Leitsatz (amtlich)
1. Ist zu prüfen, wie lange ein durch einen Arbeitsunfall Verstorbener seine Eltern wesentlich zu unterhalten gehabt hätte, sind grundsätzlich die jeweils neuesten statistischen Erkenntnisse über Familienstand und Kinderzahl sowie die in der Zivilrechtsprechung anerkannte Düsseldorfer Tabelle maßgebend (Abgrenzung von BSG 1974-06-27 8 RU 292/73 = SozR 2200 § 596 Nr 3; 1975-10-22 8 RU 194/74 = BSGE 40, 268, 269 = SozR 2200 § 622 Nr 6).
2. Zur Frage des wesentlichen Unterhaltsbeitrags.
Normenkette
RVO § 596 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; SGB 10 § 48 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1980-08-18; BGB §§ 1601, 1603 Abs. 1, § 1609 Abs. 1-2, § 1610 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 22.02.1983; Aktenzeichen L 2 U 78/82) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 21.05.1982; Aktenzeichen S 4 U 44/78) |
Tatbestand
Streitig ist die Entziehung der Elternrente von März 1978 an.
Die beklagte Berufsgenossenschaft gewährte den klagenden Eheleuten nach dem Tod ihres Sohnes W. (Verstorbener), der im Jahre 1971 durch einen Arbeitsunfall verunglückte, Elternrente. Der damals 23-jährige ledige W. war als Kolonnenführer bei der Firma DSD D. S. GmbH beschäftigt gewesen. Er hatte an seine Eltern monatlich 500,-- DM Unterhalt geleistet. Die Beklagte entzog die Elternrente mit Ablauf des Monats Februar 1978 (Bescheid vom 23. Januar 1978; Widerspruchsbescheid vom 14. März 1978). Im Entziehungszeitpunkt erzielten die Kläger ein Monatseinkommen von 525,70 DM (298,50 DM Rente aus der Arbeiterrentenversicherung, 186,20 DM Altersgeld von der landwirtschaftlichen Alterskasse und 41,00 DM für verpachtete Grundstücke vom Bruder des Verstorbenen).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ua ausgeführt: Die Beklagte habe die Elternrente wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse zu Recht entzogen. Die Kläger seien zwar weiterhin unterhaltsbedürftig, jedoch bestünde die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen nicht mehr. Dieser hätte zum Zeitpunkt der Entziehung der Elternrente das 30. Lebensjahr vollendet. Nach den statistischen Jahrbüchern für die Bundesrepublik Deutschland der Jahre 1963 bis 1971 wäre der Verstorbene seit etwa 4 Jahren verheiratet und hätte ab dem 1. oder 2. Ehejahr zusätzlich für ein Kind zu sorgen gehabt. Das tatsächlich erzielte Einkommen des Verstorbenen hätte den eigenen angemessenen Lebensbedarf nicht überschritten. Das gelte auch unter Berücksichtigung eines mutmaßlichen Bruttomonatsverdienstes von 3.482,-- DM. Hierbei handele es sich gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsverdienst eines Arbeiters der Leistungsgruppe 1 im Industriebereich Stahl- und Leichtmetallbau noch nicht um ein "höheres Einkommen", das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht mehr ausschließlich zur Deckung des angemessenen Unterhalts benötigt werde. Der wahrscheinlich erzielte Monatsverdienst übersteige das statistische Durchschnittseinkommen noch nicht um ein Viertel.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 596 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der angemessene Lebensbedarf und somit die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen seien - meinen die Kläger - nicht ausschließlich nach statistischen Werten zu ermitteln. Vielmehr sei im vorliegenden Fall auf die Besonderheiten der ländlichen Lebensgemeinschaft abzustellen. Dort kämen die den Unterhalt leistenden Kinder auch nach einer Familiengründung noch ihrer Unterhaltsverpflichtung regelmäßig nach, und zwar ohne Rücksicht auf den eigenen angemessenen Unterhaltsbedarf. Insbesondere sei zu berücksichtigen, daß die Eltern in den Familienverband der Kinder aufgenommen würden. Diese Verhältnisse seien bei der Beurteilung zugrunde zu legen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet. Die von den Vorinstanzen bestätigte Entziehung der Elternrente ist rechtswidrig.
