Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Entstehen des Anspruchs hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger mit Wahlerklärung. ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen bei einzelnen Arbeitsunfähigkeitszeiten derselben Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
Bei freiwillig versicherten hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen, bei denen entsprechend ihrer Wahlerklärung der Anspruch auf Krankengeld erst von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an entsteht, setzt der Krankengeldanspruch jedenfalls dann nicht eine zuvor bestehende "ununterbrochene" Dauer der Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen voraus, wenn die einzelnen Arbeitsunfähigkeitszeiten auf derselben Krankheit beruhen.
Normenkette
SGB V § 19 Abs. 2, § 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fassung: 2009-07-17, § 45 Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 4, § 46 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1988-12-20, S. 2 Fassung: 2009-07-17, § 48 Abs. 1 Sätze 1-2, § 49 Abs. 1 Nr. 1, § 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 2-3, § 192 Abs. 1 Nr. 2; EntgFG § 3 Abs. 1 Sätze 1-2, § 5; BGB § 191; RVO § 182 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. April 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg) an freiwillig Versicherte.
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Der Kläger ist als Bäckermeister hauptberuflich selbstständig erwerbstätig und seit 14.2.2011 bei der beklagten Krankenkasse freiwillig versichert. In diesem Zusammenhang gab er eine Wahlerklärung gemäß § 44 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V ab, und erklärte ua, seine Mitgliedschaft solle den Anspruch auf Krg ab der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit (AU) umfassen. Im Laufe des Jahres 2014 reichte der Kläger bei der Beklagten ärztliche AU-Bescheinigungen für folgende Zeiträume ein: |
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13.4. - 14.4.2014 (2 Tage, Diagnose: R07.4) |
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18.4. - 7.5.2014 (20 Tage, Diagnose: J86.9) |
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4.7. - 1.8.2014 (29 Tage, Diagnose: J86.9) |
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4.8. - 25.8.2014 (22 Tage, Diagnose: J89.4) |
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10.11.2014 - 2.1.2015 (54 Tage, Diagnose: J45.9; J94.8; J45.0). |
Die Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass die Ansprüche aufgrund seiner Wahlerklärung erst ab der siebten Woche der AU entstünden: Da eine Addition seiner AU-Zeiten bis zur Erreichung von sechs Wochen nicht erfolge, führe lediglich die zuletzt bestehende AU zu einem Krg-Anspruch vom 22.12.2014 bis 2.1.2015, weil die vorherigen Zeiträume jeweils kürzer als sechs Wochen gewesen seien. Für diese Zeit bewilligte die Beklagte dem Kläger sodann Krg iHv 34,76 Euro kalendertäglich (Bescheid vom 26.6.2015). Die Krg-Gewährung für davorliegende Zeiträume lehnte sie ab (Bescheid vom 28.7.2015; Widerspruchsbescheid vom 21.9.2015).
Das gegen die Leistungsablehnung angerufene SG hat die Klage abgewiesen, weil der Wortlaut des § 46 S 2 SGB V aF erkennen lasse, dass eine zusammenhängende sechswöchige AU-Zeit erforderlich sei und mehrere auf sechs Wochen addierte Zeiten für den Krg-Beginn nicht ausreichten (Urteil vom 2.3.2016).
