arbeitsstätte durch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit (Feststellung der Personalien und sonstiger zur Sicherung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche erheblicher Umstände) wesentlich unterbrochen worden.
Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. November 1987). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat nach Beiladung der Eigenunfallversicherung der Stadt Dortmund die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 26. April 1989). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Ein von der Beklagten zu entschädigender Wegeunfall (§ 550 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) liege nicht vor. Die zum Unfall führenden Handlungen des Klägers hätten nicht in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit seiner Betriebstätigkeit gestanden. Bestimmend für die durch das Umkehren vorgenommene Unterbrechung des unmittelbaren Weges zur Betriebsstätte seien nicht betriebsbedingte Umstände, sondern der Wunsch des Klägers gewesen, seine Schadensersatzansprüche zu sichern. Überdies sei sein Fahrzeug auch nicht so weit beschädigt worden, daß er die Fahrt zur Arbeitsstelle nicht hätte fortsetzen können. Die zum Körperschaden des Klägers führende Streitigkeit sei auch nicht unmittelbar aus der Zurücklegung des Weges entstanden. Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst c RVO habe ebenfalls nicht bestanden; eine hier nur in Betracht kommende fahrlässig verübte Sachbeschädigung sei nicht strafbar.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 550 Abs 1 RVO. Er habe seinen Pkw angeschafft, insbesondere um damit täglich nach und von der Betriebsstätte zu fahren. Mithin hätten ihn nicht nur eigenwirtschaftliche Gründe zur Täterfeststellung veranlaßt. Daß er sich nun statt zur Arbeitsstätte mit seinem Fahrzeug einige hundert Meter wieder zurückbewegt hätte, müsse hinsichtlich des Versicherungsschutzes gleichgestellt werden. Eine direkte Abweichung vom Arbeitsweg liege nicht vor. Im übrigen sei es nicht zu rechtfertigen, für geringfügige, wenige Minuten dauernde eigenwirtschaftliche Tätigkeiten den Versicherungsschutz anzunehmen, hingegen nicht mehr bei einer Verfolgung des Unfallgegners über wenige hundert Meter.
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid vom 6. Mai 1987 aufzuheben und festzustellen, daß die am 5. Februar 1986 durch das Unfallgeschehen verursachten Gesundheitsstörungen Folgen eines Arbeitsunfalls sind.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an und hält, ebenso wie diese, das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Unfallereignisses vom 5. Februar 1986. Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, erlitt der Kläger keinen Arbeitsunfall, als er sich von dem Pkw des W. abgleiten ließ und sich dabei Verletzungen zuzog.
Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der in dieser Vorschrift verwendete Begriff des Weges umfaßt das Sichfortbewegen auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist (BSG SozR 2200 § 550 Nr 24; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 485m mwN). Solange der Kläger sich am Unfalltag mit seinem Fahrzeug von seiner Wohnung aus auf seine Arbeitsstelle zur Aufnahme der versicherten Tätigkeit zubewegte, stand er danach unter Versicherungsschutz. Der Unfall als Folge der Auseinandersetzungen mit W. über dessen Unfallbeteiligung ereignete sich jedoch nicht auf diesem Weg, sondern nachdem der Kläger sein Fahrzeug gewendet hatte, dem Pkw des W. ca 800 m nachgefahren war und diesen zum Halten veranlaßt hatte. Hierbei handelt es sich, weil die Zielrichtung zur Arbeitsstelle nicht beibehalten wurde, um das Einschieben eines zusätzlichen Weges in die eigentliche Fahrstrecke (s BSG SozR aaO; Brackmann aaO S 486y mwN).
Hinsichtlich des Versicherungsschutzes während einer solchen Unterbrechung des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit ist zunächst zu unterscheiden, ob sie einer Verrichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht (s hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 25. Oktober 1989 - 2 RU 26/88 - HVInfo 1990, 306 - zur weiteren Veröffentlichung vorgesehen -) oder ob sie aus privaten Gründen erfolgt ist. Im ersteren Fall besteht Versicherungsschutz auch während der Unterbrechung (BSGE 43, 113, 114; BSG Urteil vom 26. Mai 1977 - 2 RU 97/75 - USK 77139 -; Brackmann aaO S 486y mwN). Dieser innere Zusammenhang ist gegeben, wenn der eingeschobene Weg und das anschließende Verhalten des Versicherten (hier der Versuch des Klägers, durch körperlichen Einsatz den W. an der Weiterfahrt zu hindern) der versicherten Tätigkeit, dh der Fahrt von der Wohnung zum Betrieb, wesentlich diente (BSG Urteil vom 26. Mai 1977 -aaO-). Bei der Feststellung dieses inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten Tätigkeit oder wie hier zum Weg zur Arbeitsstätte gehört (BSGE 58, 76, 77). Daraus folgt, daß während Unterbrechungen kein Versicherungsschutz besteht, wenn sie wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen sind, sog eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen (BSG Urteil vom 31. Juli 1985 - 2 RU 63/84 - USK 85252). Das ist hier, wie das LSG zutreffend angenommen hat, der Fall.
Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) verfolgte der Kläger mit seinem Pkw den Ford Scorpio des W., um seine Schadensersatzansprüche gegen den - nach seiner Meinung - Unfallverursacher zu sichern. Er wurde bei den nachfolgenden Auseinandersetzungen und seinem Versuch verletzt, W. an der Weiterfahrt mit dessen Fahrzeug zu hindern, indem er vor den fahrenden Pkw lief. Zwar hätte der Kläger diesen Schaden nicht erlitten, wenn er sich nicht gerade auf dem Weg zur Arbeitsstätte befunden hätte. Dieser Umstand ist jedoch, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nicht als wesentlich im Rechtssinne für das Verlassen des Weges und das Verfolgen des vermeintlichen Unfallgegners mit der anschließenden Auseinandersetzung anzusehen. Anderenfalls stünde zwangsläufig nicht nur jede private Verfolgung eines Unfallgegners sogar über weitere Strecken, sondern auch sämtliche sonstigen Maßnahmen zur Sicherung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall auf dem Weg nach und von der Betriebsstätte (zB auch die Fahrt zu einem Rechtsberater) unter Versicherungsschutz.
Ebenso wie bei Maßnahmen des Versicherten zur Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit eines Beförderungsmittels beim Zurücklegen des Weges von und zur versicherten Tätigkeit (s Brackmann aaO S 486h II mwN) besteht bei Maßnahmen, die der Sicherung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall auf einem solchen Weg dienen, im allgemeinen kein Versicherungsschutz, weil sie dem privaten Bereich zuzurechnen sind. Dies gilt, selbst wenn das Fahrzeug fast ausschließlich für Fahrten nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt wird. Es kann dahinstehen, ob Ausnahmen hiervon bestehen, wenn der Versicherte noch an der Unfallstelle bei Gesprächen über die Regulierung des Schadens oder auf dem Weg von der Unfallstelle zur nächstgelegenen Möglichkeit, die Polizei zu rufen, durch einen Unfall verletzt wird. Jedenfalls ist der Versuch des Klägers, zur Sicherung vermeintlicher Schadensersatzansprüche durch körperlichen Einsatz W. an der Weiterfahrt zu hindern, wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen; zumindest diese Maßnahme diente überwiegend eigenwirtschaftlichen Zwecken und nicht mehr der Fahrt von der Wohnung zum Betrieb.
Dem versicherungsrechtlich geschützten Zurücklegen des Weges sind zwar auch solche Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zuzurechnen, die ihren Ursprung in dem Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeiten zusammenhängenden Weges haben (zB Streit aus der Benutzung eines überfüllten Verkehrsmittels; s BSGE 18, 106; BSG SozR 2200 § 550 Nr 48; Brackmann aaO S 484z). Das LSG hat jedoch zutreffend ausgeführt, daß die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und W., in deren Folge der Kläger sich die Verletzungen zuzog, nicht unmittelbar aus der Zurücklegung des Weges entstanden war. Die Schädigung ist vielmehr erst durch die eigenwirtschaftlichen Verhandlungen des Klägers über seine Schadensersatzansprüche und dem anschließenden Versuch eingetreten, den Pkw des W. dadurch zum Anhalten zu bewegen, daß er vor dieses Fahrzeug lief, wobei er auf die Motorhaube geriet. Hier hat der Kläger sowohl durch sein Nachfahren und Anhalten des W. eine Auseinandersetzung über eine - auch nachträglich nicht festgestellte - Unfallbeteiligung des W. ausgelöst als auch durch sein anschließendes Verhalten bewirkt, daß allein die zwischen beiden entstandenen privaten Beziehungen wesentlich für die Verletzung geworden sind (s auch Brackmann aaO S 486 f: Streit um Wechselgeld).
Das somit wesentlich allein dem privaten Bereich eingeschobene Nachfahren des Klägers und die dadurch bewirkte Unterbrechung des Weges nach dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Abs 1 RVO) kann ebenfalls unter Berücksichtigung des Umstandes, daß nach den Feststellungen des LSG der Kläger sich im Unfallzeitpunkt noch im öffentlichen Verkehrsraum seines Weges befand, nicht als nur geringfügig angesehen werden. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ganz kurze und geringfügige Unterbrechungen den Zusammenhang des Weges mit der Betriebstätigkeit selbst dann nicht beseitigen, wenn sie - wie hier - eigenwirtschaftlicher Natur sind. Es kommt darauf an, ob die Unterbrechungen und Umwege üblicherweise örtlich und zeitlich noch als Teile des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen sind (BSG SozR Nrn 5 und 28 zu § 543 RVO aF; BSG Urteil vom 31. Juli 1985 -aaO- USK 85252; s auch RVA EuM 30, 321, 322). Dabei hat der erkennende Senat Unterbrechungen grundsätzlich nur dann noch als Teile des Weges in seiner Gesamtheit angesehen, wenn sie zeitlich und räumlich nur ganz geringfügig waren und Verrichtungen dienten, die "im Vorbeigehen" erledigt werden können. An dieser Voraussetzung fehlt es hier bei einem bis zu 800 m weiten Zurück- und Nachfahren zur Sicherung von Schadensersatzansprüchen (s BSG Urteil vom 31. Juli 1985 aaO zur eigenwirtschaftlichen Zwecken dienenden Rückfahrt von 40 m und BSG SozR 2200 § 550 Nr 24 zur Rückfahrt zu der etwa 280 m entfernt liegenden Wohnung des Versicherten; Brackmann aaO S 486p, 487e). Dieser eingeschobene Teil bildete innerhalb des Weges zur Arbeitsstelle eine deutliche Zäsur.
Die Revision des Klägers ist deshalb unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1667290 |
BB 1990, 1982 |
NJW 1990, 2580 |