Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. März 1979 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darum, ob in der Zeit zwischen dem Beschluß über die Eröffnung des Anschlußkonkurses nach erfolglosem Vergleichsverfahren und der Rechtskraft dieses Beschlusses (9. Dezember 1976 bis 21. Dezember 1976) Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) besteht.
Der klagende Konkursverwalter hat für diese Zeit nach Absprache mit dem Arbeitsamt (AA) den Arbeitnehmern einen der Lohnhöhe entsprechenden Betrag von 7.125,35 DM vorschußweise gezahlt, den er zurückfordert. Zugleich hat er sich von den Arbeitnehmern die Ansprüche auf Kaug für diese Zeit abtreten lassen. Er meint, der Tag des Eröffnungsbeschlusses (9. Dezember 1976) könne hier für den Versicherungsfall nicht maßgebend sein, weil dieser Beschluß kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift des § 80 Abs. 3 iVm § 101 Satz 2 der Vergleichsordnung (VerglO) erst mit der Rechtskraft (21. Dezember 1976) wirksam werde. Die beklagte Bundesanstalt will demgegenüber dem Anschlußkonkursverfahren dieselben Wirkungen zuerkennen wie dem normalen Konkurs; hier wie dort dokumentierte der Eröffnungsbeschluß die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, den eigentlichen Versicherungsfall, an den die Ansprüche auf Kaug geknüpft seien.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Zahlung des Kaug ab (Bescheid vom 21. März 1977; Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1977). Das Sozialgericht (SG) hat die Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen (Urteil des SG Braunschweig vom 1. März 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger das von ihm verauslagte Kaug in Höhe von 7.125,35 DM zu zahlen (Urteil des LSG Niedersachsen vom 27. März 1979).
Die Beklagte hat die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 141b des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG): Durch den Eröffnungsbeschluß werde offenbar, daß der Arbeitgeber zahlungsunfähig sei; die Arbeitnehmer könnten von dieser Zeit an nicht mehr erwarten, daß die Bundesanstalt für weiterhin geleistete Arbeit Lohnersatz leiste.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 27. März 1979 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 1. März 1978 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Mit Recht hat das LSG das Begehren des Klägers, der die Kaug-Beträge für die Zeit vom 9. bis 21. Dezember 1976 nicht „auf Verlangen” des AA (§ 141i AFG), sondern in Absprache mit dem AA vorschußweise gegen Abtretungserklärungen den Arbeitnehmern ausgezahlt hat, als verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) und nicht als reine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) behandelt. Zutreffend hat es den Bescheid und den Widerspruchsbescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger verauslagtes Kaug von 7.125,35 DM zu zahlen. Diesem Erstattungsanspruch liegt zugrunde, daß der Kläger nicht kraft eigenen Rechts, sondern kraft abgeleisteten Rechts vorgeht und die ihm abgetretenen Ansprüche auf Kaug seiner Arbeitnehmer geltend macht (§ 141b AFG iVm § 398 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB–). Die Abtretung ist wirksam, weil sie im wohlverstandenen Interesse der Sozialleistungsberechtigten liegt (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, Allg. Teil vom 11. Dezember 1975 – BGBl I 3015 –).
Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kaug in der Zeit zwischen dem Beschluß über die Eröffnung des Anschlußkonkurses und der Rechtskraft dieses Beschlusses sind erfüllt.
Anspruchsgrundlage ist § 141b Abs. 1 AFG. Danach hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Ansprüche, die der Arbeitnehmer bei Konkurseröffnung hat, sind Ansprüche, die zu dieser Zeit entstanden waren. Soweit die Beklagte meint, die Ansprüche seien nach der Konkurseröffnung entstanden und deshalb nicht geeignet, einen Anspruch auf Kaug auszulösen, verkennt sie die gesetzliche Regelung, wann der Konkurs im Falle des Anschlußkonkurses eröffnet worden ist. Nach § 80 Abs. 3 VerglO wird nämlich „die Entscheidung über die Eröffnung des Konkursverfahrens … erst mit der Rechtskraft wirksam”. Dieser Gesetzeswortlaut läßt keinen Zweifel daran offen, daß das Konkursverfahren hier nicht wie in einem normalen Konkurs (vgl. § 109 Konkursordnung –KO–, § 572 Abs. 1 Zivilprozeßordnung) mit dem Eröffnungsbeschluß, sondern erst mit dessen Rechtskraft eröffnet ist. Weder das Recht des Vergleichsverfahrens noch das Recht des Kaug ermöglicht eine den Wortlaut korrigierende Auslegung.