Im Berufungsverfahren ist der Kläger im Wesentlichen erfolgreich gewesen. Das LSG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide und des SG-Urteils verurteilt, ihm ein kalendertägliches Krg von 34,76 Euro auch für folgende Zeiträume zu gewähren: 24.7. bis 1.8.2014, 4.8. bis 25.8.2014 und 10.11. bis 21.12.2014. Im Übrigen - bezüglich einer zudem geltend gemachten Krg-Gewährung während einer nicht von der Beklagten durchgeführten Maßnahme der stationären Rehabilitation - hat das LSG die Berufung zurückgewiesen: Bei dem Kläger habe in den oa Zeiträumen nach ärztlicher Feststellung AU bestanden, die auf derselben Krankheit (= Erkrankung der Lunge) beruht habe. § 46 S 2 SGB V aF schiebe das Entstehen des Krg-Anspruchs für freiwillig Versicherte nach Abgabe einer entsprechenden Krg-Wahlerklärung zwar um sechs Wochen vom Beginn der AU an auf. Dem Regelungszusammenhang der Norm sei aber nicht zu entnehmen, dass der Krg-Anspruch erst nach einer ununterbrochenen sechswöchigen AU-Dauer entstehe. Die Auslegung von § 46 S 2 SGB V aF nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie nach seinem Sinn und Zweck belege vielmehr das Gegenteil. Die sechs Wochen, für die dem hier betroffenen Personenkreis trotz vorliegender AU kein Krg gewährt werde, sei genauso zu errechnen wie dies bei Arbeitnehmern nach § 3 Abs 1 S 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) der Fall sei. Für Letztere zahle der Arbeitgeber zunächst "bis zur Dauer von sechs Wochen" das Arbeitsentgelt fort, was arbeitsrechtlich allgemein so verstanden werde, dass die einzelnen AU-Zeiten addiert würden, bis die Anspruchszeit von 42 Kalendertagen (= 6 Wochen x 7 Tage) verbraucht sei. Deshalb habe auch die Wendung "ab der siebten Woche" dort die Bedeutung "ab dem 43. Tag der AU". Entsprechend müssten auch bei § 46 S 2 SGB V aF die noch keinen Anspruch auf Krg begründenden sechs Wochen nicht zusammenhängend verlaufen. Neben dieser "Analogie" folge dies auch aus § 48 SGB V, demzufolge die 78 Wochen-Krg-Höchstdauer innerhalb von drei Jahren bei Vorliegen derselben Krankheit ebenfalls nicht zusammenhängen, sondern nur addiert "576" Tage ergeben müssten. Nach den Einkünften aus dem Gewerbebetrieb, die der Kläger nach dem Einkommensteuerbescheid für 2012 erzielt habe, errechne sich - mit der Beklagten - ein kalendertägliches Krg von 34,76 Euro für die ihm zustehenden Leistungstage (Urteil vom 25.4.2017).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 44 Abs 1 S 1 und § 46 S 1 und S 2 SGB V in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung (aF): Die vom LSG für die Auslegung des § 46 S 2 SGB V aF gebildete Analogie zu § 3 Abs 1 S 1 EntgFG sei rechtsirrig. Während der Wortlaut des § 46 S 2 SGB V aF nämlich das Entstehen eines Anspruchs von einem bestimmten Zeitpunkt an im Sinne einer Karenzzeit bzw Wartezeit regele ("von der siebten Woche ... an"), habe § 3 Abs 1 S 1 EntgFG eine Regelung zum Höchstanspruchsinhalt arbeitsrechtlich geschuldeter Leistungen zum Gegenstand ("bis zur Dauer von sechs Wochen"). Auch die Gesetzesbegründung zu § 46 S 2 SGB V aF streite nicht für den Kläger, da darin für die Geltung einer Sechs-Wochen-Frist auf die besondere Einkommenssituation Selbstständiger und die Vermeidung von Missbrauch hingewiesen werde. Das LSG stelle "fiktiv" eine "vergleichbare" Situation her, die nicht mit "demselben Maßstab" gleichgesetzt werden dürfe, nach dem § 46 S 2 SGB V aF auszulegen sei. Das Berufungsgericht zeige auch nicht hinreichend auf, dass sich die (ohnehin nur regelmäßige) sechswöchige AU-Dauer sich "faktisch-normativ" aus § 3 Abs 1 S 1 EntgFG iVm § 49 Abs 1 Nr 1 SGB V ergebe. Eine Verbindung zwischen beiden Normen bestehe weder mittels einer Rechtsgrund- noch einer Rechtsfolgenverweisung. Eine Übernahme des Maßstabs und des Regelungsregimes des § 3 Abs 1 EntgFG für die Bemessung der Sechs-Wochen-Frist des § 46 S 2 SGB V aF habe weder der Gesetzgeber beabsichtigt, noch bestehe dafür sonst eine juristische Handhabe. Der vom LSG gezogene Schluss führe sogar zu einer Besserstellung hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger. Dessen Inbezugnahme arbeitsrechtlicher Vorschriften für Krg-Ansprüche sei generell systemwidrig und der Hinweis des LSG auf § 48 SGB V abwegig.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. April 2017 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. März 2016 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das LSG-Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs 2 iVm § 165 S 1, § 153 SGG).
Die zulässige Revision der beklagten Krankenkasse ist unbegründet.
Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die angefochtenen Bescheide der Beklagten und das SG-Urteil in dem im Berufungsverfahren ausgeurteilten Umfang rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen. Er hat Anspruch auf Krg auch für die Zeiträume vom 24.7. bis 1.8.2014, 4.8. bis 25.8.2014 und 10.11. bis 21.12.2014.
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers sind die Regelungen des SGB V zum Krg in den Fassungen, die zur Zeit der von ihm begehrten Leistungen im Jahr 2014 galten. Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB V (idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2477) haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Grundvoraussetzung für einen Anspruch auf Krg ist dabei, dass zur Zeit des jeweiligen Entstehens des Krg-Anspruchs ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krg bestand. Dies war hier ausgehend von den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG, die die Beklagte im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat (§ 163 SGG), aus Rechtsgründen der Fall.
Zwar schließt § 44 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V (idF von Art 15 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, BGBl I 1990) für hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige - wie den Kläger - grundsätzlich einen Anspruch auf Krg aus, eröffnet diesem Personenkreis aber zugleich die Option, gegenüber der Krankenkasse zu erklären, dass ihre (freiwillige) Versicherung auch den Anspruch auf Krg umfassen soll (Wahlerklärung). Von dieser Möglichkeit hat der Kläger Gebrauch gemacht. Er war nach den Feststellungen des LSG auch während der oben genannten Zeiträume - die allein noch den Gegenstand des Revisionsverfahrens bilden - nach ärztlicher Feststellung arbeitsunfähig krank und erfüllte alle weiteren Anspruchsvoraussetzungen. Der Krg-Anspruch entstand nach § 46 S 1 Nr 2 SGB V in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung (aF) grundsätzlich jeweils von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgte. Für Versicherte allerdings, die wie der Kläger eine Wahlerklärung nach § 44 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V abgegeben haben - ebenso wie für die nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Versicherten - entsteht der Krg-Anspruch nach § 46 S 2 SGB V aF allerdings (erst) von der siebten Woche der AU an. Zu einer Vorverlegung des Zeitpunkts des Entstehen des Anspruchs für die in § 46 S 2 SGB V aF genannten Versicherten kam es im Falle des Klägers nicht, weil er - wie vom LSG festgestellt - einen dafür erforderlichen Tarif nach § 53 Abs 6 SGB V nicht gewählt hatte.
2. Ausgehend von diesem rechtlichen Hintergrund war das Entstehen des Krg-Anspruchs des Klägers um sechs Wochen vom Beginn der ärztlich festgestellten AU an aufgeschoben. Nach den Feststellungen des LSG, die die Beklagte nicht mit Revisionsrügen angegriffen hat, beruhte die mit Unterbrechungen vom 13.4.2014 bis 2.1.2015 beim Kläger bestehende AU auf derselben Lungenerkrankung. Das LSG hat revisionsrechtlich beanstandungsfrei zugrunde gelegt, dass der Krg-Anspruch des Klägers begann, nachdem die Summe seiner AU-Zeiten 42 Kalendertage (= 6 Wochen x 7 Tage) im Jahr 2014 erreicht hatte, also vom 43. Tag seiner AU an. Dies war hier der 24.7.2014.
Entsprechend dem Urteilstenor des LSG war Krg jeweils in den Zeiträumen zu gewähren, für die die AU wegen derselben Krankheit bis zur Höchstdauer nach § 48 Abs 1 S 1 SGB V Leistungsansprüche auslöste (= für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der AU). Hingegen war der von der Beklagten vertretenen Auslegung des § 46 S 2 SGB V aF dahin, dass der Krg-Anspruch erst nach einer "ununterbrochenen" AU-Dauer von sechs Wochen entstehe, aus Rechtsgründen nicht zu folgen.