Die Beklagte hat die Entziehung der Elternrente auf § 622 Abs 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung gestützt. Indessen ist die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheides nach § 48 Abs 1 Satz 1 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) zu beurteilen. Diese Vorschrift ist auch in Fällen anwendbar, in denen am 1. Januar 1981 noch ein gerichtliches Verfahren anhängig ist (Beschluß des Großen Senats des BSG - BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3; vgl Urteile des 9a Senats vom 21. September 1983 - 9a RV 36/82 - und vom 7. Dezember 1983 - 9a RV 26/82 -; damit sind die vom LSG zitierten entgegenstehenden Urteile des 2. Senats vom 29. April 1982 - 2 RU 83/81 - und vom 28. Juli 1982 - 2 RU 9/81 - und des 7. Senats vom 11. November 1982 - 7 RAr 16/82 - überholt). Beiden Bestimmungen ist gemeinsam, daß über den Anspruch neu zu entscheiden ist, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die für die letzte Feststellung maßgebend gewesen waren, eine wesentliche Änderung eintritt. Dies ist hier zu verneinen.
Die Beklagte war bei unterstellter Vollendung des 30. Lebensjahres des Verstorbenen sowie einer mutmaßlichen Verheiratung mit 26 Jahren und der etwa zwei Jahre danach folgenden Geburt eines Kindes nicht befugt, die Elternrente (§ 596 RVO) zu entziehen. Bei Annahme eines solchen Familienstandes sowie unter Berücksichtigung des vom LSG festgestellten wahrscheinlich erzielten monatlichen Bruttoeinkommens von 3.482,-- DM zum Zeitpunkt der Entziehung war die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen nicht entfallen. Die Unterhaltsbedürftigkeit der Kläger wird ohnehin nicht in Abrede gestellt.
Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht, daß eine die Entziehung der Elternrente rechtfertigende wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 622 Abs 1 RVO bzw nunmehr § 48 Abs 1 SGB X darin liegen kann, daß die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen, vorausgesetzt er wäre noch am Leben, zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrscheinlich weggefallen wäre (so ständige Rechtsprechung ua BSG SozR 2200 § 596 Nrn 1, 3 und 6; BSGE 40, 268, 269 = SozR 2200 § 622 Nr 6; BSGE 47, 135 = SozR 2200 § 596 Nr 7). Nach dem in § 596 RVO enthaltenen Grundgedanken des Ersatzes für den Unterhaltsanspruch (sogenannte Unterhaltsersatzfunktion) nach bürgerlichem Recht im Sinne des § 1601 f BGB (BSGE 47, 135 = SozR 2200 § 596 Nr 7 mwN) sowie insbesondere nach der Wortfassung dieser Vorschrift ".... Rente zu gewähren, solange sie ohne den Arbeitsunfall gegen den Verstorbenen einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können" wird hinreichend deutlich, daß auch in der Zukunft liegende veränderte Verhältnisse entsprechend zu berücksichtigen sind. Allerdings ist die Fallkonstellation hier dadurch gekennzeichnet, daß die künftige mutmaßliche Entwicklung, wie etwa die Unterhaltsfähigkeit, die Einkommensverhältnisse sowie die Unterhaltsbedürftigkeit allein auf fiktiven Annahmen beruht. Folglich lassen sich die hypothetischen Erkenntnisse nur auf Lebenserfahrungswerte stützen, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte einen davon abweichenden Verlauf rechtfertigen (BSGE 40, 268, 269 = SozR 2200 § 622 Nr 6).