Es fehlt jeder Anhalt dafür, daß nach Ablauf der Zeit zwischen dem Beschluß und seiner Rechtskraft rückblickend der Beschluß von Anfang an als wirksam beurteilt werden könnte, etwa wenn in der Zeit des Schwebezustandes zwischen Beschluß und Rechtskraft nur der Vollzug des Beschlusses gehemmt wäre. Das ist aber nicht der Fall. Gehemmt ist nicht nur der Vollzug, sondern die Wirkung des Beschlusses. Das entspricht auch dem Sinn der Regelung. In der Zeit des Schwebezustandes kann und soll für den Gemeinschuldner die Möglichkeit bestehen, die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Vergleichsverfahrens doch noch zu schaffen, soweit das nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (vgl. § 73 Abs. 1 Halbs 2 VerglO). Deshalb bleibt das Vergleichsverfahren mit seinen Rechtswirkungen bestehen, und deshalb treten die einschneidenden Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses noch nicht ein (vgl. Bley/Mohrbutter, VerglO, Großkommentar, 1980, § 101 RdNr. 3; Böhle-Stamschräder, VerglO, 9. Aufl § 80 Anm. 3).
Es spricht auch nichts dafür, daß § 141b AFG nur die Existenz und nicht die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses meint. Daran könnte allenfalls dann gedacht werden, wenn diese Vorschrift auf den Eröffnungsbeschluß und nicht auf „die Eröffnung des Konkursverfahrens” hinweisen würde. Indem auf diesen rechtlichen Vorgang hingewiesen wird, wird deutlich, daß es nicht auf den Eröffnungsbeschluß als Tatsache, sondern auf dessen rechtliche Wirkung ankommt.
Für die Meinung der Beklagten, die Regelung der Anspruchsvoraussetzungen für das Kaug weiche von der Regelung des Konkursbeginns ab, spricht auch nicht § 141a AFG. Nach dieser das Recht des Kaug einleitenden Vorschrift haben Arbeitnehmer „bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers” Anspruch auf Kaug. Die Beklagte hält dies offenbar für die eigentliche Anspruchsgrundlage für Kaug, indem sie geltend macht, die Eröffnung des Konkursverfahrens (§ 141b Abs. 1 AFG) und die der Eröffnung gleichgestellten Ereignisse (§ 141b Abs. 3 AFG) seien die Tatsachen, die zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ausreichten, weil es zu schwierig sei, festzustellen, ob und wann die Zahlungsfähigkeit eingetreten sei; der Beschluß über die Eröffnung des Anschlußkonkurses sei ein ebenso sicherer Hinweis auf die Zahlungsfähigkeit wie der Beschluß über die Eröffnung eines Konkurses ohne vorgeschaltetes Vergleichsverfahren. Auf die Wirksamkeit des Beschlusses komme es dabei nicht an.
So ist aber das Verhältnis von § 141a und § 141b AFG nicht zu sehen. § 141a AFG weist nur auf den Zweck des Kaug hin, legt aber nicht die Voraussetzungen für den Versicherungsfall fest. § 141b AFG dagegen regelt unabhängig von dem Zweck des Kaug die versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen und bestimmt zugleich durch den Hinweis auf die insolvenzrechtlichen Regelungen den Zeitpunkt, in dem diese Voraussetzungen erfüllt sind. Der Zweck des Kaug (§ 141a AFG) kann zwar bei der Entscheidung von Zweifelsfragen wichtig sein (vgl. BSG SozR 4100 § 141e Nr. 7 – Beginn der Zweimonatsfrist des § 141e Satz 2 AFG –). Bei der Anwendung des § 141b Abs. 1 AFG ist aber die Wirksamkeitshemmung des § 80 Abs. 3 VerglO iVm § 101 Satz 2 VerglO zu beachten.
Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Auslegung des § 141b AFG, wie sie die Beklagte befürwortet, dem Zweck des Kaug besser gerecht würde als die Auslegung nach dem Wortlaut. Im Gegenteil: Der Zweck der Regelung der VerglO entspricht auch dem Zweck des Kaug. Da im Unterschied zu den normalen Konkursfällen das Vergleichsverfahren immerhin nach Prüfung der Chancen eines Vergleichs durch Gerichtsbeschluß eröffnet worden ist (vgl. § 16 VerglO), sollen die Beteiligten die Chancen zur Vermeidung des Konkurses noch im Laufe der Rechtsmittelfrist und des Rechtsmittelverfahrens wahrnehmen können. Diesem Zweck würde es widersprechen, wollte man dem Gemeinschuldner schon in der Zeit des Schwebezustandes die Verwaltung und die Verfügung über sein Vermögen voll entziehen (§ 6 KO). Diesem Zweck würde es aber in gleicher Weise widersprechen, wenn die Arbeitnehmer in dieser Zeit nicht mehr die Garantie des Konkursausfallrechts hätten und deshalb bestrebt sein müßten, den Arbeitsplatz zu wechseln, ohne das endgültige Ergebnis der Vergleichsbemühungen abzuwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 925881 |
BSGE, 174 |
Breith. 1981, 353 |