Zwar kann dieses Ergebnis entgegen der Ansicht des LSG nicht aus einer "Analogie" zu § 3 Abs 1 S 1 EntgFG hergeleitet werden; denn dies würde eine Regelungslücke in § 46 S 2 SGB V aF erfordern. Eine solche Regelungslücke liegt aber schon deshalb nicht vor, weil die genannte Norm das Entstehen von Krg-Ansprüchen für den hier betroffenen Personenkreis ausdrücklich regelt, indem dort formuliert wird, dass der Anspruch "von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit" an entsteht. Methodisch zutreffend erscheint es hingegen, zunächst den genauen Inhalt des § 46 S 2 SGB V aF unter Heranziehung der in der Methodenlehre allgemein anerkannten juristischen Auslegungsmethoden zu ermitteln. Der Wortlaut des § 46 S 2 SGB V aF (dazu a), die Regelungssystematik, in die der Regelungsinhalt als Bestimmung zur Festlegung eines tatbestandlich zu beachtenden Zeitraums - in ähnlichen Vorschriften des SGB V und des Sozialrechts - eingebunden ist (dazu b), die Gesetzesmaterialien zu der Vorschrift (dazu c) sowie ihr darin dokumentierter Sinn und Zweck (dazu d) stützen allerdings die Rechtsauffassung des LSG. Die 6 Wochen, für die einem hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen trotz ärztlich attestierter AU kein Krg gewährt wird, sind danach jedenfalls dann, wenn - wie bei dem Kläger - die einzelnen AU-Zeiten auf derselben Krankheit beruhen (vgl dazu § 48 Abs 1 S 2 SGB V einerseits, § 3 Abs 1 S 2 EntgFG andererseits) im Kern nach weitgehend gleichen Kriterien zu ermitteln wie in dem Fall, dass versicherte Beschäftigte (Arbeitnehmer) typischerweise keinen realisierbaren Anspruch auf Krg mit Blick auf den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen ihren Arbeitgeber haben.
a) Der reine Wortlaut des § 46 S 2 SGB V aF gibt für die Auslegung im Sinne der Beklagten nichts Entscheidendes her. Danach "entsteht der Anspruch von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an". Rein sprachlich lässt die Formulierung sowohl das Verständnis zu, dass der Anspruch erst nach einer zu einer Summe von 42 Tagen (=6 Wochen) führenden Addition der einzelnen AU-Tage entsteht, als auch die Annahme, dass die Zeit vor dem Beginn der siebten Woche ein zusammenhängender Zeitraum von sechs Wochen sein muss. Allerdings wird in der Vorschrift wörtlich nicht einmal das Erfordernis einer zuvor abgelaufenen Frist von "sechs Wochen" aufgestellt, sondern auf das Entstehen des Krg-Anspruchs "von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an" abgestellt. Im Gesetzestext findet sich auch nicht - was bei einer Auslegung im Sinne der Beklagten nahegelegen hätte - ausdrücklich die in einem weiteren (zusätzlichen) Tatbestandsmerkmal hervorgehobene Einschränkung, dass die Zeit vor der siebten Woche der AU eine "zusammenhängende" Sechs-Wochen-Frist sein muss. Schon das spricht für die zutreffende Auslegung durch das Berufungsgericht.
b) Der rechtssystematische Zusammenhang, in dem § 46 S 2 SGB V aF sowohl mit den anderen Bestimmungen des SGB V zum Krg steht (dazu aa), als auch ein Vergleich der Systematik mit ähnlichen Fristenregelungen (dazu bb) sprechen ebenfalls gegen das Erfordernis einer zusammenhängenden Sechs-Wochen-Frist. Denn diesen ist typischerweise zu entnehmen, dass immer dann, wenn für die Ausgestaltung eines Leistungsanspruchs über das reine Verstreichen einer Frist hinaus weitere (einschränkende) Voraussetzungen erfüllt sein müssen, diese Voraussetzungen auch explizit im Gesetzestext genannt werden. Das ist in § 46 S 2 SGB V aF aber nicht der Fall.
aa) Zutreffend hat schon das LSG insoweit auf § 48 Abs 1 SGB V hingewiesen, der den Grundsatz aufstellt, dass Versicherte Krg "ohne zeitliche Begrenzung" erhalten, jedoch für den Fall der AU wegen derselben Krankheit für längstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren. Hieraus ist zum einen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu entnehmen. Zum anderen liegt dem allgemein das Verständnis zugrunde, dass die 78 Wochen keineswegs zusammenhängend verlaufen müssen, sondern für die Erreichung des Drei-Jahres-Zeitraums letztlich die Summe der einzelnen AU-Tage entscheidend ist. Die Anzahl dieser Tage zur Erreichung der Höchstdauer des Zeitraums muss nur zusammengerechnet 78 Wochen = 546 Tage betragen.