Die Unterhaltsfähigkeit des Verstorbenen wäre im maßgeblichen Zeitpunkt anzunehmen, wenn er unter Berücksichtigung seiner mutmaßlichen Familien- und Einkommensverhältnisse ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts (§ 1603 Abs 1 BGB) in der Lage gewesen wäre, die Kläger aus seinem Arbeitseinkommen wesentlich zu unterhalten. Bei Prüfung dieser Frage durfte das LSG zutreffend davon ausgehen, daß der Verstorbene im 26. Lebensjahr geheiratet hätte. Dieser den statistischen Jahrbüchern für die Bundesrepublik Deutschland der Jahre 1963 bis 1971 entnommene Wert (BSGE 47, 135 = SozR 2200 § 596 Nr 7 mwN) besitzt - was jedoch das LSG ungeprüft gelassen hat - nach den statistischen Jahrbüchern auch für die Jahre 1974 bis 1978 Gültigkeit. Gleichfalls durfte das Berufungsgericht davon ausgehen, aus der Ehe sei während der mutmaßlichen Ehedauer von 4 Jahren - vornehmlich im 2. Ehejahr - ein Kind hervorgegangen. Zwar hat der 8. Senat bei seinen Entscheidungen (BSG SozR 2200 § 596 Nr 3 und BSGE 40, 268 = SozR 2200 § 622 Nr 6) auf eine andere auf zwei Kinder lautende statistische Aussage abgehoben. Es ist aber zu bedenken, daß solche statistischen Werte keine konstante Größe darstellen; sie können sich entsprechend dem Verhalten der Wohnbevölkerung im Verlaufe eines zu beurteilenden längeren Zeitraums wesentlich ändern (BSGE 47, 135 = SozR 2200 § 596 Nr 7). Das ist hier der Fall. Nach den statistischen Jahrbüchern der Bundesrepublik Deutschland haben von 1000 Frauen bis zum Alter von 45 Jahren innerhalb der ersten vier Ehejahre ein Kind lebend geboren: 625 im Jahre 1976, 622 im Jahre 1977 und 626 im Jahre 1978, wohingegen innerhalb der ersten vier Ehejahre noch ein zweites Kind zur Welt kam: 213 im Jahre 1976, 207 im Jahre 1977 und 210 im Jahre 1978. Das Zahlenverhältnis von knapp 63 % für das erste Kind sowie von etwa 21 % für das zweite Kind während der ersten vier Ehejahre macht deutlich, daß der Verstorbene im Entziehungszeitpunkt nach der Lebenserfahrung allenfalls ein Kind - neben der Ehefrau - zu unterhalten gehabt hätte.
Bei dieser Sachlage sowie iVm dem ohne Regelverstoß festgestellten mutmaßlichen Bruttomonatsverdienst des Verstorbenen von 3.482,-- DM im Jahre 1978 (§ 163 SGG) durfte das LSG dessen Unterhaltsfähigkeit nicht verneinen. Zu Unrecht beruft es sich dabei auf die Rechtsprechung des 8. Senats (BSGE 40, 268 = SozR 2200 § 622 Nr 6). Zum einen stellt der 8. Senat - wie ausgeführt - entgegen den für das Jahr 1978 maßgeblichen statistischen Unterlagen noch auf eine Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen für drei Personen (Ehefrau und zwei Kinder) ab; zum anderen läßt sich die Annahme des 8. Senats nicht aufrecht erhalten, bei der Ermittlung der - fiktiven - Unterhaltsfähigkeit entspräche nach der Lebenserfahrung der angemessene Lebensbedarf eines tariflich oder ortsüblich entlohnten Hilfsarbeiters und in der Regel auch eines Facharbeiters in etwa dem erzielten Nettoeinkommen. Eine solche pauschale Unterstellung läßt sich aus der Lebenserfahrung nicht ableiten; sie steht außerdem mit den Normen des bürgerlichen Rechts nicht in Einklang. Die Elternrente setzt nach ständiger Rechtsprechung einen Unterhaltsanspruch der Unterhaltsbedürftigen nach § 1601 f BGB voraus (vgl ua BSGE 47, 135 = SozR 2200 § 596 Nr 7). Ebenso richtet sich das Fortbestehen des Elternrentenanspruches ua nach der Unterhaltsfähigkeit des durch einen Arbeitsunfall tödlich Verletzten. Der künftige mutmaßliche Geschehensablauf ist folglich ebenfalls nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen, wie sie die Rechtsprechung der Zivilgerichte entwickelt hat. Sie gewährleistet eine realitätsbezogene Feststellung. Der erkennende Senat ist nicht gehindert, von den genannten Urteilen des 8. Senats abzuweichen. Dieser Senat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht mehr mit Unfallsachen befaßt. Zudem ist die Zuständigkeit für Streitigkeiten aus der gesetzlichen Unfallversicherung vom 8. Senat auf den erkennenden Senat übergegangen.