Auch an anderen Stellen in den Regelungen des SGB V zum Krg finden sich im Übrigen besondere Regelungen, wenn für das Eintreten einer Rechtsfolge über die reine Dauer bzw für den Ablauf bestimmter Leistungs- oder Leistungsausschlussfristen hinaus zusätzliche Merkmale erfüllt sein müssen (vgl zB § 45 Abs 2 S 1 und 2 sowie Abs 4 SGB V ≪"Kinderkrankengeld" - Höchstdauer von zehn Arbeitstagen zusätzlich geknüpft an das jeweilige Kalenderjahr≫; § 51 Abs 1 S 1, Abs 2 und 3 SGB V ≪Befugnis der Krankenkasse, den Krg-Bezieher innerhalb von zehn Wochen zur Stellung eines Rehabilitations bzw Rentenantrags aufzufordern, jedoch nur bei ärztlich-gutachterlich festgestellter erheblich gefährdeter oder geminderter Erwerbsfähigkeit≫; vgl auch § 44 Abs 1 SGB V iVm § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V sowie § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V und § 19 Abs 2 SGB V). Für die hier gleichwohl zugrunde gelegte Annahme zusätzlicher "ungeschriebener" Tatbestandsmerkmale für den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge ist kein rechtlicher Gesichtspunkt ersichtlich.
bb) Letztlich kann insoweit ergänzend auch die Rechtslage nach § 3 EntgFG angeführt werden, auf den das LSG abgestellt hat. Auch dort werden - unbeschadet der stets in den Blick zu nehmenden unterschiedlichen Zielrichtung der für das Arbeitsrecht normierten Ansprüche im Verhältnis zum SGB V (vgl dazu - bzgl § 5 EntgFG - zuletzt Senatsurteil vom 25.10.2018 - B 3 KR 23/17 R - RdNr 28, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) - für die Gewährung und Wiedergewährung der gesetzlichen sechswöchigen Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers an arbeitsunfähige Arbeitnehmer im Krankheitsfall "bis zur Dauer von sechs Wochen" über den reinen Fristablauf hinaus noch besondere Voraussetzungen aufgestellt bzw Einschränkungen normiert, die sich zwar nicht in gleicher oder ähnlicher Weise in § 46 S 2 SGB V aF finden. Jedoch wird dieser Höchstleistungsdauer in § 3 EntgFG nicht etwa ein enges Verständnis im Sinne einer zusammenhängenden Frist zugrunde gelegt, sondern diese wird in Anlehnung an § 191 BGB (ebenfalls) als Frist von 42 Kalendertagen verstanden (vgl nur BAG Urteil vom 8.3.1973 - 5 AZR 491/72 - AP Nr 29 zu § 1 LFZG; Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz - Aufwendungsausgleichsgesetz, 8. Aufl 2018, § 3 RdNr 224 mwN). Die Dauer des Anspruchs auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts - und spiegelbildlich das damit verbundene Ende des Ruhens des Krg-Anspruchs wegen erhaltenen Arbeitsentgelts nach § 49 Abs 1 Nr 1 SGB V - wird mithin (auch) so ermittelt, dass die einzelnen AU-Zeiten addiert werden, bis die (gesetzliche) Entgeltfortzahlungs-Höchstdauer von 42 Kalendertagen erreicht worden ist. Nichts anderes kann dann für die Berechnung der maximalen Zeitdauer für das Ruhen der Krg-Ansprüche von beschäftigten Versicherten und ihren Anspruch auf den Beginn der Krg-Zahlungen grundsätzlich am 43. Kalendertag der AU gelten.
c) Die Gesetzesmaterialien zu § 46 S 2 SGB V aF, der seine Vorgängerregelung in § 182 Abs 3 S 2 RVO hatte, unterstreichen die Richtigkeit der Auslegung.
Nach den Gesetzesmaterialien (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum GRG, BT-Drucks 11/2237 S 181 Zu § 45) sollte § 45 SGB V dem bis dahin geltenden Recht "weitgehend ... mit redaktionellen Änderungen" entsprechen. Dieses vorangegangene Recht stellt sich wie folgt dar: § 182 Abs 3 RVO idF des KSVG vom 27.7.1981 (BGBl I 705) sah für Künstler und Publizisten einen Anspruch auf Krg mit Beginn der siebten Woche der AU vor. Diese Begrenzung im Sinne einer "Wartezeit" wurde ua mit den besonderen Einkommensverhältnissen dieser Versicherten und dem Ziel des Entgegenwirkens einer missbräuchlichen Inanspruchnahme begründet. Zudem wurde allerdings auch hervorgehoben, dass der insoweit maßgebende Beitragssatz zur Krankenversicherung demjenigen entspreche, der für Mitglieder mit Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhoben wird (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum KSVG, BT-Drucks 8/3172 S 26 Zu Nummer 3 und Nummer 10 Buchstabe b; gleichlautend Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP, BT-Drucks 9/26 S 23/24 zu den genannten Nummern). Nachdem dann für den Kreis der durch das KSVG begünstigten Personen die Möglichkeit geschaffen worden war, den Krg-Beginn zu wählen, wurde Gleiches auch freiwillig versicherten hauptberuflich selbstständig erwerbstätigen Personen ermöglicht, nämlich "für Versicherte, die eine Wahlerklärung nach § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 abgegeben haben" (Art 15 Nr 2 Buchst a des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, BGBl I 1990). In der Begründung des Entwurfs zu dieser Neuregelung heißt es dann wiederum, dass für hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige, die sich mit einer Wahlerklärung nach § 44 Abs 2 Nr 2 SGB V für den "gesetzlichen" Krg-Anspruch gegen Zahlung des allgemeinen Beitragssatzes entschieden hätten, der Anspruch damit ab der siebten Woche der AU beginne und damit im selben Zeitpunkt wie bei gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern (Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks 16/12256, S 64 Zu Nummer 2 Zu Buchstabe a).
Den vorstehenden Ausführungen in den Gesetzesmaterialien, insbesondere der - keineswegs nur als "zufällig" einzuschätzenden - Betonung der Rechtslage für krankenversicherte Arbeitnehmer mit gesetzlichem Entgeltfortzahlungsanspruch, ist zu entnehmen, dass im Gesetzgebungsverfahren mit § 46 S 2 SGB V aF neben der Verfolgung der dargestellten weiteren Ziele speziell hinsichtlich des Personenkreises der mit Krg-Anspruch versicherten Selbstständigen jedenfalls auch Gesichtspunkte der Gleichbehandlung von Arbeitnehmern mit Selbstständigen eine wesentliche Rolle spielten: Bei der Festlegung des Krg-Beginns ab der siebten AU-Woche für freiwillig krankenversicherte hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige mit einer entsprechenden Wahlerklärung sollten im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl leistungsrechtlich als auch beitragsrechtlich im Ergebnis bewusst die gleichen Wirkungen herbeigeführt werden wie bei abhängig Beschäftigten: Die Regelung war (typisierend) davon getragen, den Krg-Beginn bei Angehörigen beider Gruppen von Versicherten erst mit der siebten Woche der AU festzulegen, dh auch für die Selbstständigen in der Konsequenz derart, wie dies schon bei Arbeitern und Angestellten nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V der Fall war. Auf diese Weise wurde ein Gleichklang beim Aufschub des Krg-Anspruchs erreicht und eine Einsparung bei den Krg-Aufwendungen der Krankenkassen herbeigeführt, indem für beide Gruppen ebenfalls der gleiche Beitragssatz galt.
d) Die aufgezeigten und in den Materialien dokumentierten Erwägungen aus dem Gesetzgebungsverfahren zur Gleichstellung von zwei Personengruppen sind auch entscheidend für die Bestimmung des durch § 46 S 2 SGB V aF verfolgten Sinn und Zwecks, nämlich einer beabsichtigten Parallelität zu den Ansprüchen von in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitnehmern (so zB Joussen in Becker/Kingreen, SGB V, 6. Aufl 2018, § 46 RdNr 5; Legde in Hänlein/Schuler, SGB V, 5. Aufl 2016, § 46 RdNr 9). Nicht angenommen werden kann dagegen, dass die Regelungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch Arbeitgeber und die Voraussetzungen für die Krg-Gewährung ihrer Art nach nur "zufällig" bzw "faktisch-normativ" nebeneinanderstehen (so aber die Beklagte unter Hinweis auf Tischler in BeckOK-SozR, 52. Edition 1.3.2019, § 46 SGB V RdNr 24). Die Regelungen sind vielmehr bewusster und gewollter Ausdruck zweier komplementärer bzw sich ergänzender Regelungssysteme zur Sicherung von Entgelt- bzw Einkommensausfall bei Krankheit: Solange der Versicherte insoweit Zahlungen des Arbeitgebers nach § 3 EntgFG - kraft Gesetzes (unbeschadet einer möglichen einzel- oder tarifvertraglich längeren Anspruchsdauer) im Regelfall für maximal sechs Wochen - erhält, ist die Krankenkasse wegen Ruhens des Krg nach § 49 Abs 1 Nr 1 SGB V von ihrer Leistungspflicht befreit. Dies entspricht dem Grundgedanken, dass die Entgeltfortzahlung auch ganz wesentlich im gesamtgesellschaftlichen Interesse der Entlastung der Krankenkassen und damit mittelbar aller Beitragszahler dienen soll (so BAG Urteil vom 12.12.2001 - 5 AZR 255/00, Juris RdNr 39 mit umfangreichen Nachweisen, BAGE 100, 130 = AP Nr 10 zu Art 30 EGBGB nF = DB 2002, 1889; Kunz/Wedde, Entgeltfortzahlungsrecht, 2. Aufl 2005, § 3 RdNr 1a mit umfangreichen Nachweisen). Gleiches ist auf freiwillig krankenversicherte hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige mit einer Wahlerklärung des Krg-Beginns ab der siebten Woche der AU zu übertragen.