Der unbestimmte Rechtsbegriff des "angemessenen Unterhalts" in § 1603 Abs 1 BGB, der die Unterhaltspflicht unter Berücksichtigung der vorrangigen Verpflichtung zum Unterhalt der Ehefrau und den minderjährigen Kindern gegenüber in bezug auf andere Unterhaltsberechtigte eingrenzt (§ 1609 Abs 1 und 2 BGB), kennzeichnet den Grad der jeweiligen Bedarfsbefriedigung (Göppinger/Unterhaltsrecht 4. Aufl 1981 RdNr 896; Staudinger/Gotthardt, Komm zum BGB 10./11. Aufl 1966, § 1611 RdNr 3), dh die Qualität und Quantität des zugestandenen "Warenkorbes" tunlichst nach den Umständen des Einzelfalles. Eine derartige Bedarfsermittlung ist aber mangels ausreichender und detaillierter statistischer Erhebungen objektiv nicht durchführbar (vgl ua die Begründung der Bundesregierung zur Regelunterhaltsverordnung, BR-Drucks 271/70, S 7 f). Um dennoch zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen, besteht aus Gründen der Rechtssicherheit und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ein Bedürfnis nach einer gewissen Pauschalierung. Aufgrund dessen haben die Zivilgerichte in vielfältiger Weise versucht, Tabellen aufzustellen, aus denen sich Richtwerte für den jeweils geschuldeten Unterhalt ergeben (OLG Stuttgart, GAVorm 1977, 246). Stets ist aber betont worden, daß die Anwendung von Unterhaltstabellen nicht zur Verdrängung der Einzelfallgerechtigkeit führen darf, die in den gesetzlichen Vorschriften über die Unterhaltsgewährung ihren Ausdruck gefunden hat (BGH NJW 1969, 919; KG FamRZ 1977, 818; Wacke in Münchner Kommentar, § 1361 BGB Anm 10). In der Praxis am häufigsten angewendet werden die vom 3. Senat des OLG Düsseldorf fortgeführten Unterhaltsrichtsätze des LG Düsseldorf (sogenannte "Düsseldorfer Tabelle" - Stand 1.1.1977, abgedruckt in NJW 1977, 289; Stand 1.1.1979, abgedruckt in NJW 1979, 25 - vgl OLG Frankfurt FamRZ 1977, 799; Wacke aaO § 1361 Anm 1). Die in dieser Tabelle enthaltenen Werte sind in längeren Ermittlungen aufgrund sämtlicher statistischer Angaben des Bundes und der Länder sowie von Auskünften der zuständigen Ministerien und Verbände zusammengestellt worden (vgl Göhring FamRZ 1961, 512). Außerdem ist die Düsseldorfer Tabelle der jeweiligen Wirtschaftslage angepaßt. Sie hat wegen ihrer Aktualität bei den Familiengerichten besondere Verbreitung erlangt (Gesamtübersicht in NJW 1981, 963 f). Die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen unterhaltsrechtlichen Grundsätze sind auch vom BGH bisher unbeanstandet geblieben (vgl ua BGHZ 70, 151, 155; BGH FamRZ 1979, 692, 694; 1981, 241, 242; 1982, 365, 366 und 587, 588). Nach der Rechtsprechung des 2. Senats können Unterhaltstabellen in bezug auf einen Elternrentenanspruch Anhaltspunkte für den angemessenen Mindestbedarf liefern (Urteil vom 29. März 1984 - 2 RU 71/82 -, zur Veröffentlichung in SozR bestimmt). Gleichermaßen hat der erkennende Senat die Anwendung der Düsseldorfer Tabelle im Hinblick auf § 48 BVG für grundsätzlich zulässig erachtet (BSG SozR 3100 § 48 Nr 2). Schließlich hat der 7. Senat die Düsseldorfer Tabelle im Rahmen des § 48 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) als zutreffende Beurteilungsgrundlage gewertet (Urteil vom 20. Juni 1984 - 7 RAr 18/83 -).
Unter Beachtung der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen der Zivilgerichte hält der Senat die Düsseldorfer Tabelle für einen geeigneten Beurteilungsmaßstab, um den eigenen angemessenen Unterhaltsbedarf des Verstorbenen und den seiner Familie und damit dessen Unterhaltsfähigkeit festzustellen. Sie gewährleistet eine praktikable Handhabung und ist nicht zuletzt geboten, um Aufklärungsschwierigkeiten zu überwinden (vgl § 287 Abs 2 ZPO). Der Senat verkennt nicht, daß damit der Trend einer möglichst individuellen Beurteilung aufgegeben und der Generalisierung und Typisierung in Fällen der vorliegenden Art der Vorzug eingeräumt wird. Dieses Problem stellt sich auch im Versorgungsrecht bei der Gewährung von Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Während es dort um den wahrscheinlichen beruflichen Werdegang des Kriegsbeschädigten geht, der nachzuvollziehen ist (vgl § 2 Abs 1 der DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG vom 18. Januar 1977 - BGBl I 162 -), ist im Rahmen des Elternrentenanspruches (§ 596 RVO) der mutmaßliche Geschehensablauf maßgebend. Ein solcher gleichermaßen hypothetischer Verlauf orientiert sich an der Lebenserfahrung, wertet im wesentlichen schematisierend und läßt von daher eine individuelle Beurteilung grundsätzlich nicht zu, es sei denn konkrete Anhaltspunkte lägen vor (BSG 40, 268, 269 = SozR 2200 § 622 Nr 6). Solche den Unterhaltsanspruch stützenden besonderen Umstände sind entgegen der Revision nur beachtenswert, wenn sich auch daraus ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch ableiten läßt. Eine zu unterstellende nur tatsächliche Unterhaltsleistung - selbst wenn sie in ländlichen Bevölkerungskreisen üblich sein sollte - genügt nicht, wie das LSG richtig erkannt hat ( vgl auch Urteil des 2. Senats vom 29. März 1984 aaO). Überdies erfordert das Gebot der Gleichbehandlung eine möglichst umfassende Pauschalierung; sie erscheint nicht zuletzt und gerade auch im Interesse der Rechtssicherheit zwingend erforderlich. Im übrigen vermag die Verwaltung ihrer Aufgabe, das Gesetz zu vollziehen, unter den gegebenen Umständen besser gerecht zu werden, wenn sie sich an allgemein gültige Richtwerte hält. Sie ermöglichen es, die zu behandelnden Fälle ohne größeren Verwaltungsaufwand zeitgerecht und gleichmäßig abzuwickeln.
Bei Zugrundelegung der Düsseldorfer Tabelle zur Bestimmung der Unterhaltsfähigkeit ist zunächst das sogenannte Nettoeinkommen zu ermitteln. Es errechnet sich aus dem Bruttoeinkommen abzüglich der für das Jahr 1978 maßgeblichen Lohn- und Kirchensteuer sowie der Sozialversicherungsbeiträge. Bei einem Bruttomonatslohn von 3.482,-- DM beträgt die Lohnsteuer in Klasse III/1 492,60 DM und die Kirchensteuer (im Saarland 9 %) 39,83 DM (vgl Luchterhand, Lohnsteuer-Tabelle ab 1. Januar 1978). Die arbeitnehmeranteiligen Sozialversicherungsbeiträge belaufen sich auf 16,24 % (Rentenversicherungsbeitrag 9 %: § 1385 Abs 1 und 4 Buchst a RVO; Arbeitslosenversicherungsbeitrag 1,5 %: § 174 AFG idF des Art 1 § 1 Nr 37 HStruktG-AFG vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113; Krankenversicherungsbeitrag 5,74 %: Durchschnittsbeitragssatz der Krankenkassen für versicherungspflichtige Mitglieder mit Entgeltfortzahlungsanspruch für mindestens sechs Wochen ab 1. Januar 1978 lt. Bek. BMA vom 13. März 1978 - BArbBl S 252 -), was einen Gesamtbetrag von 565,48 DM ausmacht. Der Gesamtabzugsbetrag beläuft sich somit aufgerundet auf 1.098,-- DM (492,60 + 39,83 + 565,48), ergibt also einen Nettolohn von 2.384,-- DM. Hiervon sind pauschal 5 % als arbeitsbezogene Werbungskosten in Abzug zu bringen (= abgerundet 120,-- DM), so daß ein sogenanntes bereinigtes Nettoeinkommen von 2.264,-- DM verbleibt. Dieser Betrag ist Berechnungsgrundlage für die Ermittlung des angemessenen Unterhaltsbedarfs des Verstorbenen und seiner Familie (Ehefrau und ein Kind). Gegenüber den nicht bevorrechtigten Unterhaltsberechtigten, wozu die volljährigen Kinder und die Eltern des Verstorbenen zählen, ist dem Unterhaltspflichtigen der für das Jahr 1978 maßgebliche große Selbstbehalt (vgl Palandt/Diederichsen, Komm zum BGB Anm 2b zu § 1603) in Höhe von 1.000,-- DM zu belassen, während der Ehegattenunterhalt 2/5 des bereinigten Nettoeinkommens abzüglich des Kinderunterhalts (er liegt gemessen an dem Alter des Kindes von bis zu sechs Jahren und der Einkommensgruppe 4 bei 215,-- DM) ausmacht, also einen Betrag von 820,-- DM ergibt. Außerdem ist der Kinderunterhalt von 215,-- DM abzüglich des gesetzlichen Kindergeldes (dieses ist kein Einkommen des Kindes: BSGE 37, 240, = SozR 2200 § 1267 Nr 1) für das erste Kind von 50,-- DM, also 165,-- DM zu berücksichtigen. Der angemessene Unterhaltsbedarf beläuft sich demnach auf 1.985,-- DM (1.000,-- DM + 820,-- DM + 165,-- DM). Dieser Betrag ist nahezu deckungsgleich mit den für das Jahr 1978 statistisch erfaßten monatlichen Verbrauchsausgaben je Haushalt in Höhe von 2.150,31 DM (BABl 1984/4 S 91 Tabelle 119), sofern man die dort ermittelten Werte eines 4-Personen-Arbeitnehmer-Haushalts mit mittlerem Einkommen auf 3 Personen reduziert. Das geschieht in der Weise, daß von dem für den 4-Personenhaushalt angesetzte Beträge von 2.150,31 der Kindesunterhalt von 215,-- DM abgezogen wird, was 1.935,31 ergibt. Da andererseits die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Werte von einer Familie mit zwei Kindern ausgehen, sind Abschläge angemessen, weshalb der errechnete Betrag des angemessenen Unterhaltsbedarfs von 1.985,-- DM noch geringfügig unterschritten wird. Demgemäß wäre der Verstorbene zumindest in der Lage gewesen, den Klägern einen Beitrag zum Unterhalt in Höhe von 300,-- DM (= Differenz zwischen bereinigtem Nettoeinkommen und angemessenem Unterhaltsbedarf mit Abschlag) zu leisten.