e) Die gegen die Auslegung von der Beklagten vorgebrachten Einwände können angesichts dessen nicht überzeugen. Zentral ist insoweit die Erwägung, dass die Regelungen zur Dauer der Zeiträume, in denen Krg-Ansprüche nicht bestehen, einerseits in § 3 Abs 1 S 1 EntgFG iVm § 49 Abs 1 Nr 1 SGB V (6 Wochen = 42 Tage fortzuzahlendes Arbeitsentgelt kraft Gesetzes für Arbeitnehmer im Krankheitsfall, erst dann Krg-Beginn) und andererseits in § 46 S 2 SGB V aF (Herbeiführung einer Gleichstellung der og Selbstständigen durch erst am 43. AU-Tag entstehende Krg-Ansprüche) in ihren Zielen und in ihrer Konsequenz übereinstimmen. Für die Bestimmung des Beginns des Krg-Anspruchs des Klägers ist es dabei ohne Belang, dass es Personengruppen gibt, die kraft einzelvertraglicher oder tariflicher Regelung Ansprüche auf Entgeltfortzahlung für längere Zeiträume haben können. Denn aus diesem Umstand kann jedenfalls für die Auslegung von § 46 S 2 SGB V aF nichts hergeleitet werden.
Die Beklagte kann ebenfalls nicht mit ihrer Argumentation durchdringen, dass das Ergebnis des LSG zu einer Besserstellung von freiwillig versicherten hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen im Vergleich zu versicherten Arbeitnehmern führe. Dagegen spricht schon, dass im Fall des Klägers - ausgehend von den Feststellungen des LSG - trotz Unterbrechungen in den Zeiträumen von AU stets dieselbe Krankheit vorlag und die gegenteilige Auslegung gerade in seinem Fall des Vorliegens einer schwereren Grunderkrankung mit nicht zusammenhängenden AU-Zeiten sogar eine unzumutbare Erschwerung der Leistungsgewährung bewirken könnte (vgl ähnlich zum Krankentagegeld der privaten Krankenversicherung: Kein erneutes Eingreifen einer Karenzzeit bei Vorliegen desselben Versicherungsfalls und zwischenzeitlicher mehrfacher Unterbrechung der AU: BGH Urteil vom 9.5.2018 - IV ZR 23/17, Juris RdNr 24 mwN = NJW-RR 2018, 929 = VersR 2018, 808). Gleichheitsprobleme im Verhältnis zu den Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Wiederholungserkrankungen nach § 3 Abs 1 S 2 EntgFG stellen sich damit nicht. Der Senat muss im Übrigen nicht entscheiden, wie es sich verhielte, wenn in den einzelnen kurzen AU-Abschnitten nicht dieselbe Krankheit vorliegen würde.
3. Einwendungen gegen die vom LSG ausgeurteilte Krg-Höhe hat die Beklagte nicht erhoben. Rechtsfehler in Bezug auf weitere Anspruchsvoraussetzungen für die Krg-Gewährung zugunsten des Klägers sind ebenfalls nicht gerügt worden und auch sonst nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 13219801 |
NZS 2019, 750 |
AiSR 2019, 197 |
Breith. 2020, 1 |