Der Anspruch auf Elternrente setzt weiterhin voraus, daß der Unterhaltspflichtige wesentlich zum Unterhalt beiträgt bzw beigetragen hätte. Eine mehr als hälftige Unterhaltsleistung wird dabei nicht gefordert (BSG SozR 2200 § 596 Nr 6). Die Rechtsprechung hat allerdings eine genaue Festlegung vermieden, was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff "wesentlich" zu verstehen ist. Hierfür war offenbar die Erwägung leitend, daß ein nomineller Betrag nicht als geeigneter Maßstab dienen kann (vgl BSG SozR 3110 § 48 Nr 7). Vielmehr ist "wesentlich" im Verhältnis zu dem Unterhaltsbedarf und den zur Verfügung stehenden aber nicht ausreichenden Unterhaltsmitteln zu sehen. Dabei bestimmt sich die Höhe des Unterhaltsanspruchs nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 Abs 1 BGB). Der hier für die Kläger in Betracht kommende angemessene Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf (§ 1610 Abs 2 BGB). Er ist durch den den Klägern im Jahre 1978 verfügbaren monatlichen Barbetrag von 525,70 DM nicht gedeckt, entspricht vielmehr dem im Saarland gewährten Regelsatz nach § 22 Abs 2 BSHG (ab 1. April 1978 für den Haushaltungsvorstand 290,-- DM und die Ehefrau 232,-- DM = 522,-- DM: vgl Sozialhilferichtlinien Rheinland-Pfalz, Ausgabe Saarland, Loseblattsammlung, Stand 1. Januar 1983 - SHR -). Die Regelsätze decken aber nur den notwendigen Lebensunterhalt ab (§§ 11, 12 BSHG), sind also mit dem angemessenen Unterhalt nicht identisch (BSG SozR 2200 § 596 Nr 1). Der notwendige Unterhalt entspricht dem Betrag, der bei bescheidenen Lebensverhältnissen zur Bestreitung des unbedingt notwendigen Bedarfs erforderlich erscheint (BSG SozR Nr 6 zu § 205 RVO; Göppinger, aaO, RdNr 897; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 6. Aufl 1983, RdNr 80). Zu ihm gehören nicht die Mittel zur Beschaffung ua von Winterfeuerung, Kleidung, Schuhen, Wäsche und Hausrat von größerem Anschaffungswert oder für größere Instandhaltung sowie Aufwendungen aus besonderen Anlässen. Dafür werden zusätzliche - meist einmalige - Sozialleistungen gewährt (BSG SozR 2200 § 596 Nr 1). Daraus folgt, daß zwischen dem notwendigen und dem angemessenen Unterhalt eine nicht unerhebliche Spannbreite liegt, die in etwa von dem Betrag abgedeckt würde, den der Verstorbene als Unterhalt zu leisten im Stande wäre. Mit dem - fiktiven - Unterhaltsbeitrag des Verstorbenen von etwa 300.-- DM hätte den Klägern der angemessene Unterhalt zur Verfügung gestanden und damit deren Unterhaltssituation entscheidend verbessert; er ist mithin wesentlich im Sinne der genannten Rechtsprechung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1663979 |
BSGE, 77 |